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T. Rogers: Oslo –
Mission für den Frieden
Inszenierung Klaus Kusenberg
Er hat angefangen! Nein, er! – Der Streit verselbständigt sich rasch und die Streitenden findfen keinen Plan, wie sie aus dem Schlamassel wieder herauskommen. Es wird Wunden geben. Auch Staaten können sich im Streit festfahren. Jedes Land gibt dem anderen die Schuld, jedes findet eine frühere Attacke des anderen, auf die es reagieren musste usf. Der Konflikt wird zur Staatsräson, der Feind hält die Nation zusammen, bindet das Volk. Es kann Krieg geben.
Im Kindergarten hat man Streitschlichter, nicht immer erfolgreich, aber meist deeskalierend. Die Staaten haben sich dafür die Diplomatie ausgedacht. Aber was, wenn die Diplomaten nicht mehr mit den gegnerischen Abgesandten reden wollen oder können oder dürfen? Es braucht einen Anstoß von außen, Einladungen zu Konferenzen, Rituale, hinter denen man seine Blöße verstecken kann. Was man für seine berechtigten Interessen hält, darf nicht infrage gestellt werden.
Der Konflikt ist schnell ausgemacht: Israel und Palästinenser verhandeln offiziell in den USA, ein Weiterkommen ist nicht abzusehen.Stillstand. Der norwegische Souialwissenschaftler Terje Rød-Larsen hat ein inter-nationales Streitschlichter-Modell entwickelt. Er nennt es „Gradualismus“ und versuchte es 1993 zusammen mit seiner Frau Mona Juul, Mitarbeiterin im norwegischen Außenministerium, auszuprobieren. Das Problem: Man muss Teilnehmer finden und gleichzeitig darf niemand von den Treffen wissen. Sie laden zwei israelische Wirtschaftsprofessoren, Jair Hirschfeld und Ron Pundak, ein und zwei Vertreter der PLO nach Oslo ein, Ahmed Kurei und Hassan Asfour.
START des Spiels: Es beginnt eine Rallye des Aufeinander-Losgehens, der beleidigten Rückzüge, des Beschnupperns, der Finten und Täuschungen, der Ablenkungen und Drohungen des Scheiternlassens. Spielleiter Rød-Larsen (Gero Nievelstein) bittet, lobt, käpft unterstützt von mona Juul (Katharina Solzbacher), die souveräner als ihr Mann, sympathisch durch die gefühlt endlosen Zeiten der „Mission für den Frieden“ führt, Personen vorstellt, Zeitspannen kommentiert, Eifersüchteleien anstiftet und befriedet, moderiert.Die sachlich ausstaffierte Bühne dreht sich, öffnet und verschließt Räume und türen, schließt sie Schlichtungs-Kombattanten auch ein. Eine Choreografie der Arkan-Diplomatie, die trotz aller Friktionen rund läuft. Später dazukommende Akteure werden gezügelt, auch von denen, die eine Prinzipienerklärung erarbeitet haben und ihre Wichtigkeit nichts aufs Spiel gesetzt sehen wollen.
Das Stück will die fragilen und brutalen Mechanismen dieser – wenn’s gut geht – weltbewegenden – Suprematie-Tänze vorführen. Das gelingt Regisseur Kusenberg und seinen Akteur*innen auf recht überzeugende Weise. Ständig ist alles, sind alle in Bewegung, treffen und verfluchen sich, telefonieren oder tun so als ob, trinken Whiskey und essen Waffeln. Es gibt keinen dramaturgischen Leerlauf – und das bei 2½Stunden Spieldauer. Gut, ein paar Kalauer sind eingearbeitet. Weshalb haben die Norweger eingeladen, nicht die Italiener. Dort wäre es nicht so kalt.
Zum „Friedensprozess in Oslo“ gibt es Aufzeichnungen, hier schien für Außenstehende die Feindschaft überwindlich. Der reale Konflikt wird im Stück nicht ausgeblendet. Die groß projizierten Videos zeigen die wirklichen Bilder, die Verhandler werfen sich die „Schandtaten“ um die Ohren: die Vertreibung der Palästinenser bei der Staatsgründung Israels, die Intifada, den Disput um die Kontrolle über Jericho und den Gaza-Streifen, die Attentate und die Siedlungen.
Die Personen wollen differenziert gezeichnet sein. Die isaelischen Professoren (Michael Haake ( Kristóf Gellén) erscheinen anfangs recht locker, arbeiten sich aber ins Diplomatische hinein, die Palästinenser brausen selbstbewusst auf: Thomas Weber als linker Ideologe, Gerhard Hermann vorzüglich als nahöstlich dominanter Familienmensch. Überraschende Ähnlichkeit: Michael Haake als leicht absenter Schimon Peres. Einige der Männer schienen recht jung für ihre mehr oder minder diplomatische Rolle. Die Frauen: eher dienend.
Ahmed Kurei und Uri Savir (Guido Wachter) entdecken, dass sie beide eine Tochter mit Namen Maya, haben. Völkerverbindende Kradt der Offenbarung? Das ist das idealisierende Element dieser theatralen Episode des Israel-Palästina-Konflikts: Wichtig ist schon mal, dass man miteinander spricht und sich dabei besser kennenlernt und so näher kommt. Jeder, der neu in die Gespräche eintritt, wirkt als Fremdkörper und wirft die Gespräche zurück. Wie die Geschichte weiter geht, weiß man: Oslo I, Friedensnobelpreis 1994 für Shimon Peres, Jitzchak Rabin und Jassir Arafat. Fortsetzung: Eine Chronologie des Scheiterns. Jitzchak Rabin wird 1995 von einem rechtsextremen, religiös-fanatischen israelischen Studenten ermordet.
Ein geschickt konzipiertes Stück zu einem sperrigen Thema. Im Zentrum die geheimen Mühen der Diplomatie, die den politischen Interessenab- und ausgleich nicht ersetzen können. Nicht mehr wird auf der Bühne gezeigt. Das Theater hat den Vorzug, Geschehen lebendig werden zu lassen, persönlich, menschlich. Das Stück ersetzt keine Geschichtsstunde, kann aber Anregungen zu eigner weiterer Recherche geben. Die erste Aufführung im deutschsprachigen Raum ist in Regensburg nachhaltig gelungen. Viel berechtigter Beifall.
Theater Regensburg – Aufführung am 21. Januar 2020
Fotos: Jochen Quast
Das 20. Jahrhundert: Friedensgespräche – Die Oslo-Tagebücher –
Doku von Mor Loushy und Daniel Sivan (2018) – 1:35
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