Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: Politik, Satire, Wirtschaft, Zeitgeist
Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland
Es ist nirgends exakt definiert, was ein Roman zu sein hat. Wenn dazu eine Handlung, die Entwicklung und Konflikte von Personen gehören sollten, dann streift Alexander Schimmelbusch das Genre nur am Rande. Der „Held“ Victor (sic) ist zu Beginn Banker und am Ende tot, doch so sehr er die meiste Zeit über nur die von „Statusmarkern“ zusammengehaltene Maske ist, so wenig ist das Ende anders begründet als durch die dem Text vorgegebene Seitenzahl. Bindungen kann der Zwangs-Individualist schon deshalb nicht eingehen, weil das die neoliberalisierte Laufbahn nicht vorsieht – und selbst seiner Tochter Victoria (!) wagt er sich nur geschützt durch Markenmasken unter die Augen. Wo aber verpflichtende Beziehungen ohne die Knute der Life-Bestylung nicht denkbar sind, ist ein Konflikt des Protagonisten mit der Umwelt von Mensch & Gesellschaft obsolet.
Schimmelbusch und sein Victor wären besser als im Roman auf der Bühne aufgehoben: als Unterhaltungskünstler im Pointenfeuerwerk. Allerdings fänden da wohl viele der Überspitzungen keine Abnehmer, da alles viel zu schnell geht. Beim Lesen möchte man sich mehr Zeit nehmen und die hochelaborierte Prosa mit beträchtlicher Bewunderung und hohem Vergnügen genießen.
Der Text zerfällt in 3, vielleicht auch bloß 2 ½ Teile. Zunächst entlarvt sich Victor selbst durch Berichte von seinen Lifestyle-Orgien. Das Leben, das ist der Job, das sind Kontakte im und für den Job und das ist der Markenozean. Der Job:
Bei der Birken Bank, “die auf M&A spezialisiert war, Mergers & Acquisitions, also Fusionen und Übernahmen (…) war Victor für coverage zuständig, (…) Victor war zuletzt Head of German Investment Banking bei der UBS gewesen, mit einem Angebot zum Wechsel zu Morgan Stanley und dem geheimen Vorhaben, sich mit 40 Jahren zur Ruhe zu setzen. Er hatte 102 Wohnungen in Berlin erworben, in Gründerzeithäusern am Luisenstädtischen Friedhof, mit einem Blick über Mausoleen auf die Hangarbauten des Flughafens Tempelhof in naher Ferne.
Die Frauen, die Ehe, die Familie und weiteres Chichi:
Antonia und er waren vor allem deshalb ein Paar geworden, da Victor sie zum richtigen Zeitpunkt getroffen hatte. Er war in einem Zustand gewesen, in dem er eine Freundin gebraucht hatte, im Sinne einer mit ihm befreundeten Person, einfach irgendeine Form der Nähe, um sich gegen die Depression zur Wehr setzen zu können, die das Resultat seiner damaligen Phase destruktiver Arbeitsbelastung gewesen war – einer finsteren Wolkendecke der Grenzerfahrung, durch die er sich hatte kämpfen müssen, um in das strahlende Licht des Reichtums emporzuschweben. (…)Ihre Beziehung hatte acht Jahre lang gehalten, obwohl sie aus Victors Perspektive nicht auf Dauer angelegt gewesen war, was weniger mit Antonia und mehr damit zu tun gehabt hatte, dass eine Konstante in seinem Leben schon immer das Gefühl gewesen war, sich gerade in einer Übergangsphase zu befinden.
Und so entstanden Fliehkräfte in diesen Ehen, die als Allianzen autonomer Einheiten angelegt waren, da die Abwesenheit aller Erwerbszwänge die Ehefrauen mit der Versuchung konfrontierte, ihre Männerberufe aufzugeben, um fortan ihren Interessen nachzugehen. Um sich zu emanzipieren vom gesellschaftlichen Zwang, eine Führungsfunktion im Risikomanagement oder im Devisencontrolling auszuüben.
Um endlich etwas Kreatives zu machen – ein Bedürfnis, das Victors Einschätzung zufolge im Hochtaunuskreis in den kommenden Jahren zu einem Boom im Bau und der Vermarktung hochwertiger, aber kompakter Bungalows führen würde, klassischer Erstfrauen-Bungalows in bewaldeten B-Lagen, deren Bewohnerinnen im Heilklima gegen das seelenlose Surren ihrer Töpferscheiben würden antrinken können.
Seine Affäre Maia Maia hatte er zum ersten Mal in Moskau gesehen, auf seinem iPhone, während einer Besprechung. Sie war durch die Lücke in der Hecke in seinen Garten gekommen, wo sie die Bewegungsmelder und somit die AlertFunktion seiner Cribz-App aktiviert hatte. Auf seinem Touchscreen hatte er sie dabei beobachten können, wie sie durch seine gläsernen Außenwände sein Interieur begutachtet hatte.
Sie hatte nur ein langes T-Shirt getragen, und Victor hatte sich gefragt, was sie wohl darunter angehabt hatte – nichts? Einen String von La Perla? Einen weißen Baumwollslip wie seine Freundinnen in der Schule damals? Bevor er sich im Detail Maias Irokesen hatte ausmalen können, hatte er mehrfach seine große Lampe an- und ausgeschaltet, woraufhin sie panisch geflohen war und Victor manisch aufgelacht hatte – dies war in einem Meeting mit dem Strategiechef der Gazprom gewesen.
Zu seinem Haus am Taunusrand fährt er in seinem Porsche ‚Shere Khan’ „mit 24 Lautsprechern und einem Armaturensektor, dessen Lederverkleidung allein so viel wie ein VW Polo gekostet hat“.
Nach gut 100 Seiten wird nicht nur Victor, sondern auch der Leser des hohlen Esprits überdrüssig. Der Leser könnte zuklappen, Victor beginnt ein Manifest zu schreiben. Er entwirft auf etwa 30 (Buch)-Seiten eine Art Regierungsprogramm zwischen dem “auch nach drei Litern Lemberger meist noch luziden Gründervater” Ludwig Erhard und einer streng neoliberalisierten Grün-SPD, “unsere Bewegung heißt Deutschland AG” und bezweckt “die Reifung des deutschen Staates zum Unternehmer“ und sie “verfolgen die Zielsetzung, Wohlstand für alle zu schaffen”. Das Programm ist streng national(istisch): “Nur mit einer effizienten Allokation nationaler Ressourcen wird die Politik ihre zentrale Aufgabe erfüllen können, nämlich die Verbesserung der Lebensumstände aller deutschen Bürger zu gewährleisten.”
„Er wischte über das Touchpad, um sein Laptop zu wecken, und ein leeres Dokument erschien. Im Kern würde er wie immer einen Pitch des Genres »Strategische Optionen« schreiben, mit dem er sich diesmal aber nicht an einen Funktionsträger, sondern direkt an den Souverän richten würde. Victor hatte sich mittlerweile in eine tiefe Konzentration manövriert, und wenn man in seine grauen Augen geschaut hätte, wären die grünen Kontrollleuchten seiner organischen Mainframe-Architektur zu sehen gewesen.”
Nach diesem Kokolores folgt der Endteil, der wieder wie die Eingangsseiten konzipiert ist, nur dass Victor inzwischen die Bank verlassen hat und sich ganz seiner Tochter widmet. Die Arme! Wieder viel verbales Lifestyle-Geplänkel, ohne dass irgendwer ein anderer geworden wäre. Alles hohl wie eh, gründlich gut recherchierte Psalmodien, Insidergebabbel. Ja, nicht zu vergessen, ein Coup: Bundeskanzler ist seit 2017 “Ali Osman, der ‘Kreuzberger Kennedy’, wie ihn Caren Miosga getauft hatte”.
Victor starb dann erst 15 Jahre später
Volker Weidermann zählt „Hochdeutschland“ zu den drei besten deutschen Büchern dieses Frühjahrs: „Schimmelbusch hat einen wahnsinnig lustigen, bösen, politisch klugen Untergangs- und Aufbruchsroman geschrieben.“ Im besten Sinn ist der Roman eine deutsche Antwort auf Michel Houellebecqs „Unterwerfung“, schreibt Jens-Christian Rabe in der SZ. „’Hochdeutschland’ müsste man den politischen Roman zur Zeit nennen, wenn das nicht so abgenutzt klingen würde.“ „Was der Roman bietet, ist Material für lesenswerte Essays und Glossen, die vielleicht eine geeignetere Textform gewesen wären für Schimmelbuschs durchaus interessante Theorien und Einblicke. So bleibt dem Leser die Welt der Banken und Manager so lebensfern, wie sie es immer war.“ (Hendrik Lullies, NDRkultur)
Lustig ist der Text wohl, aber ich lese zu viel vom Gleichen. Das Böse und Politische beschreibt und beklagt den öden Schein, nicht viel mehr. Ein „Roman zur Zeit“ ist „Hochdeutschland“ insofern, als der Plot „an der zweifelhaften Oberfläche des schnellen, reichen Lebens [seines] Protagonisten“ (Norbert Frei) hängen bleibt und diese von innen heraus zelebrierend zersetzt. Das „Manifest“ ist nicht eingebunden und in seiner liberalpopulistischen Tendenz doch sehr wurschtig. Eine „deutsche Antwort auf Michel Houellebecqs ‚Unterwerfung’“ liefert Schimmelbusch nicht. Bei aller Ignoranz von Houellebecqs Protagonist François ist der doch ein ernsthaft Suchender, kein Knallhallodri wie Victor; dass ein Muslim Regierungschef ist, ist eine Parallele, bei Schimmelbusch ist das Thema aber nicht ausgeführt. Mit „Hochdeutschland“ kann man keine Politik machen und auch keine Zeiterscheinungen eingehend kritisieren. Zeitgeist.
2018 215 Seiten
Leseprobe beim Verlag Klett-Cotta
Infos zum Buch der Woche beim „freitag“
![]() 2/4-5 |
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar