Nachrichten vom Höllenhund


Glaube Liebe Hoffnung
26. April 2023, 19:04
Filed under: Theater

Ödön von Horváth:
Glaube Liebe Hoffnung
Ein kleiner Totentanz
in fünf Bildern
Inszenierung :
Robert Schuster

Elisabeth heißt im Regensburger Update des Stückes Lilly-Marie. Das macht sie noch nicht modern, aber Lilly-Marie Vogler wirkt sportlich taff, sie ist kein Trutscherl, sie springt auch in ihrer Mimik und Stimme zwischen Verzweiflung und Hohngelächter, sie kann aufgeweckt und spektakulär laut. Ohne Aussicht.

Die Prantl, Franziska Sörensen, robust: „Was? Zwei Paar Straps, einen Hüfthalter und ein Korsett, das ist doch radikal nichts!

Ja. Elisabeth hat nicht mehr verkauft. Dabei ist sie Tochter eines Inspektors, doch der hat auch fast nichts und sie will auf eigenen Füßen stehen. Aber die Zeiten sind schlecht und für eine junge Frau gleich ganz. 1932. Aber „man möchte doch nicht immer so weiter“. „Man hat mich nämlich extra darauf aufmerksam gemacht, daß man hier seinen Körper verkaufen kann – das heißt: wenn ich einmal gestorben sein werde, daß dann die Herren da drinnen mit meiner Leiche im Dienste der Wissenschaft machen können, was die Herren nur wollen – daß ich aber dabei das Honorar gleich ausbezahlt bekomme. Schon jetzt.

Präparator, Guido Wachter, verstört: „Seine eigene Leiche verkaufen – auf was die Leut noch alles kommen werden?“

Mit den 150 Mark, die sie sich für die eigene Leiche ausrechnet, möchte sie einen ‚Wandergewerbeschein‘ holen. Sie will sich durchschlängeln, aber sie hat sich verrechnet und verstrickt sich immer stärker in Widersprüche.

Elisabeth: „Aber das war doch eine höhere Gewalt. Ich kann doch schließlich nichts dafür.“

Kontor der Firma Irene Prantl. Im Hintergrunde stehen Wachspuppen mit Korsett, Hüfthalter, Büstenhalter und dergleichen – in Reih und Glied, ähnlich wie die Köpf im Anatomischen Institut. Da ist Elisabeth wieder wo hineingeraten.

Elisabeth ist schon auch selbst schuld an ihrer verzweifelten Lage. Aber man kommt nicht heraus aus dem Strudel, wenn Verhältnisse herrschen, die der kleinen Frau kein Leben ermöglichen. „Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“ heißt es bei dem politischen Brecht.

Ödön von Horváth bevorzugt die individualistische Denke. In seinen „Randbemerkungen“ zum Stück steht: „Wie bei allen meinen Stücken habe ich mich auch bei diesem kleinen Totentanz befleißigt, es nicht zu vergessen, daß dieser aussichtslose Kampf des Individuums auf bestialischen Trieben basiert, und daß also die heroische und feige Art des Kampfes nur als ein Formproblem der Bestialität, die bekanntlich weder gut ist noch böse, betrachtet werden darf.“ „Kristls Absicht war, ein Stück gegen die bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen zu schreiben – aber natürlich in der Erkenntnis, daß es kleine Paragraphen immer geben wird, weil es sie in jeder wie auch immer gearteten sozialen Gemeinschaft geben muß. Zu guter Letzt war also Kristls Absicht die Hoffnung, daß man jene kleinen Paragraphen vielleicht (verzeihen Sie bitte das harte Wort!) humaner anwenden könnte. (…) Und dies war auch meine Absicht, allerdings war ich mir jedoch dabei im klaren, daß dieses »gegen kleine Paragraphen« eben nur das Material darstellt, um wiedermal den gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft zeigen zu können, dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen soll – höchstens, daß mal ein Individuum für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes genießt.“ Lukas Kristl ist Mit-Autor des Stückes. Es ist die kleine Nische, die dem Menschen bleibt, zumindest die Illusion von Menschlichkeit zu spüren.

Das Corpus Delikti ist der ‚Wandergewerbeschein‘.

Kamerad tritt zum Schupo: „Sie hat nichts bei sich. Nur einen ungültigen Wandergewerbeschein –„
Präparator „Wandergewerbeschein?“

Elisabeth verstrickt sich in den „kleinen Paragraphen“. Sie geht ins Wasser und wird herausgezogen – von einem „tollkühnen“ Lebensretter, wie es im Text fünf Mal zu lesen ist. In der Regensburger Inszenierung trägt der tolle Kühne ein Braunes Hemd! Der Lebensretter will nur eins: mit seiner Mutter telefonieren. „Hallo! Mama! Bist du es, Mama? – Oh nein, fürchte dich nicht, daß ich dich so aus dem Schlaf heraushol, aber ich habe soeben einer Selbstmörderin das Leben gerettet. – Tollkühn, was? Ehrensache! Komm auch in die Zeitung, mit Photographie, (…) Hallo! Aber jetzt krieg ich doch dann mein Motorrad, was?“  Ja, jeder denkt nur an sich. Die Tochter eines Zollinspektors ist mehr als die Tochter eines Versicherungsinspektors.

Robert Schuster lässt den Text, wie er ihn bei Horváth findet, auch die Pausen und die „Stille“ hält er ein. Man wartet darauf, dass sich die Personen in dieser Stille überlegen, was sie sagen, aber sie trauen sich nur in Floskeln zu reden. Die Prantl droht zwar: Also nur keine Gemeinplätze! Aber mit Ehrlichkeit würde man sich selbst infrage stellen und sein Auskommen riskieren.

Es gibt einen Präparator, einen Oberpräparator, einen Vizepräparator. „Das ist es ja eben – ich bin nämlich der Vizepräparator, und der Oberpräparator das ist dieser Herr da persönlich.“ Elisabeth hat ihre Erfahrungen: „Alle Männer sind krasse Egoisten.“ Das könnte auch Lilly-Marie sagen. Schupos heißen heute nicht mehr so, in „Glaube, Liebe, Hoffnung agieren mehrere von ihnen. Im Schlussbild stehen sie aufgereiht abgewandt im Hintergrund, vorne liegt Elisabeth in ihrem abgetragenen Gewand. Ein stimmiger Anblick.

Vor- und zurückfahrbare Bühnenelemente erlauben wechselnde Gruppierungen in schöner Beleuchtung. Als eine „Opferstätte“ bezeichnet es Regisseur Schuster. Die „schiefe“ Vorderbühne wird immer wieder gerne genommen, die Sinnfälligkeit ist aber abgeleiert. Die „kleinen Paragraphen“ sind heute mehr materieller Art: karge Löhne in Minijobs, unerschwinglicher Wohnraum, prekäre Familienverhältnisse, Heimatlosigkeit, medial generierte illusionäre Aufstiegsutopien. Vieles kann man sich aktuell in die Hoffnungen hineindenken, an die man nicht glauben darf. Die patriarchalische Bürokratie der  der „kleinen Paragraphen“ existiert in organisiert veränderter Form fort.

Einen „kleinen Totentanz“ vollziehen die hierarchisch gruppierten Figuren, die Schwächsten geraten in den tödlichen Strudel. Zwei in Schwarz verhüllte Personen symbolisieren diesen Kreisel, lassen allegorische Tauben sardonisch vor der ihrem Schicksal preisgegebenen jungen Frau flattern. Eine sehenswerte Inszenierung mit fein nuancierter Komik in volkstümlerischer Kunstsprache und auf einer überlegt gestalteten Bühne.

Theater Regensburg – Aufführung am 18. April 2023

Trailer

Interview mit Robert Schuster und Sascha Gross (Ausstattung)
Video 9 Minuten

Fotos: Tom Neumeier Leather


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: