Nachrichten vom Höllenhund


Shteyngart
2. August 2019, 16:54
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Gary Shteyngart:
Willkommen in Lake Success

shteyngartlakesuccessDas ist die Geschichte von Barry und Seema. Eigentlich die Geschichte von Barry, denn Seema ist die Frau. Barry bräcuchte eher einen Therapeuten als einen Leser, denn Barry ist Hedgefonds-Manager. Seine Fonds nennt er nach Werken von F. Scott Fitzgerald, This Side of Capitalism nach This Side of Paradise oder The Last Tycoon. Gary Shteyngart lässt ihn nicht gut ausssehen, er muss ihn aber nicht bloßstellen, denn das besorgt Barry selbst, einen außen- und drüberstehenden Leser vorausgesetzt.

Barry Cohen (!) hat sich emporgearbeitet, hat es bis zum sehr vielfachen Millionär gebracht, der milliardenschwere Fonds verwaltet. Er hat Seema abbekommen ,die hübsche und kluge Tochter einer indisch-tamilischen Einwandererfamilie. Barry und Seema wohnen im 20. Stock in einem Dreihundertfünfzig-Quadratmeter-Apartment und “Barrys größte Freude war, all seine Uhren mit einem ewigen Kalender kurz vor dem Monatsanfang um Mitternacht nebeneinanderzulegen und zu beobachten, wie die Plättchen mit den Angaben zu Wochentag, Datum und Monat mit einem universellen Klick weiterrückten. Er verspürte eine anbrandende Aufregung, wenn die Bewegungen für den Wech­sel sich ankündigten, und nach diesem befriedigenden Geräusch entspannte er sich.” Er hatte “über sechzig Millionen Dollar für Uhren ausgegeben, haupt­sächlich für Pateks, und den Großteil seines Nettovermögens verpulvert. Obwohl er kein Rolex-Fan war, hatte er die berühmte Bao Dai Rolex gekauft, einst im Besitz des letzten Kaisers von Vietnam, für 7,2 Millionen Dollar – eine der teuers­ten Uhren, die je versteigert wurden. Nach seinem Siegergebot kotzte Barry auf der Toilette von Christie’s.”. Geld ist im Überüberfluss da. »Ich habe noch was von dem achtundvierzig Jahre alten Karuizawa Single Cask Whisky«, sagte er. »Drei­unddreißigtausend Dollar die Flasche, wenn man noch eine findet.«
»Ein bisschen peinlich, Barry, den Preis zu erwähnen«, sagte Seema.

Barry und Shiva haben einen dreijährigen Sohn, Shiva. Shiva hat die “Diagnose”, er liegt im “Spektrum”, Shiva ist Autist. Barry dagegen liebt nur sich selbst, ja, weniger, er ist “gefühlsleer” (Seema). Immer folgt die Pose, das Vortäuschen von Emotion, von Empathie, glauben tut das keiner, nicht mal man selbst, auch wenn man sich auch das vorspiegelt.

Barry weinte wunderschön. (…) Barry weinte, dass er keinen Cent Geld habe, und ein mexikanisches Mädchen mit Brille und bauchfreiem Top kaufte ihm Garne asada torta und eine Jarritos-Brause, Geschmacksrichtung Tamarinde. (…) Er fing an zu weinen. »Ich bin den ganzen Weg aus Manhattan hergekommen!«, heulte Barry.

Barry inszeniert sich weiter als Mensch: „Er begreift, dass sein Sohn niemals in seine Fußstapfen treten wird. Mit nichts als seinen Lieblingsuhren im Gepäck flieht Barry mit einem Greyhound-Bus aus New York.“ (Klappentext) Er redet und heult sich ein, das „echte“ Leben zu suchen, ein anderer werden zu wollen – oder wieder der alte. Shteyngart schickt ihn in den emotionsgeladenen Süden, bis hin nach TexasArizonaMexiko, Ciudad Juárez. Ohne Millionen, ohne 350m2, nur mit seinem Koffer voller Uhren, der ihm dann auch gestohlen wird. Ein Märchen, schön erzählt, voller Klischees, die Katharsis des Maklers. „Mein Leben beginnt wieder, dachte Barry. Ich komme nicht ins Gefängnis. Wiedergeboren. Wiedergeboren.” Man muss als Leser aufpassen, dass man nicht auf Shteyngarts Barry hereinfällt, seinen faulen Zauber für authentisch hält.

Zuhause in New York hat Seema keine Zeit und auch kein Bedürfnis, Barrys Verschwinden zu betrauern. Sie muss sich – zusammen mit Kindermädchen Novie – um den kontaktverweigernden Shiva kümmern, sie freundet sich mit der Mutter des mit Shiva gleichalten Arturo an und lässt sich auf eine Affäre mit dessen Vater ein. Als Barry zurückkehrt, lässt sich Seema für eine üppige Summe scheiden. Der wieder reich gewordene Barry finanziert Shivas Bar-Mizwa mit einer halben Million Dollar.

»Ich wusste nicht, dass ich der Vogel-Vater bin«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Er hat die ganze Zeit alles gewusst. Du wusstest es auch. Ich habe es als Einziger nicht gewusst. Und du hast dieses wundervolle Kind geschaffen. Ohne mich.«
»Machst du Witze?«, fragte Seema. »Er ist genau wie du.
Das freundlichste scheißautistische Kind der ganzen Straße.
Die totale Rampensau. Die totale halbjüdische Rampensau. Du hast ihn ja heute da oben gesehen.«
»Gut, mein Lieber«, sagte sie. »Fang bitte nicht wieder an zu weinen. Du verwirrst ihn sonst.«Okay, Barry, du musst aufhören zu weinen.«

Gary Shteyngarts Roman ist eine gut geschriebene Mischung aus Satire, Road-Novel und Gesellschaftspsychogramm. Satire, weil sich ein Hedgefonds-Manager nicht anders denn als Witzfigur darstellen lässt. US-Trip, weil der Greyhound als Mythos des Ländlichen verkauft wird und weil der Kontrast zwischen Plastik-Ostküste, in der jedes Ding nur gilt, wenn es einen Markennamen hat, und Schmuddel-Süden so attraktiv ist. Gesellschaft, weil das Geschehen 2016 angesiedelt ist, im Wahlkampf zwischen Trump und Hillary. Allein, Politik spielt eine arg minderbemittelte Rolle, das Greyhound-Abenteuer ist zu sehr aus der larmoyant-selbstgefälligen Perspektive Barrys erzählt, wodurch das „authentische“ America zur Attrappe abgleitet. Und die Karikatur scheitert am mangelnden Willen Shteyngarts, seinen „Helden“ in die Pfanne zu hauen. „Selbst der Schuft hat eine Seele“, titelt Cornelius Dieckmann (FAZ). Für Felix Stephan (SZ) ist Barry „eine rundum tragische Figur“. »Es geht nicht immer nur um dich«, sagte sie. »Glaub‘ mir.« Wer hat schon Mitleid mit einem egomanischen Multimillionär mit Uhren-Tick statt Seele.

Shteyngart verweigert das Lachen ,das sich überlegen dünkt. Ein ernster und ernstzunehmender Roman ist dennoch nicht entstanden.

Am nächsten Morgen erfuhren sie, dass es stimmte. Donald J. Trump, der zutiefst gestörte New Yorker Geschäftsmann, würde ihr Präsident werden.

2018               430 Seiten

3-

 


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