Nachrichten vom Höllenhund


Maier
27. März 2018, 19:06
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Andreas Maier: Die Universität

maieruniversitaetAndreas Maier inszeniert seinen Erzähler – der auch Andreas heißt – als grüblerischen Aufschieber, der vor lauter Intro- und Extrospektive nicht ans Ziel kommt. In den Semesterferien ist der Rucksack für „Italien, näher gesagt Südtirol“ gepackt, doch „in dem Moment, als ich in der Tür des Waggons stehe, vor mir der Bahnsteig, beginne ich zu lä­cheln, besser: zu grinsen. Die Stimme in mir fängt an zu sprechen. Es ist meine Kommentarstimme, mein innerer Meta-Ebenen-Kuckuck.” Die Stimme kommt immer dazwischen und ist immer willkommen, der Kommentar überlagert – und verhindert oft – das Handeln. “Ich ließ den Zug nach Italien fahren, ging zum Schalter, kaufte mir eine Karte nach Butzbach und stieg ein. Dort arbeitete die Tochter des Buchhändlers in einer Zweigstelle der Bin­dernagelschen Buchhandlung.” Butzbach ist auch nicht schlecht, vielleicht besser als die Ferne. “Ich hatte mir am Butzbacher Bahnhof auch eine zweite Flasche Bier gekauft, und nun aß und trank ich und betrachtete den Park, der sich mir auflud mit allerlei Assoziatio­nen. Jedes Blütenblatt, jeder Grashalm schien mir mit einem universalen Vollkommenheitssinn aufgeladen, als sei der Butzbacher Park just in diesem Moment die höchste Form von Welt.”

Für Andreas Maiers Protagonisten, der äußere Aktivitäten prokrastiniert, erweitert sich die Welt ständig, aber das braucht Zeit. Seine bisherigen Romane seit 2010: · Das Zimmer. · Das Haus. · Die Straße. · Der Ort. · Der Kreis. Und jetzt, 2018: · Die Universität. als Teil eines Zyklus von geplanten elf recht autobiografischen Romanen unter dem Arbeitsobertitel „Ortsumgehung“, die fest in die südhessische Geografie eingeschrieben sind.

Im letzten Kapitel von “Die Universität” geht’s aber sowas von voran:

Ich verlasse mein Zimmer, gehe hinunter auf den Parkplatz und steige in das Auto. Es handelt sich um einen alten, gebrauchten Ascona, ohne Servolenkung, kaum Elektrik. Radio ja, aber die Antenne fehlt, abgebrochen. Aschenbecher lang nicht geleert. Auf der Ablage ein angebrochenes Päckchen Senior Service, ohne Filter, wie immer. (…)
Ich fahre auf dem Parkplatz einen Bogen und dann zwischen zwei Mietshauskasernen (in einer davon wohne ich) Richtung Straße. (…)Es geht auch jetzt wieder nur im Schrittempo, aber es steht nicht. Das ist ein eminenter Unterschied: Stehen und Schrittempo! Das Schrittempo unterbindet nicht unsere Hoff­nung. Bei Stehen geht nichts weiter, und wir wis­sen nicht, wie lange. Stehen kann man eine Ewig­keit und kommt nicht voran, Schrittempo fah­ren kann man auch eine Ewigkeit, aber kommt voran, zumindest doch irgendwie (…)zu jenem finalen Bild am Nordwestkreuz, dem ewig wiederholten Stillstand unserer Zielhaftig­keit, in dem wir aufgelöst werden und aufgehen in der Masse der vollkommenen Gleichheit ohne Namen, Rang, Geschichte, Herkunft, Person, Ei­genschaft, Wille, Geschlecht. Und sitzen in den Autos mit unserer uns nach wie vor unauslösch­lich erscheinenden Individualität.
Unserem Ich, das ein Ziel hat und für das wir unterwegs sind und vorwärts streben in unserem Automobil, hier auf dem Nordwestkreuz, A5 Richtung Wetterau.

Ja, das ist schon fein, slow driving, slow living, erfüllte Leere. Der Philosoph als Selbstvermeider. Stillstand auch beim Erzählen, aber sehr selbstreflexiv.

Ich versuchte immer wieder, einen bestimmten ten Text zu schreiben. Er handelte von einer leeren, isolierten und konturlosen Person. Meist saß sie in einem leeren Zimmer und erzählte von einem leeren, isolierten, konturlosen Tagesab­lauf – einem Tagesablauf ähnlich dem meinen, wie es schien. Es war eine Person ohne Historie, ohne Gegenwart, völlig in sich verschlossen und an sich selbst zurückgebunden. Sie grenzte sich durch ihre komplette Leerheit gegen alle ande­ren ab, war in den Zusammenhang der anderen, in deren Gesellschaftszusammenhang, in deren Berufszusammenhang, deren Liebeszusammen­hang nicht integriert, entweder aus Unfähigkeit oder kraft eigenen Entschlusses, das war nie so genau zu entscheiden. Bisweilen schien sie dem Entschluß zur Leerheit einen bestimmten Sinn beizumessen.
Allerdings kam keiner dieser Texte über den Anfang hinaus, denn es gab keinen erzähleri­schen Gegenstand außer eben dem der Leerheit.

›Ich, das ist der Mittelteil des Wortes Nichts.‹ (Motto) Was der Erzähler vor sich hin summt, stimmt aber nicht. Es passiert schon was. Der Roman heißt ja “Die Universität” und das ist seine Welt, wie geschaffen zum Beobachten und Reflektieren. Zum Beispiel im Seminar von Karl-Otto Apel, Professor für Philosophie an der Universität Frankfurt am Main. Ein Spiel mit Formen als Inhalten und ein Spiel mit Identitätsüberlagerungen. Sprach-Virtuosität auf knappem Raum.

Descartes schaue durch Sprache »wie durch Glas! «, sagt Apel. Die sprachphilosophische Wende jedoch führe dazu, die Sprache selbst in den Blick zu nehmen, und nicht die vermeintlich in ihr mitgegebenen Gegenstände, sagt er, wäh­rend der andere am Raumende mit seiner Muste­rung fortfährt.
Seltsam übrigens, daß er nicht bemerkt, wie ich ihn meinerseits beobachte. In meiner Mat­tigkeit habe ich unterdessen meinen Blick durch den Raum schweifen lassen und festgestellt, daß tatsächlich niemand den Beobachter entdeckt hat außer mir. Nur ich sehe ihn durch Blase bzw. Wolke hindurch.
Ich bin jetzt eine weitere Meta-Ebene, die Meta-Ebene zu ihm, ich bin das Bewußtsein des Bewußtseins, das er von den anderen hat, die dritte Stufe von Bewußtsein. Bin jetzt für ihn selbst umwölkt und unsichtbar. Daher spüre ich eine gewisse Überlegenheit. Er weiß gar nicht, daß er gerade mein Bewußtseinsinhalt ist. Was er zu sein glaubt, bin in Wirklichkeit ich. Ich bin das letzte unobjektiviert gebliebene Subjekt im Raum …!

Und dann wartet auf den Erzähler auch noch ein Highlight. Er wird als Mitglied einer Pflegetruppe zu einer “schwierigen” alten Frau eingeteilt, Gretel, deren Familienname seine “Aufmerksamkeit weckte”. Sie hieß Adorno und wohnte wie der verstorbene Vordenker der “Frankfurter Schule” im Kettenhofweg. Die Erlebnisse werden jetzt etwas handfester, körperlicher, erfordern noch mehr Bier. Ein kleiner Roman als Baustein des Aufbruchs, fein beobachtet, mit penetrant unaufdringlicher Ironie ziseliert erzählt, schön zu lesen – wenn man so etwas mag.

2018          145 Seiten

Leseprobe beim Suhrkamp-Verlag

Das Hamsterrad der Ortsumgehung – Joachim Scholl im Gespräch mit Andreas Maier

Andreas Maier liest aus “Die Universität” – 4 Minuten auf youtube

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