Nachrichten vom Höllenhund


Darvasi
29. November 2017, 15:58
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László Darvasi: Wintermorgen
Novellen

darvasi„László Darvasi, der Erkunder des Unbegreiflichen, hat früh die Novelle als form entdeckt, in der seine Kunst der Verrätselung und Verdichtung ihren stärksten Ausdruck findet.“ (Klappentext) – Es sind nicht die Novellen, die ich kenne, in denen ein nicht erwarteter Einbruch das Schicksal anstößt, zur Wende führt, das Leben aus seiner Bahn wirft. Darvasis „Novellen“ erzählen von Menschen, in deren eherner Tradition es keine Sicherheiten gibt. Es braucht nur den minimalen Anstoß, um die Bahn zu kippen, um das Leben aus der Routine zu werfen. Insofern ist weder der Erzähler noch sind seine Figuren verwundert über die Schieflagen, das nicht aufzuhaltende Scheitern, die Brüche. Sie halten die Devianz für das Gängige.

Darvasi teilt seine 35 Texte in drei Gruppen: Gott, Heimat, Familie. Natürlich bilden alle drei keinen Halt, spenden keinen Trost, setzen bloß einen vagen Rahmen, der die Bewegungen zusätzlich einengt. Der Unterschied ist, dass man sich in der Familie persönlich kennt – ohne sich leiden zu können.

Zum Beispiel: „Der Tod meines Nachbarn“ aus der Gruppe „Heimat“. Es beginnt, wie viele der Texte, mit der absurden Logik, die, einmal gesetzt, nicht mehr aufzuhalten ist und in die Katastrophe führt. Wobei die Katastrophe auch eine der Logik sein kann.

Jeder weiß, dass ein anständiger Nachbar so einen Filzhut besitzt, wie Jan Gielespiele in Harter Einsatz einen getragen hat. Deshalb fragte ich meinen neuen Nachbarn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, ob er so einen Hut besitze, worauf der Typ leichthin mit der Schulter zuckte, auch er sehe keinen solchen Hut auf meinem Kopf, worauf ich zurückgab, bis dato hätte ich keinen Nachbarn gehabt, weshalb verständlich sei, dass ich einen Hut wie Jan Gielespiele in Harter Einsatz einen getragen habe, bisher nicht benötigt hätte.
Sie jedoch, ich sah ihm in die Augen, haben genau gewusst, dass Sie einen Nachbarn haben würden, als Sie dieses Grundstück und das Haus darauf kauften. (…)

Das Wetter war trüb, Amseln scharrten unter den Buchsbäumen, ich finde, der Tod ist auch von der Art, er scharrt, stöbert ständig herum, und schließlich rauscht er, den sich ringelnden Wurm im Schnabel, mit langsamen, doch kraftvollen Flügelschlägen über den Garten hinweg. Natürlich kaufte ich den Hut noch am selben Tag, genau so einen, wie ihn Jan Gielespiele in Harter Einsatz getragen hat. Dann spazierte ich demonstrativ ein paarmal vor dem Haus meines Nachbarn auf und ab. (…)

Weil ein Nachbar beobachtet, mein Liebling. Einer, der nicht beobachtet, ist gar nicht dein Nachbar, das ist existentiell, genau dieses Wort gebrauchte ich, es wäre absurd. Sieh dir nur an, ich hob den Finger, was sich am Balkan abspielt, wie die Völker sich dort belauern, auch die Araber und Juden belauern sich in einem fort, von den Amerikanern gar nicht zu reden, die haben die meisten Nachbarn, denn offensichtlich betrachten sie den ganzen Erdkreis als Nachbarn!

Wenn also dieser Mann, der neben uns eingezogen ist, sinnierte meine Frau, denn sie machte die Dinge gerne kompliziert, dich nicht beobachtet, mich und dich, warf ich ein, also uns nicht beobachtet, fuhr sie fort, dann ist er nicht unser Nachbar? (…)

Am nächsten Tag regnete es erneut, mir fiel auf, dass das Wetter, seit mein Nachbar mein Nachbar war, launi­scher geworden war. Feindselige, hinterlistige Pfützen warfen hinter mir Blasen, als ich zu ihm hinüberging. Ich musste nicht lange klopfen. Mein Nachbar öffnete über­rascht die Tür, was kann ich für Sie tun, fragte er, ich kam sogleich zur Sache, Sie beobachten uns, sagte ich, jedes Wort ein wenig betonend, Herr Nachbar, setzte ich noch mit Schärfe hinzu, worauf er ein überraschtes Gesicht machte, was wollen Sie damit sagen, fragte er.
Ich will damit sagen, dass Sie kein Auge von uns lassen, und das wird früher oder später zu Komplikationen füh­ren, antwortete ich trocken.
Was für Komplikationen?
Das weiß ich noch nicht, aber mit Sicherheit keine an­genehmen, sagte ich.

Andere Fundstücke, aus anderen Geschichten: z.B. aus „Wintermorgen“ (Heimat):

Ich sah, dass er einen neuen Gartenzwerg hatte. Die Schaukel war gestrichen, er hatte Schotter und Kalk kommen las­sen. Neben der Einzäunung für die Hühner lag ein Kör­per. Der Körper eines Menschen. Zuerst glaubte ich, er schlafe. Doch er schlief nicht. Er war tot. Daneben lag der Spaten. Ein neuer Spaten, registrierte ich. Die Hüh­ner legten die Köpfe schief und betrachteten den Körper neugierig. Eines steckte den Kopf durch das Drahtge­flecht und pickte neben den Fingern herum.
»Das hast du gefunden?«
»Genau.«
»Wie kann man so etwas finden?«
Als wir ins Haus traten, stieg uns der Duft der frisch zubereiteten Suppe in die Nase.

Oder aus “Tips für Hundehalter” (Gott):

Da fiel ihm ein, dass er ja keine Wohnung mehr hatte. Er stand unschlüssig da, dann zog er sich den braunen Ar­beitsmantel über, nahm Mull aus der Erste-Hilfe-Box und verband den Hund. Das genügte fürs Erste. Er setzte sich neben den Tisch, starrte die zahnlückigen Bücherregale an, er erinnerte sich gar nicht mehr, wann er sie das letzte Mal geordnet hatte. Er hatte sich hier einquartiert, da kostete es mehr Mühe, die Ordnung in der Bücherei auf­rechtzuerhalten. Er besaß keine Wohnung mehr, seit eini­ger Zeit lebte er hier.
Das war jetzt sein Zuhause.

oder aus “Mein kleiner Bruder und ich” (Familie):

»Sie vögeln«, flüstere ich hinunter, und mein Bruder schweigt, er grübelt darüber nach, dann stellt er eine neue Frage.
»Was bedeutet das.«
»Das bedeutet nichts, das macht man.« »Und warum machen sie das.«
»Mutter singt gerne. Und Vater repariert gerne.« »Muss ich auch einmal reparieren?«
»Ich weiß nicht, Kleiner, ich weiß wirklich nicht.« »Ich hab solche Angst«, schluckste mein Bruder. »Ich will nicht reparieren. Ich will nicht.«

Geschrieben ist das Absonderliche in der Sprache des Alltäglichen. Eine Methode, die zuweilen ein wenig an Kafka denken lässt, die sich aber abnützt, weil sie nicht prägnant ist, weil das Erzählte zu wenig über sich hinaus weist. So kanns kommen, so ist es eben. Auch wenn am Schluss einer tot sein sollte. Darvasi scheut nicht das Derbe, das Dörfliche, das Versoffene, den sich einstellenden Sex.

Lang hab’ ich so wenig mit einem Buch anfangen können wie mit „Wintermorgen“. Wie hängen die „Novellen“ zusammen? Gibt es einen Bezugspunkt? Sich ähnelnde Lebenskatastrophen? Die Nation, speziell die gegenwärtige, als Folie von Erleben oder Kritk? Ich hab nichts gefunden, keinen Hintergrund, keinerlei Anklage. Verrätselungen ja, aber sollten die sich nicht zumindest partiell auflösen lassen? Verdichtungen schon, aber was wird aus komprimierter Gleichartigkeit. Vielleicht Absurdität, ein wenig Kafka. Vielleicht liegt das am Zustand des Landes, das sich weigert, in der Gegenwart anzukommen?

Auf dem Cover brennt der Stuhl. „A Ja, László Darvasis imaginationsstarke, grausam-absurde Erzählwelt erzeugt Gänsehaut. Aber sie erschüttert auch, weil in ihrem Kern ein Funke Liebe glüht oder verhohlene Sehnsucht nach Schönheit und Transzendenz. (…) Ganz grosse Literatur.“ (Ilma Rakusa, NZZ) Albträume in Serie verflachen die Erschütterung. Vielleicht hab ich das Buch auch nicht unvoreingenommen genug gelesen, hab zu sehr nach Motiven gesucht. Für mich brennen die „Novellen“ wie Strohfeuer, auf den Geschichten liegt eher die Asche.

2016          350 Seiten

Seite beim Suhrkamp-Verlag mit Leseprobe

4

 


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