Nachrichten vom Höllenhund


The Vacuum Cleaner
18. Februar 2020, 16:55
Filed under: Theater

Toshiki Okada: The Vacuum Cleaner

Julia Windischbauer saust als Staubsauger durch die Räume des japanischen Hauses, hinauf – hinab, durch die leichtgängigen Schiebetüren, die sich optisch nicht von den Wänden unterscheiden. Sie produziert Sauggeräusche, ihre Gesten lassen mich an die Bewegungen von staubsuagenden Personen denken. Arme und Beine verselbständigen sich, laufen quer zu den Worten ins Leere, ungelenk, strange, fast ballettös. Aber ist Staubsaugen nicht an sich eine unhinterfragbare Aktion, auch wenn viele Sauger*innen beim Saugen singen sollen? Julia Windischbauer steigert sich dabei zum bellenden Diskant. Lustig.

Auch vieles andere, ja, eigentlich allles wird einem fremd, wenn man darüber reflektiert. Das Spiegelbild, das Sohn Richigi (Damian Rebgetz mit schönem Akzent) anfremdelt, in vc1dem er sich nicht wiedererkennt, weil er das Hemd in die Hose gesteckt hat. Und wozu sollen die Krawatten da sein? Sinn macht das nicht. Richigi berichtet von Straßenbäumen in São Paulo, die sich frei den umliegenden Häusern annähern. Der Vater erzählt von Ausflügen zum Kiosk, von Kaffeebohnen, die nach Erdbeere schmecken, von der früheren Möblierung der Wohnung, woran er sich zu erinnern glaubt. Manchmal glaubt er auch , mit seiner Frau zu reden, die vor Jahren gestorben ist. Allein, es ist niemand da, den seine Sätze interessieren. Keine Berührungen, nur Selbstverbiegungen.

Die Personen sprechen ins Nichts, die Reaktion ist der nächste Monolog. Annette Paulmann mit Mädchenfrisur als Tochter Homare läuft barfuß durch die Räume, verrenkt sich im in ihrem Zimmer, nach draußen kam sie schon so lange nicht mehr, dass sie sich nicht erinnern kann. Sie breitet ihre Mordgedanken aus, wie könne man am besten töten – oder selbst getötet werden, es kommt aufs selbe hinaus. Ersticken mit einem Kissen? Sie schwärmt vom Erstechen mit einem Messer, wenn das Blut wie das Bewusstsein wie das Leben aus ihr herausströmt. Man könnte Leben spüren. Die Gedanken bleiben in der Phantasie, das Schaffen von Realitäten ist keine Perspektive. Die Innenräume sind es, die bunt beleuchtet sind.

Es geht um “Hikikomori”, Als Hikikomori(jap. ひきこもり, 引き籠もり oder 引き篭り, „sich einschließen; gesellschaftlicher Rückzug“) werden in Japan Menschen bezeichnet, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum reduzieren. (wikipedia)

vc2Der Vater ist 80, sein Leben wird bald enden. Die Quintessenz seines Lebens: das Gleichgewicht halten. Walter Hess, auch 80, spielt überzeugend (wie immer!) wagemutig in ulkigen Kindersocken. Tochter Homare ist 50. Ein Leben ist, wenn es darin Höhen und Tiefen gibt. Sie muss nicht überlegen: Dann habe ich kein Leben. Einmal hat sie sich sich die Fingerknöchel blutig geschlagen für eine Delle in den Holzbalken. Man sieht sie nicht. Sohn Richigi verlässt das Haus hin und wieder. Thomas Hauser , sein „Freund“, der sich für ein paar Tage (oder vielleicht für immer) ins Haus einquartiert (auch er hat seinen Scheißjob nach wenigen Tagen aufgegeben), verrät dass Richigi Beschäftigung nur vorgibt, meist aber im Park auf einer Bank versitzt. Der Freund vergleicht das Leben mit Brandrodungswanderfeldbau. (Dass ich dies schöne Wort nochmal hören durfte.)

Ein deprimierendes Schauspiel, eine Vorführung, die sich hinzieht, es gibt ja keine Entwicklung. Ein Ende kann nur kommen, wenn man das Licht abdreht. Wenn die Klang-Tupfer verstummen. Ein in seiner existenziellen Tragik geniales Stück, das Toshiki Okada auf die Bühne der Kammerspiele bringt. Toshiki Okada führt gesellschaftliche “Trends” vor, er erklärt nicht. Kaum ein Blick auf die wirtschaftlichen (und auch demografischen) Wände, gegen die die Hikikomoris vergeblich andenken, bloße Resignation, das Warten auf ein Ende, keine soziologischen oder psychologischen Deutungen. Den Kapitalismus kann man sich dazudenken. Was Toshiki Okada auch vc3ausblendet, sind die medialen Lebens-Surrogate: Games, Cosplay, massenhafte Inszenierungen eines individualisierten Selbst auf Instagram & Co.

Es gibt keine eindeutigen Trends, dass Hikikomorisich auchin westlichen Gesellschaften verbreitet. Das „Hotel-Mama“ ist nicht so beliebt, oft sind es wirtschaftliche Gründe, etwa Wohnungsknappheit oder zu hohe Mieten, die dazu animieren, länger zuhause wohnen zu bleiben. Auch werden psychische Belastungen als Ursache der „Soziophobie“ genannt. Die eigenen Verbiegungen sind in der Exotisierung leichter erkennbar.

Julia Windischbauer, der Staubsauger, ist als Mitbewohner durchaus anerkannt. Es wird ja auch hierzulande immer üblicher, mit Hausgeräten zu sprechen. Alle Akteure haben sich voll eingespielt, dafür honorativer Beifall.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 14. Februar 2020


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