Natasha Brown: Zusammenkunft

Du musst damit aufhören, sagte sie.
Womit aufhören, sagte er, wir machen doch gar nichts.
Eine gnadenlose Demontage des britischen Klassensystems – mit ruhig beobachtendem Adlerblick und in sarkastischer Reflexion – Eine stilbildende Erforschung mit verheerender Eleganz. Mit exzellenter Treffsicherheit – gewaltige Bedeutung – eine atemberaubende Autorin – Packendes Stück bester Literatur!
So steht es in den Publikationen, bevorzugt in englischsprachigen. Aufgeblasen wird da immer. Doch die „Zusammenkunft“ („Assembly“) ist keine Analyse, muss nicht treffsicher sein, da es sich im Innenraum der Befindlichkeiten aufhält, der „Sarkasmus“ hält sich an Grenzen, den Atem raubt einem eher solch überzogenes Geschwurbel als das konstruierte Pathos des Debütromans von Natascha Brown.
In Bernarda Evaristas „Mädchen, Frau, etc.“ liest man von Carole, Tochter armer afrikanischer Migranten, die an einer berühmten Universität Mathematik studiert, bei einer Bank in der City zur Finanzanalytikerin wird und dann zur Vice President aufsteigt. Sie musste sich dafür aber, wie üblich, von ihrer Herkunft (Mutter Bummi ist Putzfrau) radikal ablösen und sich überanpassen. „Und dann verlobt sich Carole auch noch mit einem Engländer, der zur High Society gehört und seinen Stammbaum bis zu William dem Eroberer zurückverfolgen kann. Bei der einzigen Begegnung mit seinen hochnäsigen Eltern Mark und Pamela spürt Bummi deren Verachtung.“ (Dieter Wunderlich)
Natasha Brown schreibt auf eine solche „Begegnung“ hin, auf die „Zusammenkunft“. Die Erzählerin ist zum ersten Mal bei Lous Eltern eingeladen, zu einer „Gartenparty“, für sie eine Überschreitung der sozialen Grenzen, eine intersektionale „Transzendenz“ (Kapitel). Der schnöselige Sohn hält sich die farbige Frau, um seiner Karriere „liberale Glaubwürdigkeit“ zu verschaffen.
Die Eltern begrüßen uns an der Tür, Helen und George — sie bestehen auf die Vornamen — holen mich ins Haus. An einer Wand ihres großzügigen Eingangsbereichs steht klobig eine Heizungsbank. Sie lächeln, warm und herzlich. Die Mutter, Helen, reibt die Schulter ihres Sohnes. (…) Sie alle sprechen und ich beobachte. Die meiste Zeit über jedenfalls — ich bin geübt im Nichtssagen. Ich höre zu, reagiere, stelle hin und wieder Fragen. Sie zählen ein paar Gäste auf, die morgen kommen werden. Freunde der Familie, aus der Politik, klar, aber auch Kreative, Akademiker, Anwälte und so weiter. Ein diskret schillerndes Aufgebot.
Denn sie beobachten (uns). Man hat ihnen in der Schule beigebracht, wie das geht. Man hat ihnen beigebracht, unsere Körper (uns) als Objekte zu betrachten. Sie lernen die Unterscheidung Industriestaaten/ Entwicklungsländer als Geografie, unwiderlegbar wie Berge, Ozeane und andere Naturphänomene. Ohne Warums und Weshalbs, oder die skrupellosen, über die Weltkarte schießenden Pfeile des europäischen Imperialismus.
Das kennt man, das hat man schon in vielen Filmen gesehen. Das joviale Spiel mit dem Parvenu, hier weiblich, schwarz, Vorfahren aus Jamaica. Das macht Leiden, die individuell gespürt, aber nicht individuell aus der Welt geschafft werden können. „Doch wem sie just passieret, Dem bricht das Herz entzwei.“ Am und im Postkolonialismus leidet man zurzeit – und zu Recht – besonders gern. Lou hat sie es nicht gesagt, aber die junge Frau hat Krebs. „Er wird streuen, sagte die Ärztin, als ich sie fragte, wie er mich umbringen wird. Sie erklärte die Stadien. Sagte, wenn ich ihn zu lange lasse, wenn er zu weit streut, wird der Schaden nicht zu überleben sein. Metastase: Er streut über das Blut in andere Organe, wächst unkontrolliert, überwältigt den Körper.“
Symbolische Aufladung,Verdoppelung, transsomatische Schmerzen, Zerstörung des Ich, des Subjekts („uns“), fragwürdige Alternative. Natasha Brown instrumentalisiert die Eindrücke, verdichtet sie erzählend, versucht, sich im Partygarten außerhalb zu bewegen, sich dem gesellschaftlichen Abseits zu stellen und sich von dort aus ständig zu befragen, woher diese intersektionalen Leiden stammen und was sie im Ich bewirken.
Das Verlangen besteht darin, dein Leid zu konsumieren, sich davon unterhalten zu lassen, von der Gänsehaut, dem haarsträubenden Schauder, den es auslöst; ein Leiden, das allem, was sie bereits wissen, wieder Geltung als höhere Einsicht verschafft / das in derKehle rüttelt und kitzelt und kratzt, wenn sie es in Gänze schlucken / mit der gleichen Befriedigung wie bei einem gezogenen Faden, dem Ziehen, Entwirren, Auseinanderfallen) (…)Während des Gehens ist das Knirschen und Rascheln unter meinen Füßen zu einem staubigen Flüstern geworden. Schwerelosigkeit. Weiches Dahinschreiten. Ich habe mich verlaufen, buchstäblich und im weiteren, abstrakteren Sinne. Obwohl ich, wenn ich mich umdrehe undnach unten schaue, das Haus noch sehen kann: Der rote Backstein ragt über einer weißen Plane auf. Es scheint, als wären das Haus, das Festzelt und der Abstand die einzigen Dinge, die hier noch existieren. Warum tue ich das?
Sie geht in Schulen und sagt etwas über Diversität: „Zu den Aulas voller Kinder, die nach Inspiration suchen. Denn bis heute hat das Mutterland seinen Griff nicht gelockert. Großbritannien besitzt, beutet aus und profitiert weiterhin von Land, eingenommen durch die Taten des zwanzigsten Jahrhunderts. Es verheizt unsere Zukunft, um seine gierige Wirtschaft anzutreiben. Unter der Androhung finanzieller Gewalt.„
Gleichzeitig belehrt man uns über wirtschaftliche Unabhängigkeit. Mischt man sich in unsere Politik, unsere Demokratien, unseren Zugang zur Weltwirtschaft ein; kreiert man Entwicklungsländer.“
Die Mischung aus persönlicher Getroffenheit und Weitergabe der Erfahrungen und Gedanken darüber an Schüler, die wie selbstverständlich neugierig, aufgeschlossen sind. Sie hören von persönlichem Leid und von eher oberflächlichen Überlegungen zu Politik und Wirtschaft, zu Taten und Gier und Kreationen. Eingehauchte Inspirationen, denn die nächste Generation soll ja von den Übeln erlöst werden. Bernarda Evarista schreibt in der dritten Person, sie kann sich distanzieren, sie kann ersichtlich machen, sie erlaubt sich Ironie auf Augenhöhe. Natasha Browns „Zusammenkunft“ kommt über Betroffenheit nicht hinaus. „Natasha Browns „Zusammenkunft“ ist ein starkes Manifest, als Roman aber ein unerfülltes Versprechen. (…) „Zusammenkunft“ erscheint insofern nicht wie eine hochdosierte, sondern wie eine etwas dünnere Variante von Bernardine Evaristos Roman „Mädchen, Frau etc.“, (Judith von Sternburg, FR)
Was mache ich hier eigentlich? (…)
Die Antwort lautet: Anpassung. Der Druck ist immer da. Pass dich an, pass dich an… Lös dich auf im Schmelztiegel. Und dann fließ raus, gieß dich in die Form. Verbieg deine Knochen, bis sie splittern und knacken und du hineinpasst. Press dich in ihre Schablone. Pass dich an, sagen sie, ermutigend. Dann stirnrunzelnd. Dann wieder und wieder. Und immer präsent, leise flüsternd, unter der dringlichen Sprache der Toleranz und des Zusammenhalts — Verschwinde! Zerfließe in Londons Multikultisuppe.
2021 – 115 Seiten
Leseprobe beim Suhrkamp-Verlag
BR – Natasha Brown im Interview
SWR – lesenswert Quartett (0:15)
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