Nachrichten vom Höllenhund


Haas
28. April 2020, 17:10
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Wolf Haas: Junger Mann

haasjungermann„Er ist ein bisschen zu dick und ein bisschen zu jung für sie.“ So steht es in großen Buchstaben im Umschlag des Covers. Und „sie ist ein bisschen zu schön und ein bisschen zu verheiratet für ihn“.

Der „Tschick“ heißt hier Tscho und ist der Mann von der Elsa und der Erzähler ist 13+, arbeitet in den Schulferien in einer Tankstelle, ist groß für sein Alter, empfindet sich aber als zu fett und will deshalb abnehmen. Was natürlich auch mit der Elsa zu tun hat. Der Erzähler wird einmal, später, mit „Herr Haas“ angeredet. Siebzigerjahre, da war alles noch ein bisschen anders, deshalb können auch ältere Leser das Buch gut lesen, vielleicht eher noch als jüngere, eher auch als weibliche. „Rückwärts durch die Knie betrachtet war die Welt immer am interessantesten.“

Die Fast-Versuche ziehen sich durch das ganze Buch und landen als Waagen-Abbildung auch auf dem Cover. Der Tscho ist kein Intellektueller, sondern ein Schrauber und Fahrer. Er fährt einen Scania-Truck (vielleicht) bis nach Teheran, sicher aber bis Griechenland, um dort (vielleicht) Kühlschränke auszuliefern. Obwohl der Tscho auch ein Schweiger ist, nimmt er unter einem Vorwand auf eine dieser Fahrten auch den jungen Haas mit. Eine Road-Novel mit allen Zutaten, der junge Haaas macht allerlei Erfahrungen. Auch unterwegs bemüht er sich, nichts zu essen, trotz der besten Spaghetti in Triest, der Ražnjići in der Nähe von Novi Sad und überhaupt. Es ist schon was Eigenes, neben dem Tscho zu sitzen und ständig an dessen Frau zu denken. Vor allem, wenn der Tscho ständig auf seine Frau zu sprechen kommt und dabei Andeutungen macht, die einen aufwühlen, was man sich aber nicht anmerken lassen will. Und mann darf sich auch nicht heraushängen lassen, dass man auf eine „Pfaffenschule“ (Tscho) geht und so manches weiß und deshalb bald Matura macht. Der junge Haas ist überall auf fremdem Terrain, auch, weil er ja noch so jung ist. Der Leser weiß mehr und amüsiert sich. Der Tscho hat eine Marotte angenommen, um die sprachliche Überlegenheit des Mitfahrers einzuhegen: Er wiederholt dessen Worte. „»Neindanke – Jabitte! Du bist richtig gut erzogen, ha?« Als Antwort darauf bemühte ich mich, den Kaffee mög­lichst laut zu schlürfen. »Und?«, fragte der Tscho. »Hab ich gut gekocht?« »Nicht zum Saufen«, sagte ich. »Nicht zum Saufen, sagt er.« Immer ein Wort mehr, was soll man da machen. Ein weiterer Driving Gag.

Als sich eine Baustelle in den Weg stellte, konzentrierte ich mich doppelt. Das waren immer die Sachen, wo man einen Fehler machte. Überraschende Hindernisse. Einmal nach links, prägte ich mir ein. Das war beim Zurückgehen dann nach rechts. Die Baustelle war aber ein Glück. Sonst hätte ich die Gasse mit dem Fischmarkt nicht entdeckt. Außer im Fernsehen hatte ich noch nie einen Fischmarkt gesehen. Wie auf einem Jahrmarkt reihte sich ein Fischhändler an den anderen. Sie schrien herum, über die Gasse hinweg, schauten aber nicht böse. Es klang, als würden sie streiten, aber sie lachten dabei. Die Fische schauten böse. Sie meinten es aber nicht persönlich. Ich konnte ja nichts dafür, dass sie tot waren. Zumindest konnte ich nichts dafür, dass sie so wenig Kalorien hatten. Aber eines hätte ich mir nie gedacht. Wie riesig ein Thunfisch außerhalb der Dose war. Sardinen waren so groß wie immer. Bisher hatte ich in echt eigentlich nur Forellen gesehen. Mir fiel ein, wie ein Fischer einmal an unserem Haus vorbeigekommen ist und meiner Mutter eine Bachforelle geschenkt hat. Das war wahnsinnig nett von dem. Wir waren dann aber nicht sicher, ob sie wirklich tot war, obwohl wir wussten, wie man einen Fisch umbringt. Wir hatten ihr die Zunge schon zweimal hineingedrückt. Zuerst meine Mutter, dann ich. Aber weil der Schwanz in der Pfanne zuckte, haben wir sie mit gemischten Gefühlen gegessen.

Die Elsa. „Ich brauchte mehrere Sekunden, um zu begreifen, dass es der schönste Name der Welt war, noch vor Gabi und Petra.“ »Das ist ganz eine Süße, die sich der Tscho da geangelt hat. Ganz eine liebe Maus.«, sagte der Chef. »Der Chef war in Ordnung. « Das hilft dem jungen Haas aber auch nicht weiter, denn die Elsa ist nicht raffiniert, sondern unbefangen. Dass der junge Haas diesen Unterschied nicht gneißt und nicht einordnen kann, macht den Reiz dieser Geschichte aus. Und natürlich die leichte, lockere in Österreich erprobte Schreibweise, die Mischung aus Schmäh und Sentiment, das stilistische Überfliegen der lebenswirklichen Profanität.

Sie rückte erst damit heraus, als wir schon wieder im Auto unterwegs waren. Wahrscheinlich fiel es ihr leichter, wenn sie mich dabei nicht anschauen musste.
»Du wirst mich bestimmt auslachen. Aber ich möchte gern Englisch lernen.«
Nur gut, dass sie es nicht im Café gesagt hat. Womöglich hätte ich vor Enttäuschung die Eisbecher vom Tisch ge­wischt. Und nachher hätte ich mich entschuldigt. Im Auto konnte meine Enttäuschung nicht viel anrichten. Außer, dass sie mir das Antworten unmöglich machte. Sogar das verlegene Lachen klang verdächtig nach Kloß im Hals.
»Siehst du, jetzt lachst du doch«, protestierte die Elsa.
»Aber ich lach dich nicht aus.«
»Wieso lachst dann?«
»Weil da doch nichts dabei ist. Wieso traust dich das nicht sagen? Da brauchst du doch nicht so ein Geheimnis draus machen.«
»Was hast denn du geglaubt, was ich dich frage?« »Keine Ahnung.«
Bei jedem einzelnen Wort war ich froh, dass ich es her­ausbrachte.
»Du denkst dir, dass ich zu dumm bin für Englisch, oder?
Weil ich nicht in der Hauptschule war.« »Geh! Das lernst du leicht.« »Glaubst wirklich?« »Sicher.«
Statt auf den Verkehr zu achten, schaute sie jetzt mich an: »Wenn du mir manchmal ein bisschen beibringst. Ich könnte mir jeden Tag ein Wort merken.« (…)
Ich war zwar enttäuscht, aber ich schöpfte schon wieder Hoffnung. Immerhin hatte ich so Grund, regelmäßig bei ihr vorbeizuschauen. Und womöglich war es ja auch von ihr nur ein Vorwand. Sie wollte gar nicht Englisch lernen, sondern mich öfter sehen. Vielleicht war sie genauso feig wie ich und hat es sich in letzter Sekunde doch nicht zu sagen getraut und das Englischlernen vorgeschoben.
»Ich möchte nämlich die Krankenschwesternschule ma­chen«, erklärte sie mir. »Aber ich hab keinen Hauptschul­abschluss. Den muss ich vorher nachmachen.«
»Das schaffst du leicht.«
Vielleicht war ja auch die Krankenschwesternschule nur ein Vorwand. Unmöglich war es jedenfalls nicht.

Wolf Haas erzählt wie beiläufig, knapp und präzise und so liest man den kleinen Roman schnell und gerne und vergisst ihn wohl auch bald wieder. Ddie Personen haben ihre jeweiligen Defizite, sie passen gar nicht zueinander, aber sie sind doch alle “ganz in Ordnung”. Liab.

2018                240 Seiten

Gespräch im Literaturclub des SRF

der Freitag – Buch der Woche

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