Nachrichten vom Höllenhund


Zeh
21. Dezember 2017, 17:23
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: ,

Juli Zeh: Leere Herzen

zehleereherzenDer Sommer be­sinnt sich noch einmal auf seine Fähigkeiten und mal­trätiert das schlecht isolierte Haus mit unbarmherziger Sonneneinstrahlung. Staub und Hitze vereinigen sich zu etwas, das den Namen Luft kaum noch verdient und sich schlecht atmen lässt. Wenn die Hitze uner­träglich wird, verwendet Britta einen ihrer Freigänge in den Garten darauf, sich für eine Viertelstunde in den Bach zu legen. Im Kirschbaum lärmen die Spat­zen, das kühle, fließende Wasser ist pure Wohltat, und für ein paar Augenblicke kann Britta alles hin­ter sich lassen. Sie schaut in den blauen Himmel und verspricht einem Gott, an den sie nicht glaubt, alles, was er will, wenn er sie lebend hier herausholt, und zwar schnell.

Nein, so schlimm ist es nicht. Zumindest nicht durchgehend. Zentralfigur in Juli Zehs „Leere Herzen“ ist die doppelte Britta. Britta ist hochintelligent und hat sich deshalb gespalten. Britta.1 ist die Familienbritta mit Mann, quengeliger Tochter und in ihrer Gewöhnlichkeit nervenden Freunden, die sich, vor die Wahl zwischen Waschmaschine und Demokratie gestellt, ohne groß nachzudenken für erstere entscheiden würden. Britta.2 ist die Jobbritta, die das Geld ins Haus bringt, ohne genau zu sagen, womit sie es verdient. Beide Brittas überfordern sich, werden gern zynisch und könnten auch Juli heißen.

Der Familienalltag steht für Britta im Hintergrund, ist trotz Tochter nur lästige Pflicht. „Normalerweise kocht Britta nicht, es ist eine Übersprungshandlung.” Natürlich hat sie eine Abscheu vor Schmutz. Ausspielen kann Britta ihre Kompetenzen nur bei der „Brücke“, dem Start-up, das sie gemeinsam mit dem schwulen Babak betreibt und das sie penetrant penibel unter ihrer Kontrolle wissen muss, „Seit Gründung der Brücke lebt und arbeitet sie in völliger Übereinstimmung mit dem Zeitgeist. Wenn ihr nicht so häufig übel wäre, würde sie sich wahrscheinlich glücklich nennen.”

Hier beginnt die origenelle Phase des Romans. (Exkurs: „Schon vor dem Berliner Anschlag hatte das BKA sich gemeinsam mit Wissenschaftlern an die Entwicklung eines neuartigen Analyse-Tools namens Radar-iTE gemacht: Es ist eine akribische Erhebung von 61 Risiko- und zwölf sogenannten Schutzfaktoren, die es möglich machen soll, die Bereitschaft eines Islamisten zur Gewalt besser abzuschätzen.” SZ, 181217) Ähnlich wie 2017 das BKA hochgradige “Gefährder” herausfiltert, sucht die “Brücke” mit ihrem Algorithmus nach latent Lebensmüden.

Laut Statistik begingen allein in Deutschland rund 10000 Menschen pro Jahr Selbstmord, drei Vier­tel davon Männer, mehr als die Hälfte durch Erhän­gen. Babak machte sich daran, einen Algorithmus zu entwickeln, der mithilfe von Data-Mining, Profiling und Stilometrie geeignete Zielpersonen aus dem Netz fischen sollte. Gleichzeitig erfand Britta eine Reihe von Verhaltens- und Psycho-Tests, mit deren Hilfe sie die Suizidwilligkeit der Kandidaten auf Herz und Nie­ren prüfen würde. Eine Heilpraxis für Selbstmordprä­vention. Einen Großteil der Klienten würden sie zu­rück ins Leben entlassen, durch harte Konfrontation mit dem eigenen Todeswunsch für immer von suizida­len Gedanken geheilt. Ein paar Unbelehrbare würden übrig bleiben. Menschen, die auf alle Fälle sterben wollten, so oder so. Die würden sie an Organisatio­nen vermitteln, die etwas mit ihnen anzufangen wuss­ten. Die ihnen ein Ziel gaben, einen Sinn, etwas, für das es sich zu sterben lohnte. Und dafür zahlten.

Britta liebt ihre Arbeit. Sie hat viel mit Menschen zu tun, lebt selbstbestimmt und tut eine Menge Gu­tes.” Die “Kapitalisierung des Todes” nennt das Katrin Schumacher.

Der erste Kandidat, der alle Stufen der Evaluierung bestand, hieß Dirk, ein Pädophiler, der keine Lust mehr hatte, mit seiner Neigung zu leben. Sie fisch­ten ihn aus einem Selbstmordforum, wo er schon seit Monaten mit der Frage haderte, welches die sicherste Methode für seinen Abschied sei. Beta-Lassie hatte ihn von Anfang an mit einem Koeffizienten von 10,4 bewertet – das beste bislang erreichte Ergebnis. (…)
Als Britta ihm anbot, die komplette Suizid-Logistik für ihn zu übernehmen – Regelung persönlicher Ange­legenheiten, Planung und Durchführung mit hundert­prozentiger Erfolgsgarantie, Bestattung im Rahmen eines Mittelklassebegräbnisses – und ihm außerdem die Möglichkeit eröffnete, sein Lebensende in den Dienst einer höheren Sache zu stellen, weinte er vor Glück.

Der Roman ist ins Jahr 2025 gesetzt, die BBB ist in die Regierung gewählt worden, die „“Besorgte-Bürger-Bewegung“, Regula Freyer ist Kanzlerin und erlässt “Effizienzpläne“ wie heute Trump oder Erdogan ihre Dekrete, ein gesetzliches Grundeinkommen fixiert die Bevölkerung auf ein privatisiertes Leben, öffentliche Debatten sind mit den Zeitungen abgestorben. Juli Zeh möchte die Fortschreibung der AfD nicht an der Macht sehen und schickt ihre Agentin Britta.2 in den Kampf um die Demokratie. Der Roman verschlingt sich in gedanklichen Kurzschlüssen, Underground-Phantasien im abgelegenen Gartenhaus und mündet in ein Ende, von dem Gert Scobel sagt, er „habe es mehrfach gelesen“ und es trotzdem „nicht verstanden“. (3SAT-Buchzeit)

Was der Roman über die politische Zukunft (die ja in der Gegenwart angelegt ist) mitteilt, ist zu wenig und zu ungenau, um daraus demokratierestituierende Putschversuche zu begründen. Als die „Brücke“ Konkurrenz von einer BND-Verschwörung mit dem Branding „Empty Hearts“ registriert, versucht Britta dagegenzuhalten. Sie heuert die junge, „schockierend“ schöne und extrem taffe Julietta an (Die Verfilmung ist gleich mitformuliert!), die sogar beim Einüben des Water-Boarding nach einer Zugabe verlangt. „Noch mal!“ Julietta wird in die finalsuizidale Aktion geschickt: Demokratie retten. (Brittas Anliegen, nicht Julietttas, die will ihr Leben nur „für die Tiere“ geben.)

Aber was ist das: Demokratie? Wahlergebnisse akzeptieren oder gewählte Demokratiefeinde mit Gewalt beseitigen? Im Grundgesetz steht dazu wenig, Juli Zehs Verbiegungen machen die Sache nicht nachvollziehbarer. Auch der Appell – an die Leser? -, über die Demokratie nachzudenken und sich dafür zu engagieren, wird durch das Gespinst des Romans eher in Brittas wässrige Träume aufgelöst:

Britta spürt, wie das Blut in ihren Adern zu prickeln beginnt. Wegfegen, aus­räuchern, sauber machen. Eine Aktion von histori­schem Ausmaß. Der Aufstand der Gerechten, Terror der Guten, demokratisches Großreinemachen. Sie malt sich aus, wie ein Sturm der Erneuerung durchs Land fegen wird, der nicht nur die BBB-Elite mit sich reißt, sondern auch deren Anhänger, jene notorischen Nörgler, die seit Jahrzehnten mit ihrer Missgunst und Kleinkariertheit an den Fundamenten der Demokra­tie graben. Die das Internet in eine Schlammschleu­der verwandelt haben, die nur glücklich sind, wenn sie auf andere herabschauen können. Die sich und ihre kindischen Bedürfnisse über alles stellen. Die lie­ber simplen Verschwörungstheorien glauben, als sich mit der komplizierten Wahrheit auseinanderzusetzen. Die ständig fordern, dass sich etwas ändern muss, und durchdrehen, wenn jemand Vorschläge macht. Deren Undankbarkeit nur von ihrer Egozentrik übertrof­fen wird, sodass sie in der Lage sind, noch im Zu­stand größtmöglicher Saturiertheit alle anderen zu beneiden. Deren größte Freude in anonymer Gehäs­sigkeit liegt. Jener Bodensatz aus schlecht gelaunten Postdemokraten, die erfolgreich dabei sind, die größte zivilisatorische Errungenschaft der Menschheitsge­schichte ihren persönlichen Minderwertigkeitskom­plexen zu opfern. Zur Hölle mit ihnen!
»Krass«, sagt Julietta.
»Wahnsinn«, sagt Babak.

Juli Zeh hält der Gesellschaft (?) nicht den Spiegel vor. Da hilft auch das vorplatzierte Motto nichts: „Da. So seid ihr.“ Wer im Roman soll denn bitte „wir“ sein? „Leere Herzen“ ist auch nicht vergleichbar mit Houellebecqs „Unterwerfung“, wo eine real geschilderte Machtveränderung auf einen ignoranten, aber in sich stimmigen „Helden“ trifft. „Barbara Vinken meint, einen “fast klassischen Bildungsroman” zu lesen. Da fehlt mir nicht allein der Glaube. „Was als politischer Krimi anfängt, mit allen Elementen für einen spannenden Plot, geht über in ein Kammerspiel um Ohnmacht und Paranoia und mündet in einer traktathaften Botschaft. Und die wird am Ende sehr deutlich formuliert. Zu deutlich.“ (Frank Hertweck, SWR 2) Und, nicht zuletzt: „Leere Herzen“ liest man schnell, nicht nur wegen der vielen Dialoge, sondern weil es kaum einen Satz gibt, den man sich anstreichen oder merken will.

P.S. Die Brittas heißen mit Nachnamen Söldner (!). Damit es ihr nicht wie ihrer Protagonistin auf den Magen schlägt, ist Juli Zeh im Sommer 2017 in eine neoliberal durchformte, in ihrem Wollen hasenherzige Partei eingetreten: die SPD.

Denis Scheck spricht mit Juli Zeh (ARD – Druckfrisch, 8 Minuten)

4-5

 


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: