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Miranda Julys Der erste fiese Typ
Inszenierung: Christopher Rüping
Eine kurze Inhaltsangabe des Romans von Miranda July findest Du z. B. hier. Meine Anmerkungen zum Roman kannst Du hier nachlesen.
Der Roman ist immer länger als die Verfilmung oder die Vertheaterung. Wo kürzt man, wo setzt man die Schwerpunkte? Bleiben Kongruenzen? – Christopher Rüping ist, wiewohl noch jung (geb. 1985), ein Regisseur, der das Gespür für Situationen hat. Es sind Szenen, die ausgespielt werden, die haften bleiben, die den Roman überlagern, wenn auch nicht vergessen lassen.
Schon vor Spielbeginn ist die Bühne offen: Im Hintergrund sitzen Mann & Frau, von denen es heißt, sie seien die Sängerin (Franziska Hartmann als sehr gute Vertretung der eigentlichen Besetzung) und der Pianist (Christopher Rüping himself). Auf der tiefen Bühne tollen zwei Frauen herum, und man hofft, sie sind bloß Vorprogramm und nicht die beiden Hauptakteusen, die sich schon im Vorspiel verausgaben. Auch Rebecca Meining nimmt auf der Bühne Platz, was man vonVideografinnen ja schon gewohnt ist.
Da der Vorhang nicht mehr aufgehen muss, leitet man mit einem kleinen Fragespielchen über: Wer kennt denn eigentlich Mirandy July? (Die erhobenen Finger werden geflissentlich übersehen.) Es ist auch die Einführung ins Spiel mit den Rollen. Anna Drexler und Maja Beckmann lesen von zerstreuten Blättern aus dem Roman, finden sich plötzlich ihre Rolle, finden Spaß am Spielen, Kraft und Freude steigern sich, reichen bis zum abgehobenen Ende.
Maja ist unbeglückt zuhause, eines Tages ist Clee einfach da. Maja Beckmann ist als Cheryl Glicksman “such an acute observer that her life is never as pathetic to the reader as it appears to the people around her. She has developed systems for everything, including a rigid housekeeping asceticism that helps her stave off the kind of debilitating sadness that, if left unchecked, can snowball from letting dirty dishes pile up in the sink to eating off said dirty dishes, to no longer bathing, to urinating in cups because they’re closer to the bed. Her ideal is unruffled contentment. When things really flow, she says, “my days become dreamlike, no edges anywhere, none of the snags and snafus that life is so famous for. After days and days alone it gets silky to the point where I can’t even feel myself anymore, it’s as if I don’t exist.” “Clee is sexy, with “a blond, tan largeness of scale” as well as eye-watering foot stench. She is, it turns out, a terrible guest. Her manners are egregious, she’s a layabout boor and she calls herself a misogynist. Cheryl’s meekness and sad appearance incense Clee to the point that she begins to beat Cheryl up.” (Laureen Groffjan, NYT Sunday Book Review). Anna Drexler übernimmt – neben Clee – auch alle Männerrollen (in all ihrer Lächerlichkeit).
Der Role-Flow ist ja Ingredienz des Theaters heute, man hat – auch als Zuschauer – gelernt, damit umzugehen. Der Kampf beginnt: Club-Fighting, Anschluss suchend, immer mit dem Kopf voran in den Bauch (Kämpfen Frauen so?), bis man es spürt, bis das Getümmel in Liebe ausartet. (Liebe ist ein zu hohes Wort bei Minanda July.) Die Mikrowelle läutet die Runden ein. Im Theater immerhin ein langer tiefer Kuss, im Hinterraum der Bühne. Dazu eine intensiv inszenierte Party, die Licht-Orgasmen zucken übers Publikum, die Videoprojektionen multiplizieren die Extasen.
Clee kriegt ein Kind, empfangen im Warteraum des Therapeuten, zu dem sie Cheryl geschickt hat; sie selbst hat ihre bezahlte Zeit nicht ausgenutzt. Clee hat so viel mit sich zu tun, dass für das Baby keine Empathie bleibt: also zur Adoption. Cheryl hat eine Grund-Beziehung zu kleinen Kindern. Ihr Name für die Wesensverwandeten: Kubelko Bondy. Da sie selbst keines hat, übernimmt sie das von Clee. (Eine „merkwürdige Hymne auf die Mutterschaft“ sieht Anja Perkuhn, AZ, in Julys Roman.) Namensvorschlag von Clee: Kleines Dickerchen – aber dann doch: Jack. Per Video sprechen die Mütter mich als Baby-Zuschauer an, ganz nah, dududu.
Ein Highlight der Vorstellung: die Geburtszene. Anna Drexler at her best. Konvulsiv am Boden, Blutgesudel (vgl. Rüpings Hamlet), Pressen, ab durch die Tür, von der anderen Seite wieder rauf auf die Bühne. Slapstick! Ja, das ist Miranda July, obwohl sie im Roman das Event fast verkitscht. Das Publikum weiß, was gemeint ist. Politische Korrektheit lässt sich auflösen, wenn beide Seiten die Codes kennen und akzeptieren.
Am Schluss doch Wohlgefallen. Space-Oddity, die Frauen entschweben. Jack aka Kubelko Bondy grüßt aus dem Skaphander. Franziska Hartmann singt ergreifend im Glitzerkleid Elton John’s „Rocket Man“, hier natürlich „Rocket Girl“. Beifall, frenetisch.
Weder Buch noch Theater-Adoption sind inhaltlich eine Offenbarung, beide sind kein Statement für irgendetwas. Vorgeführt werden Personen und ihre Verhältnisse, die oft skurril erscheinen, weil sie nicht unsere sind, weil wir nicht alle Tage von solchen Möglichkeiten hören oder lesen. Der Roman bewegt die konventionelle Tabu-Grenze in Miranda Julys „schamlosem Humor“ (Christine Dössel, SZ) mehr als Christopher Rüpings „Spaßguerilla”-Theater . Dennoch ein vergnüglicher Abend, weil Rüping das Gespür für die Nummernrevue hat, weil die bühnentechnischen Rahmenbedingungen (meist) stimmen und weil Anna und Maja mit ihrer Spielfreude anstecken.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 22. Dezember 2017
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