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August Strindberg: Der Vater
Inszenierung: Nicolas Stemann
Ich hab gleich nach der Vorstellung nachgelesen, worum es geht. Es ist nicht ganz einfach. Der Rittmeister Adolf ist Herr im Haus. Aber da gibt es eine Reihe von Personen, die nicht so wollen, wie er will und wie es die Tradition – oder gar die Natur – gebietet: Pastor, Knecht, Amme, Arzt, Emma, Figuren, die Nicolas Stemann beiseite schiebt. Auch Laura, die Frau des Rittmeisters, pflegt ihre eigenen Sperenzchen. Sie will bei der Erziehung der Tochter Bertha mitbestimmen und, als sie damit nicht durchkommt, setzt sie Hebel in Bewegung, um die Oberhand zu gewinnen: Intrigen, Boykott, Fake News, die den Rittmeister als geisteskrank erscheinen lassen sollen. Schließlich versucht sie es mit Giftpfeilen: Man könne ja nie genau wissen, ob ein Vater wirklich der Vater sei. Der Rittmeister wills nicht wissen, der hilflos unbeholfene Vertreter des Alten rotiert, kollabiert schließlich.
Reichlich wirr und gestrig. Stemann reduziert auf die Frage: Kann der Mann seine angestammte Macht im HAUS bewahren, wenn er nicht einmal sicher sein kann, dass er der VATER des Kindes ist. Die Frage ist in Zeiten des Patchwork eigentlich wenig relevant,doch angesichts des Roll-Back der dumpfen (weißen) Männer durchaus aktuell. Strindberg war einer dieser grundverunsicherten Männer, die der aufkommenden Frauenbewegung wenig Substanzielles entgegenzusetzen hatten. Er wurde zum reaktionären Misogyn. Seine naturalistische Methode neigte zur Verzettelung, blieb in betriebsamer Oberflächlichkeit verfangen; an Abstraktion, an erkennende Draufsicht war aus seiner selbstbeschränkten Perspektive nicht zu denken.
Nicolas Stemann hat seine eigene Verfahrensweise: Das Geschlecht interessiert nicht mehr. Julia Riedler ist Mutter und Vater in einem Satz, Daniel Lommatzsch wechselt ebenso schnell. Der Disput löst sich von der Rolle. In der Projektion verschmelzen Mann- und Fraugesicht zu einem, davor vereint Wiebke Puls’ Monolog den Kampf der Geschlechter in einer Person; es kann keinen Gewinner* geben. Auch die Frau in ihr hat für ihren vermuteten Triumph zu zahlen. „Amen.“ (Schlussakkord der Holzfäller) Zu Tochter Bertha (Zeynep Bozbay) gesellt sich ein Sohn (Benjamin Radjaipour), auf der Bühne nur phänomenologisch zu identifizieren, der Text changiert. Christine Dössel (SZ) sieht die Vertreter der jüngeren Generation (Tochter Bertha) „im antipatriarchalen Aufklärungseinsatz“ Sie „singen im winterlichen Flockenregen ein schönes Lied über die ‚strategische Verschiebung dieser binären Beziehung’ zwischen Mann und Frau. Auch sonst sind sie sehr gendertheoriefest.“ Hat die nächste Generation zur Versöhnung der Geschlechter gefunden? Die Kostümierung der Paare ist nahezu identisch. (Gegen die entwaffnende Schnoddrigkeit Julia Riedlers hat der verbissene Benjamin Radjaipour allerdings schwer anzuspielen.)
Es gibt nur eine Stelle, wo Frau Frau bleibt/bleiben darf/muss: Als Julia Riedler mit der Schnipp-Schnipp-Schere von der Treppe aus zur Telekastration schreitet. Da ist Stemanns Rollenkonzept nicht ganz stimmig, erheitert aber, als die sechs singenden Holzfäller einer nach dem anderen getroffen dahinsinken. Ein Tribut an die Klischees der 70er-Jahre. (Was müssen aber die bebarteten Männer im grobkarierten Flanell auch zuvor von der Fahrt in’n Puff nach Barcelona singen!?)
Die heitere Stimmung kippt mit Wiebke Puls. In ihrem langen Monolog rechnet sie mit allen Männer- und Frauenillusionen ab. Auch sie changiert zwischen den Geschlechtsrollen, kreuzt und neutralisiert sie. Mit verzweifeltem Ernst steigert sie sich in die Demolierung der Bühne, um sich zuletzt selbst in die Zwangsjacke zu entleiben. „Sie hat den Konflikt gleichsam inkarniert, sie verkörpert die vermeintlich triumphierende Frau und den abdankenden Mann in einem.“ (Sven Ricklefs) In Strindbergs Text wirft der Rittmeister die Lampe (nach Laura), Wiebke Puls’ Erregung geht ins Leere, da kein(e) Antagonist(in) mehr da ist. Ein großer Auftritt, gebannte Stille, der Applaus wollte zu früh Erlösung.
Naturalistisches wird im verbalen Eingangsgeplänkel à la Stemann zitiert, die Wohnungseinrichtung, die Gesten und Kleider, Szenenanweisungen. Es verkümmert zur Staffage, man braucht das nicht, wenn man dem Stück die Historizität entzieht. Die Reduktion auf Zentrales (für zentral Gehaltenes) führt zu Textschleifen. Mann wiederholt, was Frau gesagt hat und andersrum. Ein Mittel der Verfremdung, das Stemann zuspitzt, wenn die Sätze gleichzeitig gesprochen, ja geschrien und mit Musik/Tönen zugedeckt werden. Die Aussage verlagert sich in den Impuls. Parallel dazu beginnen die grünen Stehlampen zu tanzen, schieben sich in die Höhe, ziehen sich wieder zusammen – eines der vielen phallischen Symbole auf der Bühne (Katrin Nottrodt).
Spielwerk auch die Schauergüsse aus den Lampenschirmen, der rosa rieselnde Blüttenschnee, auch die fünf Mannsbilder vom Chor „Camerata Vocale“ („Ja, das Studium der Weiber ist schwer“ aus Lehárs lustiger Witwe). Stemanns (und der Ausstatter) Spiel macht Sinn, erzielt viel Jubel, ist mit seinen zwei Stunden nur wenig zu lang.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 29. Juni 2018
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