Nachrichten vom Höllenhund


Ahrens
10. Mai 2022, 14:58
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Henning Ahrens: Mitgift

» So ist das nun mal. So gehört es sich.«

Die Leebs. Der Hof. Sie gehören zusammen, seit sechs Generationen, seit 200 Jahren. Hans Wilhelm Leeb ist ein hitzköpfiger Mann, er herrscht tyrannisch über Hof, Frau und Kind, „die Gebote der heiligen Schrift stehen über allem“. Seit August Wilhelm Leeb den Hof 1865 an die „Mission“ vererbt, kämpfen die Nachfahren darum, den „Hof seiner Familie zurückholen“  zu können,  „koste es, was es wolle“. Das sind Rückblenden.

Die erzählte Geschichtszeit beginnt im Zweiten Weltkrieg. Wilhelm („Der erste heißt immer Wilhelm.“ – Man findet die Wilhelms auf einer Übersichtsseite.) Leeb ist im Kriegseinsatz in der Ukraine. Er hat erfahren, diszipliniert zu sein und von allen anderen Disziplin zu verlangen. Die Devise »Es geht nicht darum, was du willst. Du stehst in der Pflicht, und die Pflicht, die wird schlussendlich zur Freude, mein Sohn.  Wie auch  …« — er sah Willi listig an — »… die Freude zur Pflicht wird. Nicht wahr?« hat die Jahrhunderte überstanden und klebt als „Mitgift“ am Hof. Es ist auch ein passendes Motto für die Kriegsbegeisterung Wilhelms, er fühlt sich als Nazi-„Herr“ bannig wohl. Gerade als er sich auf der ukrainischen Erde als Landwirtschaftsführer eingelebt hat, geht der Krieg verloren. Wilhelm sieht sich betrogen, gerade noch gelingt ihm die Flucht. Einen Ukrainer und zwei Ukrainerinnen nimmt er mit in die „Heimat“. Die Begeisterung von Frau und Kindern über die Rückkehr des Familienoberhaupts ist verhalten.

Er hätte souverän und würdevoll Einzug halten müssen! Stattdessen ist er auf den Hof gepoltert, als wäre es nicht der seine. (…)
   Während er dasteht und seinen Blick über die Scheunen, die Ställe und die Kastanie schweifen lässt, die neben dem Tor zur langen Diele steht, überkommt ihn ein Gefühl der Verlorenheit: Weder hat man die Haustür zu seiner Begrüßung mit Eichenlaub geschmückt, noch lässt sich jemand blicken, und sein Sohn — sein Fleisch und Blut — hat gar Reißaus genommen.

Sein mentales Erbe erlaubt nur eine Reaktion: Disziplin und Herrschaft. Die Verbitterung über die Niederlage des Vaterlandes, womit er sich identifiziert, verschärft den Ton.

»Aufräumen!«, knurrt er. »Man muss erstmal aufräumen   in dieser Weiberwirtschaft. Schluss mit dem   Schlendrian! Ihr werft alles weg? Schön, dann ziehe ich hier neue Saiten auf, ihr werdet schon sehen, und mit euch …« — er zeigt der Reihe nach auf seine Kinder — »… fange ich an.« Er hält seiner Frau das Glas hin, und sie schenkt   gehorsam Doppelkorn   nach. Alle haben unwillkürlich den Kopf eingezogen, nur Oma Leeb nicht, die aufrecht dasitzt und ihren Sohn mit unergründlicher Miene durch die Nickelbrille betrachtet. Ihre Hände ruhen auf der im Schoß liegenden Leinenserviette mit dem   eingewebten    Monogramm; sie lässt ihre Daumen so rasant umeinanderkreisen, als würden sie das Räderwerk ihres Denkens antreiben.

   Das sieht aber nur der neben ihr sitzende junge Wilhelm. Er gibt nicht viel auf die Worte seines Vaters, der gerade erst heimgekehrt ist und deshalb nicht erfassen kann, was sie geleistet haben, aber das wird er schon noch begreifen. Wilhelm nimmt sich ein Beispiel an der Großmutter und drückt den Rücken   durch. »Wir haben gut gewirtschaftet, Vater«, widerspricht er, »gemessen an den schwierigen Bedingungen   während des Krieges. Und genauso danach, ja bis heute, denn vieles ist nach wie vor ein Problem, etwa die Beschaffung von Saatgut oder Setzkartoffeln, von Dünger ganz zu schweigen, und…«

  Sein Vater unterbricht ihn. »Ich bin nach all der Zeit, nach vier erniedrigenden …« — er presst das Wort zwischen den Zähnen hervor  — »… Jahren nicht heimgekehrt, um mir Vorträge anzuhören, Wilhelm! Ich bin heimgekehrt, um zu handeln. Ich bin nicht heimgekehrt, um am Katzentisch zu sitzen, sondern …« — er pocht auf die Tischplatte — »… um den mir gebührenden Platz einzunehmen. Was ihr gemacht habt, ist mir gleich. Was ich ab jetzt tue — das allein zählt. Nur das. Hast du verstanden, mein Sohn?« Er starrt ihn herausfordernd an.

   Der junge Wilhelm ist wie vor den Kopf gestoßen. »Ja, sicher«, murmelt er, »und trotzdem …«

   »Ab jetzt gibt es kein >Trotzdem< mehr. Keine Widerworte. Ab jetzt wird pariert. Und das …« — sein Vater sieht sich in der Runde   um — »… gilt für alle!« Als sein Blick auf seine Mutter fällt, verstummt er. Und Oma Leeb lässt die Daumen kreisen, kreisen und kreisen, wie sich die Erde dreht.

Schon der Großvater von 1870, Willi, wollte Lehrer werden, wollte den Hof nicht übernehmen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Der Wilhelm von 1931, Willem genannt, wogegen er sich vergebens sträubt, kann sich mit seiner „Mitgift“ nicht anfreunden. »Du bist doch ein Leeb, also reiß dich zusammen!  Was willst du denn machen, wenn du in der Hitlerjugend bist? « Der Vater ist zu laut, erwartet zu viel, die Mutter ist nur eine Frau, Willem schleicht in den Kuhstall, legt sich in die Rinderkrippe. „Da will ich lieber tot sein, denkt er, dann würde ich den Eltern weder Kummer noch Verdruss bereiten. Dieser Gedanke treibt ihm Tränen in die Augen.“

Der Ochse, es ist Kastor, der mit den Locken zwischen den Hörnern, stößt die feuchte, weiche Schnauze gegen Wilhelms Gesicht, er muss erstmal gucken, ob das, was da in der Krippe liegt, auch schmeckt, ist ja klar, und dann spürt der Junge die raue, feuchte Zunge auf der Stirn und auf den Wangen. Er beißt die Zähne zusammen, seine auf der Brust liegenden Hände verkrampfen sich, und er bekommt es mit der Angst, hoffentlich tut das nicht weh, aber alles ist besser, als das Geschrei seines Brüderchens und seines Vaters zu hören, und seiner Mutter ist er sowieso egal. Also fügt er sich in sein Schicksal und harrt des Maules, das ihn verschlingen wird.

„Mitgift“ ist kein „Dorfroman“, der Hof und seine Nachbarhöfe sind das Zentrum des Lebens, der Mühen und der Gedanken. Der Hof ist das Universum, selbst die Heiratskreise drehen sich um ihn. Der Hof wird stets als bedroht und zugleich bedrohlich empfunden. Die Menschen leben für ihn, buckeln, walten, die Männer fühlen sich zum Tyrannisieren gezwungen und empfinden kein Glück dabei. Der Krieg bringt einerseits alles ins Wanken, nur unter großem Aufwand lässt sich der Hof durch die Zeit bringen, für den Hof-Herren ändert sich gar nicht so viel, die Ideologie fußt ja in der Politik wie auf dem privaten Besitz auf dem Völkischen, auf dem Deutschtum, auf den überkommenen Hierarchien. Unerträglich wird es für den Hoferben, wenn diese eingebrannten Geisteshaltungen angezweifelt werden, wenn die alten „Werte“ plötzlich nicht mehr geachtet werden, nichts mehr gelten sollen. Angriffe auf den Mann, den Herrn.

Die niedersächsische Provinz scheint besonders bodenverbunden, exemplarisch deutsch, doch sind die Schicksale auch in anderen Regionen die gleichen. Die Katastrophen, den Krieg, ordnet man in den Lebensverlauf ein und hat sie zu ertragen. „Freiheiten“ kennt man nicht, man muss „in die Fußstapfen der Vorväter treten, so war es nun mal“. Gegen die Nöte der Frau soll „Klosterfrau Melissengeist“ helfen. „Die historisch weiter ausgreifenden Szenen liest man ein bisschen so, als blättere man in einem Familienalbum. Interessant sind die Realien. Man erfährt, wie wenig selbstverständlich Traktoren und fließendes Wasser noch bis weit in die Bundesrepublik hinein waren und wie hart, patriarchalisch, Gefühlen gegenüber indolent und dem Hof alles unterordnend das Leben war.“ (Dirk Knipphals, taz)

Henning Ahrens springt mit den Kapiteln durch die Zeit. Die Erzählordnung folgt nicht der Chronologie, sondern erzeugt historische Konnexionen, bildet Zusammenhänge ab, bebildert die Mechanismen der „Mitgift“ Zwischen diesen Geschichten aus der Vergangenheit wird auf das Ende geblendet: 1962. Die „Totenfrau“ Gerda Derking, nicht heiratstauglich, weil ohne Mitgift, wird zum Hof gerufen, einer ist gestorben, er fühlte sich der „Mitgift“ nicht gewachsen. Zusammen mit Lisbeth und Fräulein Bernhard sitzt sie in ihrem Garten und kommentiert die Hofwirtschaft wie ein griechischer Chor.„Es ist ein Buch wie Schwarzbrot. Man muss kräftig kauen, bis sich der Geschmack entfaltet. Aber ein Buch, das ins Mark geht, langsam erzählt, mit genauem, warmem Blick.“ (Peter Helling, NDR)

2021 – 340 Seiten

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Leseprobe beim Verlag Klett-Cotta

Ausführliche Inhaltsangabe von Dieter Wunderlich

Henning Ahrens im Gespräch | #fbm21 24.10.2021 ∙ Frankfurter Buchmesse 2021


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