Nachrichten vom Höllenhund


Drei Tage auf dem Land
13. Juni 2022, 13:27
Filed under: Theater

Patrick Marber:
Drei Tage auf dem Land

nach Iwan Turgenjews
„Ein Monat auf dem Lande“
Inszenierung: Cilli Drexel

Im Antoniushaus erwartet einen ein blühendes Bühnenbild. Sommer. Gräser und Blumen, man möchte am liebsten auf der Wiese Platz nehmen. Reihe 7 ist aber auch nicht schlecht.

Das Stück wird Patrick Marber zugeschrieben, einem englischen Multitalent. Er bearbeitete dazu die Vorlage „Ein Monat auf dem Lande“ des russischen Autors Iwan Sergejewitsch Turgenew von 1855 und „entstaubte sie sprachlich“. Turgenew war russischer Realist, lebte aber zumeist im Ausland. In der Ankündigung des Theaters Regensburg heißt es, Marber „schärft und überschreibt den großen Bilderbogen des russischen Autors Iwan Turgenjew aus dem 19. Jahrhundert, ohne dem Stoff die Leichtigkeit zu nehmen. Mit viel Humor und feiner Sprache führt er das Stück in unsere heutige Zeit und präsentiert dem Publikum die gesamte Palette der Liebe.“ Turgenews Landtage wurden von der damaligen Zensur verboten, Marbers Neue Leichtigkeit muss dieses Schicksal nicht fürchten. Das Sommerstück wirkt arg harmlos.

Andreas Quiring hat den Text Turgenjews gelesen, er findet, Barber „bleibt sehr nahe am Text Turgenjews“ und fragt: „Was ist also die originäre Leistung Marbers, und wo fand das „sprachlich gekonnte Ins-Heute-Bürsten“ statt?“ (Er bezieht sich auf Andreas Kriegenburgs Inszenierung in Frankfurt 2017.) Ich habe die Aufführung 2022 in Regensburg besucht und mir kamen weder Text noch Inhalt heutig vor. Fadisierter Landadel, die Figuren sind die üblichen, Gutsbesitzer (reich), seine Frau, zu jung, um sich mit ihrer Rolle zu begnügen, ein Freund der Familie, also zwischen Mann und Frau, der Landarzt, er bleibt auch heute im 19. Jahrhundert, von halbaußen treten auf: ein Nachbar, reich, aber nicht gewitzt, ein Hauslehrer, der neue agile Mann. Auf dem Gut auch die Bediensteten im zeitlos affigen Puppenkostüm. Und Vera, Mündel, der anziehende Stern des Stücks, laut Turgenjew 17. „Es entspinnen sich drei schwüle Tage voller heiterer Melancholie, abgründigem Schmerz, absurder Komik, knisternder Erotik und – natürlich – Liebe.“ (Ankündigung) All die Gefühle kommen natürlich auch heute vor, das zu behaupten, ist aber keine Aktualisierung. Interessant ist allenfalls, wie die Gelangweilten im ländlichen Russland mit den ersehnten, aber nicht eingeübten Aufwallungen umgingen. Sie bleiben an ihre sozio-ökonomischen Umwelten gebunden, die Träume enden im Privaten. Was sollte ein Herüberziehen ins Heute bedeuten?

Es gibt russische Erzählungen und Theaterstücke, die sich mit den Refugien der alten Sitten befassen. Bei Gorkis „Sommergästen“ von 1904 liegt Veränderung in der Luft, Tschechows „Kirschgarten“ aus dem gleichen Jahr kritisiert die Gesellschaft. Turgenjew lebt noch in der alten Gesellschaft, im Stück werden Kirschen aus der Tüte gegessen, verlustiert man sich im Blumengarten. „Turgenjews Stück ist kein Meisterwerk, Marbers auch nicht“, schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau zur Frankfurter Inszenierung. Auch in Regensburg wollen sie nicht mehr als eine „sommerliche Komödie“, die im Park oder im Arkadenhof besser aufgehoben wäre.

Ich sehe ein paar zarte Slapstickeinlagen rings um das Kirschkörbchen, spüre sehr gelegentliche Heiterkeit, durchgehend recht schleppendes Tempo. Wenn man genau aufpasst, kann man auch ein paar aktuelle Anspielungen bemerken: der lange „Putin-Tisch“ aus zusammengestelltem Mobiliar, der blaugelb gebastelte Drachen als Gedanke an die Ukraine. (Oder war das eher zufällig?)  Silke Heise ist als Frau Natalja ständig präsent, die „älteren“ Damen zieren mehr den Bühnenrand, Michael Haake wechselt gewohnt souverän seine Stimmungen, Kristóf Gellén weilt als neuer Hauslehrer meist im Blumengarten, Thomas Weber hat als reicher Gutsbesitzer Arkadij oft außerbühnlich zu tun. Arzt Spiegelskij ist eine gute Rolle für Michael Heuberger. Gerhard Hermann will/soll/will nicht/zaudert, der Ddoktor leistet Beistand beim Bemächtigen der jungen Haustochter. Hermann trägt nicht nur den passenden Hut für seinen reichen, aber unbedarften und zaghaften Nachbarn Bolschinzow, er hat auch einen schönen Moment, als er in den Blues der kleinen Combo einfällt. Die Live-Musik von David Markandeya Campling (verstärkte Gitarre) und Marlene Hoffmann (lautschöner Gesang & Maracas) beschwingt die Inszenierung. Mehr davon hätte dem Spiel und dem Publikum gutgetan.

Vielleicht sollte man es aber so sehen: Während Theater in anderen Städten mit Zeitstörungen und -strömungen kämpfen, einer schnappenden Suche nach individualistischen Kollektividentitäten etwa, einer Zerfledderung der Gattungen, vielerorts sieht man Marionetten auf den Bühnen, geht man in Regensburg mit sommerlichem Gemüt in die Ferien, in eine neue Saison mit der gesamten Palette der „Wahrheiten“.

„Ein Monat auf dem Lande“ will schon ertragen werden, drei Tage dauern womöglich auch noch zu lange. Ein entbehrliches Stück mit guten Schauspieler:innen. Julia Pitsch war eine ansehliche Vertretung für die verzückende Vera.

Fotos: Jochen Klenk

Theater Regensburg – Aufführung am 9. Juni 2022


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