Nachrichten vom Höllenhund


Osborne
18. März 2020, 18:35
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Lawrence Osborne:
Welch schöne Tiere wir sind

osborneschoenetiereDie Bucht war so klein, dass das Meer davor im Vergleich zu dem eingeengten Strand eine weitwinklige Grenzenlosigkeit besaß. Unterdessen waren dort schon zwei Frauen angekommen und stiegen mit ihren Strandtaschen von dem Pfad herab; bei jeder Bewegung erzitterten ihre Strohhüte mit der besonnenen Behändigkeit von Käfern. (…) Das Mädchen war bemerkenswert zart, gertenschlank, seine Haare wie gesponnenes Gold, zu blass für diese Sonne, was seinen Augen einen noch wild entschlosseneren und begierigeren Ausdruck verlieh. Wenn das Licht auf sie fiel, erfüllte sie das unmenschliche Leuchten blauer Edelsteine.

Ja, das muss man erst mal schreiben, Strohhüte, die wie Käfer erzittern, Haare wie von Rumpelstilzchen gesponnen, und ein Mädchen, das das unmenschliche Leuchten blauer Edelsteine erfüllt. Eigentlich sollte das genügen, um das Buch auf Seite 15 zuzuklappen und in der Büchertelefonzelle zu entsorgen. (Halt, da sollte man ja wohl Bücher reinstellen, die man anderen Lesern zumuten möchte.)

Aber dann habe ich gehört oder gelesen, Osborne greife die Nausikaa-Sage auf, trage sie ins Heute. Hoher Anspruch also. Ich hab’ dann die alte Geschichte bei Gustav Schwab nachschlagen.

Nausikaa war die „jungfräuliche Tochter“ von Alkinoos, König der Phäaken. (…) Odysseus war auf der Rückfahrt von Troja auf der Inselangelandet und „hörte lustige Mädchenstimmen“: „Da bin ich doch wohl in der Nähe von gesitteten Menschenkindern.“ Nausikaa gefällt der Fremde, obwohl er noch ganz verschlammt ist, und sie nimmt ihn mit in ihren Palast. Und jetzt wieder zu Osborne. Naomi, Tochter reicher Engländer, verbringt ihe Sommerferien auf der griechischen Insel Hydra.

Zusammen mit ihrer amerikanischen Freundin Sam (der Gertenschlanken) machen sie einen „Küstenspaziergang“ und entdecken dabei „einen bärtigen, ungepflegten Mann, einen Geflüchteten aus Syrien“, wie sich herausstellt. Faroud.“ (Klappentext)

Etwas in Sam erstarrte, und ihr Instinkt übernahm die Führung. Sie berührte einen der Flecken. »Nur zwei Fle­cken? Es ist von weiter oben heruntergetropft.«
»Könnte sein«, sagte Naomi.
»Das muss von einem Menschen stammen. Vielleicht Wanderer?«
Menschen kamen auf Privatbooten her, so wie sie auch.
Doch Naomi war skeptisch.
»Wir haben kein Boot wegfahren sehen.«
»Dann müssen sie über die Berge gewandert sein.« »Nein.«
Sie standen auf und blickten sich um, sahen jedoch nichts. Zweifel regten sich in ihnen, aber sie schwiegen. Sie liefen einfach weiter und erklommen die nächste Anhöhe, bis sie auf Abhänge hinabschauten, die vor glän­zenden Disteln strotzten. Felsen wölbten sich schützend über das Wasser, Wellen schäumten einige Meter weit draußen auf den verborgenen Steinen. Anfangs war nichts zu sehen. Aber dort, mitten im Sonnenschein, lag eine Gestalt ausgestreckt in den Thymianbüschen, ein auf der Seite schlafender Mann, von Lumpen umgeben, eine Plas­tikflasche neben sich auf dem Boden.
Der Mann war halb nackt, nur mit einer Trainingshose und Zehensandalen bekleidet. Ein zerschlissener Pullover hing wie zum Trocknen auf einem wenige Meter entfern­ten Kaktus. Der Mann sah jung aus; er hatte lange Haare und einen ungestutzten, ungepflegten Bart. Ein erschöpf­ter Vagabund des Meeres. Naomi erkannte sofort, dass er kein Grieche war. (…)Man merkte, dass er aus dem Meer kam und nicht vom Hafen und dass sein Schlaf kein müßiger war. Plötzlich bewegte sich etwas am Himmel, und sie blickten auf Zwei riesige Vögel kreis­ten dort oben, flogen hin und her und schauten auf die drei Menschen hinunter, als gäbe es an ihrer Anordnung etwas zu entschlüsseln. Langsam ließen sie sich herab­sinken. Der Mann drehte sich ebenso langsam auf den Rücken, und sein Mund klappte auf Lange Striemen und Kratzer bedeckten seinen bloßen Oberkörper, seine Haut hatte sich dunkler gefärbt. Schritt für Schritt gingen Naomi und Sam zu der Felskante zurück, von der sie gekommen waren, und vermieden es, auf den kleinsten Stein zu treten.
»Er stirbt nicht«, sagte Naomi. »Er schläft nur. Er wurde vom Meer angespült.«
Sam fragte sich laut, ob sie dennoch wieder zurückge­hen und mit ihm sprechen sollten. Jetzt kam es ihr doch feige vor, sich einfach davonzumachen, ohne irgendetwas zu tun, ohne mit ihm in Kontakt zu treten.
»In Kontakt treten?« Naomi lächelte.
»So habe ich das nicht gemeint. Ich meinte … einfach nur runtergehen und schauen, wer er ist. Er hat geblutet.«
»Heute nicht. Ein andermal.«

Ja, so reagieren gelangweilte Gören, wenn sie einen halbnackten Mann am Strand sehen, einen Mann, der blutet, der sich nicht mehr selbst helfen kann. “Gesittete Menschenkinder“. „Naomi machte ein Handzeichen, und sie gingen den Weg zurück, auf dem sie gekommen waren. (…) Zwischen ihnen breitete sich eine lange Stille aus.” Dann machen sie, was ihren Ferienaufenthalt bestimmt: “Bald ver­schlug es Naomi und Sam auf eine dieser Partys, als wäre es das Normalste der Welt.” “Naomi nahm den kleinen Ouzo, der ihr als Schlummertrunk angeboten wurde.“ Dann „leerten an einem Tisch an der Straße gierig eine Karaffe Moschofilero“. „So hob sich ihre Stimmung nach und nach (…). Naomi gab ihr eine kurze Einführung in diese weniger bekannte griechische Spirituose: Es gebe Tsipouro mit und ohne Anisgeschmack. Es gebe Tsililis und Kosteas, Idoniko ohne und Babatzim mit Anis. Im Gegensatz zu Ouzo werde Tsipouro aus Trauben gewon­nen, man schmecke den Trester heraus. Der Anis hier sei fruchtig, und Naomi brachte ihr das Wort dafür bei: glykaniso. Die alkoholische Wirkung von Tsipouro war jeden­falls konkurrenzlos – er zwang Verstand und Geist aus­einander. Sie vergaßen den Araber auf der anderen Seite der Insel und redeten stattdessen über anstehende Partys. (…) Naomi kippte den Ouzo hinunter, drängte die Tränen zurück, die aus ihren Augen hervorzubrechen drohten, und hielt sich aufrecht, bis es Zeit für einen zweiten Schnaps war. Ihre Stiefmutter protestierte kurz, aber Vater und Tochter nahmen ihn dennoch, und zwischen ihnen stellte sich ein Moment der Versöhnung ein. Im Laufe der Jahre hatte sie herausgefunden, dass die besten Momente mit ihrem Vater die waren, in denen sie gemeinsam Ouzo tranken. Dieses zweischneidige Getränk, das keinen bestimmten Geschmack zu haben schien, war ihre dunkle Waffenruhe, ihre einvernehmliche Anonymität.“ (…) »Birds on the wire«, sang Naomi dann immer vor sich hin und dachte an den Song von Leonard Cohen. (…) “Dann tranken sie noch drei Runden Ouzo.” (Im Original war es nur ein Vogel auf dem Draht. Zu viel Ouzo?)

Leonard Cohen soll auf Hydra einen Song auf seine Freundin Marianne Ihlen geschrieben haben. Bei John Osbornes Roman bin ich dann auf Seite 50 angekommen und habe beschlossen, das Buch nicht in den öffentlichen Bücherschrank zu stellen, sondern es gleich zum Recyclen zu geben. Das ist wikipedia-getränkte Kolportage. Stilistisch grausam. “Die schim­mernde Reinheit des Himmels, ganz frei von Wolken und Verunreinigungen, gab ihnen ein Gefühl der Sicherheit. (…) Ihre Haut genoss die unge­zähmte Wildheit der Sonne.” (…) “Nach und nach fiel die Beunruhigung von dem engli­schen Mädchen ab .” (…)”Wo das flache Wasser plötzlich tiefer wurde, zeichneten sich unregelmäßige Formen aus schwarzem Opal wie die Umrisse regloser Haie ab, und weiter draußen schimmerten dunkelgrüne Massen, die eine brütende Energie suggerierten, welche den oberen Luftschichten immer vorenthalten sein würde. Ein Malariaanfall, dachte Sam, ohne zu wissen, weshalb. Ein malariahafter Traum aus Schwämmen und überschwemmten Felsen.“ Alles wie aus dem Lehrbuch für Kitsch und bemüht verbogene Sprachbilder. Fassade vor gähnender Leere. Meisterwerk, lese ich in den Kritiken, brillant. Lassen sich alle von Mythen und blauen Gestaden blenden? An der Übersetzung von Stefan Kleiner kann es nicht liegen, denn die soll „subtil“ sein (Peter Henning, Deutschlandfunk)

Osborne sei ein „literarischer Ästhet durch und durch“ und „so erweist sich „Welch schöne Tiere wir sind“ am Ende als makellose, vom ersten Moment an mitreißende dunkle Passions- und Kriminalgeschichte, die statt Hoffnung glänzende Leere demonstriert.“ (Henning). Liegt vielleicht hier mein Miss- und Unverständnis. „Glänzende Leere“ kann man behaupten, kann man auch parodieren, doch verbleicht der Glanz der Oberfläche mit stetiger Wiederholung. (Das ist ähnlich wie bei der Darstellung von Langeweile.)

Dadurch, dass ich das Lesen abgebrochen habe, entgeht mir die „alttestamentarischeWucht“ (Henning), die in den Gören-Ennui einbricht: Naomi bietet Faoud fünfzehntausend Euro dafür an, dass er in die Villa ihrer Eltern einbricht. Doch Foaud wird bei dem Einbruch überrascht und tötet Naomis Eltern. Das „Schicksal“ lässt sich nicht blenden. Der Leser schon.

2017               335 Seiten

5

 


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