Nachrichten vom Höllenhund


Ikonomou
13. Dezember 2017, 18:36
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Christos Ikonomou:
Warte nur, es passiert schon was
(Erzählungen)

ikonomouEs passiert nichts in Christos Ikonomous Geschichten, außer dem Schlimmsten: dass es nicht weitergeht. „Nicht das Fallen ist das, was einen umbringt, sondern der Stillstand.“

Als ich bei Tagesanbruch dort vorbeikam, um zur Ar­beit zu gehen, sah ich sie immer noch um das Feuer ste­hen. Es hatten sich auch noch andere Leute auf dem Gehsteig versammelt, alte Männer, Frauen, Ausländer.
Aber sie standen immer noch um die Tonne, fünf Män­ner mit total weißen Gesichtern vor Übermüdung und Kälte, und sie schauten stumm in das Feuer, das im eis­kalten Licht des Tages verglomm.

So sitzen sie und stehen sie und warten, nachts ist die beste Zeit dafür, weil man den Horizont nicht sieht und sich mit ein paar Gläsern (oder Flaschen) Tsipouro erträumen kann, dass „was“ passiert. Das wäre gut, aber wie soll man daran glauben? Denn es ist meist die Basis des Lebens, die wggebrochen ist: das Geld. Die Arbeit, mit der man es verdienen könnte. Tagsüber ist es kalt, auch im Sommer oder wenn es an Weihnachten 20 Grad hat. Nachts wärmen die selbstgeschürten Feuer.

Meist sind es Männer, doch die Frauen warten mit. Die Sicht reicht bis zum Hafen, ein paar Straßen hinauf und hinunter. Die Planungen fürs Leben sind vage, konkrete Vorstellungen kranken daran, dass man nicht an ihr Wirklichwerden glaubt. Vielleicht gibt’s für kurze Zeit einen Job, eine Vertretung, während die Reichen wegfahren.

Er zündet sich eine Zigarette an und legt den Kopf nach hinten. Der Fuß ist ganz taub und im Stiefel ge­schwollen. Er spürt die Glassplitter oben auf dem Kopf, aber er will nicht hinfassen.
Er wird abwarten. Abwarten. Es wird schon was passieren. Irgendwann wird der Hund müde und ver­zieht sich. Er kriegt Hunger und Durst, er legt sich schlafen. Und wenn das passiert, geht er ins Haus. Und dann macht er irgendetwas.
Er wird abwarten. Er wird die ganze Nacht über im Auto sitzen und abwarten. Wird warten, dass die Nacht vergeht. Er wird die ganze Nacht über dableiben und am nächsten Tag auch und so viele Tage, wie es eben notwendig ist. Er wird abwarten.
Aufgedunsen und orange versinkt die Sonne hinter dem Berg. Es wird dunkel. Die Glasscherben an der Oberseite der Mauer verlieren den Glanz. Ein Vogel fliegt über die Mauer und verschwindet, als hätte ihn der Himmel verschlungen.
Er wird abwarten.
Und es ist immer noch erst der dritte August.

Woanders soll es besser sein, meint man gehört zu haben. Sogar in Bulgarien. Griechenland ist wieder einmal nur Herkunftsland wie in den 1960er Jahren, als viele Landgriechen in die USA emigrierten. Ikonomou zitiert aus begeistert enttäuschten Briefen, die von entwurzelten Leben künden. „Warte nur, es passiert schon was“ erschien in Griechenland 2010, als die Finanzkrise das Land schon getroffen hatte, als aber die erdrückenden Schikanen der „Troika“ noch jenseits der Vorstellungen lagen. „Warte nur, es passiert schon was“ ist nur indirekt ein politisches Buch. Ikonomous Anliegen und Stärke ist das Aufbrechen der Masken der Männer, der Blick in die Kulissen der Traurigkeit, das Sezieren der erwartungslosen Zukunft, der Anstrengungen, mit der Hoffnungslosigkeit weiterzuleben.

Es ist eine Chance, sagte er zu Niki. Du siehst doch, was hier los ist. Hier gibt’s kein Vorankommen. Schluss aus, wir sind am Ende.
Früher hat man für ein Stück Brot gearbeitet, jetzt arbeitet man für eine Handvoll Krümel. Bulgarien hin, Bulgarien her, ich hab damit kein Problem. Es soll gut sein da oben. Landleben, Berge, Wälder, Flüsse. Es gibt Heilbäder. Und Kirschen. Dort wachsen angeblich die besten Kirschen der Welt. Bei Gott. Wasserfälle gibt es auch. Hier kann man ja nicht mal mehr Leitungswasser trinken. Pro Monat geben wir einen Fünfziger für das abgefüllte Wasser aus. Schluss aus. Hier gibt es kein Vorankommen. Ich finde, wir sollten gehen. Schlimmer als hier kann es nicht sein.

Das Schönste: Ikonomou findet in der Tristesse Bilder von poetischem Zauber. Die Personen glauben daran, Mensch bleiben zu können. Auch wenn nichts passiert. Sie hören nicht auf zu reden, auch wenn sie nicht so viele Wörter haben und immer wieder dasselbe sagen. „Neben dem älteren Petros Markaris gibt es derzeit kaum einen anderen Autor, der das heutige Griechenland hierzulande so lebendig vertreten würde.“ (Kostas Kosmas, Tagesspiegel)

Ich fülle die Gläser, wir trinken. Wir schauen hinaus. Unsere Gesichter leuchten auf den großen Fenster­scheiben wie die Fingerabdrücke von einer riesigen Hand. Unkenntliche Gesichter, Gesichter von anderen Menschen.

Ich finde, wir sollten die Matratze rausholen und heute im Hof schlafen, sagte er. Wir sollten heute in dieser letzten Nacht draußen im Hof schlafen. Was meinst du?
Niki zuckte mit den Schultern.
Mach, was du willst, sagte sie. Ich werde heute Nacht bestimmt nicht schlafen.
Die Sanduhr war jetzt verschwunden, das Meer wurde dunkel, ein Wind kam auf. Sie saßen lange unter dem Olivenbaum und hörten, wie seine Blätter im Wehen des Windes erschauderten. Die Sterne blinkten zwischen den Zweigen des Baumes, und er sah lange schweigend hinauf und versuchte herauszufinden, wo­nach die Sterne aussahen, er versuchte, etwas Helden­haftes zu finden, etwas Romantisches, was er über sie sagen konnte, aber schließlich ließ er es sein, denn es waren nur Sterne. Sterne waren es und sonst nichts.

2010         255 Seiten

Leseprobe beim Verlag C.H.Beck

 

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