Nachrichten vom Höllenhund


Melancholia
12. November 2019, 17:05
Filed under: Theater

Lars von Trier: Melancholia
Inszenierung: Felix Rothenhäusler

Es gibt keine Bilder zum Schauspiel. Nun veröffentlichen die Kammmerspiele selten Bilder-Kunst, das gehört zum Image, o.K. Aber zu „Melancholia gibt’s auf der Homepage kaum ein Foto, das nicht auch als Ensemble-Foto ins Spielplanheft gedruckt sein könnte. Keine Kulisse, keine Interaktion, höchstens etwas gequälte Mimik. Das Stück bietet wenig zum Sehen.

Das Stück erzählt. Die Schauspieler sagen dem Publikum, was sie gerade tun, sie tun so, als ereignete sich etwas. Erzählt wird im Präsens. Die Darsteller erfinden die melancholiaaHandlung nicht, sie haben sich den Film von Lars von Trier angeschaut und berichten nun von dem, was sie gesehen haben. Nahezu einszueins. Auch die Laufzeit ist annähernd die gleiche. Es gibt wenig Positionswechsel, gern steht oder sitzt man an der Rampe, Adressat ist ja das Publikum. Man könnte die Augen schließen und den „Film“ an sich vorüberziehen lassen. (Es sei denn, man möchte die Übersetzung mitlesen, was vor allem beim Englisch sprechenden Majd Feddah öfter nötig erscheint.)

Worum geht’s? Der Planet Melancholia rast auf absonderlichen Bahnen auf die Erde zu. Im Film sieht man das in den ersten Minuten, bebildert auch mit Brueghels „Die Jäger im Schnee“. Zu hören sind Klänge aus Wagners „Tristan und Isolde“. Im Theater taucht das melancholiaekosmische Motiv erst in der zweiten Hälfte auf, Brueghel wird als Hintergrund erwähnt, Julia Riedler (Justine) sagt, dass sie Wagners Tristan höre. Das Publikum hört im Geiste mit, wenn es denn die Musik kennt. Ansonsten: Anschwellendes Gewummere. Das erzeugt Unmut, nicht die – vielleicht – intendierte Angst. Der Tristanakkord steht – als Leitmotiv – für die Melancholie.

Die Handlung, auf der Bühne erzählt: Justine hat geheiratet, ihre Schwester Claire (Eva Lobau) richtet die pompöse Feier auf dem Landsitz aus. Justine müht sich, sich in die oberflächliche Fröhlichkeit dieser „Barbie“-Hochzeit einzustimmen. Doch immer deutlicher zeigen Justines Reaktionen, dass sie dieser Zumutung nicht gewachsen ist. Sie versucht sich zu entziehen, stößt die Gäste vor den Kopf, verstößt den eben angetrauten Mann (Thomas Hauser, meist herumstehend). Diagnose des Zuschauers: Leiden, Depression, Melancholie. (Sohn Leo (Gro Swantje Kohlhof) findet sich selten ein Plätzchen, Christian Naujoks macht das Gebrumm.)

Julia Riedler fühlt ihre Beine wie in ein Geflecht von Wollfäden verstrickt, kann sich nicht mehr bewegen, wirbelt dann unmotiviert über die Bühne, lässt ihre Vision-Hose melancholiabherunter, zittert am ganzen Leib. Das lässt einen manchmal miterleben, manchmal hört man Julia Riedlers lakonische Intonation heraus und hält das Spiel für Gehabe. Riedler ist vom Typ her das Gegenteil von Barbie, da helfen auch die dämliche Langblondperücke und das doofe Top nicht. Vielleicht zeigt sie damit aber auch die Distanz zu sich selbst und macht ihre innere Zerrissenheit sicht- und erfahrbar, Im Film stolpert Kirsten Dunst als Blondchen nach und nach über den Golfplatz in die Depression. Charlotte Gainsbourg ist dort die pragmatische Claire, die alles im Griff hat und ständig versucht, Justines Seele aufzuhellen. Als die Kollision mit Melancholia unausweichlich wird, kippt ihre Zuversicht in Angst vor dem eigenen Ende, Justine indessen fügt sich in die Katastrophe, fast erleichtert. Diese labilen Gefühlslagen werden auf der Bühne nur angespielt, meist aber sprechend vor sich hergetragen. (Deshalb die Scheinwerfer ins Publikum? Und melancholiacwozu der erhöhte Glasboden?)

Beim Fernsehen kann man zum Film die Untertitelungen einblenden. Im Theater lässt Rothenhäusler die Untertitel sprechen. Macht das Sinn? Ist das zumindest interessant? „DasAuge lässt sich nun mal leicht verführen“, schreibt Martina Knober in ihrer Filmkritik in der SZ. Gut, dann könnte oder sollte man die Bilder zu den Untertiteln wegblenden. Aber weshalb dann kein Höspiel. Wäre das nicht konsequenter als unbeholfenes Bühnenbemühen? „Wie Justine löscht sich auch melancholiadder Film im Verlauf selbst aus (..), die Bedrohlichkeit des Weltuntergangs überträgt sich immer mehr allein akustisch“ (Hannah Pilarczyk, SPIEGEL). Sie meint damit allerdings Lars von Triers Unernst, die Geräusche stammen von den symbolisierten Pferden. Felix Rothenhäusler, der ein Faible für Kosmisches zu haben scheint, setzt seine Inszenierung zwischen alle Deutungsversuche und verschenkt damit wieder einen Abend. Der Weltraum ist eben ein Platz nur für Ausweichmanœvres. „Das Schreckliche bleibt blass und lässt einen erschreckend kalt zurück (…), weil hier alles so sehr nach einer verwaschenen Erinnerung klingt, die man sich gegenseitig toterzählt hat, so dass sie weder etwas mit den übrigen Schauspieler*innen noch mit dem Zuschauer macht. (Anna Landefeld, nachtkritik.de) Ein überflüssiges Stück nach einem verspielten Film. Obwohl das Licht im Zuschauerraum nicht ausging: recht müder Applaus.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 8. November 2019


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