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John Burnside: Über Liebe und Magie
(I Put A Spell On You)
John Bunside sucht in seinem Text sein verlorenes Ich. Er traut diesem nicht, er traut seiner Wahrnehmung nicht, er will sich screenen. Was hat ihn so werden lassen, was hat seinen Lebensweg, seine Gedanken derart verschlungen. Er legt sich Deutungen zurecht: die (niedere) soziale Herkunft, die Prägung durch dieEltern, das Geschlecht, die Erwartungen der Umgebenden, die Unwägbarkeiten und Zufälle. Die Erzählungen sind immer von Reflexionen begleitet und durchsetzt. Unsichere, rücksichtslose Grabungen in der eigenen Geschichtlichkeit auch wenn die Gefahr des Absturzes vor Augen steht. Das Verschrobene („thrawn“) in „The Dark End of the Street”.
Hat mich mein Vater zu einem Mann gemacht, trat meine Mutter dem entgegen, indem sie mir beibrachte, ein Mensch zu sein und ein Künstler nach meiner Fasson zu werden, so wie sie nach ihrer lebte. Nichts ist vollkommen, sagt sie, und wenn der Geist meines Vaters gegen diese Unvollkommenheit wütet, beruhigt mich der ihre mit der Versicherung, was vorhanden sei genüge oder könne doch genügen, und ich versuche, so gut ich es vermag, ihr zu glauben. Gleichwohl gibt es noch eine andere Seite, die angesprochen werden muss. Jede Tugend kann im Extrem zu einer Untugend werden, und während meiner Teenagerjahre konnte die Bereitwilligkeit meiner Mutter, sich mit dem Gegebenen abzufinden, mich in endloses Staunen versetzen. Das war keine Resignation, kein schlichter Defätismus, sie schaffte es wirklich, sich einzureden, irgendeine unsichtbare Gerechtigkeit sei am Werk, wenn andere Leute all das Gute im Leben abbekamen und ihr nur der Bodensatz blieb. Für uns Übrige waren die Reichen und Mächtigen Betrüger: Am richtigen Ort mit den richtigen Eltern und zur richtigen Zeit geboren, wandelten sie unter uns als privilegierte, selbstbewusste, schimmernde Wesen, so hoch funktionell wie imposante Maschinen, deren einzige Aufgabe darin bestand, an dem festzuhalten, was sie hatten, indem sie dafür sorgten, dass niemand sonst etwas davon abbekam. Wir, die Unglücklichen, fanden das verwirrend, verstanden Unglück aber instinktiv. Uns schien es logisch, dass Schlimmes geschah, und auch wenn wir es selten kommen sahen, begriffen wir hinterher doch, wie unvermeidlich es gewesen war. Nur plante meine Mutter, dass es mir einmal anders ergehen sollte. Ich würde der Sohn sein, der Glück hatte. Der Clevere. Das ganze Narrativ lag ausgearbeitet vor ihr: ein Katalog von Preisen und Errungenschaften, anerkannter Beruf, eine nette Katholikin zur Frau. Für den weiteren Lebensweg sah sie ein großes Haus mit vielen Kindern und eigenem Wagen voraus – und stammte man aus den Gegenden, die sie kannte, waren das gute, ehrliche Bestrebungen.
Nicht immer wirkt die (Selbst-)Analyse stringent, manches sind einfach Lesarten, aber Burnside kommts aufs Suchen an, er will subjektiv bleiben. Da bleibt es natürlich nicht aus, dass man mehrere Fäden gleichzeitig verfolgt, die Erinnerung macht Sprünge. Vieles ist nicht mehr als privat, manches evoziert im Leser eigene Verschüttungen. „Ich folge ihm beim Nachdenken über sein Dasein und dadurch komme ich zum Nachdenken über mein eigenes Dasein.“ (Matthias Brandt, Das Literarische Quartett)
Interessant, aber kaum zu verallgemeinern: Burnsides Begründungen seiner, des Mannes, Beziehungsunfähigkeit, seiner Bindungsangst. Er erzählt das an einigen Beispielen, Annie, Christina (die aussah wie Lena Meyer-Landrut!), stets folgt der Rückzug, die Einigelung. Die Angst davor, dass die Magie verloren geht, wenn man die Phantasie realisiert.
Das Mannsein ist es, was der Junge beim Heranwachsen und Sichanpassen zu meiden sucht, bloß weiß er nicht, wie das gehen soll, kann nur weiterhin hoffen, ein Junge zu bleiben. Und immer weiterzuziehen, sobald aus Liebe was Ernstes wird. Den gefürchteten Moment aufschieben, da die Zeit kommt, sich niederzulassen und ein Bankkonto zu eröffnen, auf das man Jahr für Jahr etwas einzahlt, bis man genug gespart hat, um für ein Haus anzuzahlen, das genau wie all die anderen schlampig gebauten Häuser in der Siedlung aussieht. Über die Texte der im Radio oder bei Top of the Tops gespielten Disco-Love Songs zu lachen. Wie würde wahrer Erfolg für einen Jungen aussehen, der beschließt, nicht zu einem dieser Männer zu werden, sondern im eigenen Tempo zu jenem Geschöpf heranzuwachsen, zu dem er werden könnte, wäre über seine Zukunft nicht bereits vor Jahren entschieden worden? Die Antwort des Jungen ist eine verzweifelte Antwort, ein Leitfaden für Anfänger, der ihm zeigt, wie man sich an Strohhalme klammert, mehr hat er nicht, und die meisten Strohhalme können ihm nur raten, sich weiter zu verweigern. Sein einziger Sieg ist ein Pyrrhussieg, ein nur halb vorstellbarer Sieg, der darin besteht loszulassen und weiterzuziehen, so lange er noch kann, auf so anständige Weise wie irgend möglich, um das Prickeln bei der ersten Begegnung und die dunkle Lust am Abschied, die das Herz rührt, zu erhalten; keine Götter im Himmel, keine Possen, kein Liebeslied schöner als jenes Drama, das ein Bleiben nicht bieten kann, jene exquisite, unvermeidliche Bestätigung jedes Mal, wenn wir jemanden verlassen.
Das mag ein bisschen plump klingen, trotzdem glaube ich, dass es wiedergibt, wie meine Generation, wie diese Klasse von Jungen damals gedacht und sich verhalten hat, ein einziges, entscheidendes Detail allerdings ausgenommen, die Frage nämlich: was wir glaubten oder fühlten, wenn wir allein waren. Ich will nicht behaupten, dass dies für jeden galt, doch weiß ich, dass in meinem Fall der Drang, Sex zu haben und dann weiterzuziehen, auf jene Furcht zurückging, die wahrscheinlich auch von manch einem meiner Klassenkameraden geteilt wurde: die Furcht weniger vor dem System als vor meinem eigenen männlichen, zutiefst romantischen Wesen.
Gegen die Eltern kann man sich nicht wehren – oder erst, wenn es bereits zu spät ist. Gegen Normen und Konventionen kann man andenken und –kämpfen, der Erfolg hängt nicht nur von einem selbst ab. Man ist nie allein, und wenn doch, dann schlägt auch das zu. Burnsides Analyse klingt zuweilen nicht nur plump, sie ist sozial unterfütterte Pubertätspsychologie, durchaus komplex, deshalb auch umso lieber für bar genommen. Burnside spielt mit Mythen, konstruiert auch selbst welche. Die Kapitel des Buches sind überschrieben mit Songtiteln. Songs, die das Leben – vor allem in seinem Heranwachsen – begleitet haben und die zu Erinnerungsmarken geworden sind. “I Put A Spell On You”, in der Fassung vonNina Simone, verbindet sich mit einem verregneten Samstagnachmittag: “Ich hatte den Song nie zuvor gehört, weshalb ich annahm, es sei die Originalversion, und dieser magische, wenn auch ein wenig traurige Nachmittag blieb mir jahrelang im Kopf, zusammen mit den Schnappschüssen von meiner Mutter und Madeleine im Pittencrieff Park, dazu der Klang von Janice Nicolls‘ Stimme, die auf Thank YourLucky Stars sagt: »Ich vergebe fünf Punkte«; Stränge im Webtuch meines Ichs.“ Das später entdeckte Original von Screamin’ Jay Hawkins steht für das Wilde, “sein einzigartiges, perverses Talent war es zu wissen, wie er es angehen musste, sich aber nicht dazu überwinden zu können, jene Art geschmackvoller Kunstfertigkeit darzubieten, die es auch einem weißen Normalverbraucherpublikum erlaubt hätte, ihn zu verehren.
Ich weiß, für manche mag es verstiegen klingen, Screamin’Jay ein Genie zu nennen, doch habe ich mir sein Werk oft und lange angehört und halte »Genie« für keine bloße Übertreibung. Er besaß jene besondere Spielart der Macht, jene düstere, negative glamourie, die auch noch gegen Ende, als er zu oft auf eine bloße Karikatur seiner selbst reduziert wurde, nie vollends kaschiert werden konnte„“
Der Bezug der Songs bzw. ihrer Titel zu den Gedanken erschließt sich mir nicht immer, entspringt wohl auch oft der Privatmythologie Burnsides. Daran kann man sich stören, man kann es aber auch überlesen. Zwischen die Erzählungen sind „Abscheifungen“ eingeschaltet, etwa über „Narzissmus“, über das „Verlorene-Mädchen-Sxndrom“, über „Mordsballaden“ (interessant).
Eine recht gewundene Reise durch die verschlungene, abgründige Psyche des Autors – einschließlich persönlicher Bekenntnisse. Das wirkt manchmal schon auch prätentiös, der Weg von der Selbstehrlichkeit zur Selbstherrlichkeit ist nicht so weit. Zunehmend geraten Burnside die Richtungen und Ziele aus den Augen. Kein einfaches Buch. Matthias Brandt hat recht, wenn er das Buch als „ergreifend“ bezeichnet, man muss sich aber auch auf Burnsides Verschlingungen einlassen wollen.
2014 280 Seiten
John Burnside: Über Liebe, Magie und den Fluch des Brexits | ttt
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