Sally Rooney:
Gespräche mit Freunden
„Wer in den 379 Seiten von „Gespräche mit Freunden“ nach den Markern eines neuen Lebensgefühls sucht, wird sie finden.“ (Hannah Pilarczyk, SPIEGEL) –
Nun, Sally Rooneys „Marker“ sind Zeichen für jene, die Sally Rooney markiert: liberal verunsicherte Jungmenschen, deren Perspektive die Zeit ist, in der sie leben. Die Bezugspunkte ergeben sich aus sich selbst und kreisen umeinander, die Verweise spiegeln sich. Wobei die Selbstvergewisserung in der Beschreibung besteht. Was ist, das ist – halt – so. Frances und Bobbi machen ein bisschen Stage-Poetry, wofür man geliked wird, weil und wenn man es macht. Frances und Bobbi beschäftigen sich – mit sich selbst und mit Freunden, mit denen sie sprechen. Die Freunde leben in der Künstlerwelt, Melissa ist Kulturjournalistin, Nick Schauspieler. Die Gesellschaft aber ist differenzierter, auch in ihren Lebensgefühlen. Sally Rooney muss das nicht merken und markieren.Worüber man spricht, ist austauschbar. Der Inhalt ist das Gespräch selbst.
Nein, muss ich nicht, sagte er.
Demnach ist Melissa neuerdings ziemlich tolerant, sagte jemand anders.
Der Titel sagt das knapp und präzise. Allerdings werden einem Sachen oft fremd, wenn man über sie spricht, man gerät ins Stocken, das Sprechen muss inszeniert werden. Der/die Angesprochene ist auf dem gleichen Level, er/sie lässt sich nichts vormachen. Kommunikative Aporien.
Ich lachte viel zu laut über diese Bemerkung und hörte abrupt auf, als mir klar wurde, dass daran nichts lustig war. Ein leichter, kühler Regen strich über den Schirm, und ich versuchte, mir eine interessante Bemerkung über das Wetter einfallen zu lassen.
Er ist sehr attraktiv, hörte ich mich sagen.
Auf fast schon abstoßende Weise.
Das Leben steht ständig unter dem Druck der Selbststilisierung, der Vortäuschung, der Selbsttäuschung.
Ich sagte, ich hätte gern ein Glas Gin, während mich alle auf eine friedliche, bekiffte Art ansahen. Außer Nick waren dort noch zwei Frauen und zwei Männer. Die Frauen sahen sich nicht an. Ich senkte den Blick auf meine eigenen Fingernägel, um mich zu versichern, dass sie sauber waren. (…)
Ich schluckte. Ich sagte: Ich muss los. Dann verließ ich die Waschküche, kniff mir in die Unterlippe und versuchte, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen.
Im Wintergarten saß Bobbi auf einer Fensterbank und unterhielt sich mit Melissa. Sie winkte mir zu, und ich fühlte mich verpflichtet, zu ihnen zu gehen, obwohl ich nicht wollte. Sie aßen kleine, glatte Kuchenstücke mit zwei dünnen Streifen aus Sahne und Marmelade, die wie Zahnpasta aussahen. Bobbi aß mit den Fingern, Melissa hatte eine Gabel. Ich lächelte und berührte wieder zwanghaft meine Lippen. Obwohl ich im selben Moment wusste, dass es eine schlechte Idee war, konnte ich es nicht bleiben lassen.
Und die Gefühle?
Ich legte mich angezogen aufs Bett und fragte mich, ob ich etwas Bestimmtes fühlen würde, so etwas wie Trauer oder Reue. Stattdessen überkamen mich eine Menge Gefühle, die ich nicht näher zuordnen konnte.
Eine Auflösung der Blockaden läge in der Ironie. Frances müht sich, gerade in dem problematischsten Gespräch, dem Sex-Talk. #MeToo hat die Kommunikationshemmnisse ausgefächert. Bei Sally Rooney liest sich das so: „Ich berührte seine Gürtelschnalle und sagte: Wir können miteinander schlafen, wenn du willst, aber du musst wissen, dass ich das nur ironisch tue.” – Lebensgefühl: krampfig. Arme junge Menschen. Der “Netzjargon” bietet etliche Alternativen, indem er die Konnotationen standardisiert (und rubbeldiekatz anpasst): von Emoticons über Akronyme zu Sternchen. Die Verständigung wird damit im Gelingensfall konzis und punktgenau. Sally Rooney braucht 380 Seiten!
Und damit zum Hauptproblem des Romans. Wie lassen sich 380 Seiten mit einem Inhalt füllen, der ja gerade darin besteht, keiner zu sein. “Marker” sollten anzeigen, kenntlich machen, aber nicht nachbilden. Im besseren Fall könnte auch verhandelt werden, ob die leerlaufenden “Gespräche” auch Symptome sind, zu fragen, was die Lebensgefühle zum Wanken gebracht hat. Sally Rooney hat sich auch politisch geäußert, Hannah Pilarczyk nennt sie eine „selbsterklärte Marxistin“. Im Roman entdeckt auch sie nichts an politischem Bewusstsein, weder in den Figuren noch in der Darstellung. „Marxismus erscheint so als ein Stilrepertoire, ein Slang unter vielen, dessen sich Rooneys polyglotte Figuren je nach Bedarf bedienen.“ Die ausführliche Inhaltsangabe schreibt, wie gewohnt, Dieter Wunderlich. Auch für ihn ist der Welterfolg des Romans „umso erstaunlicher“.
Ich lachte viel zu laut über diese Bemerkung und hörte abrupt auf, als mir klar wurde, dass daran nichts lustig war. Ein leichter, kühler Regen strich über den Schirm, und ich versuchte, mir eine interessante Bemerkung über das Wetter einfallen zu lassen. (…) Die Wolken waren grün, und die Sterne erinnerten mich an Zucker.
Ich las viel zu abgelenkt in diesem Roman und hörte endlich damit auf, als mir klar wurde, dass daran nichts lustig war, nichts markierend, nur geschwätzig. Zuckerwatte. Was soll einem da an interessanten Bemerkungen einfallen.
2017 380 Seiten
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