Nachrichten vom Höllenhund


Lunde
29. September 2018, 17:28
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Maja Lunde: Die Geschichte der Bienen

lundebienenWieder einmal (oder wie meistens) setzt das Gefühl einen Rahmen (heute: frame) und verzerrt so das Lesen. Man könnte sagen: macht es blind für den Text. Die Attribute, die sich vor Maja Lundes „Die Geschichte der Bienen“ legen, heißen: Macht nachdenklich! – Erschreckend, aktuell und wahnsinnig gut erzählt – die „Bienen“ überzeugen auf ganzer Linie! – Berührend, fesselnd und thematisch unheimlich wichtig – Bewegend und sehr interessant! – Verstörend – und dergleichen mehr.

Die Bewegungen, Berührungen und Fesselungen entstammen aber nicht dem Buch, sondern dem rührseligen Mitleid mit den (aus)sterbenden Mitgeschöpfen. Um zu solchen Moralismen zu stoßen, braucht es den Roman nicht, aber das Lesen entlastet und erübrigt rationales Denken und konkrete Maßnahmen gegen eine vernichtende (Land)Wirtschaft. (Zu einer neuen Studie übers Bienensterben in der FAZ).

In der „Geschichte der Bienen“ spielen die Bienen eine verkitschte Nebenrolle. Lunde erzählt drei Geschichten aus drei Zeiten: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: England, USA, China. Das Hauptereignis des Buches: Sie erzählt jede Geschichte chronologisch, zerstückelt die Erzählungen aber und verzopft sie. 10 Seiten V, 10 Seiten G, 10 Seiten Z. Das simuliert Modernität und würde immer wieder Cliffhanger erlauben, wenn denn eine der Geschichten irgendwie spannend wäre. (Man stelle sich vor, man läse eine Geschichte nach der anderen.)

Zum Hintergrund der Klappentext:

– England im Jahr 1852: Der Biologe und Samenhändler William kann seit Wochen das Bett nicht verlassen. Als Forscher sieht er sich gescheitert, sein Mentor Rahm hat sich abgewendet, und das Geschäft liegt brach. Doch dann kommt er auf eine Idee, die alles verändern könnte – die Idee für einen völlig neuartigen Bienenstock.
– Ohio, USA im Jahr 2007: Der Imker George arbeitet hart für seinen Traum. Der Hof soll größer werden, sein Sohn Tom eines Tages übernehmen. Tom aber träumt vom Journalismus. Bis eines Tages das Unglaubliche geschieht: Die Bienen verschwinden.
– China, im Jahr 2098: Die Arbeiterin Tao bestäubt von Hand Bäume, denn Bienen gibt es längst nicht mehr. Mehr als alles andere wünscht sie sich ein besseres Leben für ihren Sohn Wei-Wen. Als der jedoch einen mysteriösen Unfall hat, steht plötzlich alles auf dem Spiel: das Leben ihres Kindes und die Zukunft der Menschheit.

Das hätte gereicht. Zur Information statt der über 500 Seiten des Romans ein Biologiebuch oder der entsprechende Wikipedia-Artikel. (By the way: Wei-wen stirbt an einem anaphylaktischen Schock infolge eines Bienenstichs. Der medizinische Hintergrund ist fragwürdig.)

Ich habe die Lesung bei Seite 215 aufgegeben. Der Hauptgrund für den Überdruss war aber nicht, dass sich die Bienen bis dahin weigerten, ihrer titelgebenden Rolle gerecht zu werden. Maßgeblich war, dass der Roman schlecht und (ver)schleppend geschrieben ist. Drei bräsige Familiengeschichten, die – bis Seite 215 – weitgehend ohne Bienen auskommen, uninteressante Entfremdungen zwischen Vätern und Söhnen.

Ich fragte nach Tom. Laut und deutlich. Ohne einlei­tende Phrasen.
Hinter dem Empfang hockte ein junger Typ mit Rasta­haaren. Er duckte sich hinter einen Bildschirm und sah in einem Register nach, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Der hat gerade eine Freistunde«, sagte er dann.
Anschließend hämmerte er weiter auf seiner Tastatur herum, sicher spielte er irgendein Spiel, und das mitten in der Arbeitszeit.
»Es ist dringend«, erwiderte ich.
Er grunzte mürrisch. Seinen Job zu erledigen, war an­ scheinend nicht seine oberste Priorität. »Versuchen Sie es mal in der Bibliothek.«
Tom saß über einige Bücher gebeugt und unterhielt sich mit zwei anderen Studenten. Eine Brünette, die ganz nied­lich aussah, aber langweilig gekleidet war, und ein Junge mit Brille. Anscheinend waren sie in eine Diskussion ver­tieft, denn sie murmelten eindringlich, und er entdeckte mich nicht, ehe ich direkt vor ihm stand.
»Papa?!«
Er sagte es in leisem Ton, in diesem Tempel des Wis­sens durfte man seine Stimme anscheinend nicht erheben.
Die beiden anderen sahen ebenfalls auf und zogen eine Miene, als wäre ich eine brummende Fliege, die sich hier­her verirrt hatte.
Aus irgendeinem Grund hatte ich geglaubt, er wäre allein und würde einfach nur hier sitzen und auf mich warten, doch es schien ganz so, als lebte er ein eigenes Leben, zusammen mit Menschen, von denen ich keine Ahnung hatte, wer sie waren.
Ich hob die Hand zu einem unbeholfenen Gruß. »Hallihallo.«
Ich bereute es sofort. Hallihallo? So sprach doch kein Mensch.
»Du hier?«, fragte er. »Jepp.«
Es wurde immer schlimmer. Jepp?! So konnte es nicht weitergehen. Ich wartete besser noch mit dem, was ich sagen wollte.
»Stimmt etwas nicht?« Er sprang auf. »Ist etwas mit Mama?«
»Nein, nein. Mama ist gesund wie ein junges Reh.
Hehe.«
Heiliger Bimbam. Ich sollte einfach nur den Mund hal­ten.

Ungelenke Dialoge, Füllstoff. Banalitäten. Maja Lunde ist sichtlich bemüht, den verschiedenen Handlungszeiten gerecht zu werden, passt ihre Sprache an, schafft aber in ihrem Gestammel nur unglaubwürdige Figuren. Besonders abstoßend fallen oft die Frauenbilder auf. Was soll das, wenn eine Autorin mit den Augen ihrer männlichen Figuren auf Frauen blickt und nur Klischees zustande bringt?

Mir fiel ein, dass das Mädchen, das ich in einem Augenblick der Schwäche eingestellt hatte, die dralle, stets kichernde Nichte von Thilda, vielleicht die Angeln geölt haben könnte. Alberta, so hieß sie, war eine überschüssige Arbeitskraft in einem etwas zu kinder­reichen Haus gewesen. Obendrein war sie in einem rei­fen, höchst heiratsfähigen Alter, vielleicht sogar ein wenig überreif, wie eine weiche Tafelbirne, die bald unter dem Gewicht ihres eigenen Safts zu Boden plumpste. Sowohl Albertas Eltern wie auch sie selbst waren sich ihrer prekä­ren Lage peinlich bewusst, doch hatte es sich als schwie­rige Aufgabe erwiesen, einen geeigneten und willigen Lebensgefährten für sie zu finden. Sie hofften auf einen guten Kompromiss, jedoch hatte Alberta keine Mitgift zu bieten und auch sonst nichts Vorteilhaftes an sich, ihren üppigen Vorbau einmal ausgenommen. An ihrem man­gelnden Engagement lag es auf keinen Fall, genauso gut hätte sie sich in ein Schaufenster stellen können. Sie war so pflückreif, dass sie jedes Mannsbild, das in den Laden trat, wie einen Auserwählten behandelte. Abgesehen da­von, dass sie sich einladend über die Theke lehnte und die dampfende, schweißwarme Kluft zwischen ihren Brüsten all jenen darbot, die sie sehen und auch riechen wollten, tat sie keinen Handschlag. Viel mehr hatte sie sicher auch während meiner Krankheit nicht getan und bis zu dem Zeitpunkt, als Thilda sie entlassen musste. Was sie auch anfasste, misslang, und ihre ständige kichernde Anwesen­heit machte mich halb benommen, halb wütend. Ihre Be­gierde, dieses ungehemmte Wesen, und dass sie es über­haupt wagte, all das so offen zur Schau zu stellen …

Das zu lesen, macht mich “halb benommen, halb wütend”. “Die Geschichte der Bienen” hat das Thema verfehlt, ist ein konventioneller Familienroman in drei Strängen, geschrieben in holperndem Stil. Aus Zutaten, die nichts bedeuten, mit denen man nur sein Mitgefühl mit Phantombienen meint stillen zu können. Das sollte nachdenklich machen, dazu müsste man den verbienten Frame aufreißen und über den Roman reflektieren. 2017 verkaufte sich kein Buch besser als „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde.

2017           530 Seiten

4-5

 


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