Filed under: Theater
Konstantin Küspert: Nathan
nach Gotthold Ephraim Lessing
mit Texten von Antigone Akgün (*1993)
Vor 241 Jahren schrieb ein Mann aus Kamenz (bei Bautzen) ein „Dramatisches Gedicht“ unter den Motto: „Kommt herein, denn auch hier findet iht Götter.“ „Götter“ ist wichtig, denn es sind die Götter der drei monotheistischen Religionen, die hier verhandelt werden. (Aber die drei Götter Allah, JWHW und Gott* sind recht eigentlich ein- und derselbe – HErr.) „Nathan der Weise“ wurde 1783 uraufgeführt, aber er gefiel den Leuten nicht. Zu viel Text, zu wenig Action, wie üblich. Es ist aber auch ein schlechtes Stück, denn es soll „Ideendrama“ sein, wo Drama doch Handlung bedeutet.

Die Idee Lessings war, 1) dem Pastor Goeze eins auszuwischen. Das verkündet auch Michael Haake in seiner Video-Vorrede. Haake ist Lessing im Morgenmantel. Ein kleines Abbild dieses Goeze lehnt dann auch die ganze Aufführung hindurch auf der Bühne. 2) seinen (jüdischen) Freund Moses Mendelssohn mit einem Bühnenstück zu würdigen. (Das findet in Regensburg kaum statt.) 3 zu zeigen, oder besser: zu verkünden, dass ein Gott so gut (oder schlecht) ist, wie der andere. Dazu lässt Lessing ein Gleichnis erzählen: die Ringparabel. Diese Geschichte hat Lessing (u.a.) aus Giovanni Boccaccios Decamerone aus dem 14. Jahrhundert.

Für ein Drama reicht es nicht aus, diese Renaissance- und Aufklärungsgeschichte auf der Bühne erzählen und damit an die große Glocke hängen zu lassen. Lessing baut deshalb ein Geflecht, das alle dramatis personae zu einer Familienbande verstrickt. Ob Moslem, Jude, Christ, alle sind irgendwie miteinander verwandt und deshalb sind Brüderlichkeit und Toleranz geboten. Konstantin Küspert lässt sein Regensburger Personal zu einer Familienaufstellung antreten – alle erstaunt über so viel Zufall. Er erspart so auch dem modernen Zuschauer, an derartige Konstruktion glauben zu müssen – und auch Spielzeit.
Damit man den „Nathan“ dem heutigen, eh schon aufgeklärten Publikum zumuten kann, muss das Stück „überschrieben“ werden. Konstantin Küspert erklärt sich:Der „Weise“ wird gestrichen, der Autor tritt als Hausherr in Schlappen auf und scharmützelt mit seinen Figuren auf offener Bühne. Die Frauen – voran Franziska Sörensen als Daja – verlangen Rollengleichstellung*, man spricht auch recht heutig. Slapstick-Einlagen evozieren billige Lacher, doch für die Erkenntnisse wäre das alles wohl nicht unbedingt nötig gewesen, so Eva-Elisabeth Fischer in der SZ.

Ein weiterer, lustiger, Effekt sind die zwei Damen (Silke Heise und Katharina Solzbacher) , die als Reclam-Heftchen verkleidet an die Rampe treten. (Regie-Idee verstanden! Die „Aufklärung“ ist als Unterrichtsstoff inzwischen in Klasse 10 abgestiegen, darf damit als unbekannt gelten.) Die beiden ergänzen auch den weiblichen „Chor“, dem Antigone Akgün „allegorische“ Worte geschrieben hat. Als „Marionetten“ befragt er die Akteure, die Zuschauer und sich selbst. Ich halte den Bezug auf das Stück für sehr mittelbar, ein Wiederkäuen aktueller „kultur“-theoretischer Diskussionen über Gender, Denglish, politische Korrektheit. Na gut, man erträgt’s.

Im ideologischen wie im dramatischen Zentrum bleibt die „Ringparabel“. Gerhard Hermann, „eher milder Papa denn (…) reicher, gleichwohl gütiger Patriarch“ (Eva-Elisabeth Fischer), zelebriert das Märchen aus dem Osten mit ausgestellter Unsicherheit: Ich kämpfe um jedes einzelne Wort, glaubt mir also! Gebanntes Publikum. Neugestaltung kann aber auch von Inhalt und Botschaft ablenken. Weshalb betreiben Saladin (Guido Wachter) und seine Schwester Sittah (Verena Maria Bauer) ein mundploppendes Tennisspiel? (Statt Schach im Original) Weshalb fangen sie dabei an, Bairisch zu sprechen (oder dies zu simulieren)? Konstantin Küspert oder Cilli Drexel – wenig Sinn.

Und da Konstantin Küspert davon ausgeht, dass die Message nicht von allen verstanden wurde, vielleicht auch ein wenig im Spiel unterging, hängt er eine Coda an. Aber so was von fetzig und jetzig:
„Aber es geht gar nicht um Religion. Bullshit. Es geht um Macht. Wenn es allen gut ginge, wenn es keinen Neid gäbe und keine fucking toxic masculinity, dann gäbe es keine religiösen Konflikte. (…) Wir haben ein Strafrecht verdammt noch mal. Das reicht. Eure Religion ist nicht wichtig. Für andere. Sie gehört zu euch. Lasst sie da. Um Himmels willen.“ Das sitzt!
Theater Regensburg – Aufführung am 16. Oktober 2020
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar