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Carla Niewöhner: Gentrifizier dich!
Inszenierung:
Juli Paul Bökamp
Auf der Mitte der kleinen Bühne steht das Wohnungskarussell. Ein Tiny-Haus, für Lena das Ziel ihrer Sehnsucht. Ein Platz zum Schlafen, zum Essen, zum Wohnen, ein Ort, an den man nach des Tages Müh und nach des Abends Freuden heimkehren kann. Ein sichereres Refugium, ein Menschenrecht.
Lena hat gerade ihre erste Stelle angetreten, irgendwas mit Medien, der Lohn ist moderat, aber er müsste für eine kleine Wohnung reichen, natürlich in der hippen Altstadt, nahe am Leben. Lena „nimmt uns mit auf eine obskure und aberwitzige Tour durch WG-Castings und Vermietergespräche und trifft dabei auf ebenso abstruse wie unhaltbare Wohnsituationen“ (Ankündigung). All das Abstruse ist im kleinen Blockhäuschen angesiedelt. Das Haus ist drehbar, es wird von Mietern und Vermietern, wohlwollenden und weniger wohlwollenden Menschen belegt. Es wird zum Kiosk und zum Hostel, zur Bleibe von esoterischen WGs und von zuckenden Neon-Tänzern, zur Pop-up-Galerie. Lena muss das Karussell in Handarbeit antreiben, doch auch wenn sie kurz Eingang findet, wird sie von der Gentrifuge nach kurzer Hoffnung wieder hinausgeschleudert in die Wohnungsfreiheit.

Zunächst schmettert Lena euphorisch Vicky Leandros‘ „Ich liebe das Leben“ mit, sie teilt ihren Übermut mit dem Theaterpublikum. Es wird nicht so bleiben. Matthias will sich in die Donau stürzen, Lena kann ihn vom Suizid wegreden. Ihr Motto: „Gutes kommt zu dir zurück.“ Der Gemüsehändler Murat muss ausziehen, die Miete steigt und steigt, Lena denkt sich Strategien aus, fragt bei Bekannten um Hilfe, um ein freies Sofa für ein paar Tage, sie reduziert ihre Ansprüche, sie telefoniert und telefoniert mit ihrem Tablet, sie reiht sich in selbstzerstörerische Besichtigungsschlangen ein. Sie nennt sich Lena Zimmermann, der Familienname wirkt seriöser. Die Situationen sind bekannt, sind Klischee. Dass ein Vermieter wegen des Staates in Form des Finanzamts die Miete erhöhen muss, war mir neu, ist aber verifiziert.

Lenas „Ich liebe das Leben“ wird früh unterbrochen, das Karussell dreht sich so schnell, dass das Bühnenhaus kaum noch hinterherkommt. Carla Niewöhner treibt Lena in die finale Verzweiflung. (Vielleicht liegt’s auch an der abstrusen Perücke. Kontrast zum schwarzen Playmobilhaar der zwei Maskierten. Lena, als „Landei“ markiert?) (Michael Scheiner, MZ) Oder hab ich da stylemäßig was verpasst?) Natürlich könnte sie auch nach Alteglofsheim ziehen, weshalb muss es Stadtamhof sein? Wegen der im Umland fehlenden Szene-Cafés, wegen der fehlenden ÖPNV-Angebote? Die Ursache für die Misere wird dem Zuschauer überspitzt ausdifferenziert. GENTRIFIZIERUNG! Eine Systemfrage, für die keine individuelle Lösung verfügbar ist. „Gentrifizier dich!“ ist kein politisches Stück, sondern versteht sich als „Satire“, macht aus dem moralischen Dilemma Unterhaltung. Verstanden. Uns dauert die junge Frau. Gleichzeitig schauen wir uns an der nervigen Suche satt, warten auf einen radikalen Schluss.
Lilly-Marie Vogler macht das toll. Sie wechselt vom jugendlichen Esprit zur Getriebenheit. Wo ist der Ausweg? Im Publikum wird es stiller. Katharina Grof hat das multifunktionale Objekt der Mietsache auf die Bühne gestellt, es lässt sich im Nu verwandeln durch drangehängte Schilder, Balkone und Plastikblumen im Playmobil-Stil. Alle Personen werden von Joscha Eißen und Katharina Solzbacher gespielt, mit Masken vorm Gesicht ihrer Individualität beraubt, ihrer Moral, ihrer Verantwortung enthoben. Geld hat kein Gesicht. Am Schluss erscheint auch Lena mit Maske.
Eine flotte Inszenierung von Juli Paul Bökamp. Man bewundert die Darsteller schon allein dafür, wie sie durch das Gentrifugal-Haus schwirren, ohne sich bei der Wahl der Klamotten zu vertun. Viele Szenen, viele davon abgedreht, manche vorhersehbar, auch Klischee rotiert in dem Häuschen. Die Hauptlast trägt die bis fast zum Schluss affektionierte Lena, d.i. Lilly-Marie Vogler.
Theater Regensburg – Aufführung am 26. November 2022

P.S. Natürlich ist Gentrifizierung auch nur Symptom. Die Um-Verteilung oder „Vertreibung“ von Cafés, Kneipen, Boutiquen ist Folge veränderter Nachfrage und knappen Angebots und daraus resultierenden Mietanstiegs, den sich oftmals nur noch – überregionale – Ketten leisten können. Und dahinter stecken in der Regel ökonomische Gegebenheiten wie fehlende staatliche Regulierungsmaßnahmen bei Bodenpreisen oder Spekulation. Auf der Bühne anschaulich illustrieren lässt sich das kaum. Man behilft sich mit Oberflächen-Phänomenen wie etwa gehetzte oder zu Kalamitäten verführte junge Frauen. Wird Lena zur Aktivistin? Irgendwann einmal? Der Aufruf „Gentrifizier dich!“ setzt bei den Adressaten natürlich auch die nötigen finanziellen Quellen voraus.
P.P.S. „Das Stück lässt sich ohne Probleme auf den jeweiligen Theaterstandort anpassen“, liest man bei theatertexte.de. Zum Beispiel Regensburg. Regensburg ist eine Großstadt, doch ist die City – hier: Altstadt – relativ zu klein, als dass sich die „Gentrifizierung“ räumlich ausgeprägt ausmachen ließe. Unter den deutschen Städten belegt Regensburg nach der Einwohnerzahl Rang 54.
Fotos: Tom Neumeier u.a.

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