Nachrichten vom Höllenhund


Moshfegh
3. Juli 2019, 17:44
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Ottessa Moshfegh: Eileen

moshfegheileenWarum vergesse ich bei vielen Büchern noch schneller als den Inhalt den Anreiz, sie zu lesen – oder, früher noch, sie zu kaufen. War es bei Ottessa Moshfeghs “Eileen” eine verlockende Besprechung, eine kontroverse TV-Diskussion oder die Information, dass der Roman 2016 auf der Shortlist des Man Booker Preises stand? Das Cover hat mich nicht weiter animiert, der Titel weist nichtssagend auf eine Frau. Ich hab’s dann doch aus dem Regal gezogen und – recht schnell – gelesen. Was für das Buch sprechen kann.

Eileen Dunlop beschreibt sich über hunderte von Seiten als Frau ohne jedes Selbstbewusstsein. Und sehr früh erzählt sie, dass es “die Geschichte mei­nes Verschwindens” ist. Das macht neugierig wie auch die Aussage, dass es jetzt, da sie erzählt, 50 Jahre später ist. Eileen inszeniert das Geschehen: “An diesem Abend – ich werde meine Geschichte an dieser Stelle beginnen”. Es ist eine Gechichte mit Eiszapfen.

Nach mir drehte niemand den Kopf um. Dabei war nichts wirklich Schlimmes oder Abstoßen­des an meinem Aussehen. Im Grunde genommen war ich jung und nicht unbedingt hässlich, eher normal, durch­schnittlich, könnte man sagen. Aber damals fand ich mich das Allerletzte – widerlich, abstoßend, untauglich für die Welt. Da kam es mir idiotisch vor, irgendwie Aufmerk­samkeit auf mich ziehen zu wollen. Ich trug nur selten Schmuck und nie Parfüm oder Nagellack. Eine Weile hat­te ich einen Ring mit einem kleinen Rubin am Finger. Der hatte meiner Mutter gehört.

Meine letzten Tage als die kleine, zornige Eileen spiel­ten sich Ende Dezember in der grimmigen Kälte jener Kleinstadt ab, in der ich geboren und aufgewachsen war. Mehr als ein Meter Schnee war bereits gefallen und schmolz auch nicht mehr weg. Unerschütterlich lag er in allen Vorgärten und drängte wie eine Flutwelle an die Brüs­tung jedes Erdgeschossfensters. Tagsüber taute die oberste Schneeschicht ein wenig an, etwas Matsch floss in die Gul­lys und man erinnerte sich, dass es Freude und Sonnen­schein im Leben geben konnte. Aber im Laufe des Nach­mittags verschwand die Sonne, alles fror wieder zu und bildete nachts eine Eisschicht, die so dick war, dass sie das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes tragen konnte. Je­den Morgen streute ich Salz aus dem Eimer, der neben der Haustür stand, auf den schmalen Gartenweg von unserer Veranda zur Straße. Vom Dachsparren über der Tür hin­gen Eiszapfen, und wenn ich darunter stand, stellte ich mir vor, sie würden abbrechen und meine Brüste durchbohren, den dicken Knorpel an meiner Schulter durchtrennen oder sich wie eine Gewehrkugel in mein Gehirn bohren.

An den Himmel glaubte ich nicht, aber an die Hölle schon.“ Eileen arbeitet in der Verwaltung eines Jugendgefängnisses. Sie schließt keine Kontakte oder Freundschaften, ihren Kollegen Randy träumt sie sich als Partner, wagt aber nicht ihn anzusprechen, fährt jedoch oft vor sein Haus, um sich vorzustellen, wie er lebt. Ihre Realität ist so bitter wie gewöhnlich in US-Vorstädten. Das Haus gleicht einer Müllkippe. Ihre Mutter ist gestorben, ihr Vater, früher Village-Cop, ist Alkoholiker ohne Realitätsbezug. Eileen versorgt ihn mit Gin, er missachtet und schurigelt sie dafür. ER hat Eileen auch begrapscht, ohne dass die Mutter sich darum geschert hätte. Das ist nicht unwichtig.

An diesem Abend – ich werde meine Geschichte an dieser Stelle beginnen – saß er barfuß auf der Treppe, einen Zigarrenstummel zwischen den Fingern, und trank den Sherry. »Arme Eileen«, sagte er sarkastisch, als ich zur Tür hereintrat. Er behandelte mich meist herablassend, immer hatte er etwas an meinem be­dauernswerten Anblick auszusetzen und auch keinerlei Skrupel, mir das mitzuteilen. Hätten sich meine damaligen Träume bewahrheitet, hätte ich ihn eines Tages am Fuß der Treppe vorgefunden, mit gebrochenem Genick, aber noch atmend. »Das wurde auch langsam Zeit«, hätte ich dann so gelangweilt wie möglich vorgebracht und ihn ge­mustert, während er sterbend am Boden lag. Ja, ich verab­ scheute ihn, aber ich war trotzdem pflichtbewusst. Nur wir zwei wohnten in dem Haus – Dad und ich. Ich habe eine Schwester, die vermutlich noch am Leben ist, aber ich habe seit über fünfzig Jahren kein Wort mehr mit ihr ge­wechselt.
»Hi, Dad«, sagte ich, als ich auf der Treppe an ihm vor­beiging.

In den selbstzentrierten Schilderungen des “Familien”- und – deutlich weniger – des Berufslebens erschöpft sich die Handlung des Romans weitgehend. Er beginnt am Freitag und endet am Donnerstag darauf, Heiligabend 1964. Der ideale Tag für ein Familienfest, hätte man denn eine. Eileen muss ihn zum ersten Mal nicht zuhause verbringen, denn ihre neue Arbeitskollegin Rebecca hat sie zu sich eingleladen. Eileen bringt eine Flasche Wein mit. Rebecca Saint John schiebt sich vor Randy und wird zu Eileens Sehnsucht nach dem Leben und sich selbst.

Mein Leben würde sich verändern. Endlich hatte ich eine Seelenver­wandte, eine verbündete, eine Vertraute gefunden. Ich wollte ihre Hand ergreifen und Blutsbrüderschaft mit ihr schließen. So einsam, so leicht zu manipulieren war ich. Aber ich nahm die Hände nicht aus den Taschen. Dieser Augenblick markierte den Beginn des dunklen Bundes, der den Rest dieser Geschichte beherrschen wird. (…)Es war, als hätte sich mein verborgenes Leid gerade in sein Gegen­teil verwandelt. Wahrscheinlich durchschaute Rebecca mein forsches Auftreten sofort, aber das wusste ich damals noch nicht. Ich hielt mich für ungemein weltgewandt.

Markus Gasser liest in “Eileen” “gebändigte Redseligkeit”, ich habe in der murrköpfigen Suada manches überlesen, ließ mich von den offensichtlich eingestreuten expliziten Bemerkungen aber doch zum Fertiglesen teasern. “In „Eileen“ nun wird die Leserin lange, fast bis zum Ende des Romans, mit Andeutungen hingehalten. (…) Am Ende kommt einem die seltsame Eileen Dunlop ein bisschen zu krass, ein wenig unglaubwürdig vor. Etwas fesselt, etwas stört aber auch an dieser Figur. (Sylvia Staude, FR) Wenn man denkt, der Gram habe ein Ende, steht man dicht am Abgrund.

2015         330 Seiten

2-4


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