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Karl Koppelmaa:
Die Steigerung des Glücks
Inszenierung: Klaus Kusenberg
2073. Das ist – für die Älteren unter den Zuschauern – leicht zu merken, weil 100 Jahre zuvor das Album „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd erschien. Was aber bewegt den Jungdramatiker Karl Koppelmaa (Jahrgang 1992) dazu, ein Stück in ferner Zukunft anzusiedeln? Vorausblicke haben meist das Anliegen, Zustände und Entwicklungen der Gegenwart weiterzuschreiben und damit vor befürchteten Exzessen oder Abstürzen zu warnen. Im Jahr 2073 scheinen die Beziehungen zwischen Menschen und global ähnlich, doch noch zerrütteter, anonymer, konfuser, beliebiger zu sein als im „Hierundjetzt“. Nationen existieren wohl de jure noch – Zentrum des Spiels ist Estland, wo Koppelmaa herkommt -, doch die Zugehörigkeiten wollen sich nicht so recht einstellen.
Das wichtigste Motiv für Koppelmaas Perspektive ist aber, dass er fürs Jahr 2031 einen 10-jährigen Krieg einplant, den Dritten Weltkrieg, der ganz Europa durchzieht. „Politischer Aktivismus und die Überzeugung, dass sich ein jugendlicher Verstand niemals irren könne, sollen Ursache für die Entwicklungen gewesen sein.“ (Ankündigung) Koppelmaa bleibt hier wie auch sonst häufig schwammig. Die Erinnerung an den Krieg ist nach über 30 Jahren schon nebelhaft geworden. „Wir waren wahrscheinlich die letzte Generation, die als Kinder noch Krieg gespielt hat, die nächste Generation musste nicht mehr spielen“, soll Sebastian gesagt haben. WK III hat, wie alle anderen Kriege zuvor, außer Not nichts bewirkt, ein Ergebnis ist nicht zu erkennen, außer dass – ausgerechnet – Polen „zum Bewahrer des alten Europas geworden ist“. (Das ist aber kein Blick in die oder aus der Zukunft, das ist traurigste Gegenwart.) In Warschau ist ein neuer Eiffelturm schon halb fertig!
Hört man sich die Erzählungen der fünf Akteur*innen an, gleicht WK III eher dem 30-Jährigen als den moderneren Kriegen. Niemand weiß so recht, für wen oder was er eigentlich ist, auch weil es keine identifizierbaren Heere mehr gibt, sondern nur noch Einzelkämpfer für sich selbst, die marodierend davonlaufen. Die Gräuel sind breit gestreut, jeder Schuss auf den anderen erhöht die Chance aufs Überleben – marginal. Frauen und Kinder kommen als Opfer wie immer zuerst.
Koppelmaa hat, so liest man, sein Stück als Textfläche (vgl. Elfriede Jelinek) angelegt. Dramaturgin Nadine Wiedemann und Regisseur Klaus Kusenberg durften daraus etwas Aufführbares gestalten. Mehr als die Hälfte der Fläche wurde eingedampft, auf die Bühne kamen knapp eineinhalb Stunden Erzählungen von Überlebenden. Viel mehr Zeit hätten das „Stück“ und die Zuschauer auch nicht vertragen. Eine „Afghanin“, die es auf der Flucht über Griechenland (wo auch Sebastian aktiv war) nach Estland verschlagen hatte (Franziska Sörensen), der Este „Klaus“ (Michael Haake), der estnische „Russe“ (Thomas Weber), eine „Frau“, die sich in den Wirren des Krieges verloren hat (Silke Heise) und eine als „Professorin“ betitelte Blondhaarige vom Typus Sekretärin (Susanne Berckhemer), die vielleicht das Kind der „Frau“ ist, tragen Biografisches vor, wobei sie abwechselnd nicht miteinander, sondern
zum Publikum sprechen. Gewissheiten haben nicht überlebt.
Zusammengebunden sind die monologisierenden Lebensberichte durch den sagenhaften Sebastian, der nur in den Erzählungen präsentent ist, den anscheinend alle kennen oder gekannt haben. Klaus hat viele seiner Informationen von ihm, die „Frau“ war vielleicht seine Partnerin, als sie noch grüne Haare hatte, die „Afghanin“ wohnte in Sebastians Haus. Sebastian ist ein Kunstgriff Koppelmaas, denn durch ihn kommt auch die prekäre Labilität der Verhältnisse und der Humanität zum Ausdruck.
Auf der Bühne würden die vorgetragenen Monologe langatmig wirken, weil man als Zuschauer die Personen nicht kennt, weil sie erst im Reden Partikel ihrer Identitäten offenbaren und auch, weil ihre Persönlichkeit durch die abstrahierenden Figurennamen ins Exemplarische transponiert wird. Klaus Kusenberg schneidet die Vorträge und bringt dadurch Dynamik ins „Spiel“. Es dauert aber einige Zeit, bis man die Biografien voneinander unterscheiden kann. Am eindringlichsten wird es, wenn die Personen leise sprechen, zu überlegen scheinen. So, wenn die „Afghanin“ ihre Glaubenschwestern von der Liberalität der Beziehungen im Westen überzeugen will oder wenn Thomas Weber auf der Gitarre leise Töne anschlägt und dazu über die Mechanismen des Kriegs klagt und räsoniert. Durch Choreografien täuscht die Inszenierung inhaltliche Lebendigkeit vor. Die Personen gruppieren sich, sondern sich ab, setzen sich auf Sofa oder Sessel, klettern am Gerüst im Hintergrund. Immer wieder spielt man für die, die sich daran erinnern können, die Musik von „Dark Side of the Moon“ ein.
Insgesamt hat Koppelmaa aber wenig Neues zu sagen. Er enthält sich auch konkreter Statements, bleibt neutral, bleibt subjektiv beliebig, wirkt nicht weiter. Auch der After-Play-Talk ist wenig ergiebig. Der estnische Theatermacher Karl Koppelmaa gewann bei dem 1918 für die baltischen Länder ausgeschriebenen Stückewettbewerb „Talking About Borders“ den mit 3500 Euro dotierten 1. Preis und die damit verbundene Uraufführung am Theater Regensburg für sein Stück „Singing Green“. (Schauspieldirektor Kusenberg hat das Stück von Nürnberg mitgebracht.) „Der Text beeindruckte die Jury durch seine Intensität, sprachliche und inhaltliche Originalität und Kohärenz.“ Vielleicht fällt mir auch noch ein, weshalb „increase of happiness“ ein wichtiges Igrediens des Stückes und ein passender Titel ist.
Theater Regensburg – Aufführung am 4. Juni 2019
Fotos: Jochen Quast
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