Nachrichten vom Höllenhund


Reisinger
31. Januar 2022, 16:06
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Jovana Reisinger:
Spitzenreiterinnen

Reisingers „Roman“ verteilt sich auf neun Personen, exakt: Frauen, die in kurzen Kapiteln in ihren je spezifischen Drangsalen vorgeführt werden. Fünf Tage hat Jovana Reisinger ausgewählt, in denen die Frauen auftreten, fünf „Frauen“-Tage. Ihrer Übersicht sieht man die Seelennöte nicht an. Am 14, Februar (Valentinstag!) ist Laura „erleichtert“, die anderen Frauen machen Ähnliches durch, teils Banales, teils für die Frau Einschneidendes. Die Frauen sind keine Personen, sondern Anschauungsobjekte, Facetten des femininen Leidens und ihrer Degradierung zum Objekt. Einige der Frauen gehören zusammen, treffen sich, leiden gemeinsam und hoffnungsvoll. Wie Brigitte: „Was sie jetzt braucht, sind Nährstoffe. Was sie jetzt dringend benötigt, ist Komfort. Und womöglich einen ganzen Tag lang Schlaf. Vielleicht ein kleines bisschen Hoffnung. Manchmal wird ja trotzdem alles gut.“

Die Männer sind abgehauen: weggelaufen oder gestorben, oder sie lassen sich nicht wegkriegen oder die Verbindung steht vor der Tür. Die Frau weiß nicht so genau, was besser oder schlimmer ist, sie weiß ja nicht einmal genau, was – für sie – gut oder schlecht ist. Die Männer heißen A. oder C. oder F. – der unbenannte Täter. So viel zum Spiel der Geschlechter. Aber „manchmal wird ja trotzdem alles gut.“

A. will in erster Linie Recht haben. Das Recht, über jeden Zustand und Körper in der Familie zu bestimmen. Am allerliebsten bestimmt er über den Körper und Zustand seiner Frau. Und wenn die ihn hintergeht, betrügt, belügt, manipuliert, dann darf er erst recht walten und schalten, wie es ihm beliebt. Selbst ohne stichhaltige Beweise. Er hat halt Instinkt. Menschenkenntnis. Ein Nasen für Intrigen. Und ausgerechnet seine Frau ist, das weiß A., eine besonders ausgschamte Intrigantin. Heute soll die Familie glücklich sein. A. hat sie allesamt ins Auto gesteckt, ist in die Hauptstadt gefahren, hat sie zum Einkaufen geschickt und zum Essen ausgeführt.

Die Frau und die andere Frau. „Gemeinsam werden sie sich retten.“ Frauen gemeinsam sind vielleicht stärker als die Frau allein, sie verbünden sich, sie sind Konkurrentinnen. Meist bleibt es bei Versicherungen.

Tina wird die fremde Frau suchen. Sie wird die fremde Frau finden. Und gemeinsam werden sie sich retten. Das weiß die fremde Frau noch nicht, aber Tina weiß es. Gedanklich tritt die Fremde erneut vor das Restaurant. Da steht sie. Schaut böse. Tina greift nach ihr. Sie lässt sich angreifen, die Frauen fallen sich in die Arme. Beide weinen. Happy End.

Wichtig ist auf jeden Fall, bereit zu sein, für jeden Fall. Selbstoptimierung ist angesagt, in allen Zeitschriften, ob sie jetzt Brigitte oder Tina oder Petra oder wie eine der anderen Frauen in „Roman“ heißen. (Insta gibt es noch nicht? Influencerinnen nennen sich anders, jede einzeln Massenware.)

Laura sitzt auf einem sehr bequemen Stuhl und hat neben sich eine Frau stehen, die ihre Hände massiert, und vor sich eine Frau hocken, die ihre Füße behandelt. Die Ganzkörpermassage bereits hinter sich, ist sie jetzt bereit für die Optimierung der äußeren Umstände. Schöne Hände, schöne Füße, schöne Haare, schönes Gesicht.Nur so wird in den neuen Lebensabschnitt   gegangen. Laura versucht, sich zu entspannen, in ihrem Hirn rasen die Gedanken jedoch nur so dahin. Der größte Tag im Leben einer Frau. Oder war’s im Leben einer Partnerschaft? Jedenfalls wird Laura heute aufgeräumt, wie ihr Vater das nennt. Da werden die Zuständigkeiten und die Verhältnisse geklärt, und Laura wird im Anschluss einen neuen Namen tragen und wissen, wo sie hingehört. Zu ihm nämlich, zum C. Seinen Namen annehmen ist so eine Sache, findet Verena. Aber dann kommt sie gedanklich nicht weiter: Was ist schlimmer — den Namen des Vaters oder des Partners zu tragen? Aussichtslos. (…) Laura fächert sich Luft zu. Wer gackert, muss auch ein Ei legen. Die Angestellten schauen inzwischen eher besorgt als belustigt drein. Endlich kann Laura sich beruhigen. Ihr fällt schier die Maske vom Gesicht. Eine Angestellte assistiert ihr.

»Stell dir einmal vor, das war’s jetzt.«

Die Gespräche entlarven sich selbst als ambitioniertes Weibsgewäsch, Jovana Reisinger will es bloß als Klischee zitieren und, manchmal, eine kleine Pointe draufsetzen, die Frauen entlarven sich damit selbst. „Überhaupt enthält dieser Roman eine beeindruckende Sammlung von Lifestyle-Phrasen, wobei der Leitspruch des Kapitalismus, „Jeder ist doch seines eigenen Glückes Schmied“, nicht fehlen darf, so wenig wie: „Wer schön sein will, muss leiden.““ (Marie Schmidt, SZ) Hin- und wiedrige dialektale Anklänge evozieren ein schmales Schmunzeln. Reisinger behandelt ihre Personen mit sanftem Zynismus, sie tritt ihnen nahe, ich erlebe einen Reigen (ab)gedroschener Selbstdarstellerinnen. Nach Leseunterbrechungen halte ich die Frauen nicht mehr auseinander, der „Roman“ wird zur Vorführung.

Schließlich ist jede selbst für ihr Glück verantwortlich. Und für ihr Unglück ebenso. Hoffentlich schlägt jetzt die Stunde der Frauen.

»Wie, das war’s jetzt.«
 »Ja. Jetzt kommt nichts mehr.«
  »Was soll denn kommen?« 
»Verliebt, verlobt, verheiratet.«
  »Stimmt. Da kommt nichts mehr.«
  »Das ist das Ende.«
»Das ist doch kein Ende. Ich dachte, das soll der Anfang sein.«
  »Wovon?   « 
»Ja, weiß ich doch nicht. Das musst du doch wissen.«
»Ich weiß es aber nicht.« 
»Was hast du dir denn vorgestellt?« 
»Eine Traumhochzeit.«
  »Ja, und dann?«
»Ja, nichts. Weiter ging’s nicht.«

  Lauras Augen füllen sich mit Tränenflüssigkeit. Verena würde sie gern streicheln, aber beide Hände stecken fest in einem Gerät zur Verjüngung.

2021 – 260 Seiten

3-4

Leseprobe beim Verbrecher-Verlag

Homepage von Jovana Reisinger

Jovana Reisinger im ARD-Forum


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