Norbert Gstrein: Die kommenden Jahre
Ich habe den Roman – für meine Verhältnisse – schnell gelesen. Das könnte daran liegen, dass das Erzählte spannend ist, einen durch den Text zieht, es könnte aber auch so sein, dass der Text keine Widerstände bietet. Keine originellen Formulierungen, keine überraschenden Worte, die einen innehalten, überlegen lassen.
Der Erzähler heißt Richard und ist Gletscherforscher, ein Naturwissenschaftler, der gewohnt ist und für sich in Anspruch nimmt, objektiv zu denken und sachlich zu beschreiben. Insofern passt das zum eher anspruchslosen Stil des Romans. Seine Frau Natascha ist Schriftstellerin, also für die Emotionen und die Empathie zuständig, allem Spirituellen aber herzlich abgeneigt. Der Konflikt ist angelegt. „Die kommenden Jahre“ ist ein Eheroman, ein Roman des Nichtverstehens, des angewöhnten Beieinanderbleibens, das Kind heißt Fanny und ist 12.
Die Gletscherforschung als der eine aktuelle Pol des Romans, fristet auch in Zeiten der Erwärmung ein Schattendasein als eskapistische Möglichkeit der Weltflucht. Die Verlockung ist die mexikanische Glaziologien Idea. Das beherrschende aktuelle Thema sind: die Flüchtlinge. Natascha hat eine Familie aus Syrien in ihr Sommerhaus am See einquartiert. Natascha, der Gutmensch, Richard, der Realist. Es kracht.
Das Flüchtlingsmotiv ist billig. Gstrein benutzt die Flüchtlinge, um den Ehestreit zu instrumentieren, die Flüchtlinge sind Objekt der erbärmlichen deutschen Debatten. Das ist natürlich auch ein Thema, das erhellt werden könnte, doch Norbert Gstrein will sich einmischen, sucht verzweifelt sein Motiv, erklärt aber nichts. Familienfilm mit Flüchtlingen, wie man ihn seit Jahren mittwochs im Ersten sehen kann. Ohne Witz, ohne Erleuchtung, Füllstoff sind wohlstandsverwahrloste Jugendliche. Thema abgehandelt.
Wenn sie von der Arbeit mit Herrn Farhi sprach, hielt ich mich meistens zurück, aber es passierte jetzt doch, dass ich etwas nicht nur Zustimmendes äußerte, und dann hatten wir Streit. Sie fragte mich zu Recht, was ich ihr damit sagen wolle, als ich ihr von einem Bericht über Helfer in einem Aufnahmelager für Flüchtlinge erzählte, die sich beklagten, sie würden von Künstlern oder vielmehr von sogenannten Künstlern, wie sie mit penetranter Konsequenz genannt wurden, jedenfalls von auf die merkwürdigste Weise inspirierten Leuten, die immer gerade ein paar von den Ärmsten für eine Performance brauchten, beim Verteilen von Kleidern und Lebensmitteln behindert.
»Hast du etwas dagegen, dass ich mit Bassam zusammenarbeite?«
»Nein«, sagte ich. »Wie könnte ich?«
»Was soll dann diese Gehässigkeit?«
Ich versuchte mich zu verteidigen, machte das Missverständnis aber nur größer, als ich sagte, ich wolle die Motive so mancher von denen, die das Leben von anderen ausschlachten und sich so sicher sind, es sei nur zu deren Bestem, lieber nicht kennen.
»Die Motive?«
Natascha sagte es mit Abscheu.
»Welche Motive hättest du gern?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Schalt den Fernseher an, wenn du mir etwas von Motiven erzählen willst«, sagte sie. »Sieh dir dort die Leute genau an, die so reden wie du, und dann frag dich bitte, ob du wirklich einer von denen sein willst.«
Ich hätte schweigen sollen, ließ mich aber dazu hinreißen zu erwidern, wenn ich mir anschaute, was da so alles veranstaltet werde, würde es mich nicht wundern, wenn irgendein besonders raffinierter Idiot am Ende auf die Idee käme, ein Vergnügungsschiff zu chartern, mit einer Altersheimbelegschaft von deutschen Rentnern vor der libyschen Küste herumzukreuzen und in einer spektakulären Kunstaktion den Verzweifelten dort beim Ertrinken zuzusehen und, weil er selbstverständlich ein Theatergenie wäre, vielleicht auch noch Geld in kleinen Scheinen ins Meer regnen zu lassen. Ich war jetzt nicht mehr zu stoppen, und also musste ich nachlegen, das Leben auf der Bühne sei immer nur ein Bühnenleben, da könnten sich die Zampanos noch so sehr bemühen, möglichst nah heranzukommen, ein Flüchtling könne einen Flüchtling spielen, aber er sei dann eben ein gespielter Flüchtling, echt sei am Ende nur der Tod. Zu allem Überfluss sah ich Natascha an, als erwartete ich Applaus, und weil sie mich nur schweigend und mit diesem in unseren gemeinsamen Jahren immer feiner zwischen Ironie und Mitleid wechselnden Blick fixierte, wollte ich es immer noch nicht lassen und sagte, die Regieanweisungen könne ich mir vorstellen, das Sterben bitte möglichst intensiv und gefühlsecht.
Sicher, man kann die Wohlfühlattitüde der „Gutmenschen“ als naiv kritisieren, man kann die indifferent eskapistische Haltung des Skeptizisten bloßstellen, man darf die verfahrene Verunsicherung der Flüchtlinge in Frage stellen. Gstrein entscheidet sich für alles davon, macht aber nichts richtig. Die Motive passen nicht zusammen, ein Roman als Nichtsnutz.
Das Gletschermotiv verflüchtigt sich wie die Gletscher. Richards Flucht-Perspektive endet im Vagen, Gstrein verliert die Übersicht. Er bietet zwei „Kapitel 13“ an, ein „literarisches“ und ein anderes, die sich allerdings für mich als immer weniger beteiligtem Leser wenig unterscheiden. Beide versickern, das Schlusskapitel „Was wirklich geschehen ist“ versucht sich an einem showdown, der die Konsequenz des verhaltenen Denkens von Richard ins Recht setzt.
Norbert Gstreins Roman wirkt arg konstruiert, er kann stilistisch nicht überzeugen und, vor allem, er verrät wichtige Themen der Zeit an einen einseitig verankerten Ehekonflikt. „Norbert Gstrein hat seinen schönsten Roman geschrieben.“ (Klappentext) „So vibrierend nah am Zeitgeschehen, so federleicht und luzid zugleich hat Norbert Gstrein noch nie geschrieben. (…) Mit seinem Roman ist Norbert Gstrein nicht weniger als der paradigmatische Roman unserer Zeit gelungen. (Andreas Breitenstein, NZZ) Als Prototypen des unserzeitlichen gesellschaftlichen Romans wird alles bejubelt, wenn nur die gehypeten Themen aufscheinen: Flüchtlinge, Angst, Klima, Fake. Den Roman müsste man dann gar nicht mehr lesen, er ist schon durch seine scheinbare Aktualität geframet. (Ein Beispiel: Alexander Schimmelbuschs „Hochdeutschland“) Sehr genau und kritisch liest den Text Sabine Haupt (literaturkritik.de):
Erzürnt findet sie in „Die kommenden Jahre“ „ein Buch über das politische Ressentiment, über die nur halb unterdrückte Wut eines orientierungslosen Intellektuellen auf die linke, ökologisch und humanitär engagierte Schriftstellerin an seiner Seite, ein Buch über den Hass auf ,hysterische Feministinnen‘, ,Gutmenschen‘ und ,Gesinnungsterroristen‘, die sich „beim Helfen und beim Gutsein zusehen“ lassen, eine literarische Polemik gegen vermeintliche HeuchlerInnen, die ihre ethischen Prinzipien zur dogmatischen Moralkeule aufbauschen und instrumentalisieren, um verzagte, von Zweifeln, Scham und höchst authentischer Feigheit gebeutelte Bedenkenträger und dressierte Sitzpinkler wie Richard moralisch zu demütigen.“
Norbert Gstreins „Die kommenden Jahre“ ist kein guter Roman.
2018 285 Seiten
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