Maya Angelou:
Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt
Ist das Heranwachsen für das schwarze Mädchen im Süden schmerzhaft, das Wissen um ihre Deplatziertheit ist der Rost an der Klinge, die die Gurgel bedroht.
Es ist eine unnötige Beleidigung.
Man weiß das ja, man glaubt, es oft gesehen zu haben: Die Schwarzen in den USA hatten es schwer, haben es schwer, sind diskriminiert, haben für ihre Berechtigung zu kämpfen. Von Gleichheit nicht zu sprechen.
„I Know Why the Caged Bird Sings“. Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt. Maya Angelou weiß es, weil sie es selbst erlebt hat. Sie ist 1928 geboren, 1969 erschienen ihre Aufzeichnungen aus dem Leben eines schwarzen Mädchens, das Teile der Kindheit bei hrer Großmutter in Stamps/Arkansas/Südstaaten verbracht hat. Vater und Mutter hatten sie nicht brauchen können, bei der „Momma“ erlebte der „Vogel“ eine behütete Kindheit in und um den kleinen Laden. Was nicht verhindert, dass im Alter von acht Jahren brutal vom Stiefvater vergewaltigt wird. Sie spricht die nächsten fünf Jahre nicht mehr, sie wähnt sich selbst für schuldig am plötzlichen Tod des Mannes. Momma nannte sie „Schwester“, ein Ritual, das den Zusammenhalt der schwarzen „Community“ symbolisierte. Ansonsten regelten Redensarten und Bibelsprüche Denken und Erziehung und das Leben im Algemeinen. »Heißt es nicht, Himmel und Erde werden vergehen, aber das Wort wird nicht vergehen? Die Leute werden bekommen, was sie verdienen.«
Momma wollte Bailey und mich auf den Lebensweg führen, den sie und ihre Generation, ja alle Schwarzen vor uns, als sicher erfahren hatten. Der Gedanke, dass man überhaupt mit Weißen sprechen könnte, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen, war ihr fremd. Und offen durfte man ganz sicher nicht mit ihnen reden. Selbst in ihrer Abwesenheit war es besser, nur Andeutungen zu verwenden, »die da«. Auf die Frage, ob sie feige sei oder nicht, hätte Momma geantwortet, sie sei Realistin.
In Stamps war die Rassentrennung so total, dass die meisten schwarzen Kinder eigentlich nicht wirklich wussten, wie Weiße aussahen. Sie wussten nur, dass sie anders waren, dass man sie fürchten musste, und diese Furcht schloss die Feindschaft der Machtlosen gegen die Mächtigen, der Armen gegen die Reichen, der Arbeiter gegen die Besitzenden und der Zerlumpten gegen die Wohlgekleideten mit ein.
Viele Frauen, die bei Weißen in der Küche arbeiteten, kauften bei uns im Laden, und wenn sie die saubere Wäsche zurück in die Stadt trugen, stellten sie oft die großen Körbe auf unsere Veranda und zogen einzelne Stücke der auserlesenen Kollektionen hervor, um zu zeigen, wie geschickt ihre Hände beim Bügeln waren oder wie gewaltig der Wohlstand ihrer Herrschaften war.
Menschen waren diejenigen, die auf meiner Seite der Stadt lebten. Ich konnte sie nicht alle leiden, oder besser gesagt, ich mochte niemand von ihnen besonders, aber sie waren Menschen.
Die andern, die seltsamen bleichen Kreaturen, die ihr fremdes Unleben lebten, waren keine Menschen. Sie waren Weiße.
Wie der Zahnarzt Linncoln ; »Annie, du weißt, ich behandele Schwarze nicht, Farbige.«
»Ich weiß, Zahnarzt Lincoln. Aber das is ja nur meine kleine Enkelin, sie wird Ihnen keinen Ärger machen …«
»Annie, jeder hat seine Überzeugungen. In dieser Welt muss man Überzeugungen haben. Meine Überzeugung ist, ich behandle keine Farbigen.«
Marguerita, wie Maya eigentlich hieß, ging auf die Schule und sie lernte etwas. Sie lernte gut und sie lernte uach, dass das Wissen nicht unabhängig von der Herkunft, von der Hautfarbe war.
Nichts als meine eigene Leistung hatte mir einen Spitzenplatz eingebracht. (…). Vor mir lag die Freiheit, ein oftenes Feld.
Jugend und sozialer Aufstieg verbündeten sich mit mir und bannten die Erinnerung an Kränkungen und Beleidigungen. Der Rückenwind plötzlicher Fortschritte belebte meine Kräfte. Die vergossenen Tränen setzten sich ab, wurden Schlamm, später Staub. Jahre des Stillstands ließ ich hinter mir, ein dunkles Moosgewebe.
Aber mit der Wut fängt das Denken an, das Bewusstsein:
Schwarz zu sein, nicht über das eigene Leben bestimmen zu können, war schrecklich. Jung zu sein, aber schon gewohnt, die Vorurteile über die eigene Hautfarbe still und widerspruchslos anzuhören, war brutal. Besser, wir wären alle tot. Alle, eine Leichenpyramide: unten die Weißen, dann die Indianer mit ihren verrückten Tomahawks, Wigwams und Verträgen, dann die Schwarzen mit ihren Schrubbern, Rezepten, Baumwollsäcken und Spirituals, die ihnen zum Hals raushingen. (…)Wir waren Mägde und Bauern, Handlanger und Waschfrauen, und es war albern und vermessen, Höheres anzustreben. Das war der Augenblick, in dem ich wünschte, Gabriel Prosser und Nat Turner hätten alle Weißen im Bett ermordet, Abraham Lincoln wäre vor Unterzeichnung der Proklamation zur Abschaffung der Sklaverei erschossen worden, Harriet Tubman am Schlag auf den Kopf gestorben und Christoph Columbus mit der Santa Maria untergegangen. (…)Weiße Jugendliche hatten die Chance, Galileos und Madame Curies zu werden, unsere Jungen durften versuchen, Jesse Owens und Joe Louis zu werden, die Mädchen waren ganz aus dem Spiel.
Maya Angelou erzählt viele Anekdoten, in denen das eigene Erleben des Kindes zum “Singen” wird, zur Einübung der “gottgewollten” Rolle, aber auch zum Erfahren und Üben der “eigenen Leistung”, der eigene Stärke. Ob die Erzählungen einen Roman ergeben oder ein Memoir, ist egal, weil jedes (Er-)Leben ein Roman ist. Beim Kind und beim Rückblick auf die Kindheit verschwindet der Unterschied vollends. Als sie und ihr Vertrauensbruder Bailey älter wurden, kamen sie wieder zurück zu Mutter und Vater, die aber weiterhin mit sich selbst beschäftigt waren. Die Welt der Maya weitete sich, musste selbst erschlossen werden. Sie wurde erste erste afroamerikanische Straßenbahnschaffnerin, auch bald schwanger. Maya Angelou hat viel erreicht im Leben. Sie wurde US-amerikanische Schriftstellerin, Professorin und Bürgerrechtlerin und sie war eine wichtige Persönlichkeit der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den USA. (wikipedia)
„Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ ist ein Frauenbuch ersten Ranges, handlungsstark, äußerst konkret und markig, in der Metaphorik superlativisch, grob, laut und überwältigend. Dafür ist das Spiel mit den Variationen der Motive sehr subtil.” (Hubert Winkels, SZ) „When, in disgrace with fortune and men’s eyes, / I all alone beweep my outcast state / And trouble deaf heaven with my bootless cries…“. Sie hört darin ihr eigenes Leid. Und die erwachsene Maya Angelou, Autorin und politische Aktivistin, erzählt immer wieder davon, „ich dachte: Shakespeare ist ein schwarzes Mädchen“.
320 Seiten
Rezensionen beim Perlentaucher (FAZ – SZ)
Gespräch im Literaturclub des SRF (Video – 15 Minuten)
Videos bei youtube – incl. Verfilmung des Romans von 1979
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar