Nachrichten vom Höllenhund


Felenda
16. April 2021, 11:19
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Angelika Felenda: Wintergewitter

Wenn man nicht weiter nachdenkt, warum man das liest, liest sich das wie ein knuspriger Schweinsbraten. Ja, so ein Vergleich ist ein Schmarrn und das schon gleich, weil es in der Zeit, in der die Handlung spielt, nur Sparversionen eines gescheiten Essens gab und dazu Dünnbier. „Pfui Teifel“, fluchte er und spuckte es angewidert in die hohle Hand. „Was ist denn das?“ Er klappte die Brothälften auseinander und starrte auf die bräunlich grauen Fladen, bevor er alles neben die Akten schleuderte. „Das soll ein Fleischpflanzl sein?

1920. München. Babylon, aber auch das in einer abgespeckten Version. Angelika Felenda bereitet daraus einen durchaus geschmackigen Roman. Den schon recht eingekochten Krimi-Plot verrührt sie mit einer passenden Portion „Zeitkolorit“ zu einem immerhin fast 450-seitigen „Wintergewitter“. (ZIT)

Es hatte wieder zu nieseln begonnen, und von oben drückte Nebel herunter, der die Türme der Josephskirche in schmut­ziggraue Schwaden hüllte. In der Luft lag ein scharfer Geruch nach qualmenden Kohlefeuern, und das Licht war so trüb, dass Reitmeyer Mühe hatte, sich auf dem Klingelbrett mit den mehrfach überklebten Zetteln zurechtzufinden. Eine Cäcilie Ortlieb entdeckte er nicht. Er deutete auf das Hoftor ein paar Schritte weiter. »Schauen wir da rein«, sagte er zu seinem Kol­legen.
Steiger rüttelte ein paarmal an dem Tor, bevor es knarrend nachgab. Sie durchquerten die dunkle Einfahrt und gelangten in einen Hof, wo eine Frau gerade einen Sack von einem Lei­terwagen hievte. Neben ihr stand ein kleiner Bub in einer viel zu großen Jacke und sah die beiden Männer misstrauisch an. Steiger ging rasch zum Hinterhaus und suchte nach einem Klingelschild. Als er keines entdeckte, machte er wieder kehrt.
»Am besten, wir fragen vorn in dem Gemüseladen«, sagte er.
»Sie wohnen doch hier?«, sagte Reitmeyer zu der Frau. »Kennen Sie eine Cäcilie Ortlieb?«
Die Frau sah ihn ängstlich an, zog ihren Schal tiefer ins Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Eine junge Frau«, versuchte es Reitmeyer noch mal. »Cilly Ortlieb …«
Die Frau schüttelte erneut den Kopf, nahm den Sack und schleifte ihn in Richtung Kellertreppe.
Warten S‘, ich helf Ihnen«, sagte Reitmeyer und folgte ihr.
Die Frau machte eine scheuchende Bewegung und stieß ein paar Wörter in einer Sprache aus, die Reitmeyer nicht ver­stand. Der kleine Junge stellte sich schützend vor sie und hob das Kinn.

Zwei junge Frauen sind ermordet worden. Man würde darüber hinwegsehen, sind die beiden „Damen“ doch eher „Kleindarstellerinnen“, in die große Stadt gekommen, um hier gesehen, besser: entdeckt zu werden. Der Film erlebt gerade eine erste Blüte und die Hascherln sind – nicht viel anders als heute – begehrte Objekte. Allerdings haben sich die Cilly und die Marie das Begehren anders vorgestellt als die Begehrer. (#meToo war noch Jahrhunderte entfernt.) Jedenfalls war das Scheitern der Damen genug Anlass für „Kommissär“ Reitmeyer, sich an Ermittlungen zu machen.

Reitmeyer hetzt dauernd auf seinem Fahrrad durch die Straßen, zu Fuß über Treppen, klopft bei Bekannten, Beobachteten, bei seinen Vorgesetzten. Allein, die Aufklärung kommt nicht recht voran, verzweigt und verläuft sich, wird – auch von Vorgesetzten – behindert. Klar, das in solche Kriminalromane eingelesene Publikum erwartet dicke Bücher und will/wird sich nicht über Zähungen in der Handlung beschweren. Vor allem die Münchner Leserin wird mehr als Ludwigs- und Widenmayerstraße wiedererkennen und sich kompetent durch ein frühmodernes, postkriegerisches und präfaschistisches München begleitet fühlen. Inden besseren Abschnitten hat Angelika Felenda die Wörter der – trotz allem – guten alten Zeit zur Verfügung.

Reitmeyer setzte sich ebenfalls und betrachtete die magere Frau in dem fadenscheinigen Mantel. Sie wirkte verhärmt und ausgelaugt, die Wangen waren eingefallen, die Augenränder rot, wie entzündet, das fahle Haar zu einem Knoten festgezurrt. Die Hungerwinter und die schwere Arbeit hatten sie ausgelaugt.
»Frau Hofmann«, begann Reitmeyer ruhig, »was ist denn eigentlich passiert? Haben Sie den Streit mitbekommen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin so gegen sechs heimkommen. Wissen S‘, ich bin Spülerin im Hackerbräu. Da hab ich’s dann gsehen. Ein Aug war völlig zu, und blau und ganz verschwollen, und ihre Lippe aufgerissen, und alles voller Blut. Deswegen wollt ich auch das Jod holen.«

Die Bausteine des urbanen Krimis setzt Angelika Felenda gekonnt ein. Kommissär Reitmeyer (nicht Leitmayr!) hat einen pfiffig-sympathischen Polizeischüler als Gehilfen (Rattler, nicht Kalli Hammermann), dem Vorgesetzten (Oberinspektor Klotz) ist nicht immer zu trauen, Drogen und Filmindustrie fehlen ebensowenig wie ein Schuss züchtig-schlüpfriger Erotik. Mafiotische Strukturen gibt es in den rechten Verbindungen, etwa dem „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“.

Immer mehr Interessen widmet Reitmeyer der Studentin (?) Gerti, die nach München kam, um ihre Schwester zu suchen und dabei ins Visier der rechten „Bürgerwehr“ gerät. Gerti versteckt sich, sie flieht von Bekannten zu anderen, die Kreise weiten sich, ich verliere öfters die Übersicht übers Personal und den Stand der Dinge. Die Streuung der Spannung sorgt nicht für gesteigerten Lesewillen. München ist ein eher provinzielles Babylon, die Gastwirtschaften haben nicht den mondänen Glanz der Moka-Efti-Unterwelt, getrieben wird es in bürgerlich-dekadenten Privatwohnungen. Eine bessere Zeit war es nicht, doch trotz der hetzenden Kommissäre geht es eher griabig zu. Das Fleischpflanzl ist mit Bröseln gestreckt. Dennoch: Lebendig, atmosphärisch, detailreich erzählt, geschichtlich gut informiert, angenehm zu lesen.

2016 – 440 Seiten

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