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Nikolai Gogol : Der Revisor
Inszenierung : Daniel Foerster
„Ausgefeilt und grellbunt“ – Claudia Böckel referiert in der MZ ausführlich das „Farbkonzept“ der Inszenierung von Gogols Revisor als „kraftvollem Bilderreigen“ am Theater Regensburg. Sie räsoniert über „Farbfamilien“ und sieht in der Aufführung ein „überzeitliches Theaterstück, das bis heute für jedes denkbare Gesellschaftsgefüge gelten kann“. Eine so „ausgefeilte „Kritik“ haben Daniel Foerster und seine Darsteller:innen nicht verdient!

„Überzeitliches“ gibt es nur, wenn es historisch reflektiert und eingeordnet wird. Sicher, man kann „den Menschen“ für zeitlos schlecht halten, doch da müsste das Denken erst anfangen, müsste nach den Interaktionen von Individuum und Gesellschaft fragen, müsste Antworten auf die Unterschiede zwischen dem Russland von 1835 und den Mechanismen von WirJetztHier – zumindest – versuchen. „Gibt es Not im Volk, nimmt die Klauerei zu.“ klagen die Waldbauern 2022. Verallgemeinert man die Habsucht in „jedes denkbare Gesellschaftsgefüge“, verflüchtigt sich die Aussage ins Triviale. Natürlich gibt es auch im WirJetztHier Korruption, doch sind die Formen der Diebereien andere. Ich frage mich auch, ob Christian Muggenthalers Folgerung Sinn macht: „Weil Regisseur Daniel Foerster konsequent auf Zeitlosigkeit setzt und so den Stoff sofort an der Gegenwart andockt.“ So? Sofort? Auch wenn man auf „Zeitlosigkeit“ abstrahiert, werde ich bestenfalls vom Stück dazu angeregt, ans Jetzt zu denken. Die Personen und ihre Motivationen und ihre Handlungen kann ich zunächst nur in der dargestellten Gesellschaftlichkeit verorten. – Oder man spielt das Stück als Veranschaulichung von Geschichte. Ist vielleicht noch interessanter als bunte, aber zu zaghafte Verheutigung.
In einem kleinen russischen Städtchen wird die Nachricht verbreitet, ein Revisor sei inkognito auf dem Weg in die Stadt. Alle Beamten der Stadt, allen voran der Stadthauptmann als Oberhaupt, fürchten sich vor diesem Besuch. Schließlich hat jeder von ihnen Dreck am Stecken, ob in Verwaltung, Justiz, Schule, Krankenhaus, Post : Sie lassen sich schmieren, bestechen oder erfüllen ihre Aufgaben nicht. Gleichzeitig ist ein junger Mann aus St. Petersburg in einem Gasthaus abgestiegen. Seit zwei Wochen wohnt er dort und hat noch keine Rechnung bezahlt, sondern sich immer alles anschreiben lassen. Schnell geht das Gerücht um, der junge Mann sei der Revisor.

Die Inszenierung hält sich an die Übersetzung von Ulrike Zemme, Veränderungen sehe ich in den Kostümen – „plärrbunt“ freut sich Muggenthaler -, in der Bühnenmöblierung. Aktuelle Bezüge stellt Foerster in der Schlussszene her, wo Marja, die Tochter des Stadthauptmanns (Sophie Juliana Pollack) einen heutigen Text von Wolfram Lotz vorträgt – aus „Die Politiker“. In der Aufführung vom 8. November musste dieser indignierteAnhang allerdings entfallen. Natürlich kann ich mich auch über die Persiflage auf die Geld- und Machtgeilheit der Männer zu Gogolzeiten freuen. Gogol selbst hielt die Komödie für den „Sammelpunkt für alle möglichen Unzulänglichkeiten“. Franziska Sörensen ist in ihren Rollen als Direktorin, Postmeisterin, Geschäftsperson eine moderne lärmende Abwandlung.
Die Inszenierung verzichtet auf zeitgenössisches Mobiliar. Die Bühne ist möbliert mit verschiebbaren Treppenblöcken, was viel Rollaufwand bedeutet und als Requisitenballett einige Zeiten in Anspruch nimmt. Die „Rolltreppen“ sind wohl mit Symbolgehalt bestückt: Alle wollen sie beklettern, oben ist wer droben ist. Im Spitzenduell treten sich Thomas Mehlhorn als Stadthauptmann und Max Roenneberg als der vermeintliche Revisor Chlestakow gegenüber. Die spitzen Frauen drängen sich zum Gipfel, sie wollen den agilen Nachschauer für sich, die Tochter macht gegen ihre notgeile Mutter Anna (Kathrin Berg) das Rennen. Scheinbar, denn der Revisor sucht vor so viel Frauenpower das Weite.

Eine wenig wagende Aufführung, die ihren komödiantischen Esprit vor allem aus choreografierten Menschengruppen bezieht, Getrippel, Getrappel, das die Aufmerksamen im Publikum zu verdrücktem Gegiggel hinreißt. Die Leiden eines Minderbekochten und geldlosen Subalternen (Diener Ossip: Michael Haake) werden nicht nur für den Hungernden zur Qual, sondern auch für die Zuschauer, die damit zu lange konfrontiert werden. Nach der Pause konzentriert man das Personal auf die Showdown-Treppen und forciert so den Weg zum erlösenden, aber fürs dramatisch-komödiantische Personal unbefriedigenden Ende. Der „Revisor“ scheint an seinen entlarvenden Eskapaden Gefallen gefunden zu haben und zieht in die nächste russische Kleinstadt. Wahrheiten für Regenburg? * Vielleicht das nächste Mal. Heftiger Applaus, auch Gejohle von einigen, die sich selbst begeistern.
Theater Regensburg – Aufführung am 8. November 2022
* P.S. Selbstverständlich ist Regensburg nicht frei von Korruptionen. Man denkt sofort (?) an Franz Joachimowitsch. Doch der eine war mit seinen Korruptiönchen nicht (nur) auf eigene Vorteile aus, der andere ist in seiner Staatspartei mit solchen Schmutzeleien gut aufgehoben und dort im Vergleich zu Alfred Petrowitsch ein eher kleiner Blender. Für den großen Beschiss braucht es heute ja eh Algorithmen. – Das nächste Stück beschäftigt sich mit einer spezifischen Wahrheit der „Perle“ Regensburg: „Gentrifizier dich!“ „Viele Regensburger*innen betrachten die Gentrifizierung mit Argwohn.“ (Ankündigung)
Ausschnitt aus Wolfram Lotz‘ Sprechtext »Die Politiker«.
Gelesen vom Autor. (12 Minuten)
Fotos: Tom Neumeier
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