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Katherine Soper: Wish List
Inszenierung: Oliver D. Endreß
Wunschlisten legen die an, die das Geld haben, die gewünschten Artikel zu bestellen. Und die zu bequem sind, sich für die Besorgung außer Haus zu begeben. Und die auf jedes Prozent Sonderrabatt geiern. Prime. Das flutscht wie am Schnürchen, fest durchalgorithmisiert. Der Kostenfaktor haust im Verborgenen, anonymisiert, die Zusteller, die Picker und die Packer.
Es ist kaum möglich, die massierte Arbeitswelt auf der Bühne nachzubilden. Dazu bräuchte es Hallen, Straßen, Großräume, Massen, eben Anonymität. Die Bühne braucht Einzelkämpfer, Helden im Positiven oder Negativen, mit Namen. Katharine Soper holt zwei davon auf die Schaubühne, pars pro toto. Das Politische im Privaten. Luke Mburu füllt im Packerltaktaktakt die Schachteln mit den Listenwünschen, Tamsin Carmody will sich einführen lassen in die Beschachtelungsroutinen und Zeitvorgaben. Beide brauchen ein Schicksal, wir retten ja auch lieber die Biene als die Arten. Das Schicksal will es so, dass sie kein Geld und wenig Qualifikation haben und deshalb auch die beschissensten, prekärsten Jobs annehmen müssen. Nullstunden-Vertrag, ständige Verfügbarkeit, Arbeit on Demand. Arbeit weg, Lohn weg, und das geht nicht nur in England schnell.
Katherine Soper gibt ihrem 2er-Team einen Teamleiter zur Seite, mit eigenen Kindern zuhause, verräterische gelbe Schuhe (wie bei Dürrenmatt Zeichen des Mitmachens), Peitsche und geheucheltes Zuckerbrot. Gero Nievelsteins Rolle ist blass, randständig, Klischee. (Für ihn sind „Regensburg und ihre Spielstädten nur subjektiv neu“.) Murat Dikenci ist Luke Mburu, ein Lieber, ein bisschen schüchtern, vielleicht hat er Kumpels. Inga Behring ist die Neue, Tamsin Carmody, sie möchte schon, schafft es nicht, ist stets getrieben, das Zentrum des Stücks. Denn sie hat noch ein Privatleben auf der anderen Seite der kleinen Drehbühne am Haidplatztheater. Und dort muss sie sich um ihren Bruder Dean (Kristof Gellén) kümmern, der nichts auf die Reihe bringt, im Tourette-Syndrom jedes Ding bis 4 abzählt und seine Zeit damit verbraucht, sich mit Unmengen von Gel die Haare aufzustacheln. Das Mitgefühl mit Tamsin verdoppelt sich, wir ahnen, dass es gerade immer die Elendsten sind, die auf solche Scheißjobs angewiesen sind. Auch weil sie, was sonst, die Schule abgebrochen haben. Obwohl sie doch klug sind. Tamsin interessiert sich für Astrophysik. (Im Stück wird nicht ganz klar, ob vom englischen oder vom deutschen Schulsystem gesprochen wird.) Der Rest sind Träume, doch die sind vermaledeit. Inga Behring duldet sich durch ihre Rolle, wechselt die Seiten der Drehbühne von Job zu Privat und darf beides nicht vermengen, obwohl sich die Tätigkeiten ähneln.
Schön: Einmal besucht Luke Tamsin und bringt ihr was zum Trinken mit. Plötzlich hängen Mikros von der Decke und sie singen Meat Loafs “I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)”. 70er-Träume.
Theater Regensburg – Aufführung am 19. Februar 2019
P.S. Ein „moving play” sieht der Guardian und das Theaterprogramm übersetzt: “Eine berührende Geschichte“. Christian Muggenthaler (nachtkritik,de) schreibt von einer „berührenden Geschichte“, die Gesangseinlage hält er für eine „ungemein berührenden Szene“. Auch Michael Scheiner (MZ) wird von seinen Gefühlen überwältigt: „Das ist manchmal anrührend, lässt aber auch hilflose Wut hochkommen.“ Nicholas Hytner, der Katherine Soper den Bruntwood-Preis zusprach, bezeichnete „Wish List“ als “a magnificent play without an ounce of sentimentality”. Und so soll es sein. Rührseligkeit ist was für Bienen und junge Mädchen, taugt aber nicht als Kategorie der Kritik. Träumen, ja, Mitleid aber hilft nicht weiter, sondern macht blind. Katherine Sopers Stück zeigt, was alle wissen, liefert aber doppeltes Elend, weil es auch die britische Sozialpolitik beleuchtet. „Die Zuschauer können mitleiden, mitfühlen, aber sich auch freuen, denn die Protagonisten erleben ja auch das Schöne in ihrem Leben. Den ersten Kuss, wenn sie sich verlieben.“ Ihm gehe es darum, dass für Menschen, „die das Glück haben, nicht in solchen prekären Verhältnissen leben zu müssen“ erfahrbar wird, wie sich so ein Leben anfühlt. Deshalb „nehmen wir die Figuren auch sehr ernst“ und führen sie nicht „als voyeristischen Showcase vor“. (Regisseur Oliver D. Endreß, zitiert nach Michael Scheiner, MZ) Wer zwingt die Theatermacher bloß zu solchen Phrasen.
Fotos: Marion Bührle
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