Nachrichten vom Höllenhund


Wagner
27. September 2022, 15:51
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Jan Costin Wagner:
Sommer bei Nacht

Ein Gedanke ist eingerastet. Der Gedanke ist schwarz gewesen.
   Landmann hat gewartet. Auf irgendein Wort.

Jannis ist verschwunden, beim Flohmarkt der Schule. Die Überwachungskamera zeigt ihn an der Seite eines schemenhaften Mannes, in der Hand einen großen Teddybären. Ermittlungen werden eingeleitet: Ben und Christian, wir dürfen sie mit Vornamen kennenlernen, Landmann, schon im Ruhestand, Lederer. Bald wird auch der Entführer genannt, Marko, auch der Hausverwalter Holdner scheint beteiligt. Die Spannung geht vom Whodunit zum Howcatchem, den Methoden der Aufklärung. Die Spurensuche führt an erwartbare Orte: das Hochhaus, der Wald, ein ähnlicher Fall in Innsbruck. Das könnte ein Fernsehkrimi sein, Worte wirken jedoch eindringlicher, wenn man sie akribisch setzt.  Jan Costin Wagner interessieren mehr die inneren Regungen der Ermittler, speziell die Erschütterungen von Ben und Christian, die auch von außerkriminalistischen Geschehnissen angestoßen werden. Das verlangsamt die Erzählung, jedes Wort, jede Geste wird reflektiert.

Christian fragt sich, was Ben geträumt hat. Ob es schön war oder nicht. Eine Frage der Perspektive. Traumlos, das hat er gelesen, sei in aller Regel nur der nächtliche Tiefschlaf. Das könnte dafürsprechen, dass man im Traum eine Anbindung an die Realität bewahrt. An das Leben. Während der Tiefschlaf Kontakt zum Tod aufbaut.
  Gleich, wenn er in die Szene hineintreten wird, muss er in der Lage sein, seinen Text aufzusagen. Fehlerfrei.
  Er läuft ein paar Schritte, behutsam, stellt sich vor, ein ermittelnder Beamter zu sein. In einem Vermisstenfall. Möglicherweise einem Entführungsfall. Ein Brennen ist hinter seinen Augen, ein stummes Lachen vibriert auf seinen Lippen. Einige Sekunden lang, dann zieht es sich zurück.  Er läuft. Stellt sich vor, der leitende Ermittler zu sein, der er tatsächlich ist.

Das langsame bis zähe Voranschreiten der kriminalistischen Arbeit, von Gedanken über Worte bis zu deren Umsetzung, kompensiert Jan Costin Wagner durch den rasanten Wechsel der Perspektiven. (14 hat Peter Körte in der FAZ gezählt.) Kaum mehr als eine Seite bleibt er bei einer Person, zunehmend werden auch die – bekannten oder vermuteten – Täter einbezogen. Auch die Eltern der Opfer oder Familienmitglieder der Kommissare kommen zu Wort.

Die Art der Darstellung macht den Reiz dieser Kriminalgeschichte aus, sie wirkt feinsinnig, beobachtet genau und empathisch. In knappen, nüchternen Sätzen skizziert Wagner zum Pathos und dann daran vorbei. Der Stil kann aber auch affektiert wirken, vor allem, wenn sich manche Motive häufig wiederholen. Die Wirkung von Worten etwa:

 Seine eigenen Worte klingen nach. Er ist selbst überrascht, von der Wucht, mit der er sie ausgesprochen hat. Und darüber, dass er jedes Wort genau so gemeint hat. (…) Die Worte klingen nach. Er gleicht sie mit seinen eigenen ab. Ähnlich hat er die Frage gestellt. Ungezählte Male. Er war Ermittler. Er hat Menschen befragt, denen   Schlimmes widerfahren ist.
  Was, denkt er.
  Was.  Ist. Passiert?
  »Nein«, sagt er. (…)

»Ja«, hat er entgegnet. Hat dem Wort nachgelauscht. (…)   Dann hat der Polizist berichtet. Landmann hat zugehört. Worte, die im Raum schweben, ihren Platz finden, eine Aussage kristallisiert sich heraus, eine Nachricht.

Die Figuren sind einsam, müssen neben den Tätern auch sich selbst finden. „Wagner erzählt (…) nicht um der Sensation willen, sondern um die Abgründe der menschlichen Seelen zu erforschen.“  (Marcus Müntefering, SPIEGEL) Man kann Jan Costin Wagner natürlich auch Routine unterstellen. „Die Zusammenhänge   zerfasern, lösen sich voneinander ab, bis sie in Fetzen herabhängen. Alles wird beliebig, beiläufig, weil sich etwas festgebissen hat, etwas, das er noch nicht benennen kann.

Schattenhafte Bilder zucken auf, während er sich nähert, er fokussiert sich auf Marlenes Lächeln, die Bilder sind Erinnerungen. Ferne Erinnerungen. Eine ganze Nacht weit entfernt. (…) Ben schließt die Augen, jetzt ganz umschlossen von dem einen Gedanken, dem, den er nicht mehr zu Ende denken wird.

Mit „Am roten Strand“ hat Jan Costin Wagner 2022 eine Fortsetzung der „Ben-Neven-Krimireihe veröffentlicht.

2020 – 310 Seiten

2-

Leseprobe beim KiWi-Verlag


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: