Callan Wink:
Big Sky Country

Die Menschen sind “entwurzelte Wesen, die der Wind dahin und dorthin weht, die sich verhaken und weitergetrieben werden, in der vagen Erwartung, eine neue Pflanzheimat zu finden“. (Callan Wink, „Der letzte bessere Ort“) In Callan Winks Stories von 2016 liest man Skizzen eines Romans, jetzt hat er diese Schlaglichter ausgebaut zu 380 Seiten. Den „letzten besseren Ort“ hat er noch immer nicht gefunden, auch der Ort, an dem August aufschlägt, ist nur eine Station auf dem Erwachsen-Werden, „fast ein Zuhause“.
August – so heißt der Roman im Original – kommt aus Michigan, doch da seine Eltern sich trennen, kann er nicht dort bleiben. Er zieht mit seiner Mutter nach Montana. Michigan an den Großen Seen ist feuchtes Industrieland, Montana ist so groß wie Deutschland und hat 1 Million Einwohner, trocken, kalt, Rocky Mountains: Big Sky Country. Mehr als 2000 Kilometer von Michigan, 24 Stunden Fahrzeit, Augusts Vater meint es nicht ernst mit einem Besuch. Seltene Telefonate, was sollte man sich sagen.
August kann sich nicht zum Studium durchringen, er arbeitet lieber, hat schon seinem Vater gern auf der kleinen Rinderranch geholfen. In Montana findet er Arbeit auf der Virostok Ranch. August ist nicht unzufrieden, schläft und isst in einem Anbau, gut, dass er keine Ambitionen hat. Das Leben macht Pause.
Eine Tasse Kaffee im Bauch, bevor es überhaupt hell war, die zweite, während das Grau sich zum goldenen Morgen festigte. August toastete sich zwei Scheiben Weißbrot. Er schmierte Butter drauf, schnitt sich eine Banane und arrangierte die Scheiben darauf wie blasse Taler. Er träufelte ein präzises Zickzack aus Honig darüber und aß auf seiner kleinen Terrasse, die Kapuze wegen der Kälte hochgeschlagen, und atmete den Dampf über dem Becher ein. Von dort konnte er das Licht in Ancient Virostoks Küche sehen. Manchmal tauchte Ancient hinter dem Fenster auf, er war allein, füllte die Kaffeekanne mit Wasser, spülte seinen Reisebecher aus, wusch sich die Hände, nachdem er Speckstreifen in die Pfanne gelegt hatte. Bis Ancient aus dem Haus kam, hatte August seine ganze Kanne getrunken. Als er schließlich so weit war, trat Ancient auf die Veranda, streckte sich und gähnte.
Toppas und Tacos, Hobbies wie Angeln interessieren nicht wirklich, Sport stellt sich als bedrohlich, langweilig und übergriffig heraus, Saufen, ja, ein paar Händel, aber wozu, Pick-ups, Quads, Bagger. Freunde sind rar und allenfalls zum Abhängen und Absitzen in Bars akzeptiert, wozu Mädchen da sind, wird August auch nicht ganz klar. Nebenan wohnen Hutterer, „Hoots“, und liefern Milch und Hähnchen.
August hatte die Kaffeemaschine an einer Zeitschaltuhr hängen, und er wachte langsam auf, während der Topf sich gluckernd füllte. Er zog die Jeans von gestern an, die schon Tage vorher hätten gewaschen werden sollen, und schenkte sich einen Becher ein. Er ging draußen pinkeln, barfuß, das Gras taufeucht, während das Tageslicht gerade erst erstarkte. Drinnen schob er zwei Scheiben Brot in den Toaster und schaltete das kleine Radio an, das er auf der Arbeitsplatte stehen hatte. KPIG aus Billings kam relativ rauschfrei rein. Die Wetteransage machte so früh am Morgen eine Computerstimme. Mehr Sonne, keine Wolken. Keine Überraschung. Der erste Song nach dem Wetter war John Mellencamps »Jack and Diane«, und August schmierte sich Erdnussbutter auf sein Toast — vermisste die Marmelade — und aß es trocken, aber klebrig an der Spüle. Er hatte dort das Polaroid-Foto vom Musselshell River an die Wand gepinnt, und Mellencamp sang von two American kids growing up in the heartland, als August sie genau ansah. Jack und Diane. Two ‘merican kids doin‘ the best they can. seinen Reisebecher, schaltete das Radio aus, zog seine Stiefel über und ging das Quad auftanken. Er hatte einen weggeschleiften Zaun zu reparieren.
August, eine Art des American Kids. Ungewisser Zusammenhalt und schleichender Zerfall der Familie, Frauen, gegen die man nicht ankommt, wenn man nicht so hart sein will oder kann, wie es die Erziehung zum Mann erwartet, Frauen, die gehen, wann sie wollen, Freunde, die auch keine Perspektive sehen. Politik spielt am Rande herein bis nach Montana: der Kumpel, der in Afghanistan fällt, am Nachbarzaun Tafeln mit Verschwörungssprüchen. „AMERIKA DEN AMERIKANERN! JUDEN=TERRORISTEN — 9/11 WAR DER MOSSAD! BUSH WUSSTE ALLES!“ August will sich raushalten, hat aber kein positives Programm für sich selbst. Montana ist der nächstbessere Ort. Nicht mehr.
Sie schwiegen einige Meilen. Dann sagte August: »Hast du schon mal einen Bisonsprung gesehen?« (…), einen alten Bisonsprung der Indianer. Eine Stelle, wo sie die Tiere von der Klippe gejagt haben. Ich habe mal einen bei meiner alten Arbeit hinten in den Hügeln gefunden. Ein Riesenhaufen kaputter Schädel und so weiter. Man konnte genau sehen, wo sie über die Kante gekommen sind und wo sie dann unten auf die Felsen aufschlugen. Muss ein krasser Anblick gewesen sein. Wie so eine ganze Herde da rüberkommt.«
»Ja? Und?«
»Und das ist alles. Ich musste nur gerade daran denken. (…) Ein Tier folgt dem anderen von der Klippe oder in Sicherheit, das spielt eigentlich gar keine Rolle. Keine Helden. Wir laufen bloß alle den ganzen Tag durch die Gegend, mal hier, mal dort lang, aber immer dem Arsch vor uns hinterher. Genau wie mit den Frauen. Wenn du gerade meinst, du bist der Leitbulle, wird dir plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Man könnte ja meinen, daraus lernen wir, aber eigentlich hat es keine neue Idee mehr gegeben seit Adam mit Eva. Am besten wäre es doch, seine Tage für sich zu verbringen, und dann, wenn es Zeit ist, zum Sterben raus in die Prärie zu gehen.«
»Klingt einsam.« »Aber wenigstens würdevoll.«
Die Darstellung ist sachlich, trotz großer Nähe distanziert, August will auch seinem Autor nicht zu nahe kommen, Gefühle sollen drinnen bleiben, Callan Wink respektiert das, nimmt nicht Stellung. Harte Kerle reden nicht, weiche auch nicht, aber es ist alles nicht einfach. „Ein geradezu klassischer Entwicklungs- und Bildungsroman im ländlichen Amerika.“ (Christoph Schröder, ZEIT)
August schwitzte in der Two Dot Bar und wartete auf seinen Hamburger. Er hatte den ganzen Tag Heu gemacht, und obwohl er auf dem Barhocker saß, konnte er immer noch den Traktor unter sich dröhnen spüren. Mit Rückenschmerzen von der Feldarbeit. Er war kaputt, und dabei hatte er nicht mal zwischendurch einem Lerchenstärling das gebrochene Bein geschient. Wo war Paul Harvey mit seinem Lob der Farmer, wenn man ihn brauchte? Vor August stand ein Bier auf einer Serviette, und der Abend war warm, also hatte Theresa die Tür offen stehen. Im Spiegel hinter der Bar sah er Tim kommen. Einen Moment an der Schwelle einhalten, bevor er sich ans andere Ende der Bar setzte. Er bestellte sich einenKurzen Jim Beam und ein Pabst Blue Ribbon zum Nachspülen, und während Theresa ihm einschenkte, saß er mit steifem Rückgrat auf seinem Hocker und starrte stur nach vorne. Er kippte den Whiskey und stellte das Glas leise auf dem Tresen ab. Es war leise in der Bar, die Jukebox still, die Fernseher stumm geschaltet, nur ein Scheppern von Pfanne auf Kochplatte kam aus der Küche.
»Damals im Schnee, als du mich ein Phantom genannt hast«, sagte August, »was hast du da gemeint?« Tim erwiderte Augusts Blick im Spiegel. »In dem Moment hatte es etwas zu bedeuten«, sagte er. »Jetzt weiß ich nicht mehr.«
Tim leerte sein Bier mit drei großen Schlucken. Er legte das Geld auf den Tresen und stellte das leere Schnapsglas darauf. »Stimmt so, Theresa«, sagte er. Dann stand er auf, setzte sich wieder den Hut auf und ging hinaus in den Abend.
2020 – 380 Seiten
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