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Dionysos Stadt
ANTIKENPROJEKT von
Christopher Rüping
Keine Spur von Blut. – Orange leuchtend erhebt sich die Sonne über dem Bolzplatz. Pink-Floydiger Sound-Flokati verkündet das Ende des Götter-Gemetzels. Aufklärung. Gegenwart. Erstickt im Bombast. Der Mensch hat gesiegt über das Schicksal. Nur die Fußball-Götter versinken in Melancholie, wenn ihnen die rote Karte das Ende prophezeit. Schwulst. Auch die Zuschauer erheben sich, fühlen sich erlöst. Die Antike ist überstanden, auferstanden im Ape-Food-Truck. Leichter Regen im Isar-Athen.
Lang hat es gedauert, groß hat es begonnen, mit einem Rausch hätte es enden sollen, doch das Mega-Projekt verflacht und wird in den Sandkasten gesetzt. Endlos läppisches Ballgeschiebe im Vierten Teil, die Satyrn entledigen sich flugs ihrer Schwänze, Dionysos auf Kunstrasen. Prometheus begehrt auf, welch ein Affront, wird bestraft von den Göttern. Zinédine Zidane ist nicht der Mann, der das melancholisch raushaut. Er wird nicht als der Niedergeschlagene glaubhaft, er ist die „Ikone“ mit dem Kopfstoß. (Weshalb sah der Zidanalyst Jean-Philippe Toussaint eine schwarze Karte in den Himmel gereckt? Sie war rot!) Unvergleichbar. Im Programm wird ausführlich erläutert: WAS HAT DAS MIT DIONYSOS ZU TUN? Ich finde den Zusammenhang nicht auf der Bühne. Wieder einmal hat man es versäumt, rechtzeitig auf die Pauke zu hauen und lässt das Werk von Matze zu Grabe trommeln.
Christopher Rüping steigert in den Kammerspielen seine Herausforderung: die Mythen der Menschwerdung an einem Tag. Das Antiken-Projekt von 12 – 22, rekordverdächtig, auch für die NYT, eingeladen – auch wegen der Länge? – zum Berliner Theatertreffen 2019. Wer würde da nicht auch als Zuschauer sein (auditorisches) Potenzial bweisen, sich dem Heldentum stellen. Gesetzte und Jüngere harren aus, werden bedient, der Applaus ist eher freundlich als euphorisch. Man hat viel gesehen und gehört, kann davon erzählen. Bleiben wird nicht viel.
Erster Teil: Die Geschichte ist bekannt, auch wenn ich mir die Episode mit dem Adlerschiss wieder nicht gemerkt habe. Prometheus hatte sich eine Wolldecke umghängt, damit ihn der Adler für ein Schaf hielte und in die Höhe des Zeus trug, wo er diesem das Feuer klauen wollte, damit es dem Menschen zu Diensten sei. Vier Flokati-„Schafe“ blöken jetzt zum glucksenden Pläsier vieler der verstreut sitzenden jungen Frauen über die Bühne, oben hängt Prometheus im Gitterkäfig in den Gipfeln des Kaukasus. Er, Prometheus, der alles vorhersehen müsste, hat nicht den „Dual-Use“ bedacht, dass der Mensch das Feuer auch als Bombe, zum Krieg benutzen könnte. „Die Erfindung des Menschen“ ist der erste Teil des Antikenprojekts überschrieben. Der Mensch macht den Göttern die Herrschaft streitig, die Macht, den Ursprung der Welt. Goethe macht es sich, Jahrtausende später idealistisch leicht, wenn er seinen aufgeklärten Prometheus siegesgewiss spotten lässt. „Ich kenne nichts Ärmeres Unter der Sonn als euch, Götter!“ Der mythologische Prometheus wollte Zeus überlisten, musste ihm das Feuer stehlen, wurde bestraft und konnte erst nach Jahrtausenden mühsam von Herakles vom Berg geholt werden. Der Adler hatte den gefessleten Prometheus mit seinem Schiss getreulich ernährt, auf der Bühne hatten sie eine Vogelschiss-Dusche in den Käfig eingebaut, die Benjamin Radjaipour immer wieder milchigweiß überschüttete. Bühnentechnisch allerhübschest. Nils Kahnwald und Wiebke Mollenhauer fliehen als zwei „erste Menschen“ via Stage-Diving. Ein wenig Action.
Auch im zweiten Teil: „Troja. Der erste Krieg“ wird erzählt. Homer listet die Feldherren mitsamt der von ihnen befehligten 1186 Schiffe akribisch auf und – der als Ersatz für Peter Brombacher eingesprungene – Jochen Noch liest die Namen vom Screen und ruft sie bilanzierend ins Publikum. (Ein in der Wiederholung netter Effekt, vielleicht gar nicht geplant?) Die Aufzählung steigert sich, als Homer als eingebundener Reporter das Kriegsgeschehen schildert. Jeder Held, jeder Hieb, jeder Helm, jeder Speer hat seinen Beinamen, sein Attribut, selbst die Worte sind „gefiedert“. (nicht ‚geflügelt’, wie Voß unglücklich übesetzte.) Das zieht sich, doch die Bühne übertönt die latente Ermüdung mit zunehmender Lautstärke. Jochen Noch brüllt, Matze trommelt sich in Taumel, die Projektionen an die trojanische Kachelwand werden zunehmend flammender, die Bild- und Tonschleifen überholen sich. Beeindruckend! Gut, dass der Krieg nur 10 Jahre währte. Dann Ruhe. Auch für Kassandra, die das Geschehen bis hier zusammenfasst. Sie erzählt von jetzt in die Vergangenheit, was nicht nur reizvoll ist, sondern auch offenbart, weshalb der Krieg geführt wurde und was er gebracht hat: NICHTS.
Die Götter taugen noch zu Ruhmesvergleichen, man kämpft noch ‚für’ sie und in ihrem Namen, aber nicht mehr mit ihnen oder gegen sie. Prometheus hat gute Arbeit geleistet. Wie im ersten Teil sind es die Frauen, die das „Schicksal“ durchschauen. Was ihnen zugestanden wird: Suizid, Kriegsbeute. Teil 3: Die Götter sind weiter wirkmächtig, aber nur noch in ihrem Fluch übers Geschlecht. Und so fällt man im Dritten Teil, der „Orestie“, aus dem Kosmos der Mythen in die Ebene des Flatscreens. Natürlich, der „Verfall einer Familie“ ist gemeinstes Soap-Sujet. Aber die Übertragung ebnet ein, im Stream hält sich keine Tragik, wenn sich das spätere Mordopfer am Handy als „Klytaimnestra“ meldet, ist es allenfalls noch lustig. Der Transfer ins TV formatiert alles auf die Genre-Codes, spielt mit diesen statt mit dem Schicksal, was amüsant sein kann, wenn man das Format kennt. Das trifft vor allem auf die jüngeren Zuschauer. Einige der Millenniums hat man auf die Bühne eingeladen zur Hochzeit von Elektra und Pylades. Die Handkamera ist stets Zeuge von Küche bis Bad, Udo Jürgens schnulzt vom „Blut der Erde“, in den Flaschen ist Retsina. Kassandra kriegt nix. Als Zeichen des Mordes lässt Rüping gern Blut
aus Eimern schütten. Schau-Werte, selten ohne Bedacht gesetzt. – Und wenn ich dann traurig werde, liegt es daran, dassich immer träume von daheim. Denn ich fühl’ die Sehnsucht wieder. Die Sehn-Sucht nach dem „Blut der Erde“ (Udo Jürgens, mythologisch).
„Auf zehn Stunden Spiel folgen zehn Minuten Standing Ovations,“ zitiert die MK-Homepage Anne Fritsch (Die deutsche Bühne). Meine Aufführung war gut besucht, kaum jemand verließ den Tag vorzeitig. Das Publikum war allerdings zurückhaltender, vielleicht ist man bei der Premiere immer spendabler, weil man sich dann in der Zeitung liest. K. Erik Franzen von der Frankfurter Rundschau kann nicht genug kriegen: „Danach, draußen auf der Maximilianstraße, will man nicht nach Hause, man will mehr.“ Ja, man möchte den Rausch nachholen, der dann in Teil 3 und 4 doch verspielt wurde.
Imponierend die Schauspieler, Nils Kahnwald , der auch durch den Tag geleitete, Jochen Noch und Benjamin Radjaipour, die drei Frauen (nur 3!?) Maja Beckmann (als Zeustochter Io von der Bremse geplagt, Kassandra, Klytaimnestra, Helena u.a.), Gro Swantje Kohlhof (Nyx, Iphigenie, Hermione, u.a.) und Wiebke Mollenhauer (Herakles, Achill, Elektra u.a.) kompensierten ihre Frauenrollen durch spielerische Wucht. Majid Feddah sprach (als Zeus, Hektor oder Aigisthos, u.a.) Arabisch oder ein wenig Englisch, dies aber mit sonorem Glanz). Nicht zu vergessen: Trommler Matze Pröllochs, der am Ende noch eine Erhebung erlebte. Ein Glanzstück auch die Bühne von Jonathan Mertz und das Video von Susanne Steinmassl, das den Krieg gewinnen half.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 10. Februar 2019
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