Nachrichten vom Höllenhund


del Buono
20. Juli 2021, 18:58
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Zora del Buono:
Die Marschallin

Ein familienhistorischer Roman. Zora del Buono begleitet das Leben ihrer Großmutter in Etappen von einigen Monaten bis zu wenigen Jahren, von 1919, der Erste Weltkrieg ist nur als politische Kapitulation vorbei, bis 1948, und da ist WK II noch stark in seinen Nachwirkungen zu spüren. Der Handlungsraum reicht vom stets umkämpften kleinen Ort Bovec im Nordosten des heutigen Slowenien, die deutschen und italienischen Namen Flitsch und Plezzo zeigen die Grenzregion an – bis zum süditalienischen Bari. Die Großmutter – auch sie heißt Zora, folgt ihrem Mann Pietro, der in Bari eine Professur für Radiologie antritt.

Zora Del Buono (das Del schreiben sie groß, um sich vom Adelsprädikat abzuheben) inszeniert sich als HERRIN der Villa mit 23 Zimmern und neun Bädern. Sie braucht Ordnung und sie verlangt Unterordnung. Das Haus ist von ihr durchgeplant und ausgestattet. Sie fährt nach Mailand, um Fliesen zu kaufen, sie arrangiert Fassaden und Zimmer und Möbel und Licht. Sie arrangiert aber auch ihre „Erscheinung“ und ihre Kinder, die sie als 1, 2, 3 einordnet.

Wenn er an Zora dachte, sah er sie stehend vor sich: stehend hinter dem Fauteuil, in dem Pietro saß und rauchte; stehend im Türrahmen zum Salon, niemals angelehnt; stehend im Gespräch mit ihren Söhnen im Garten; stehend neben dem Dienstmädchen, um die Speise, die das mehr oder minder verängstigte Mädchen brachte, kritisch zu begutachten; stehend im Sand unter einem Sonnenschirm, aufs Meer blickend, während sich die anderen Frauen auf Liegestühlen aalten und in Illustrierten blätterten (er war nur einmal mit am Meer gewesen, aber diese Szene hatte sich ihm eingeprägt: eine Frau, die den Schiffsverkehr im Auge behält und nicht die spielenden Kinder); stehend auf dem Schießplatz, wo sie Davide die Patronen reichte; stehend auf dem Rumpf eines Fischerboots im Hafen von Polignano, als sie eine Rede hielt.

Sie strahlt etwas „Aristokratisches“ aus, doch steht das in Widerspruch zu ihren politischen Präferenzen: Sie versteht sich als Kommunistin, will die Partisanen (auch mit Waffen) unterstützen, sympathisiert mit Togliattis PCI, verachtet die Schwarzhemden. Auch ihr Mann Pietro hat aus seinem Studium in Berlin linke Gesinnung mitgebracht. „Kommunismus ist Aristokratie für alle.“ (Motto) Höhepunkt für die Familie ist ein Besuch Titos in Bari, wo er sich von Pietro Del Buono behandeln lässt.

Auf der Galerie ein Hüsteln. Nino und Zora traten aus dem Dunkel nach vorne, Bruder und Schwester in seltener Eintracht, beide in Grün, er in Uniform, sie im Kleid. Zora legte die Hände auf das frisch polierte Messinggeländer. Sie lächelte.  Tito ging zwei Schritte Richtung Treppenaufgang, öffnete die Arme weit, als sei er ein Tenor, der zur Arie ansetzt. «Es ist mir eine Ehre, Gast im Haus einer Genossinder Volksbefreiungsarmee zu sein, einer grande signora mit humanitärer Gesinnung, mit Liebe für die Freiheit und das Vaterland.»  Alle atmeten wieder.

Faschismus und Krieg überstehen die Del Buonos relativ unbeschadet, weil der Arzt benötigt wird. Nach dem Krieg verkeilen sich die Verhältnisse, weil sich die Kommunisten nicht an die Ideale von Zora halten, weil der PCI die Familie als zu reich ausstößt. Pietro wird frühzeitig dement, Zora gerät in ein Altenheim nach Nova Gorica, wieder in Slowenien, aber im Rollstuhl, überlebt, unbrauchbar geworden. Der 1980 nachgetragene Text wechselt die Perspektive in Zora, die sich in einem langen Monolog an ihre Pflegerin Branka Blatnik wendet, dabei aber die Zeiten mischt, Personen und Ereignisse erscheinen in Sprung- und Splittergedanken, Lücken füllend und offenbarend.

Neben Zora Del Buono lernt man in den etwa 30-seitigen Kapiteln viele ihrer Umlaufpersonen kennen: Freunde aus Slowenien, Bekannte aus Bari, Hausbedienstete, den Schwiegervater Giuseppe, Bürgermeister der Gefängnisinsel Ustica nördlich von Sizilien, ihre drei Söhne, darunter Manfredi, der Vater der Autorin. Auf jeden der unterschiedlichen Charaktere fällt abwechselnd der Spot. Auch führen die anekdotischen Kommunikationen durch eine historisch bewegte Epoche. Aus der zeitlichen Distanz schrumpfen aber die Bedrückungen – und ich bin froh, dass ich mit den Auftritten der anstrengend resoluten, anziehenden, doch ungeliebten „Marschallin“ durch bin und fühle mich durch den Zeiten- und Perspektivensprung ein wenig erlöst.

Elke Heidenreich gerät außer sich: „So etwas Gutes wird selten geschrieben.“ Zu viel des Lorbeers, aber interessante Zeithintergründe, eine funkelnde Protagonistin und lebendiges Erzählen sind ja auch nicht schlecht

Er war von seiner Schwester  einiges gewohnt, sie exponierte sich mit ihren Gesellschaften, die sie gab, mit Vortragsrednern, die sie zu sich einlud, sie schien sich vor der Regierung nicht zu fürchten, es war, als ob sie unangreifbar wäre, als Kind hatte er oft gedacht, sie sei eine Hexe, die ihn beschütze, manchmal dachte er das heute noch (niemand würde eine Zora  Del Buono, geborene Ostan, verhaften, mit diesemGestus ging sie durch die Welt, und interessanterweise schien das jeder zu glauben). 

Das Resümee: „Sie wusste, sie stand auf der richtigen Seite der Geschichte. Doch die Entwicklung führt in eine andere Richtung.“

2020 – 380 Seiten

2-

Gespräch im SRF-Buchclub (11 Minuten)

„Buch der Woche“ mit Materialien Leseprobe und Links beim „Freitag“


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