Nachrichten vom Höllenhund


Der Weg zurück
7. März 2023, 18:15
Filed under: Theater

Dennis Kelly :
Der Weg zurück
Inszenierung:
Philipp Becker

Sie heißt Dawn. Ihr Vater (Guido Wachter) hat sie so genannt, weil ihre Mutter bei der Geburt gestorben ist. Dawn, die Morgenröte, das steht für Aufbruch, für Fortschritt, für Optimismus. Dawn ist wütend, sie findet sich bei einer Erweckungsbewegung, die sich „Regression“ als Motto und Auftrag gegeben hat. Zurück in die Zukunft!

„Der moderne Glaube an Aufklärung und Fortschritt sei ein Fehler gewesen. Waffen, genetische Manipulationen und technische Innovationen hätten die Menschheit an den Rand des Abgrunds gedrängt. Dies müsse aufhören, koste es, was es wolle! In der sich neu formierenden, »regressionistischen« Gesellschaft sind Technologie und Forschung verboten: Wissen ist Qual, Nichtwissen ein Segen.“ (Schauspiel Köln)

Die Regressionist:innen breiten sich auf der Bühne aus, malen Zeichen auf die Rückwand, bestärken sich in ihren Disputen genseitig, lassen sich von der Technik a-ha einspielen: „Say after me, It’s no better to be safe than sorry.“ (1985! Synthie-Pop) Der Findungsprozess dauert und dauert, jede:r kommt zu Wort, bringt Denk-Schnipsel als vermeintlich eigene Meinung ein, vieles kommt seltsam bekannt vor,  auch aus der aktuellen Diskussion um „Aktivist:innen“.

Einig ist man sich in vielem, was abzulehnen ist: Technik, Wissenschaft, Sprache, Kommunikation. Die gemeinsame Wurzel ist die Wut. Autor, Akteure und Zuschauer können nur bedingt entwirren, was ernsthafter Diskurs ist und was unreflektiertes Nachbrabbeln, was persönlich geprägte Strategie, was nebulöses Gestochere. Das Spiel schwankt zwischen ironisierter Mimese und anspruchsvoller Diagnostik. Immer, wenn man nicht weiter weiß, schleicht sich Spiritualität ein oder drängt sich Gewalt auf. Der Zuschauer bemüht sich, nicht einzunicken. Schließlich stellt die Gruppe – eingeschlossen die Dawn der fünften Generation – einen 10-Punkte-Plan vor. „Über die nächsten Generationen hinweg wird aus der Bewegung mehr und mehr eine Diktatur voller Verbote. Schnell brennen Forschungslabore und Universitäten, aus Zweifeln wird radikale Ablehnung. Nichtwissen heißt das neue Ziel und selbst die Sprache soll einfacher werden. Denn komplexes Sprechen fördert komplexeres Denken.“ (Ankündigung)

Man wartet auf ein Ende dieses „nebulösen, durch und durch narrativen und mit szenischen Angeboten kargenden“ Stückes (Christian Rakow, nachtkritik.de) Es folgen noch zwei etwas interessantere Einfälle: Anna Kiesewetter setzt das zunächst abstrakt-regressive Ziel, die Sprache zu entkomplizieren und auf Hauptsätze mit einsilbigen Wörtern zu reduzieren, in die Praxis um. Ihr Sprechen wirkt – auf mich – gar nicht so befremdlich. Ein Seitenhieb auf die sich ausbreitende „einfache Sprache“.  Leider will auch diese Frau gar nicht mehr aufhören zu quatschen, immer wieder kehrt sie beim Abgang um. Einmal singen die Regressionisten  a capella, wieder das a-ha-Lied. Und ganz am Ende hört man ein paar Gedichtzeilen, die an Hölderlin erinnern. Es ist Hölderlin, aber der Rezitator spricht sehr leise.

   Leben will ich denn auch     und ihr, Begeisterungen, und all ihr
   Guten Genien, die gerne bei Liebenden sind;
Bleibt so lange mit uns, bis wir auf gemeinsamem Boden
Dort, wo die Seligen all niederzukehren bereit,
   Dort, wo die Musen, woher Helden und Liebende sind,
Dort uns, oder auch hier, auf tauender Insel begegnen

Hölderlin! Unverhohlenes Pathos auch hier. Dawn. Aufbruch – vielsilbig. Steht das auch im Original?

„Der Weg zurück“ wird als „Gedankenexperiment“ angekündigt. Bei Gedanken ist es oft so, dass sie tiefsinnig sind, oft täuschen sie echten Gehalt aber auch bloß vor und verbleiben im wortreichen Geschwurbel. Der Unterschied ist nicht immer leicht und schnell zu erkennen. Es kann ja auch sein, dass sich im Schwurbelnden implizit Entlarvung versteckt. Das Stück bildet (zu) viel sprachlich nach und stellt dabei (zu) wenig Fragwürdiges bloß. Da es sich um ein „Experiment“ handeln soll, ist das vielleicht auch egal. Der Text täuscht an. Liefert aber die Spannung nicht mit. Die Explosionen, die Gewalt, die Attentate sind nicht auf die Bühne zu bringen. Das Schau-Spiel bleibt unspektakuläre Andeutung.  „Weshalb dieser Kulturpessimisten-Club in den nachfolgenden drei Bildern nicht schon viel eher gestoppt wird, das weiß allein der Autor dieses an beliebigen Setzungen und in unseren Ohren auch schalen Parolen so reichen Stücks.“ (Peter Geiger, MZ) Man wartet auf die Spannung, das Bitterböse (Ankündigung), doch der Abend versandet.

Die Darsteller erhalten den berechtigten Applaus, auch wenn die meisten Rollen (Kathrin Berg, Paul Wiesmann, Johanna Kunze, Jonas Julian Niemann) wenig Möglichkeiten zur szenischen Gestaltung bieten. Schön der vom Schnürboden fallende bestrahlte Nebel.

Theater Regensburg – Aufführung am 23. Februar 2023

Fotos: Tom Neumeier Leather


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