Nachrichten vom Höllenhund


Evans-Krimstein
21. Februar 2020, 17:25
Filed under: - Belletristik, - Sachbuch | Schlagwörter:

Kate Evans: Rosa
Ken Krimstein:
Die drei Leben der Hannah Arendt

evansrosaKate Evans ist (in Kanada geboren und) in England aufgewachsen. Ken Krimstein ist ein amerikanischer Autor „jüdischer Herkunft“. Beide Biographien wurden übersetzt. Weshalb gibt es zu den beiden Frauen keinen deutschen Bilderroman? Ist das Genre hier nicht heimisch genug, noch nicht in der deutschen Leitkultur angekommen? Sind die Biografierten in Deutschland nicht mehr aktuell oder ist man ihrer – auch biografisch – schon überdrüssig geworden?

Bin vielleicht ich zu alt für Comics? Für seriöse Comics? Ist es sinnvoll/erweiternd, sich Personen via Comics zu nähern? Was ist der Mehr- (oder Minder-)Wert gegenüber bloß beschriebenem Leben? Werden andere Leser*innen angesprochen, neue erschlossen? Auch: Sind politisch-weltanschaulich engagierte Personen wie Rosa Luxemburg und Hannah Arendt geeignete Sujets für ein Medium, das auf das Bild setzt, die Figuren als Held*innen in den Mittelunkt stellt, wie alle populären Medien stark krimsteinarendtpersonalisiert? Werden so Argumente nicht hintangestellt? Skepsis, auch angesichts der altbekannten Rechtfertigung, man müsse die Leser, also potenziell Interessierte, „abholen“.

Beide Bild-Biographien zeichnen nicht nur das Leben detailliert und differenziert nach, beide erfassen auch viel von den Gedanken und politisch-philosophischen Entwürfen. Kate Evans hat es dabei mit ihrer „Rosa“ etwas leichter, da Rosa Luxemburg ihre Kämpfe in der Öffentlichkeit austrug, auf direkte Wirkung abzielte. Hannah Arendt ist stärker die Beobachterin, ihre Auseinandersetzungen finden mit ähblich Gesinnten statt, auch sind ihre Formulierungen weniger plakativ als die der Politikerin Rosa Luxemburg.

Beide Biographien sind genrebedingt dialogisch-monologisch angelegt. Es braucht oft den persönlichen Disput oder das Soliloquium. Durch die Darstellung wird jede Äußerung herausgehoben, verschwindet nicht im Fließtext. Kate Evans trennt ihre Texte typographisch: wörtliche Reden oder Zitate erscheinen in „Handschrift“ und setzen sich so von den Printlettern ab, Krimstein wählt durchgehend bis hin zu Anmerkungen, Quellen- und Personenverzeichnis und Klappentext personalisierte Typographen, was – zumindest mich – beim Lesen bremst. Vielleicht ist das aber auch gut so.

rosa3Es passt aber auch zum Zeichenstil. Ken Krimstein kritzelt, deutet an lässt Zugänge offen. „Großstädtisch ist dieses Zeichnen, man kann es sich auf Papiertischtüchern von Bistros vorstellen oder am Rand von Speisekarten“, findet Gustav Seibt(SZ) Das stört – mich anfangs – etwas, reduziert aber auch die Vormacht der Bilder. Die Hauptperson Hannah ist immer durch einen Klecks in Grün markiert. Kate Evans zeichnet exakter, ist auch abwechslungsreicher in ihren Tableaus. Sie fügt auch über 40 Seiten Anmerkungen an – ein größerer Ernst als bei Krimstein.

Bei beiden Büchern habe ich den Eindruck, eine Menge Wichtiges über die vorgestellten Personen, ihre Lebenswege, ihre Kämpfe, ihre Ansichten und Wirkungen erfahren zu haben. „Zeichnerin Kate Evans, selbst Aktivistin, schafft es, unsere Gegenwart mit der hannah4Vergangenheit einer übergroßen historischen Person zu verbinden, auch wenn das Belehrende in einigen Panels überhandnimmt.“ (Pascal Löffler, literaturkritik.de) Gustav Seibt findet Gefallen, kritisiert aber, dass gegen Krimsteins „Biografismus“ Hannah Arendts Totalitarismus-Buch, ihre Anthropologie der „Vita activa“ und die Eichmann-Reportage zu nebensächlich behandelt werden. „Erstaunlich bleibt, dass der zugänglichste, auch illustrativ nächstliegende Teil ihres Denkens, nämlich die politische Philosophie der Freiheit, die dem Schauplatz Amerika so viel verdankt, kaum zur Anschauung kommt.“ Man darf nicht zu viel erwarten, man soll sich anregen lassen, sich weiter und genauer mit den beiden Aktiv-Frauen zu befassen.

„Leben und Denken sind ein und dasselbe.“ – „Was ist der Sinn des Lebens?“, wird Arendt in einer Episode von einer berühmten, sehr berühmten Person in der Graphic Novel gefragt. Krimstein lässt die Philosophin, die keine sein wollte, schlicht und präzise antworten: „Der Apfelstrudel im Romanischen.“ (Andreas Fanizadeh, taz) Nur den Ruf der Blaumeise wollte Rosa Luxemburg auf ihrem Grabstein haben: »Zwi – Zwi«.

Kate Evans: Rosa     2015       230 Seiten
Ken Krimstein: Die drei Leben der Hannah Arendt       2018       240 Seiten

der Freitag: Buch der Woche (mit vielen Materialien)

Hannah Arendt im Gespräch „Zur Person“ mit Günter Gaus (1964) – 1:12

Ken Krimstein zeichnet „Die drei Leben der Hannah Arendt“ – Live Draw – 0:30

 


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