Nachrichten vom Höllenhund


Kaiser
10. April 2019, 17:34
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Vea Kaiser: Blasmusikpop

blasmusikpopDas Dorf liegt erhaben auf einem Hochplateau am Fuße des Großen Sporzer, unterhalb der Gletscherregion, über lange Zeit kaum erreichbar von der Welt abgeschnitten, doch jetzt schreibt man auch dort die 2000er-Jahre.

Im Dorf hat sich wenig geändert, man verweilt am Vorabend der Industrialisierung, man kennt und heiratet sich untereinander, fremden Menschen und Bräuchen steht man reserviert gegenüber. Man hat an sich selbst schon mehr als genug, gesprochen wird der in dieser Gegend verständliche Dialekt.

Unmittelbare Nachbarn hatten die St. Petrianer nicht. Nördlich wurde das Dorf von den Sporzer Alpen begrenzt, deren Hauptkamm aus Gletschergipfeln so unwirtlich war, dass keines der Dörfer rundum je Anspruch auf dieses Bergmassiv gestellt hatte. Westlich erhoben sich Berge, die noch von Urwald überwuchert waren und weit im Osten, fast außerhalb des Tales, lag ein Dorf namens Strotzing, mit dem die St. Petrianer seit dem Mittelalter keinen Kontakt pflegten. Der einzige Ort, dessen Gemeindegrenze direkt mit St. Peter zusammentraf, war Lenk im Angertal. Lenk hatte trotz seiner bescheidenen Einwohnerzahl den Rang einer Stadt, allerdings wusste die gesamte Alpenrepublik, dass dies nur so war, damit es in den Landkarten der Hochalpen wenigstens einen roten Punkt gab, der auf Kultur und Zivilisation hindeutete.

Die Einwohner tragen die Namen von Bergen: Rettenstein, Trogkofel, Patscherkofel, Kaunergrat, Gerlitzen, Arber. Den Pfarrer, den Wirt, die Greißlerin, die Cafébesitzerin blasmusik2Moni, den Schreiner, den Arzt, die Hebamme, die Väter (trinken) und die Mütter (tratschen und backen Kuchen), viel mehr brauchts nicht. Ein Bilderbuchdorf, vorn und hinten im Buch ist der Dorfplan abgedruckt, man findet sich leicht zurecht. Klischee, soweit der Blick reicht. Johannes A. Irrwein hält die Dörfler für unzivilisiert, er hat seinen Herodot gelesen.

Die Bergbarbaren sind Herdentiere. Das Konzept des selbstbestimm­ten Individuums ist ihnen fremd, das Kollektiv bestimmt das Leben des einzelnen. Bereits mit dem Erwerb der Sprachfähigkeit schickt man die Kinder in die Jungschar, eine katholische Organisation, die zwar offizi­ell dazu da ist, den Glauben zu leben, in Wahrheit – wie ich aber berich­ten kann – bereits die Jüngsten manipuliert, so daß diese die Werte des Kollektivs annehmen. (…) Junge unverheiratete Männer müssen sich ebenso für das Gemeinwohl engagieren: Sie sind Mitglieder in der Feuerwehr, im Jägerbund, im Bauernbund, im Gemeinderat, im Pfarr­rat oder im Handwerkerkreis, denen sie bis zu ihrem Tod auf Treu und Ehr verbunden bleiben müssen. (…)Sie spielen Blasmusik, die jeglicher Harmonie entbehrt, pflegen Fußball auf einem abschüssigen Rasen, malen auf ihre Wohnhäuser alpine Blumenfresken, führen übles Volkstheater mit derbem Jargon auf und tragen traditionelle Kleider, die weltweit aus der Mode sind.

Im Dorf gibt es nur zwei „zivilisierte“, man könnte auch sagen: intellektuelle Bewohner: Johannes Gerlitzen, der „von einem Bandwurm für Welt und Wissenschaft begeistert“ das Dorf verlässt, um als studierter Arzt zurückzukommen, und dessen Ziehenkel Johannes A. Irrwein, der von seiner anfänglichen Begeisterung für Naturwissenschaften umschwenkt auf die Geschichte. Johannes darf aufs klösterliche Gymnasium im Nachbarort Lenk, schließt sich dort dem arkanen „Digamma-Club“ einiger Internatsschüler an und beschließt nach seiner Rückkehr in St. Peter am Anger Feldforschung zu betreiben. Sein Idol ist der antik-griechische Geschichtsschreiber Herodot. Sein Ziel: der Alpenherodot zu werden.

„Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ nennt Vea Kaiser ihren Roman im Untertitel – und sie lässt sich ihre „klassische“ Bildung ganz schön heraushängen und konfrontiert sie mit dem zurückgebliebenen „Bergbarbaren“. Und so beobachtet Johannes A. Irrwein das Treiben der Bewohner im Dorf und Vea Kaiser stellt es ins Zentrum des Romans. Kinderspiele, Brauchtum, das Sonnwendfeuer, der Fußballverein, das Heiraten, das Saufen, das Aufstellen des Maibaums, alles ist ein- und festgefahren. Die überaus erzählfreudige Vea Kaiser reiht ein Klischeehäppchen ans nächste. Ich wollte das Buch nach 100 Seiten beiseitelegen, über Wissenschaft war bis dahin wenig zu lesen, das Dorfgeschehen erschöpft sich in Anekdötchen, oft gelesen, Bauerntheater. „Jeder Leser kann nicht anders als schon wissen, was ihm da für neu verkauft wird.“ (Hans-Peter Kunisch, SZ) Das Buch ist definitiv zu dick, nicht der Handlungsfortschritt ist zentrales Anliegen, sondern das Spiel mit bekannten Mustern und die Liebe zum erlesenen Stil. Aber „500 Seiten voller Schwänke und Schnurren, nur unterbrochen von herodotischen Chroniken über den ewigen Krieg zwischen Zivilisierten und Wilden, wirken doch etwas ermüdend“ (Martin Halter, FAZ). Und da das Setting schon auf Ironie aufbaut, wirkt die verbissene Binnenironie schließlich sekkant.

Währenddessen stand die Pfarrersköchin Grete mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter auf der Kirchenstiege und blickte die Talstraße hinab. Sie hielt einen Rosenkranz in ihren Händen, vom Erdäpfelwasser so rau wie die unpolierten Holzperlen. Ihre Arme drückten den Wollstoff der olivfarbenen Strickjacke eng an das geblümte Kleid, als fröre sie im Sonnenschein des vorösterlichen Frühlingstages. Rund um Grete standen in kleinen Gruppen zusammengescharrt die Mitglieder der Mütterrunde. Die Männer waren des Wartens überdrüssig geworden und hatten sich im Kollektiv ins Wirts­haus begeben.
»I hab dem Subprior gestern am Telefon nu g’sagt, dass’s voi wichtig is, dass da Ersatzpfarrer vor 15:00 Uhr da is.« Grete sprach diesen Satz zum wiederholten Male, die Frau­en rundherum beschwichtigten sie.

Was „Blasmusikpop“ trotzdem „vergnüglich“ (Anderl) macht, ist das Auseinanderfallen von weitenteils banalen, ja abgenutzten Sujets und elaborierter Beschreibung. Herodot vs. Bergbarbaren. Vea Kaiser kennt sich aus – in beidem. Der Dialekt akzentuiert die Archaik des Erdverhafteten, womit nicht allein das Berglerische, sondern das Gesamtösterreichische gemeint ist. Aber er versöhnt auch: Wer so spricht, kann kein völlig schlechter Mensch sein, kein „Hochg’schissener”. Als solche “Hochg’schissene” an den Westhang von St. Peter ziehen, greift Vea Kaiser wieder zum Abklatsch. Der Architekt Nowak samt seiner Tochter Simona steigern das Geschehen zur Groteske.

»Soll i di langsam heimbringen?«, fragte er, als Maria sich beruhigt hatte.
»I mag net hoam. I bin’s leid. De nutzn mi immer aus. De­nen is des Wurscht, ob i glückli bin. De wissen oafach, dass ma mit mir ollas machn kann, dass i zu ollem Ja und Amen sog, nur um meinen Leut a Freud zum Machen.«Peppi setzte sich aufrecht hin:
»Maria, du hast halt a guates Herzal.«
Maria seufzte.
»Jo, owa des is mei Leben. Und Peppi, i woaß ja net amoi, ob da Günther da Vater is.«
Peppi erstarrte und rückte von ihr weg.
»Maria, du musst mi net anlügen. I hab di gern, a wenn des de Kinder vo an anderm sand.«

Mit ihrer Berufung aufs Klassische, auf die “Wissenschaft”, entlastet sich Vea Kaiser vom Vorwurf, bloß Plagiatorin zu sein. Wesentliches Konstruktionselement des Romans ist die Historiografie des Dorftreibens und deshalb muss dieses auch archaisch, hinterweltlich und damit exotisch bleiben. (Lediglich Handys dürfen im neuen Jahrtausend einziehen. Selbstverständlich weiß man sie nicht zu bedienen.) Vea Kaiser hat ihre Vorstudien zwar auf ein Achtel eingedampft, doch auch in dieser Kurzfassung gibt es zu viel Redundanz. Getretener Abklatsch wird Gatsch. Am Ende bekränzen sich alle mit Eppich und feiern ein donysisches Fest und wenn sie nicht.

Der Roman ist am besten zu ertragen mit einem Stamperl Adlitzbeerenschnaps und einer anschließenden Partie Pfitschigoggerln.

2012          480 Seiten

P.S. Vea Kaisers neuer Roman heißt “Rückwärtswalzer“. Wenn das mal nicht im Dampfnudelblues endet.

3-

 


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