Filed under: Theater
Olivier Choinière: Die Domäne
Inszenierung: Christina Gegenbauer
Drei Personen stehen auf der Bühne, vor dem Vorhang. Sie erzählen abwechselnd von sich, ihren Wahrnehmungen und ihren Gedanken. Es stellt sich allmählich heraus, dass die drei eine Familie sind, Vater Mutter Sohn (VMS: Michael Haake, Silke Heise, Kristóf Gellén), doch leben sie in verschiedenen Welten, sie haben sich nichts zu sagen, können einander nicht verstehen. Der Sohn hat seine Zuflucht in virtuellen Räumen gefunden, der Vater sieht in jeder Frau nur das Lustobjekt, die Mutter scheint verzweifelt. Ja, man hätte genauer hinhören sollen.
Der Vorhang hebt sich und man sieht lackierte Holzklötze, VMS stehen jetzt dahinter. Etwas scheint geschehen, nicht (mehr) in Ordnung zu sein. Auf der Suche nach der (…) des Sohnes stoßen sie im Computer auf das Spiel DIE DOMÄNE. Einloggen – und schon hat jede(r) seinen/ihren Avatar. Man kann frei wählen, ist nicht an die Rolle in der „echten“ Familie gebunden. Die Therapie nimmt ihren Lauf.
Die drei Avatare (Philipp Quest, Verena Maria Bauer, Robert Herrmanns) stellen sich vor, machen auf den Klötzen maschinenhafte Bewegungen, lassen sich steuern, wenn man einen von drei vorgegebenen Sätzen auswählt, man kann auch Gegenstände anklicken und damit ins Spiel einsetzen. Wenn man richtig, also wie programmiert, reagiert, erhält man Verhaltenspunkte und darf ins nächste Level vorrücken. Das Avatarengehampel ist amüsant anzusehen. Manchmal hängt sich das Spiel auf > Neustart, oft laufen sich die Avatare fest, die echten VMS greifen zunehmend gefangen ins Spiel ein, entern den Spielraum und verlieren sich in der virtuellen Familenaufstellung.
Das klingt alles recht ansprechend, doch verbirgt sich hinter dem Spiel mit virtuellen Familien oft Banalität, die Gestrigkeit, religiöses Ressentiment. Der Erkenntnisgewinn durch das doppelbödige Spiel mit den Avataren teilt sich mir nicht mit. Die Fähigkeit zu kommunizieren wird durch DIE DOMÄNE nicht wiederhergestellt, Gefühle werden durch die Brechung im Pixelraum nicht „herauskristallisiert“ (Gegenbauer), sondern eher nivelliert, irrelevant, Horror verpufft.Empathie mit oder durch Avatare(n) ist nicht möglich. Will Olivier Choinière die Simplifizierung der Welt durch Computerspiele entlarven? Liegt sein Ansatz nicht weit hinter den aktuellen Standards von Games zurück? Das Stück stammt von 2012, haben sich da Jugendliche wirklich in solchen Virtualitäten getummelt? Soll das als „Monster“ eingeführte Mädchen wegen ein paar harmloser Widerworte gefoltert oder getötet werden? Oder karikiert Choinière die bigotte Religiosität eventuell überlebender kanadischer Sekten? („Milieu einer streng religiösen Dorfgemeinschaft“, Programmzettel) Was hat das in unschuldiges Weißkleidchen gesteckte Mädchen mit dem „tragischen Unfalltod der kleinen Tochter“ (Programm) zu tun? Sollten die unseligen Gedanken/Worte/Taten von VMS in Schuld gestellt werden? Oder offenbart sich mit alledem nur das nicht konsequent zu Ende überlegte Kompositionsgeschwurbels des Autors?
Die Regensburger Inszenierung überspielt – in gerade noch erträglichem zeitlichen Rahmen – eine unausgegorene Mischung aus trivialen und reaktionären Botschaften. Aktuell ist daran nichts. Das Gespräch über „ein Phänomen unserer Zeit“ (Gegenbauer, viel zu allgemein) wird eher blockiert.
Theater Regensburg – Aufführung am 4. November 2018
P.S. Darf man fragen, ob es kleinen Mädchen guttut, auf der Bühne mit virtuellen Folterfantasien konfrontiert zu werden – oder ist das zu PC? Sind Plüschhasen dafür ein probates Antidoton?
Fotos: Jochen Quast
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar