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Franz Molnár: Liliom
Inszenierung: Katrin Plötner
Liliom ist ein Nichts, ein windiger Bursche, „a Wimmerl, a Weh, a Kretzn“ (Wolfgang Ambros), halbseiden wäre für seine Gesellschaft schon zu viel gesagt. Seine rotschwarz funkelnde Hose bestätigt das nur. Liliom sei ein „Charmeur“, will die Programmkarte einreden, aber das ist er nicht: weder in Molnárs Text noch auf der Regensburger Bühne. Philipp Quest spielt ihn schon richtig als einen jungen Mann, dem sie die Empathie ausgetrieben haben. Warum nur fallen die jungen Dinger eine wie die andere auf einen wie ihn herein, weshalb verfallen sie ihm? Sogar seine schon ältere Chefin, die Frau Muskat, ist scharf auf ihn.
Zunächst: Er verschafft den Madeln Zugang zum „Merry-Go-Round“, zum Ringelspiel, zur Glückseligkeit, die die Welt verspricht und die Welt vergessen lässt. „Liliom besteigt die erhobene Kanzel des Ausrufers, wo er alle anderen auf der Bühne überragt“, heißt es im Prolog. Er ist der Türsteher (Kafka), den die Mädchen anhimmeln, damit er sie in den Himmel schauen lässt. „Alles andre zählt nicht mehr“ (nochmal Ambros), mehr hat eine wie die Julie nicht zu erwarten. Gut, ihre Freundin Marie verbindet sich mit einem Spießer, nimmt in Kauf, dass er ein „Jud“ ist. Das hat Julie nicht nötig, dafür ist sie zu stark. Dafür lässt sie sich schlagen. Sie auch, wie viele, wie alle – auch wenn sie NEIN sagt. Perspektiven sind nicht in Sicht, wohin weglaufen, wenn an der nächsten Ecke schon ein anderer schlägt, wenn man nicht ins Nichts fallen will. Der Crash ist vorgezeichnet. So viel zum Sozialen.
Liliom macht als Loser auf dicke Eier, er kriegt nichts auf die Reihe, sogar den Überfall auf den Prokuristen Linzmann vergeigt er und kommt dabei zu Tode. Julie führt ihm die Hand zum Stoß in sich selbst. Ende des Trauerspiels im Stadtwäldchen. Fortsetzung im (Vor-)Himmel, wo man sich um Wahrscheinlichkeiten nicht mehr kümmern muss. Liliom wird (von Marina M. Blanke) nach 16 Jahren als (Vor-)Engel resubstantiiert und auf die Erde geschickt. Für einen Tag zur Reha, zur Wiedergutmachung, Second Chance. Wieder versagt er. Er trifft auf seine Tochter Luise (auch Marina M. Blanke), mit naiver Absicht bringt er ihr eine Handvoll Sternenstaub. Doch sie ziert sich, er schlägt sie, hat nichts dazugelernt. Ende. Fast. Denn jetzt, erst jetzt, wird die zentrale Frage gestellt: Als Liliom dem Mädchen zornig auf die Hand schlägt, spürt sie keinen Schmerz. Es ist ihr, als habe man ihre Hand liebevoll gestreichelt. Die himmlischen Detektive führen Liliom kopfschüttelnd ab. Nun fragt das Mädchen seine Mutter, ob es denn möglich sei, dass ein so heftiger Schlag nicht weh tue. Julie antwortet: „Es ist möglich, mein Kind, dass einen jemand schlägt, und es tut gar nicht weh.“
Hier rekurriert Katrin Plötners Inszenierung auf den Pro-Prolog: einen Text von Leslie Morgan Steiner über Opfer häuslicher Gewalt. Es wird aufgelistet, wie viele Frauen in ihrer Beziehung vergewaltigt, getötet werden. Das muss und darf gesagt werden, doch das folgende Stück wird damit belastet, geframet. Und da Molnárs Stück eher schwach ist, hält es dieser Vorgabe nicht stand. „Liliom“ soll eine „Vorstadtlegende“ sein, wir sollen auf die Peripherexistenzen blicken, was immer zu einem leichten Kitzel führt. „Liliom“ ist kein meToo-Stück. Plötners Inszenierung wirkt zu ernst, zu statisch, trotz aller Bühnenbuntheit zu trocken, zu saftlos.
Der Anfang überwältigt. Auf der Bühne (von Daniel Wollenzin) blinkt das Riesen Rad, zu fetziger Musik umkreist eine Horde Mädels das verführerische Karussell. Und dann wird es dunkel. Still. Das steht so im Text. Aber die fröhlichen Mädchen tauchen nicht mehr auf. Die Verhandlungen verlagern sich nach vorne auf eine Art Hebebühne. Liliom und Julie sitzen hier gern auf ihrem Sofa. Die Lampen am Gestell des Fahrgeschäfts blitzen hin und wieder weiß auf, das Gestell selbst verschiebt sich zu lautem Getöse. Als Assoziation stellt sich eher der Maschinenraum ein als der Rummelplatz. Auch die Figuren verlieren ihre Emotionen. „Plötner lässt ihre lustig ausstaffierten Akteure die Figuren vorführen; die verlieren dadurch die Bodenhaftung, wirken nicht sinnlich aufregend, generieren aber auch keine konsequente, eigene Form.“ (Egbert Tholl, SZ)
Die Vorstellung nimmt nicht wieder Fahrt auf. Wenn sich die Personen immer wieder gegenseitig an die Brust tappen, ist das nicht erotisch, sondern hilflos. Die Fotografin Hollunder (Silke Heise, streng) hat in ihrem „Studio“ Nacktaufnahmen aufgehängt; das Versprechen bleibt in der Inszenierung unerfüllt. Das Spiel mit einer roten Socke: läppisch. Die Geilheit der Frau Muskat (Franziska Sörensen): eine Not. Verena Maria Bauer, die Julie im roten Kleidchen, alles andere als ein Hascherl, eigentlich zu reflektiert, um auf den Brutalo-Hallodri reinzufallen. Aber die Liebe ist ein seltsames Spiel (Connie Francis). Auch Philipp Quest agiert als Liliom gebremst. Wenn er zuschlägt, versteht man, dass er Julie nicht treffen kann. „Es ist möglich …, dass einen jemand schlägt, und es tut gar nicht weh.“
Höflicher Applaus für ein Stück, aus dem man mehr hätte machen können, vereinzelter Jubel von den Rängen.
Theater Regensburg – Aufführung am 17. Juli 2018
Ella Milch-Sheriff und Savyon Liebrecht: Die Banalität der Liebe
In ganz anderem Genre und auf einem völlig anderen Niveau verhandelt auch Ella Milch-Sheriffs und Savyon Liebrechts Oper die „Banalität der Liebe“. Ausgehend von Hannah Arendts Diktum, das Verbrechen des Nationalsozialismus sei in seinem ausführenden Kern nicht das Böse sui generis, sondern das Böse sei „banal“ gewesen, abgeschmackt, wird hier die Beziehung der jungen und der alten Philosophin Hannah Arendt zu ihrem Professor Martin Heidegger auf die Bühne gebracht.
Heidegger entpuppte sich als Antisemit und Parteigänger der völkischen NSdAP, schwärmte vom deutschen Geist, an dem die Welt genesen müsse und titulierte die 17 Jahre jüngere Hannah Arendt als „mein Judenmädchen“. Arendt verurteilte Heideggers Ver(w)irrungen, ließ aber nicht von ihm ab, besuchte ihn immer wieder, sprach mit ihm, blieb ihm gewogen. Die Schluss-„Erklärung“ der Oper: „das Herz“! Heidegger wird dann als „der letzte Romantiker“ eingordnet, was zugleich bezichtigend und entlastend zu verstehen ist.
Die Philosophie als Ringelspiel. Der Schlaf der Vernunft. Eine eindringliche und nachdenkliche Befragung der Banalitäten.
Theater Regensburg – Aufführung am 12. Juli 2018
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