Nachrichten vom Höllenhund


Rossbacher
25. November 2022, 17:07
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: ,

Verena Rossbaccher:
Mon Chéri und unsere demolierten Seelen 

»Ihnen gefällt meine Frisur?«
»Ja. Ich wusste allerdings nicht, dass es ein Dutt sein soll, ich fand gerade gut, dass Sie, wo heutzutage jeder einen Dutt trägt, keinen Dutt tragen. Es war eine Frisur ohne Namen, das fand ich gut.«
»Und jetzt, wo Sie wissen, dass es ein Dutt sein soll, finden Sie sie plötzlich nicht mehr so gut?«
»Das kann ich so nicht sagen. Da es nicht auch nur im Entferntesten an einen Dutt erinnert, hat sich an meiner Sicht auf die Dinge nicht viel verändert.«
»Ach so.« Ich schwieg.

In Verena Rossbachers „Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ geht es um viele Nebensächlichkeiten. Aber ist das Leben nicht die Summe einer Unsumme solcher scheinbaren Marginalien: verbrannte Croissants, Ukulelen, Hochleistungsmixer, Schnittlauchsträhnen, Familienaufstellungen, Schokoriegel, der Heimlichgriff, Esoterikpraktiken, Chräbelis und ein Chäslädeli, Handke und der „Dutt“. Und Leonard Cohen. All diese Dinge und viele mehr tauchen immer wieder auf und das ist ein Strukturmerkmal dieses lebensklugen Romans. Ausnahme: „Handke sagte einmal, über Sexualität gebe es nichts zu schreiben. Er sagte, auch im Kino schaue er immer weg, Sexszenen würden alle erniedrigen, die Zuschauer wie die Darsteller. Handke und ich sind weiß Gott nicht immer einer Meinung, aber in dieser Sache muss ich ihm auf die Schulter klopfen.

Charly Benz ist 43 und hat es bis jetzt nicht geschafft, Ordnung in diese kleinen Dinge zu bringen, ihr Leben zu strukturieren, das meiste gelingt nicht wie geplant bzw. es fehlt ihr ein Plan. „Ich versuchte, die verschiedenen Teile zusammenzusetzen, aber ich konnte es nicht. Es war nur eine Ahnung, wie alles miteinander zusammenhing, nichts, was ich denken konnte. Ahnungen sind nichts, was man denken kann.“ Selbstoptimierung ist etwas anderes. Charly Benz tappert durch ihr Leben und lässt die Leserin hautnah teilhaben. Vieles kennt man und freut sich, es so treffend und amüsant aufgeschrieben zu sehen. So die Haushaltsführungsprobleme eines Lebens, wie es Charly „durchsingelt“: „Alle nahmen sich vor, am Abend was Schönes zu kochen. Entweder sie schafften es nicht, was einzukaufen, oder sie waren doch wieder zu spät dran oder es war dann einfach nicht schön, weil nicht schmackhaft.

   Nach zwei Kursen Kochen für Singles wusste ich haargenau, in welchen Mengen man einkaufen musste (Obst und Gemüse stückweise, Reis und Nudeln im Großgebinde) und welche Lebensmittel man vermeiden sollte, da sie von Einzelpersonen nicht schnell genug aufgebraucht werden konnten (feine, kalt gepresste Öle, Tomatenmark im Glas), ich war mir im Klaren darüber, dass Planung das A und O eines glücklichen Ein-Personen-Haushalts war, ich kannte alle Tricks für die, die einem stressigen Job nachgingen (vorbereiten und vorkochen, damit man unter der Woche immer was zum Aufwärmen zu Hause hatte), ich war, was die Singleküche anging, ein Profi und als Profi wusste ich eines nur zu gut: Es war nicht schön.“ „»Und ich denke«, sagte ich, »ich kann damit für meine gesamte Generation sprechen.«“ „Kochen lassen, bis das Wasser nicht mehr zu sehen ist.“

Charly Benz ist eine in ihrem und durch ihr Scheitern sympathische Hauptperson, die das Glück hat, selbst erzählen und ihre Sicht auf sich und die Welt in Frage stellen zu dürfen. Sie erinnert sich an vieles, auch Produktnamen, betreibt Trend-Dropping“, berichtet meist im Detail, wendet sich immer wieder an die Leserin und schon hat sie eine(n) für sich gewonnen. Verena Roßbacher stellt ihr auch einen romaninternen Gesprächspartner zur Seite: Herrn Herbert Schabowski, „einen 60-jährigen Beamtentypen, der für sich das Geschäftsmodell „PostEngel“ erfunden hat, also anderer Leute Briefe an sich nimmt, sie gemeinsam mit ihnen öffnet und die damit assoziierten Probleme bespricht“ (Kristina Maidt-Zinke, SZ). „»Ach, Herr Schabowski.«   »Ja, Frau Benz.“ Sie siezen sich bis zum Ende.

Der Roman verliert im zweiten Teil – vorübergehend – das Heiter-Depressive. Es geht um Leben und Tod und nichts weniger. Schabowski erkrankt an Krebs, Charly erbt ein Hotel in Bad Gastein und empfängt ein Kind. Ein „Wutzi“, für das drei Männer als Vater in Frage kommen.

Weihnachten ohne Hunde ist gar kein Weihnachten. Ohne Hunde, ohne Kinder und auch sonst ohne irgendwen, so sollte Weihnachten, das Fest der Liebe, auf keinen Fall sein, und dann lud ich alle ein. Und mit alle meine ich: wirklich alle.
  Schabowski und das Triumvirat, bestehend aus Quandt, Gabler und Dragaschnig — gut, das verstand sich fast von selbst, irgendwie waren wir ja fast eine Familie, Schabowski als väterlicher Freund, die anderen als befreundete Väter.
   Dazu lud ich aber — wie ich fand, ganz schön progressiv und auch innovativ —, haltet euch fest, Georg mit den Hundekindern Anduin und Almina und den hotten Tanguero ein. Er hieß Bernhard, wie ich bei der heimlichen Durchsicht von Sybilles Telefon erfahren hatte — Bernhard, völlig unpassend natürlich für einen Tango-Latin Lover.
  Vielleicht wird jetzt jemand einwenden, dass ich damit das Risiko in Kauf nahm, dass die Stimmung   irgendwann   kippte, aber ich kann mit gutem Gewissen berichten: Bis Sybille den Abend    sozusagen mit dem Arsch einriss, war er ein voller Erfolg.

Charly Benz erzählt die Geschichte(n) geschrieben wie gesprochen. Das schafft Nähe, Glaubwürdigkeit und Vertrautheit. Das verleitet auch zum Plaudern, zum Abschweifen, zum Werben um, „keine Ahnung“, Sympathie, „Dings“, Empathie. Der Roman wird 500 Seiten lang. Zu ausführlich beschäftigt sich die Ansprache – m.E. – mit den Methoden und der Bedeutung von esoterischen Systemen und yogatischen Techniken. Durchaus ambivalent, weil Charly Benz ja von Grund auf ironische Skeptikerin ist, sich angesichts segensreicher Wirkungen in harter Zeit – Geburt und Tod – zu einer wohlwollenderen Betrachtung bekennt. Die Frage, wer oder was die „Seelen demoliert“, verfließt in elegisches Wohlgefühl. „Face the Fear“.

Ich holte ein frisches Taschentuch aus der Packung und putzte mir die Nase. Wenn etwas eine Einbahnstraße ist, dann ist es schwer. Wenn man bei einer Geburt nicht mehr zurückkann, wenn es beim Sterben kein Zurück mehr gibt.  Wenn man das, was einem bevorsteht, nur noch akzeptieren kann, das ist für Menschen so schwer.

Über den Gipfeln ging die Sonne auf, kräftig und zart zugleich, jeden Tag, immer wieder wie ein Wunder nach einer langen Nacht. Es war der 26. September, die Hagebutten färbten sich rot, die Brombeeren schwarz, als Herr Schabowski, mein PostEngel, mein Freund, mein   Schabowski, aufhörte zu atmen und hinüberging in eine ungewisse Zukunft.

„Humor, oder besser: Sinn für Komik auf der Kippe zum Traurigen, ist das Fundament des Romans.“ (Kristina Maidt-Zinke) Es fehlt noch die Playlist für die besten Abspannsongs:

Ich habe festgestellt«, sagte er, als er die Hörer abnahm, »dass es so eine Art geheimes Genre gibt, nämlich die Songs am Ende eines Films. Ist Ihnen einmal aufgefallen, dass die letzten Stücke oft die besten sind im ganzen Film? Und sie beeinflussen die Stimmung, mit der man aus dem Kino geht, den Film ausmacht.«
Er schwieg, ich überlegte, mir fiel so spontan kein Song ein.
   Als läse er meine Gedanken, sagte er: »Queen Bee von Johnny Flynn, bei der Neuverfilmung von Emma.«
  »Jesus, ja«, sagte ich, ich erinnerte mich an meinen ersten Besuch bei Hänse zu Hause, unser Duell mit den Laserschwertern, ich merkte, wie ich ein wenig rot wurde, »Queen Bee! Ein Hammerstück!«
  »Get Well Soon, Oh Boy. Where do you go to my lovely, Darjeeling Limited. Boccherini, Master and Commander, die Bearbeitung für Cello und Geige. Wonderful life, Der Vorname — das ist ein bisschen geschummelt, es ist nicht das Lied vom Abspann, aber das letzte Stück des Films. Chapel of love, Vier Hochzeiten und ein Todesfall, If you want to sing out, Harold and Maude, Du hast den Farbfilm vergessen, Sonnenallee, Sound of Silence, bei —«
   Ich lachte. »Haben Sie eine Playlist der Abspannsongs lustiger Filme gemacht?«
  »Richtig, Frau Benz. Fast alle Filme, die wir zusammen geschaut haben, enden mit einem Stück, das mich froh macht und zuversichtlich. Das ist merkwürdig, nicht? Dass ich zuversichtlich bin, obwohl es zu Ende geht.«
   »Das klingt gut«, sagte ich. Ich dachte ein wenig nach. Musik war sowieso rätselhaft. Ich meine, erinnern Sie sich, vor Weihnachten war ich mir noch so sicher, dass diese magic songs sozusagen jeden Mann fällten, der mir über den Weg lief, oder besser gesagt: mich fällten, aber tatsächlich funktionierte das irgendwie nicht mehr.  (…) Ich war natürlich einerseits froh, weil noch mehr Männer konnte ich einfach nicht unterbringen in meinem vollen Alltag, aber andererseits war ich auch ein wenig enttäuscht.

„Lustige Frauen, das lernen wir mit Verena Roßbacher, sind einfach unwiderstehlich!“ (Buchpreis Österreich 2022) Gilt das auch für Männer, die das Buch lesen? Spricht Verena Roßbacher nicht nur für die Generation, sondern auch für den Mann? Die frühe Charly Benz würde empfehlen, zum Lesen eine Flasche Wein zu trinken.

P.S.

Ich las ein Buch, Inhalt: egal, irgendwas mit Männern und Frauen und melancholischen   Verstimmungen, und sehnte mich nach einer Zigarette und — whoppa! — plötzlich lief It’s all over now, Baby Blue in der absoluten Hammerversion von Them.  Und klar, damit wir uns hier nicht missverstehen, auch ich finde, Bob Dylan ist der King und Them sind im Vergleich dazu ein paar unbedarfte Lakaien, gerade gut genug, sein Silber zu putzen, aber, ehrlich, bei Baby Blue haben sie einfach die Nase vorn. Haben Sie es im Kopf?

2022 – 505 Seiten

Leseprobe beim Verlag Kiepenheuer & Witsch

Geistesblüten“: Verena Roßbacher zu ihrem Roman »Mon Chéri und unsere demolierten Seelen« (45 Minuten)

Verena Roßbacher gewann mit „Mon Chérie“ den Österreichischen Buchpreis 2022.
„Mon Chéri und unsere demolierten Seelen“ erzählt eine Geschichte vom Loslassen. Zwischendrin gibt es Slapstick vom Feinsten.“

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