Nachrichten vom Höllenhund


Gerlof
7. März 2019, 16:45
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Kathrin Gerlof: Nenn mich November

gerlofnovemberBrüssel, die Hauptstadt, liegt auf einem anderen Planeten. Der Blick im brandenburgischen Dorf reicht gerade einmal bis zum letzten Haus, er wird begrenzt vom schier endlosen Mais, der sich hier als Energiemais ausbreitet, ausgeheckt in der fernen Hauptstadt. Hinterm Horizont geht’s weiter mit MaisMaisMais, das nächste Dorf ist außer Sicht. Das ist aber nicht weiter schlimm, weil das nächste Dorf jedem anderen gleicht. Nicht nur in der Physiognomie.

Es sind nicht viele Dörfler geblieben, die Lage könnte übersichtlich sein, doch man traut einander nicht. Auch sich selbst nicht. Der Nächste könnte missgünstig sein, man kennt das ja von sich. Selbstmitleid macht sauertöpfisch. Zäune helfen nur bedingt. Dem Dorf fehlt es an vielem: kein Laden, kein Gasthaus, keine Schule (Kinder gibt’s halt nicht.), kein Arzt, keine Intellektuellen, keine Leistungsträger*in. Prozentiges bringt Berberg mit dem „Getränkewagen, der hier sogar zweimal wöchentlich Station macht, weil es sich offensichtlich lohnt, im Dorf zu halten”. Die Dagebliebenen werfen sich ihr Dableiben sprachlos vor: Saufen, verlottern, verfetten, körperlich wie mental. Die Frauen verhüllen sich lustlos in “pastellfarbene Pullover, die manchmal mit Strass verziert sind”. Die “Anführerin” hatte für dieDorfversammlung “einen mintgrünen Pullover angezogen, auf den vorn ein riesiger, mit Strass besetzter Katzenkopf appliziert war. Ihre großen Brüste haben dem Katzengesicht einen zufriedenen, pausbäckigen Ausdruck verliehen. Vielleicht war die Applika­tion so gedacht, dass die strassfunkelnden Katzenaugen genau auf den Nippeln platziert werden, aber das hat bei der Anfüh­rerin nicht geklappt.” Kathrin Gerlof geht da durchaus ins Derbe. „Im Dorf gibt es kein Begehren. Nur die Hunde steigen aufeinander, wenn die Zeit läufig ist.“

Es gibt ein paar “Außenseiter”, den Wilderer, den Hundebesitzer, bereit für eine Handvoll Euro zu helfen, den pickeligen Robin mit seiner eingesoffenen Mutter. Zwei “Platzhirsche”* konkurrieren um Platz 1 und um Pfründe. Schulz, der die Einquartierung von Flüchtlinge in Baracken arrangiert, denn die Baracken gehören ihm, früher waren Zwangsarbeiter und FDJ-Erntehelfer untergebracht, Flüchtlinge aber sind lukrativer.Es ist sein Dorf. Nicht seine Heimat. Sein Dorf. Das ist ein Unterschied. Heimat ist was für Weicheier.“ Kontrahent Krüger, ewiger Zweiter, sieht seine Chance darin, das Dorf gegen die Flüchtlinge zu mobilisieren. „Vorgestern hatte einer von Krügers Freunden gesagt, man müsse die Straßenbeleuchtung verstärken. Mehr Lampen hinstellen, und helleres Licht müssten die geben. Im Dunkeln würde man die Schwarzen, die da kommen werden, ja gar nicht sehen. Niemand hatte gelacht.“ “Bis jetzt sind sie die Platzhirsche, auch wenn ih­nen das Fett bis zum Hals steht und ihre dicken Waden kaum in die Gummistiefel passen, die es bei Raiffeisen zu kaufen gibt. Sie können tun und walten, ihre Frauen ärgern oder sich von denen in den Wahnsinn treiben lassen. Sie können mor­gens aufstehen, in fleckigen Unterhosen in der Küche am Frühstückstisch sitzen mit Stallgeruch im Turnhemd und ge­trocknetem Schweiß unter den Achseln, der schon ein paar Tage alt ist. Der Kerl im Nachbarhaus sieht genauso aus und der zwei Häuser weiter ebenfalls.“ Eine Bürgerwehr ist rasch aufgestellt, doch die Flüchtlinge weigern sich, aggressiv zu werden. Das Dorf bleibt öde. Tot.

Manchmal konnte Frieda vom Wohnzimmerfenster aus sehen, wie eine Pflegerin durchs Dorf fuhr und mehr und mehr zu tun bekam.
Das Leben im Dorf ging an Krücken oder am Rollator. Ei­nen Kinderwagen hatte Frieda schon lange nicht mehr gese­hen. Das Dorf war ein Auslaufmodell geworden. Die Leute gingen. Fort, wenn sie jung genug waren, und unter die Erde, wenn sie nicht mehr wegkamen oder sowieso für immer blei­ben wollten. Frieda hat die Pflegerin einmal gefragt, was de­ren Dienste kosteten, käme sie einfach so zu ihr. Ohne Ver­trag. Ein Vertrag schien Frieda wie das Ende von allem.
Hinter einem Vertrag stand das Wort Pflegestufe. Und dort wollte sie nie ankommen. In einer Pflegestufe.
Aber nun wird das alles nicht nötig sein, denn vor zwei Ta­gen ist Frieda auf die Leiter gestiegen und hat den Strick am Haken befestigt. Wie ein Henkersknoten geknüpft wird, hatte sie gewusst. Ihrer sieht solide aus. Einen Tag und eine Nacht hatte sie ihn baumeln lassen. Der Garten musste noch umgegraben werden, und die Küchenschränke brauchten neues Papier.

Eines Tages ziehen die Lindenblatts* in das baufällige Haus, das einmal Frieda gehört hatte. Die Lindenblatts stehen finanziell und auch mental vor dem Abgrund. Sie haben in Berlin Insolvenz hingelegt, ihre Idee des kompostierbaren Geschirrs hat sich nicht gerechnet. Das Dorf ist die letzte Station vor dem Ende. David verstummt mehr und mehr, findet seine prekäre Ruhe schließlich auf Spaziergängen im Wald auf überwucherten Gleisen. “Die Gleise sind sein Glück. Läuft er lange genug auf ihnen entlang, wird sein Kopf leer. Sein armer Kopf, in dem es brüllt und tobt, während er immer mehr verstummt. Manchmal, wenn er auf den Gleisen läuft, denkt er an November. Mit Wehmut und einem schlechten Gewissen. Er liebt sie, aber er wird es ihr nie wieder zeigen können, so, wie sie es braucht und verdient. Sie hat Geduld mit ihm, seine Marthe.“ Marthe wird zur Projektionsfigur der Erzählerin, zur Berichterstatterin. Sie verknüpft ihre Beobachtungen mit Introspektionen. Ihr Lieblingsmonat liegt im Spätherbst. “Nenn mich November.”

Innen- und Außensicht verwickelt Kathrin Gerlof in einer eigenwilligen Erzählweise, die anfangs irritiert. Sie bricht die Außensätze ab und führt sie als Innensätze weiter. Und zurück. Ein Versuch, der nicht ganz durchhält. Auch der “Arm”, der November anfangs immer im Weg ist, verschwindet endlich.

Wie dumm ich bin. Ich kann ohne die Fotos nicht fortzie­hen. Wenn ich jetzt noch mein Hochzeitskleid hätte, könnte ich damit zur Bank gehen. Nein, das könnte ich nicht. Mein Hintern passte nicht mehr rein in das Kleid. Vielleicht ge­nügt der kirschmarmeladenrote Rock ja doch.
Aber der Bankmensch wird nur ihren schwarzen Pullover sehen. Sie werden sich gegenübersitzen, und sie wird schwit­zen.
Ich werde schwitzen, und er wird meinen Schweiß riechen. Das soll nicht sein. Schweiß ist etwas viel zu Intimes, um es einem Bankmenschen zu gönnen.
Als sie das letzte Mal Zug gefahren ist, vor einer Ewigkeit, hatte vor dem Großraumwagen, gleich neben der Toilette, ein Plakat gehangen, auf dem für Achselpads geworben wurde. Gegen Schweißgeruch. Die bräuchte sie jetzt. Diese Pads.
Die hätte ich mir kaufen sollen. Warum habe ich das nicht getan?
Auf dem Plakat hatte ein junger, gutaussehender Mann in einer Straßenbahn gestanden und sich mit der Hand an einem oberen Haltegriff festgehalten. Unter der Achsel hatte das brave hellblaue Hemd.
Button-Down, wieso tragen junge Männer diese schreck­lich seriösen Hemden? Ich könnte nie mit einem Mann ins Bett, der Button-Down-Hemden trägt. Das wäre mir.
Das wäre ihr zuwider.

Wo die Liebe zwischen David und November fragil wird, wird die Erzählung richtig poetisch zart.

Inzwischen denkt David, dass zu viel Zeit vergangen ist. Die Erklärung kann nicht stimmen. Es muss etwas anderes, Grundlegenderes sein. Ein finaler Überdruss, der sich in eine noch finalere Gelassenheit verwandelt hat. Er wünschte sich, Marthe könnte statt ihrer Verzweiflung zu seinem Zustand wechseln. Der ist viel einfacher zu ertragen als die Traurig­keit darüber, dass dieser Planet und nichts und niemand mehr zu retten ist. Er hat seine Blechkiste in der Scheune, Marthe ihre unendlich langen Worddateien mit Namen wie Klima­wandel, Meeresverschmutzung, Wasser, Hunger, Landraub, Kriege, Armut, Artensterben, Waldvernichtung. Wenn Mar­the ihren Computer anschaltet, erscheint wie auf einem Lauf­band ein Schriftzug. Die einen ertrinken im Überfluss, die anderen im Meer. Irgendeine Liedzeile irgendeiner Band, die Marthe gern hört. In Paris brennen Autos, und bei uns brennt der Kamin. Es ist ein guter Tag, der Himmel trägt sein bes­tes Grau. Manchmal wechselt November die Schriftlaufbän­der aus. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt.

Bis es soweit ist, vergeht viel Zeit. Doch im Dorf vergeht die Zeit anders, denn es gibt wenig, das sie strukturieren könnte. Kathrin Gerlof schreibt sich fest in den Aporien, führt das Dorf als Schablone vor. Aber es wird so sein. “Beim Lesen wächst die Furcht, dass diese geballte Unzufriedenheit, dass dieses offensichtliche oder nur mühevoll unterdrückte Brodeln im Inneren der Dorfgemeinschaft hierzulande in Wahrheit viel häufiger anzutreffen ist, als man in seinen kühnsten Träumen befürchtet hätte – im Osten wie im Westen.“ (Melanie Mühl, FAZ) David und November können nicht heimisch werden. Das Dorffest, das Krüger aufzieht, zeigt alle nochmal in ihrer elenden Trostlosigkeit. Mehrere Männer haben ihr Leben bereits in der Biogasanlage* verloren.

* Diese Ingredienzien findet man u.a. auch bei Juli Zehs Dorfroman “Unterleuten”. Gerlofs „Nenn mich November“ ist privater, ernsthafter, inniger.

2018     350 Seiten

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