Filed under: Theater
Elfriede Jelinek: Am Königsweg
Inszenierung Stefan Otteni
„Die Worte zu hören, ist dabei das eine, sie zu verstehn, das andere.“ Egbert Tholl schreibt das über ein anderes Stück. (Peter Lichts „Molière Verwurstung“ von „Der eingebildete Kranke“ am Münchner Residenztheater, einer „Überschreibung) Die beklagten „Wortkaskaden“ markieren einen Trend – nicht nur am Theater! -, mit vielen schnellen Worten ein inhaltliches Wenig zu übertönen, um dem Zuschauer oder -hörer das Mitdenken auszutreiben. Die Methode beschreibt auch gut das Stücke-Schreiben der Elfriede Jelinek. 100 Seiten Text, der Regisseur darf sich bedienen, die Schauspieler haben was zu lernen und geben es in zwei Stunden wieder von sich. Als Zuschauer verliert man sich im Schwall, möchte sich eine gelungen scheinende Anspielung, ein Aperçu merken oder verarbeiten, wird aber schon von der nächsten Kaskade „zugetextet“. Wer scheidet Sinn von Geplänkel?
Der neue König ist da! Er ist so schlimm wie unsichtbar. Aber Big King is watching you. Man schaut auf zu ihm auf dem Screen wie 1984 zu Big Brother. Er meldet sich mit Zettelchen, von blauen Vögelchen im Schnabel getragen, ordnet an, dass alles mit Goldlack zu überziehen sei (Jelinek Sprachmaschine würde sofort die Gelackmeierten ausspeien!), grummelt aus dem Off sein Plazet: you are hired. „Der König hat keine Pflichten, er hat immer nur Recht.“ Er ist überall und so weing (an)greifbar wie Schrödingers Katze. Man zürnt ob seiner eigenen Machtlosigkeit, man ereifert sich darüber, dass der König gewählt wurde. Natürlich: Man hat ihn nicht gewählt, das waren die anderen. Ach, Demokratie!
Beim Stichwort König/Macht wird Jelinek zuverlässig von den Mythen angesprungen. Ödipus, Kreon, Antigone, Teiresias, die üblichen Gewährsleute. Mythen sind Deutungen, keine Wahrheiten. Die Darsteller haben sich in schmucklose Gewänder gehüllt, klagen chorisch, ein feierlich roter Vorhang behängt die Bühne. Dann bricht das Jetzt herein. Migrantische Bühnenarbeiter holen den Vorhang ein, das antikisierende Grau weicht casual wear und Arbeitskittel, das Gewerk nimmt seinen Lauf, übertönt von Jelineks Sprachtsunami. Nur Franziska Sörensen kann ihre Seherin nicht ganz ablegen. Sie blickt weiterhin durch, bringt frauenpolitische Sujets ins Spiel, verzweifelt lauthals. Inga Behrig hat ihren Körper selbstoptimiert und lächelt das Elend weg, auch sie mit durchdringender Stimme. Verena Maria Bauer sucht sich selbst als Volks-Lead-Sängerin: „Caravan of Love: The place in which we were born So neglected and torn apart“, „Kein schöner Land“, da war doch was in solchen Zeiten. Jonas Hackmann (Habe ich Volksstimme 4 überhaupt zugehört? ? Hab ich überhaupt zugehört?) wandelt sich vom Ödipus zum Bühnenwerker und Marschtrommler und
koordiniert das Tapezieren. (Eine der vielen Innuendos, die ich nicht verstand. Liege ich richtig wenn ich verbrämen denke? An den Verkleisterer Hitler in Brechts Gedicht?) Alle sind sie „Volksstimmen“ (Rollenzuschreibung), von 1 – 4. Deshalb weichen sie auch mal in den Zuschauerraum aus: Wir sind ja gemeint, wir sind eins.
Das Regensburger Publikum kann Jelinek und dem Regisseur nicht immer folgen, „so geschwindigkeitsberauschend schreien die Sprachkaskaden auf einen ein, verlangsamen sich dann zur rechten Zeit, fast immer bevor verwirrungsbedingte Ermattung eintreten kann beim Zuschauer“. (Angelika Schüdel, BR) Die schönste Ermattung trifft die Darsteller: Sie ziehen sich biedermeierliche Gewänder an und hinter die Kulissentür zurück und verkünden, dass es ihnen die Sprache verschlagen hat. (Endlich!, denke ich kurz.) Die Bühnenarbeiter, austauschbare migrantiche Produktionswerker (Die Ankündigung bietet ein Bündel von Namen zur Auswahl: Mohamad Al Shikh, Kashif Ijaz Mohammad Ijaz Kumar, Ajmal Nazari, Qandagha Sharifi, Desale Teklesenbet u.a.), die zu Beginn mit Schubkarren Berge von Büchern auf die Bühne gekippt haben, sammeln jetzt die Bücher wieder ein und mauern damit die Volksstimmen hinter der Türe ein. Präzise, das darf dauern, von hinten leuchtet es durch die Zwischenräume, die immer weniger werden. Eine einleuchtende Metapher. Leise stimmt das Volk im Verborgenen die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht an. Das sagt in wenigen Worten viel, auch wenn ich kaum erkenne, was das Gedicht mit Jelineks Thema zu tun hat, außer dem Flehen um ein gutes Leben.
Elfriede Jelinek sagt in vielenvielen Worten zu oft Banales, Sprüche: „Ich wisch mal drüber, damit es mir nicht entwischt.“ Mäandernde Geschwätzigkeit, Assoziationen statt Auseinandersetzung. „So, und der König erschlägt den Seher, damit er, The King, selber blind werden kann, damit er endlich der einzige Blinde sein kann. Sogar die Blindheit gönnt er keinem andern. Keine Stimme gönnt er einem anderen, er stimmt selbst sein Lied an und zwitschert es hinaus, mehr als hundertmal die Stunde, er hat ja auch was zu sagen. Dann, wenn der König es ausspricht, ist es total egal, was er sieht oder sagt. Es stimmt auf alle Fälle. Wenn der König blind ist, was wollen dann Sie sehen, wenn schon der König nichts sieht? Da gibts nichts mehr zu sehen. Er hat schon alles gesehen, er hat sich alles angeschaut und dann entschieden. Warum also überhaupt blind werden?“
Dennoch kann man aus der Vorstellung was mitnehmen – und wenn es nur die Vorstellung ist, dass Trump ein gefährlich unsympathischer Herrscher ist. „Das Publikum fühlt sich in seiner Anti-Trump-Haltung bestätigt.“ (Joachim Lange, Der Standard) Viel zustimmender Beifall zu dieser Meinung. (Elfriede Jelinek hat den Text 2017 geschrieben – seitdem ist viel passiert!)
Theater Regensburg – Aufführung am 19. Dezember 2019
Fotos: Jochen Quast
Leseprobe beim Rowohlt-Verlag (pdf)
Hörspiel des Bayerischen Rundfunks
Falk Richter über Jelinek, Am Königsweg, das Theater:
„Für mich waren von Anfang an zwei Aspekte wichtig: einmal eine Art ironische Heidegger-Überschreibung, was das denn für Kräfte sind, die jetzt auf einmal wirksam werden. Warum kommen bestimme Leute jetzt wieder an die Macht, wer ist der weiße junge Mann, der da plötzlich wieder die Bühne betritt, was wollen diese Leute? Das ist der eine Strang. Das andere ist sie selbst: Wie stark sie sich selbst ins Spiel bringt, wie sie ihr Älterwerden thematisiert und ihre Unfähigkeit, auf diese aktuelle Situation politisch zu reagieren, ihr Eingeständnis, mit ihrer komplexen Sprache niemals die Mehrheiten zu erreichen. Das waren die zentralen Themen.“
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar