Dominik Barta: Vom Land
„Ich schreibe, seit ich ein Kind bin oder zumindest ein Schüler.“ Das ist löblich für einen Zwölfjährigen, doch leider hat sich Dominik Barta in seinem Schreibvermögen nicht merklich weiterentwickelt. Holzschnittartig im Stil und weitgehend hechelnd parataktisch bis zur Monotonie im Satzbau baut Barta seine Bilder, unter den Wörtern findet selbst die Texterkennung kaum ein unbekanntes – was sonst selten vorkommt.
An den Bäumen hingen dicke Tropfen. Auf dem Vorplatz neben den Garagen standen Lachen. Die Wiese vor dem Haus funkelte in der Dunkelheit. Theresa atmete tief ein. Wasser schoss ihr in die Augen. Die Feuchtigkeit der Luft reizte ihre Nasenflügel. Der Geruch nasser Erde weckte Erinnerungen. Sie bog um die Ecke und ging zum Teich. Die glatte Oberfläche spiegelte den unruhigen Himmel. Theresa wollte über das ganze Tal sehen und stieg den Hügel hinauf. Die Holzpatschen sanken im weichen Boden ein. Der Morast heftete sich schwer an die Sohlen. Auf der Anhöhe setzte sie sich auf das Bänkchen und sog die Luft ein. Die Nacht war nicht kalt. Nur Feuchtigkeit streifte ihre Wangen. Vom Wiedererwachen ihrer Sinne überwältigt, begann Theresa zu weinen. Sie ließ den Tränen freien Lauf.
„An den Feldrainen gedieh roter Klatschmohn.” Natur und Emotionen, „Barta skizziert dieses Soziotop in so groben Zügen, dass man nicht sagen kann, ob die Erzählung mit Fleiß oder versehentlich ungelenk geraten ist.“ (Marie Schmidt, SZ) Mit Fleiß? So nehmen die Dorfbewohner die Natur wahr, erleben wäre hier der falsche Ausdruck, so karg, so ungeübt wie die sprachlichen Mittel sind auch die Gefühle. Und wenn die Gefühle dennoch übermächtig werden, wird man krank. So wie Theresa. „Dass Theresa Weichselbaum sich im sechzigsten Lebensjahr erschossen hatte, während ihr Gatte mit einem Araber aufs Feld hinausgefahren war – diese Koinzidenz schrie danach, interpretiert zu werden.” Das ist kein Satz aus dem Gerede des Dorfes, das ist die Analyse des in die Stadt Geflohenen. Barta mischt die Erzählstimmen, dass nur nach und nach und bis zum Schluss nicht ganz klar wird, wer gerade erzählt oder spricht. Der Außenstehende sieht immer klarer, hat auch die Kategorien der Beschreibung bereit. Manchmal wird da Du direkt an den Hörer oder Leser gerichtet.
Wie in allen Dörfern, regierte in erster Linie die Angst vor den Nachbarn. Was würden die Nachbarn denken? Was würden sie sagen? Ich bewunderte sie. Theresa schien gewappnet.(…)
Für uns Araber ist jeder Onkel, jede Tante, jeder Cousin, jede Cousine sehr wichtig, auch wenn es manchmal schwierig ist, mit allen auszukommen! Aber wo wären wir ohne Familie?«
Daniel wollte, dass Toti keine Schuld empfand. Er war sich seiner Sache sicher: »Aber bei uns ist es umgekehrt. Aus der Familie kommen alle Probleme und nur aus der Familie.«
Das sind gültige Sätze, für früher wie, und das betont Barta, auch für heute. In diesen Strukturen gärt das Dorfleben vor sich hin, man kommt ihm nicht aus. Wer’s nicht aushält oder den Normativen nicht genügt, muss weg, in die Stadt oder er oder sie muss zumindest eine Auszeit nehmen, kurz fliehen. Da der Roman 2020 erschien, hat Barta auch die Katalysatoren, die die latenten Verwerfungen zum Ausbruch bringen: die Flüchtlinge. Auch das Dorf zeigt seine Risse.
Der Pater Heinrich gehört eingesperrt. Was der sich an dem einen Wochenende geleistet hat, das hält man nicht für möglich. Die Kirche verhöhnt ihre eigene Heimat. Hat sich dieser Idiot jemals überlegt, was er uns schuldig ist? Vor vier Jahren hat meine Bank die komplette Renovierung des Deckenfreskos in der Basilika übernommen. Dabei schwimmt der Orden im Geld, das weiß jeder. Als Dank setzt er uns zwanzig Islamisten nach St. Marien?
(…) Verstehst du nicht? Diese Halbaffen kämpfen nicht. Sie arbeiten nichts. Sie behandeln ihre Frauen wie Dreck. Bei jedem Furz fuchteln sie mit dem Koran. Sie handeln mit Drogen. Sie stechen Autoreifen auf. Sie beschmieren Wände. Aber nein! Bestraft werden wir! Man selbst wird zur Sau gemacht, weil man sich die Einhaltung der Gesetze erbittet. Diese Null von einem Inspektor hat mich beschimpft! Die Welt ist verrückt geworden. Anders lässt sich das nicht ausdrücken. (…) Max fügt sich eben nicht in deine romantisch-literarische Welt. Ihr redet immer von Toleranz. Aber einem liberalen Pielitzer, der Unmengen an Steuern zahlt und nichts anderes möchte als seine Ruhe – dem bringt ihr wenig Verständnis entgegen. Max sehnt sich nach Ruhe. Er ist der friedliebendste Typ, den ich kenne. Das ist die Wahrheit. Du müsstest sehen, wie liebevoll er mit dem Hund umspringt. Sein Rex und er – das ist wirklich ein Bild für Götter!
Barta hat aber auch das Gegenbild: Daniel, der 16-jährige Enkel der Theresa nimmt sich den gleichaltrigen Syrer Toti zum Freund. Mit ihm baut er sich ein Refugium auf den Bäumen im Wald, Daniels Großvater Erwin schließt Toti ins Herz, weil er ihm eine zuverlässige Hilfe auf dem Hof wird. Flüchtlinge, Fremdenfeindlichkeit, Sprachlosigkeit, rechter Zusammenhalt, Dominik Barta schüttet das alles in seinen österreichischen Dorftopf, ohne groß umzurühren, ohne erkennbar zu ordnen. Dennoch gibt die Mischung einen doppelten Showdown: Staatsmacht contra Persönlichkeitsrecht, Individuum gegen patriarchale Dorfgemeinschaft. Hier stört auch das Satzstakkato kaum mehr, hier passt der Hauptsatzstil. Dennoch wirkt dieser Dorfroman bekannt, seine Zutaten sind geläufig und werden in den letzten Jahren gerne verwendet. Dominik Barta pointiert nicht präziser, hat keine neuen Muster, meidet nicht das Klischee.
“Dieser Text durchbricht die Kälte unserer Zeit und legt offen, was wir in unserem Innersten sind: vom Leben, in das wir ungefragt geworfen wurden, zutiefst versehrte Wesen.“ Katja Gasser vom ORF verfällt der Jugendlichkeit des Autors. „Wenn das Zwischenmenschliche politisch wird – Dominik Barta legt ein beeindruckendes Debüt vor.“ meint Imogena Doderer in der 3sat-Kulturzeit. Viele Kritiker sind euphorisiert und verbauen damit dem bei seinem Debüt doch schon 38-jährigem Barta den Weg zur Verfeinerung.
„Theresa rang nach Luft. Es ging nicht mehr.“
2020 265 Seiten
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