Nachrichten vom Höllenhund


Trommeln in der Nacht
15. November 2018, 16:55
Filed under: Theater

Bertolt Brecht: Trommeln in der Nacht
Inszenierung: Christopher Rüping

Der Inhalt ist leicht zusammengefasst: Da ihr Geliebter Kragler nicht aus dem Krieg zurückkommt, fügt sich Anna (Wiebke Mollenhauer, hin- und hergerissen) dem Drängen ihrer Eltern und verlobt sich mit Murk (Nils Kahnwald, so farblos wie erforderlich). Kragler, sagt Vater Balicke (Hannes Hellmann, mittelständisch sonorer Gast im Rollstuhl), sei verlottert, in Verwesung, mit ihm sei kein Geschäft zu machen, Murk dagegen schmiegt sich aufs angenemehmste in seine Pläne, in der Produktionslinie von Waffenkörben umzusteigen auf Kinderwägen. 1919, Frieden, da braucht’s keine Helden, sondern Geld.

trom2Da steht Kragler in der Tür, ein Kriegsloser, abgerissen, traumatisiert. Er hat alles gegeben für Volk und Nation, ein Held? Abgehakt. Kragler (Christian Löber, groß und klagend verkrustet) hätte Dank erwartet, zumindest Mitgefühl, er kriegt einen Tritt. Die Mutter (Wiebke Puls, komödiantisch) berauscht sich am Kirsch, Anna schwankt. Murk ist die Vernunft, Kragler das Begehren. Draußen gehen die Spartakisten auf die Straße, sie artikulieren Kraglers Not und Wut.

„Trommeln in der Nacht“ von Bertolt Brecht (1898-1956) war das erste Stück, das die Wirren der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg auf die Theaterbühne brachte. Der ursprüngliche Titel war „Spartakus“, in Anlehnung an den Spartakus-Aufstand in Berlin Anfang 1919. Auf Vorschlag von Marta Feuchtwanger (1891-1987) wählte Brecht später den politisch unverfänglichen Titel „Trommeln in der Nacht“. Die Uraufführung fand am 29. September 1922 unter der Regie von Otto Falckenberg (1873-1947) in den Münchner Kammerspielen statt. Es war Bertolt Brechts erste Premiere überhaupt. (Historisches Lexikon Bayerns)

Soll man ein beinahe 100-jähriges Stück heute wieder auf die Bühne bringen? – Ja, schon, trom3wenn man es so macht wie Christopher Rüping. Er erinnert an die Uraufführung im gleichen Theater, indem er Original-Kulissen nachbauen lässt, indem Original- Tonaufnahmen eingespielt werden, indem er von dem Stück und seiner Geschichte erzählen lässt. An den Wänden des Zuschauerraums hängen wieder die Transparente: Glotzt nicht so romantisch!

Rüping mixt Versatzstücke des 1922 noch nicht ausgerufenen „epischen Theaters“. Bevor das Stück beginnt, stecken Bühnenarbeiter die Kulissen zusammen, die Darsteller kleiden sich ein, Kragler schmiert sich Schlamm auf den Körper, der Erzähler klimpert auf einer Yamaha, Anna und Murk machen noch schnell ein Kind. Im ersten Akt hört man leise den Text samt Regieanweisungen aus dem Off, die Schauspieler sprechen den Text nach, die Gesten folgen oft zeitverzögert, später nannte das Brecht einen „Verfremdungseffekt“. Auch das wirkt wie aus der Zeit gefallen: Nach dem ersten Akt fällt der Vorhang (Jugendstil). Es gibt einen journalistischen Erzähler Babusch (Damian Rebgetz), der immer wieder ins Spiel einbezogen wird, sich oft erläuternd oder singend einmischt (Twenty-five years and my life is still trying to get up this big hill of hope for a destination). Zusätzlicher Effekt: Das lustige Deutsch des Australiers Rebgetz bei Zwischenzusammenfassungen. Umbau auf offener Bühne, burleske Ausdruckstänze der steifen Wiebke Puls als Ausdruck der Versoffenheit der Zeit.

trom1Im vierten Akt wechselt das Spiel. Immer lauter werdende „Choräle“, immer blendender das Licht, immer statischer werdende Figuren, Sprechoper, Textfläche, der Aufstand. Die Spartakisten auf der Straße, der Drang auf die Straße, ins Zeitungsviertel. Auf der Bühne wabern wahre Nebelschwaden. Die da draußen sieht man nicht, aber Kragler geht zu ihnen, wird aktiv, politisch – in meiner Aufführung, der nach Brecht. Denn Brecht hatte in seiner Erstfassung den Kragler sich für das „große, weiße, breite Bett“ mit der Anna entscheiden lassen. (Beide Fassungen spielen sie abwechselnd an den Kammerspielen.) Beide Enden sind unbefriedigend. „Der Held läßt sich nicht tragisieren. Man sollte die Menschheit nicht antragöden.“ (Brecht) Viel Effekt, viel Glanz, verspielte Substanz.

Das Theater war nicht ausverkauft (wie die Veranstaltungen zu „Politik im Freien Theater“). Das ist schade, denn Christopher Rüping macht auch hier wieder intellektuelles mit sinnlichem Theater. Politisch ist das nicht, will es auch nicht sein. Beim Spartakus-Aufstand in Berlin starben 1200 Menschen. Heute lassen wir uns „romantisch“ unterhalten. Die Kulissen werden geschreddert – auch der rote Pappmond.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 9. November 2018


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