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Ewald Palmetshofer: Vor Sonnenaufgang
Nach Gerhart Hauptmann
Inszenierung: Robert Teufel
Die Bühnenrückwand schließt sich klackend und es gibt kein Entkommen mehr. Wer drin ist, ist drin und muss sich mit den anderen Insassen arrangieren. Der Unternehmer Egon Krause (Gero Nievelstein) ist in zweiter Ehe mit seiner früheren Sekretärin Anni (Susanne Berckhemer) verheiratet, die mit Nachdruck versucht, die Familie am Laufen zu halten. Martha und Helene sind die Töchter aus erster Ehe. Die launenhafte Martha (Denia Nironen mit eingestecktem Babybauch) erwartet mit Thomas ihr Kind, auf ihrer Seele sitzt der schwarze Hund. Helene ist in ihrem Job in der Stadt nicht glücklich geworden und hat keinen Anschluss gefunden, sie ist als Nanny vorübergehend (wie sie hofft) wie nach Hause gekommen. Inga Behring will in Helenes Leben den Froh-Sinn herbeilächeln. Das Heim liegt am Arsch der Welt und ist nicht auszuhalten. Ibsen und Strindberg sind die Paten, Gerhart Hauptmann hat mit seinem Stück den Naturalismus in Deutschland eingeführt.
Ewald Palmetshofer hat sich des Stücks angenommen, um es zu überschreiben. Leider. „Wir möchten Stoffe, Themen, Mythen neu befragen, auf die Gegenwart hin.“ („Basler Dramaturgie“) „Ich versuche, Hauptmanns Drama in die Gegenwart zu holen, nicht um einen etwaigen überzeitlichen Kern freizulegen, sondern um darin unsere Zeit selbst in den Blick zu bekommen. Und vielleicht kommt man damit auch Hauptmann ein Stückchen näher.“ – In der Praxis mangelt es Palmetshofer an Deutlichkeit. Hauptmann wird nicht zum historischen Zeugen, „unsere Zeit“ wird analytisch verflacht.
Egon liegt meist betrunken herum. Sohn Thomas säuft im Wirtshaus mit Kumpels, die ihm wenigstens zuhören bei seiner Erzählung vom Wert des Arbeiters. Dieses Narrativ erlaubt ihm, sie unter Wert zu bezahlen.
und wie sie hungern nach Geschichten, in denen sie selber vorkommen
darum erzähle ich
darum erzählen wir
und darum muss die Wirklichkeit darin nicht real sein, sondern hyperreal,
anschlussfähig für die Erzählungen der Menschen
für ihre eigenen
das ist repräsentative Demokratie, Alfred
das ist Politik
das ist unsre Meta-Politik
Im Programm heißt es, Thomas sei „Rechtspopulist“, doch dieser Begriff ist so schwammig wie beliebt und er wird auf der Bühne nicht akzentuiert. Überraschend erscheint sein ehemaliger Studienfreund und Zimmergenosse Alfred Loth, er will als Journalist Thomas’ rechte Gesinnung offenlegen. Er ist einer von draußen, eine im Naturalismus gern verwendete Figur, die nicht im Brei der „Verschlossenen“ mitkocht und mit freiem Blick die Verhältnisse entlarvt, aufschüttelt, zum Tanzen bringt. Doch der Disput über die richtige Art von Realismus „gerät Palmetshofer leider seifig und geschwätzig“ (Egbert Tholl, SZ). Die „Neubefragung“ entschärft Hauptmann, Palmetshofer hätte sich eine derart lahme Auseinandersetzung sparen können. Was, bitte, will er dem heutigen Zuschauer mit der banalisierten These von einer auseinanderdriftenden Gesellschaft näherbringen? Ein interessantes Interview mit Ewald Palmetshofer ist im Programmheft des Theaters Basel zu lesen, doch das Stück löst die Gedanken nicht ein, zumindest nicht in Regensburg.
Der dritte in der Reihe der randständigen Ideologen ist der Arzt Dr. Schimmelpfennig, der sich an die Leidenschaftslosigkeit verkauft hat. Robert Herrmanns’ Rolle erschöpft sich aber die längste Zeit darin, mit der Arzttasche in der Hand an der Bühnenwand zu lehnen. Das muss man erstmal durchstehen.
Die Regensburger Bühnenaufstellung erinnert an Bilder der Basler Aufführung, ist aber noch reduzierter. Das macht schon Sinn. Der Raum ist geschlossen und unmöbliert, weder Tische zum drauf Essen noch Türen zum Reinkommen oder Entweichen. Alfred marschiert durch die offene Flanke des Zuschauerraums, wenn wer nach draußen will, lehnt er sich an die Wand zu den anderen, die dort verharren, wenn sie gerade nichts zu sagen haben. Natürlich weiß man nie, ob die Absenten nicht doch mithören. Verstörend ist, dass die Unbeteiligten oft die interessanteren Aktionen vollführen. Anni, wenn sie ihre roten Pumps abstreift, Helene, wie sie ihre Beine wiegt, Dr. Schimmelpfennig, wie er stehtstehtsteht. An den Schauspieler*innen liegts wieder einmal nicht, wenn das Stück versackt. Egbert Tholl: „Teufel schafft ein hartes, am Ende pathetisches, überlanges Familienrequiem. Mit tollen Darstellern.“
Das Pathos beginnt im Schicksal der Figuren. Alfred stürmt von der Bühne, weil er Helene nicht heiraten will. Das ist bei Hauptmann mit einem falsch verstandenen Determinismus (zum Alkoholiker) begründet, Palmetshofer kann diese Motivation nicht mehr benutzen. Helene schafft es nicht, sich an Alfred anzuschmiegen, sich zu binden, Martha gebärt ihr Baby tot. Das Leben verliert jeden Sinn. Der zweite Aspekt, vielleicht auch die Auslöser des Pathos, sind Licht und Klang. Die Theatralik wird erzeugt duch Gitarrentöne und „doch geht am Ende unbarmherzig die Sonne auf“ (Ankündigung) – in Gestalt von blendenden Scheinwerfern. – Der Beifall setzt unmittelbar ein, Erlösung, vereinzelter Jubel, bloß sechs Verbeugungen.
P.S. Ich weiß nicht, wer für die (online-)Ankündigungen verantwortlich ist. Wohl die Dramaturgie, hier Saskia Zinsser-Krys. Wer immer es ist, hätte doch Zeit und müsste nicht solchen Schmonzes produzieren. Banalitäten, Floskeln, Fragwürdiges. „Dafür dringt er zum Kern des Stückes durch und holt die Grundsituation der Familie Krause in die Gegenwart. Er konzentriert sich ganz auf die zwischenmenschliche Ebene.“ Was soll ein „Kern des Stückes“ sein, was eine „Grundsituation“, welche „Ebene“ liegt zwischen den Menschen? „Mit klarer und moderner Sprache zeigt sich eine Familienhölle, in der der Alkoholismus nur noch eine Begleiterscheinung ist, vielmehr steht das Thema Depression im Raum. Mit wissenschaftlicher Präzision nimmt Palmetshofer diese modernen Menschen ins Visier.“ Die Hölle zeigt sich, wenn, überhaupt, nicht „mit“ Sprache“, sondern „in“ ihr, das „Thema“ steht doch nicht im Raum, was ist an d iesen Menschen „modern“, und Palmetshofer bedient sich nicht „wissenschaftlicher Präzision“. Der Text ist nicht lang, es sollte nicht so schwurbeln.
Theater Regensburg – Aufführung am 6. Juli 2019
Fotos: Marion Bührle
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