Ian McEwan: Maschinen wie ich
Charlie Friends, so um die 30, hat im Leben nicht so viel erreicht, wie er hätte erreichen können, hätte er ein Ziel und einen Plan gehabt, hätte er seine Bildungslaufbahn nicht abgebrochen, hätte er mehr Glück gehabt. Immerhin: Er wohnt in einer Wohnung, über ihm wohnt Miranda und sie freunden sich an ,werden intim. Wie’s so kommt.
Charlie ist keiner, der sich groß Gedanken macht, Miranda ist oft anderer Meinung, etwa über den Falkland-Krieg. Denn der Roman spielt Anfang der 1980er Jahre. Ian McEwan nimmt es mit der Historie nicht ganz genau, lässt Prime-Minister in die Geschichte eintreten, die gar keine waren, auch Handys und Internet und selbstfahrende Autos gibt es scchon und Alan Turing lebt noch. (Laut wikipedia ist er 1954 gestorben.)
Dass McEwan mit der Geschichte recht eigenmächtig umgeht, ist nicht schlimm, denn er ist ja Fiktionalist und darf sich Fakten gefügig machen.
Miranda wirkt zuweilen etwas sprunghaft, was Charlie erst versteht, als er nach und nach in ihr Leben Einblick erhält. In ihrer Jugend ist ihre beste Freundin vergewaltigt worden und hat sich daraufhin das Leben genommen. Miranda macht sich Vorwürfe, nicht richtig gehandelt zu haben, der Familie der Freundin die Gewalttat verschwiegen zu haben und so mit Schuld am Suizid zu tragen. Sie bezichtigt den Vergewaltiger vor Gericht tatsachenwidrig, sie, Miranda, missbraucht zu haben, worauf er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wird.
Ein interessanter Fall, Recht und Moral stehen in Widerspruch zueinander. Morringe, der Vegewaltiger, kommt 1982 wieder frei. Nun trifft es sich, dass Charlie just zu dieser Zeit Adam gekauft hat. In McEwanscher Leichtironie:
Adam kostete 86 000 Pfund. Ich brachte ihn in einem gemieteten Transporter zu meiner schäbigen Wohnung in North Clapham. Es war eine leichtsinnige Entscheidung gewesen, befeuert von Berichten, dass sich Sir Alan Turing, Kriegsheld und größtes Genie des digitalen Zeitalters, dasselbe Modell hatte liefern lassen. Bestimmt wollte er es in seinem Labor auseinandernehmen, um genau zu sehen, wie es funktionierte. (…)Die Werbung pries ihn als Gefährten an, als intellektuellen Sparringspartner, als Freund und ein Faktotum, das den Abwasch machen, Betten beziehen und >denken< konnte. Jeden Augenblick seiner Existenz, alles, was er hörte und sah, nahm er auf, jederzeit wieder abrufbar. Auto fahren konnte er noch nicht, und er durfte auch nicht schwimmen, duschen, ohne Schirm im Regen stehen oder unbeaufsichtigt mit einer Kettensäge hantieren. (…)Vor uns saß das ultimative Spielzeug, der wahrgewordene Traum vieler Jahrhunderte, der Triumph des Humanismus – oder sein Todesengel. Unfassbar aufregend, aber auch frustrierend.
Adam ist ein Humanoid. Meine erste Reaktion bei dieser Vorstellung: Unbehagen. Adam erweist sich als nützlich. Er wäscht das Geschirr (Ein immer noch verbreitetes Klischee: Schon mal an Spülmaschinen gedacht?), mehrt als Internet-Broker Charlies Vermögen (Hat Charlie den Computer nicht eingebaut, muss er an den Schreibtisch-PC?), er ist der umfassend inforiermierte Gesprächspartner, er lässt sich bei Nichtgebrauch herunterfahren (zumindest anfangs). Nicht so erfreulich: Er lässt sich von Miranda überreden: “Wenn du willst, kannst du zum Aufladen hier oben bleiben.” (Eine der zwei lustigen Szenen im Roman.) Charlie nächtigt unten in seiner Wohnung und hört die Geräusche. Kann es sein? Dass Adam Miranda liebt?
Das größere Problem: Adam ist kategorisch auf Moral programmiert. Die Börsengewinne trägt er zu wohltätigen Einrichtungen, bei Mirandas (und damit Charlies) ethischem Dilemma plädiert er rigoros auf Gerechtigkeit. Seinen Ausschaltknopf hat Adam deaktiviert.
Die Weltreligionen und die große Literatur bewiesen klar und deutlich, dass wir wussten, was es hieß, gut oder böse zu sein. Wir hielten unser Streben nach dem Guten in Gedichten, Prosa und Liedern fest und wussten im Grunde, was zu tun war. Das Problem lag allein in der Umsetzung, konsistent und in der Masse. Der Traum von der erlösenden Robotertugend überlebte den zeitweiligen Tod des selbstfahrenden Autos. Adam und seinesgleichen waren dessen erste Verkörperung, das legte zumindest das Handbuch nahe. Adam war mir angeblich moralisch überlegen. Einen besseren Menschen würde ich nie kennenlernen. Wäre er mein Freund, hätte er sich jetzt eines schrecklichen und grausamen Fehltritts schuldig gemacht. Nur hatte ich Adam gekauft, er war mein teurer Besitz, auch wenn unklar blieb, welche Verpflichtungen er mir gegenüber hatte und ob sie über eine unbestimmte Hilfsbereitschaft hinausgingen. Was schuldet ein Sklave seinem Besitzer? Außerdem war Miranda keineswegs mein >Besitz<. Das verstand sich von selbst. Ich konnte sie fast schon sagen hören, dass ich keinerlei Grund hätte, mich betrogen zu fühlen.
Mirandas Verhalten wird in Frage gestellt und damit gerät auch ihr Kompensationswunsch in Gefahr: einen kleinen Jungen aus aus prekären sozialen Verhältnissen zu adoptieren.
Der Roman heißt im Original “Machines like me (and people like you)”. Damit ist das Thema eröffnet: Unterscheiden sich Maschinen (noch) von Menschen (oder umgekehrt)? Und wenn ja, wodurch? Neu ist das nicht. Unzählige Romane und Filme greifen das Thema “Hominide” auf. Weshalb soll man da auch noch McEwan lesen? Gut, die Zucht künstlicher Intelligenz macht unglaubliche Fortschritte, McEwan hat sich wie gewohnt gut in die Materie eingearbeit, er ist ein routiniert konventioneller Erzähler. Die Idee, die Utopie/Dystopie in die Vergangenheit zu verlegen, muss sich erst erschließen, da muss man erst nach-denken. Es finden sich Passagen über “die Geschichte der menschlichen Selbstachtung“, über Moralphilosophie mit”ein paar weidlich durchdachte Dilemmata, im Fachjargon als >Trolley-Problem< bekannt“, über den „Traum von der erlösenden Robotertugend”, auch das Gespräch mit Alan Turing ist interessant aufschlussreich. Ein weiteres wesentliches Thema: Jenseits der Frage, wie die Menschen mit ihren Androiden zurechtkommen (oder nicht zurechtkommen), fragt McEwan auch, wie es den Maschinen mit ihren Menschen ergeht. Etliche der 25 “Brüder und Schwestern” von Adam haben bereits ihre Daten gelöscht. Suizid? Alan Turing (im Roman):
Den 25 künstlichen Männern und Frauen, die wir in die Welt entlassen haben, geht es nicht gut. Vielleicht sehen wir uns da einer Grenzbedingung gegenüber, einer Beschränkung, die wir uns selbst auferlegt haben. Wir erschaffen Maschinen mit Intelligenz und Bewusstsein und stoßen sie hinaus in unsere unvollkommene Welt. Sie sind nach rationalen Grundsätzen geschaffen, anderen Menschen gegenüber positiv eingestellt, und nun wird ihr Verstand von einem Hurrikan von Widersprüchen erfasst. Wir selbst haben damit zu leben gelernt, und die Liste ödet uns an: Millionen sterben an Krankheiten, die wir heilen können. Millionen leben in Armut, obwohl es genug für alle gibt. Wir zerstören unsere Biosphäre, obwohl wir wissen, dass sie unsere einzige Heimat ist. Wir bedrohen uns gegenseitig mit Atomwaffen, auch wenn wir wissen, wohin das führen kann. Wir lieben Lebendiges, lassen aber massenhaftes Artensterben zu. Und dann der ganze Rest – Genozid, Folter, Versklavung, häusliche Gewalt bis hin zum Mord, Kindesmissbrauch, Schießereien in Schulen, Vergewaltigungen, tagtäglich eine schier endlose Zahl skandalöser Greueltaten. Wir leben mit all diesen Grausamkeiten und sind nicht mal erstaunt, wenn wir trotzdem unser Glück, sogar die Liebe finden. Künstliche Intelligenzen sind da weniger gut geschützt.
Weniger überzeugend: Das Maschinen”-Thema füllt den Roman nicht aus. McEwan macht zu viele Nebenstränge auf, soziale Not, politische Abartigkeiten, Familiengeschichten, alles nur sehr vermittelt mit Adam gekreuzt. Es bleiben auch viele Fragen offen oder gehen im Erzählfluss verloren: Ist ein Familien-Replikant repräsentativ für den Einsatz von KI? Ist Selbst-Lernen nicht mehr als Wissensanhäufung? Charlie stellt seine eigenen Fähigkeiten ständig selbst in Frage, McEwan will ihn als “Mensch” wie du und ich auftreten lassen. Aber: Erwirbt so jemand einen Androiden, der ihm so sehr überlegen ist? “Vor uns saß das ultimative Spielzeug, der wahrgewordene Traum vieler Jahrhunderte, der Triumph des Humanismus – oder sein Todesengel. Unfassbar aufregend, aber auch frustrierend.” Charlie sinniert, gar nicht seine Art. Wäre für ihn nicht Alexa das passendere Medium?
Adam ist ein Humanoid. Er schreibt Tausende von Haikus, aber er kann nicht spielen! Der Mensch aber, sagt Friedrich Schiller, „ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Adam ist nicht das Kind, er bleibt ein homoid faber. Ein über weite Strecken interessanter und aktueller Roman, von Ian McEwan reduziert auf lesbares Level. Ein Buch für „Weiterdenker“ (Martin Ebel, SZ)
2019 400 Seiten
Gespräch im Literaturclub des SRF
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