Nachrichten vom Höllenhund


Der Weg zurück
7. März 2023, 18:15
Filed under: Theater

Dennis Kelly :
Der Weg zurück
Inszenierung:
Philipp Becker

Sie heißt Dawn. Ihr Vater (Guido Wachter) hat sie so genannt, weil ihre Mutter bei der Geburt gestorben ist. Dawn, die Morgenröte, das steht für Aufbruch, für Fortschritt, für Optimismus. Dawn ist wütend, sie findet sich bei einer Erweckungsbewegung, die sich „Regression“ als Motto und Auftrag gegeben hat. Zurück in die Zukunft!

„Der moderne Glaube an Aufklärung und Fortschritt sei ein Fehler gewesen. Waffen, genetische Manipulationen und technische Innovationen hätten die Menschheit an den Rand des Abgrunds gedrängt. Dies müsse aufhören, koste es, was es wolle! In der sich neu formierenden, »regressionistischen« Gesellschaft sind Technologie und Forschung verboten: Wissen ist Qual, Nichtwissen ein Segen.“ (Schauspiel Köln)

Die Regressionist:innen breiten sich auf der Bühne aus, malen Zeichen auf die Rückwand, bestärken sich in ihren Disputen genseitig, lassen sich von der Technik a-ha einspielen: „Say after me, It’s no better to be safe than sorry.“ (1985! Synthie-Pop) Der Findungsprozess dauert und dauert, jede:r kommt zu Wort, bringt Denk-Schnipsel als vermeintlich eigene Meinung ein, vieles kommt seltsam bekannt vor,  auch aus der aktuellen Diskussion um „Aktivist:innen“.

Einig ist man sich in vielem, was abzulehnen ist: Technik, Wissenschaft, Sprache, Kommunikation. Die gemeinsame Wurzel ist die Wut. Autor, Akteure und Zuschauer können nur bedingt entwirren, was ernsthafter Diskurs ist und was unreflektiertes Nachbrabbeln, was persönlich geprägte Strategie, was nebulöses Gestochere. Das Spiel schwankt zwischen ironisierter Mimese und anspruchsvoller Diagnostik. Immer, wenn man nicht weiter weiß, schleicht sich Spiritualität ein oder drängt sich Gewalt auf. Der Zuschauer bemüht sich, nicht einzunicken. Schließlich stellt die Gruppe – eingeschlossen die Dawn der fünften Generation – einen 10-Punkte-Plan vor. „Über die nächsten Generationen hinweg wird aus der Bewegung mehr und mehr eine Diktatur voller Verbote. Schnell brennen Forschungslabore und Universitäten, aus Zweifeln wird radikale Ablehnung. Nichtwissen heißt das neue Ziel und selbst die Sprache soll einfacher werden. Denn komplexes Sprechen fördert komplexeres Denken.“ (Ankündigung)

Man wartet auf ein Ende dieses „nebulösen, durch und durch narrativen und mit szenischen Angeboten kargenden“ Stückes (Christian Rakow, nachtkritik.de) Es folgen noch zwei etwas interessantere Einfälle: Anna Kiesewetter setzt das zunächst abstrakt-regressive Ziel, die Sprache zu entkomplizieren und auf Hauptsätze mit einsilbigen Wörtern zu reduzieren, in die Praxis um. Ihr Sprechen wirkt – auf mich – gar nicht so befremdlich. Ein Seitenhieb auf die sich ausbreitende „einfache Sprache“.  Leider will auch diese Frau gar nicht mehr aufhören zu quatschen, immer wieder kehrt sie beim Abgang um. Einmal singen die Regressionisten  a capella, wieder das a-ha-Lied. Und ganz am Ende hört man ein paar Gedichtzeilen, die an Hölderlin erinnern. Es ist Hölderlin, aber der Rezitator spricht sehr leise.

   Leben will ich denn auch     und ihr, Begeisterungen, und all ihr
   Guten Genien, die gerne bei Liebenden sind;
Bleibt so lange mit uns, bis wir auf gemeinsamem Boden
Dort, wo die Seligen all niederzukehren bereit,
   Dort, wo die Musen, woher Helden und Liebende sind,
Dort uns, oder auch hier, auf tauender Insel begegnen

Hölderlin! Unverhohlenes Pathos auch hier. Dawn. Aufbruch – vielsilbig. Steht das auch im Original?

„Der Weg zurück“ wird als „Gedankenexperiment“ angekündigt. Bei Gedanken ist es oft so, dass sie tiefsinnig sind, oft täuschen sie echten Gehalt aber auch bloß vor und verbleiben im wortreichen Geschwurbel. Der Unterschied ist nicht immer leicht und schnell zu erkennen. Es kann ja auch sein, dass sich im Schwurbelnden implizit Entlarvung versteckt. Das Stück bildet (zu) viel sprachlich nach und stellt dabei (zu) wenig Fragwürdiges bloß. Da es sich um ein „Experiment“ handeln soll, ist das vielleicht auch egal. Der Text täuscht an. Liefert aber die Spannung nicht mit. Die Explosionen, die Gewalt, die Attentate sind nicht auf die Bühne zu bringen. Das Schau-Spiel bleibt unspektakuläre Andeutung.  „Weshalb dieser Kulturpessimisten-Club in den nachfolgenden drei Bildern nicht schon viel eher gestoppt wird, das weiß allein der Autor dieses an beliebigen Setzungen und in unseren Ohren auch schalen Parolen so reichen Stücks.“ (Peter Geiger, MZ) Man wartet auf die Spannung, das Bitterböse (Ankündigung), doch der Abend versandet.

Die Darsteller erhalten den berechtigten Applaus, auch wenn die meisten Rollen (Kathrin Berg, Paul Wiesmann, Johanna Kunze, Jonas Julian Niemann) wenig Möglichkeiten zur szenischen Gestaltung bieten. Schön der vom Schnürboden fallende bestrahlte Nebel.

Theater Regensburg – Aufführung am 23. Februar 2023

Fotos: Tom Neumeier Leather



Gentrifizier dich !
1. Dezember 2022, 17:16
Filed under: Theater

Carla Niewöhner: Gentrifizier dich!
Inszenierung:
Juli Paul Bökamp

Auf der Mitte der kleinen Bühne steht das Wohnungskarussell. Ein Tiny-Haus, für Lena das Ziel ihrer Sehnsucht. Ein Platz zum Schlafen, zum Essen, zum Wohnen, ein Ort, an den man nach des Tages Müh und nach des Abends Freuden heimkehren kann. Ein sichereres Refugium, ein Menschenrecht.

Lena hat gerade ihre erste Stelle angetreten, irgendwas mit Medien, der Lohn ist moderat, aber er müsste für eine kleine Wohnung reichen, natürlich in der hippen Altstadt, nahe am Leben. Lena „nimmt uns mit auf eine obskure und aberwitzige Tour durch WG-Castings und Vermietergespräche und trifft dabei auf ebenso abstruse wie unhaltbare Wohnsituationen“ (Ankündigung). All das Abstruse ist im kleinen Blockhäuschen angesiedelt. Das Haus ist drehbar, es wird von Mietern und Vermietern, wohlwollenden und weniger wohlwollenden Menschen belegt. Es wird zum Kiosk und zum Hostel, zur Bleibe von esoterischen WGs und von zuckenden Neon-Tänzern, zur Pop-up-Galerie. Lena muss das Karussell in Handarbeit antreiben, doch auch wenn sie kurz Eingang findet, wird sie von der Gentrifuge nach kurzer Hoffnung wieder hinausgeschleudert in die Wohnungsfreiheit.

Zunächst schmettert Lena euphorisch Vicky Leandros‘ „Ich liebe das Leben“ mit, sie teilt ihren Übermut mit dem Theaterpublikum. Es wird nicht so bleiben. Matthias will sich in die Donau stürzen, Lena kann ihn vom Suizid wegreden. Ihr Motto: „Gutes kommt zu dir zurück.“ Der Gemüsehändler Murat muss ausziehen, die Miete steigt und steigt, Lena denkt sich Strategien aus, fragt bei Bekannten um Hilfe, um ein freies Sofa für ein paar Tage, sie reduziert ihre Ansprüche, sie telefoniert und telefoniert mit ihrem Tablet, sie reiht sich in selbstzerstörerische Besichtigungsschlangen ein. Sie nennt sich Lena Zimmermann, der Familienname wirkt seriöser. Die Situationen sind bekannt, sind Klischee. Dass ein Vermieter wegen des Staates in Form des Finanzamts die Miete erhöhen muss, war mir neu, ist aber verifiziert.

Lenas „Ich liebe das Leben“ wird früh unterbrochen, das Karussell dreht sich so schnell, dass das Bühnenhaus kaum noch hinterherkommt. Carla Niewöhner treibt Lena in die finale Verzweiflung. (Vielleicht liegt’s auch an der abstrusen Perücke. Kontrast zum schwarzen Playmobilhaar der zwei Maskierten. Lena, als „Landei“ markiert?) (Michael Scheiner, MZ) Oder hab ich da stylemäßig was verpasst?) Natürlich könnte sie auch nach Alteglofsheim ziehen, weshalb muss es Stadtamhof sein? Wegen der im Umland fehlenden Szene-Cafés, wegen der fehlenden ÖPNV-Angebote? Die Ursache für die Misere wird dem Zuschauer überspitzt ausdifferenziert. GENTRIFIZIERUNG! Eine Systemfrage, für die keine individuelle Lösung verfügbar ist. „Gentrifizier dich!“ ist kein politisches Stück, sondern versteht sich als „Satire“, macht aus dem moralischen Dilemma Unterhaltung. Verstanden. Uns dauert die junge Frau. Gleichzeitig schauen wir uns an der nervigen Suche satt, warten auf einen radikalen Schluss.

Lilly-Marie Vogler macht das toll. Sie wechselt vom jugendlichen Esprit zur Getriebenheit. Wo ist der Ausweg? Im Publikum wird es stiller. Katharina Grof hat das multifunktionale Objekt der Mietsache auf die Bühne gestellt, es lässt sich im Nu verwandeln durch drangehängte Schilder, Balkone und Plastikblumen im Playmobil-Stil. Alle Personen werden von Joscha Eißen und Katharina Solzbacher gespielt, mit Masken vorm Gesicht ihrer Individualität beraubt, ihrer Moral, ihrer Verantwortung enthoben. Geld hat kein Gesicht. Am Schluss erscheint auch Lena mit Maske.

Eine flotte Inszenierung von Juli Paul Bökamp. Man bewundert die Darsteller schon allein dafür, wie sie durch das Gentrifugal-Haus schwirren, ohne sich bei der Wahl der Klamotten zu vertun. Viele Szenen, viele davon abgedreht, manche vorhersehbar, auch Klischee rotiert in dem Häuschen. Die Hauptlast trägt die bis fast zum Schluss affektionierte Lena, d.i. Lilly-Marie Vogler.


Theater Regensburg – Aufführung am 26. November 2022

P.S. Natürlich ist Gentrifizierung auch nur Symptom. Die Um-Verteilung oder „Vertreibung“ von Cafés, Kneipen, Boutiquen ist Folge veränderter Nachfrage und knappen Angebots und daraus resultierenden Mietanstiegs, den sich oftmals nur noch – überregionale – Ketten leisten können. Und dahinter stecken in der Regel ökonomische Gegebenheiten wie fehlende staatliche Regulierungsmaßnahmen bei Bodenpreisen oder Spekulation. Auf der Bühne anschaulich illustrieren lässt sich das kaum. Man behilft sich mit Oberflächen-Phänomenen wie etwa gehetzte oder zu Kalamitäten verführte junge Frauen. Wird Lena zur Aktivistin? Irgendwann einmal? Der Aufruf „Gentrifizier dich!“ setzt bei den Adressaten natürlich auch die nötigen finanziellen Quellen voraus.

P.P.S. „Das Stück lässt sich ohne Probleme auf den jeweiligen Theaterstandort anpassen“, liest man bei theatertexte.de. Zum Beispiel Regensburg. Regensburg ist eine Großstadt, doch ist die City – hier: Altstadt – relativ zu klein, als dass sich die „Gentrifizierung“ räumlich ausgeprägt ausmachen ließe. Unter den deutschen Städten belegt Regensburg nach der Einwohnerzahl Rang 54.

Fotos: Tom Neumeier u.a.



Der Revisor
16. November 2022, 18:44
Filed under: Theater

Nikolai Gogol : Der Revisor
Inszenierung : Daniel Foerster

„Ausgefeilt und grellbunt“ – Claudia Böckel referiert in der MZ ausführlich das „Farbkonzept“ der Inszenierung von Gogols Revisor als „kraftvollem Bilderreigen“ am Theater Regensburg. Sie räsoniert über „Farbfamilien“ und sieht in der Aufführung ein „überzeitliches Theaterstück, das bis heute für jedes denkbare Gesellschaftsgefüge gelten kann“. Eine so „ausgefeilte „Kritik“ haben Daniel Foerster und seine Darsteller:innen nicht verdient!

„Überzeitliches“ gibt es nur, wenn es historisch reflektiert und eingeordnet wird. Sicher, man kann „den Menschen“ für zeitlos schlecht halten, doch da müsste das Denken erst anfangen, müsste nach den Interaktionen von Individuum und Gesellschaft fragen, müsste Antworten auf die Unterschiede zwischen dem Russland von 1835 und den Mechanismen von WirJetztHier – zumindest – versuchen. „Gibt es Not im Volk, nimmt die Klauerei zu.“ klagen die Waldbauern 2022. Verallgemeinert man die Habsucht in „jedes denkbare Gesellschaftsgefüge“, verflüchtigt sich die Aussage ins Triviale. Natürlich gibt es auch im WirJetztHier Korruption, doch sind die Formen der Diebereien andere. Ich frage mich auch, ob Christian Muggenthalers Folgerung Sinn macht: „Weil Regisseur Daniel Foerster konsequent auf Zeitlosigkeit setzt und so den Stoff sofort an der Gegenwart andockt.“ So? Sofort? Auch wenn man auf „Zeitlosigkeit“ abstrahiert, werde ich bestenfalls vom Stück dazu angeregt, ans Jetzt zu denken. Die Personen und ihre Motivationen und ihre Handlungen kann ich zunächst nur in der dargestellten Gesellschaftlichkeit verorten.  – Oder man spielt das Stück als Veranschaulichung von Geschichte. Ist vielleicht noch interessanter als bunte, aber zu zaghafte Verheutigung.

In einem kleinen russischen Städtchen wird die Nachricht verbreitet, ein Revisor sei inkognito auf dem Weg in die Stadt. Alle Beamten der Stadt, allen voran der Stadthauptmann als Oberhaupt, fürchten sich vor diesem Besuch. Schließlich hat jeder von ihnen Dreck am Stecken, ob in Verwaltung, Justiz, Schule, Krankenhaus, Post : Sie lassen sich schmieren, bestechen oder erfüllen ihre Aufgaben nicht. Gleichzeitig ist ein junger Mann aus St. Petersburg in einem Gasthaus abgestiegen. Seit zwei Wochen wohnt er dort und hat noch keine Rechnung bezahlt, sondern sich immer alles anschreiben lassen. Schnell geht das Gerücht um, der junge Mann sei der Revisor.

Die Inszenierung hält sich an die Übersetzung von Ulrike Zemme, Veränderungen sehe ich in den Kostümen – „plärrbunt“ freut sich Muggenthaler -, in der Bühnenmöblierung. Aktuelle Bezüge stellt Foerster in der Schlussszene her, wo Marja, die Tochter des Stadthauptmanns (Sophie Juliana Pollack) einen heutigen Text von Wolfram Lotz vorträgt – aus „Die Politiker“. In der Aufführung vom 8. November musste dieser in­di­g­nierteAnhang allerdings entfallen. Natürlich kann ich mich auch über die Persiflage auf die Geld- und Machtgeilheit der Männer zu Gogolzeiten freuen. Gogol selbst hielt die Komödie für den „Sammelpunkt für alle möglichen Unzulänglichkeiten“. Franziska Sörensen ist in ihren Rollen als Direktorin, Postmeisterin, Geschäftsperson eine moderne lärmende Abwandlung.

Die Inszenierung verzichtet auf zeitgenössisches Mobiliar. Die Bühne ist möbliert mit verschiebbaren Treppenblöcken, was viel Rollaufwand bedeutet und als Requisitenballett einige Zeiten in Anspruch nimmt. Die „Rolltreppen“ sind wohl mit Symbolgehalt bestückt: Alle wollen sie beklettern, oben ist wer droben ist. Im Spitzenduell treten sich Thomas Mehlhorn als Stadthauptmann und Max Roenneberg als der vermeintliche Revisor Chlestakow gegenüber. Die spitzen Frauen drängen sich zum Gipfel, sie wollen den agilen Nachschauer für sich, die Tochter macht gegen ihre notgeile Mutter Anna (Kathrin Berg) das Rennen. Scheinbar, denn der Revisor sucht vor so viel Frauenpower das Weite.

Eine wenig wagende Aufführung, die ihren komödiantischen Esprit vor allem aus choreografierten Menschengruppen bezieht, Getrippel, Getrappel, das die Aufmerksamen im Publikum zu verdrücktem Gegiggel hinreißt. Die Leiden eines Minderbekochten und geldlosen Subalternen (Diener Ossip: Michael Haake) werden nicht nur für den Hungernden zur Qual, sondern auch für die Zuschauer, die damit zu lange konfrontiert werden. Nach der Pause konzentriert man das Personal auf die Showdown-Treppen und forciert so den Weg zum erlösenden, aber fürs dramatisch-komödiantische Personal unbefriedigenden Ende. Der „Revisor“ scheint an seinen entlarvenden Eskapaden Gefallen gefunden zu haben und zieht in die nächste russische Kleinstadt. Wahrheiten für Regenburg? * Vielleicht das nächste Mal. Heftiger Applaus, auch Gejohle von einigen, die sich selbst begeistern.

Theater Regensburg – Aufführung am 8. November 2022

* P.S. Selbstverständlich ist Regensburg nicht frei von Korruptionen. Man denkt sofort (?) an Franz Joachimowitsch. Doch der eine war mit seinen Korruptiönchen nicht (nur) auf eigene Vorteile aus, der andere ist in seiner Staatspartei mit solchen Schmutzeleien gut aufgehoben und dort im Vergleich zu Alfred Petrowitsch ein eher kleiner Blender. Für den großen Beschiss braucht es heute ja eh Algorithmen. – Das nächste Stück beschäftigt sich mit einer spezifischen Wahrheit der „Perle“ Regensburg: „Gentrifizier dich!“ „Viele Regensburger*innen betrachten die Gentrifizierung mit Argwohn.“ (Ankündigung)

Trailer

Ausschnitt aus Wolfram Lotz‘ Sprechtext »Die Politiker«.
Gelesen vom Autor.
(12 Minuten)

Fotos: Tom Neumeier



Don Quijote
28. Oktober 2022, 18:36
Filed under: Theater

Jakob Nolte : Don Quijote
Tragikomödie nach Miguel de Cervantes Saavedra

Wir sollten uns Don Quijote als einen überschwänglichen Menschen vorstellen. Sprunghaft, sentimental, traurig. Überspielter Weltschmerz. Er findet keinen Ort in seiner Zeit und im Ort nicht seine Zeit. „Er ist unzufrieden mit der Gesamtsituation der Welt. Er liest Ritterbücher, verliert sich, verdenkt sich das Gehirn in diesen Büchern und zieht dann aus, um die Welt zu retten.“ (Wolfram Eillenberger) „Er ist rausgerissen aus seiner jetzigen Existenz“ (Fritz Breithaupt), kann nicht hineinfinden in eine andere.

Paul Wiesmann erstürmt die Bühne als Superman, im wehenden Umhang, zieht sich ein Redbull aus dem Automaten und ist da! Im Paralleluniversum des Hier und Jetzt, wo ich bin, ist das Leben, mein Leben darf darf nicht trist sein. Dulcinea imaginiert er sich ebenso als Geliebte wie die Schafherde als feindliches Heer. Sein Pferd, „das man Rosi nannte“, tritt auch in Gestalt von Hometrainer, Kuscheltier oder Klappfahrrad auf. Im fulminanten Trip durch Regensburg angelt er mit seinem Langschwert am Donaustrand nach fantastischen Fischen und entdeckt in Don Juan am Fischgässel einen angefochtenen Gegner. (Trailer)

Jonas Julian Niemann darf keinen Superman-tel tragen, Sancho Panza ist nicht die bauernschlaue Einfalt, er wird zum Vertrauten, weil er meist einen Schritt weiter denkt als sein „Herr“. Zusammen bringen sie die Bühne zum Tanzen, hotten zu „No More Heroes“ von den Stranglers, gemeinsam durchradeln sie die Gässchen Regensburgs, gemeinsam lauschen sie den Phantasmagorien Don Quijotes. Im Überschwang machen sie sich nackig und busseln sich gar – im Zwielicht. Sancho Panza nutzt die Vertrauens-Seligkeit Don Quijotes für eigene Vorteile, er weiß sich von seinem „Partner“ gut gefüttert und nächtlich behütet – im „Wäldchen“ als Running Gag. Als Bote für Quijotes Brief an Dulcinea nimmt er sich eine kleine Auszeit.

Im Spiel von Jakob Nolte geht es nicht um Spanien, nicht um historische Konditionen, nicht um soziale Unterschiede, sondern darum, wie man aus der schier ausweglosen Tragik der Personen die Komödie für die Zuschauer ziehen kann. Man soll ja nicht über den Ritter lachen, sondern in seiner traurigen Gestalt doch den Helden sehen, der die Welt so dringend retten möchte. Die Schauspieler tun ihr Bestes. Sie wechseln die Kleider im Eiltempo, sie singen mit und ohne Mikrophon, Jonas Julian Niemann ist auch für die Musik verantwortlich, sie vergessen nicht, wo sie die vielen Requisiten finden, Paul Wiesmann kämpft gegen die Windmühle im Schattenspiel, das Bühnenlicht flackert zwischen Tag und Nacht, auf ihren Fahrrädern bewegen sie sich einen halben Meter den Hügel hinan, wo Don Quijote im Stakkato die komplexen Namen der visionären Feldherren deklamiert. Sie sinnieren auch. Gelegentlich hakt sich das Geschehen ein wenig fest, scheint nicht aus den musikalischen Loops zu finden.

Am Ende wird es leise – und Don Quijote reift zur Weisheit. Mission completed. Stringenz: egal. Der Abend ist ja auch fortgeschritten und anhaltender Aktivismus hätte wohl überfordert. So fühlt sich das Publikum gut unterhalten und spendet den beiden Wirbelwinden reichlich Applaus und die beiden Jungs freuen sich darüber sichtlich.

Theater Regensburg – Aufführung am 22. Oktober 2022

Fotos: Tom Neumeier

Trailer



Zukunftsmusik
11. Oktober 2022, 17:43
Filed under: Theater

Anna Jelena Schulte : Zukunftsmusik
Inszenierung : Antje Thoms

Zukunftsmusik: „Etwas, dessen Realisierung noch in einer fernen Zukunft liegt, was noch als utopisch angesehen werden muss“ (Duden) – Aber das bringt hier auch nicht weiter.

Zukunft. Nein Musik. Alt
Es kommt ein Komponist aus der „Zukunft“ (ein „Zeitreisender“). Was er im Hier und Jetzt will, erschließt sich nicht. Er wähnt, „unter uns“ zu sein und beschließt, „unter uns“ zu bleiben. Ohne ihn wären wir verloren. Über die Phase der ihm zugestandenen „Inspiration“ kommt der Komponist nicht hinaus. Es wird viel gesungen, aber nicht aus der Zukunft, sondern aus der Jetztzeit, inspiriert von vergangenen Jahrhunderten. Schön, der Dreigesang. Dekorativ. Domhäher.

„Regensburger Wahrheiten“ – titelt das Theaterprogramm – und liegt damit nicht nur geografisch völlig daneben. Das „Auftragswerk“ von Anna Jelena Schulte stellt sich universaler auf. Die Autorin hat sich in die Köpfe (von „Social-Media-Stars, Forscher*innen und Traditionsunternehmer*innen“) hineingefragt und ist auf „Liebe und Apokalypse, Erlösung und Zerfall“ gestoßen. Wenig Wahrheiten, beiläufiges Brimborium.
Chi­chi.

Regensburg ist überall und damit nirgends.

Nachdem sich der Erweckungskomponist (Thomas Mehlhorn) etwas albern auf die Bühne bemüht hat, können die DREI EINAKTER DES LEBENS ihren Ausgang nehmen. Hehrer Stoff: Beerdigung, Hochzeit, Taufe. Anna Jelena Schulte treibt’s immer wieder mit ihrer pseudoreligiösen Symbolik. Schon der Komponist ist ja von irgendwann und irgendwo zu uns gekommen, um uns – und sich – zu erlösen von den Übeln des Zeitgeists.

BEERDIGUNG. Die Info zum ersten Akt endet mit den Fragen: „Was ist passiert und was haben sich die Generationen zu sagen?“ Meine beiden Antworten: Wenig, wenn es aus dem Stück erschlossen werden soll. Die erste Szene zieht sich überdehnt durch den Wald. Drei „Regensburger Originale“ (Im Ernst? Wer hat das der Autorin eingeflüstert?) vergraben eine junge Frau, die sie meinen erschossen zu haben. Lokal: Michael Heuberger plappert bairisch.

Die HOCHZEIT könnte ein Fest sein, wenn sich die Akteur:innen nicht goldene (Gold ist das hippe Rosa.) Brillen aufgesetzt hätten. Hochaktuell, weiß Sascha Lobo (geht auf die 40 zu): „Was nach dem Smartphone kommt, ist: eine Brille“. Wo das virtuale Blendwerk überwuchert, ist die echte (?) Realität nicht mehr zu ertragen. Das Brautpaar und seine Zeugen sind deshalb mit den Füßen in Schistiefeln am Bühnenboden festgeschraubt und wiegen sich im Meta-Glück. Als die Energie ausfällt, reißen sie sich die Brillen ab und werden von der „Analogikerin“ Katharina Solzbacher mit einer Bußpredigt aus ihren verklärten Visionen gerissen. Ja, das soll auch in Regensburg geschehen. Als Beiwerk treten noch ein paar skurrile Hochzeitsgäste auf: Bienenköniginverehrer oder Ameisenmenschen?

TAUFE: Kinder dominieren die Bühne. Keine kleinen, sondern ein Mix aus den vorhandenen Spieler:innen. Kinder sind qua Alter der Zukunft zugewandt, die letzte Generation auffällig rigoros. Wer sich weigert, sich für eine – was auch immer – Zukunft zu engagieren, wird zwangsbekehrt, wird verpflichtet, in den „Chor“ der Kinder einzutreten und sich dafür taufen zu lassen. Auch das ist wieder schön anzusehen, wie die Alten als Kinder wuseln, murmeln, singen, sich echauffieren, alles unter Anleitung der Chorleiterin Natascha Weigang. Regensburg sehe ich hier als Rückprojektion, als Kamerafahrt über die Platzfolge, die im Wasser des Wehrs endet, also im Taufwasser. Der Täufling Guido Wachter taucht ein, wieder auf und lässt seinen ganzen Frust über die infantilen Zwangszeremonien in einer Suada auf die Segnungen des unregulierten Alltagslebens von der Seele. Aber ist das lustige Treiben nicht eine Veräppelung des „heiligen Ernstes“ der jugendlichen Engagements für Klima/Umwelt?   

WAHRHEITEN verspricht das Theater programmatisch und ganz im wishy-washy-Slang der Zeit. Aus der „Zukunftsmusik“ kann man sich eine/seine „Wahrheit“ herauspicken, wenn man denn nach Haltepunkten sucht oder sich auf solche angewiesen fühlt. Weg mit den Schießern, weg mit den goldenen Brillenaffen, weg mit der penetranten Jugend. Alles aber auch andersrum und auch nicht ernst gemeint. Das Stück verspielt die Themen, die Inhalte fransen aus, die Absurditäten verlieren sich in mangelnder Treffsicherheit. Ich versteh‘ oft nicht die Biene. Manchmal sehne ich mich nach den Jelinekschen Textflächen.

Ein bemühtes und gewundenes Bühnenstück, eine stimmige und einfallsreiche Inszenierung von Antje Thoms, fantasievolle Kostümierung und Bühne von Florian Barth, madrigaler Dreigesang Arno Waschk. Mit Zukunft hat das wenig zu tun, mit Regensburg noch weniger. Ein Abend, „der experimentelles Tun mit unredigiertem, erratischem Verrätseln verwechselt, das wenig sendet und noch dazu wahnsinnig selbstverliebt daherkommt. Und in etwa so aufregend ist wie ein leergetrunkener Bierkasten.“ (Christian Muggenthaler, Die deutsche Bühne)

Nicht alle Besucher wollten die „Zukunftsmusik“ bis zum Ende hören. Dennoch lauter Applaus, einige hörten sich auch gern trampeln. Wenn man für das Ensemble klatscht, meint man nicht unbedingt das Stück mit. Weshalb gibt es beim Theaterbeifall keine A- und B-Note?

Theater Regensburg – Aufführung am 2. Oktober 2022

Fotos: Pawel Sosnowski



Drei Tage auf dem Land
13. Juni 2022, 13:27
Filed under: Theater

Patrick Marber:
Drei Tage auf dem Land

nach Iwan Turgenjews
„Ein Monat auf dem Lande“
Inszenierung: Cilli Drexel

Im Antoniushaus erwartet einen ein blühendes Bühnenbild. Sommer. Gräser und Blumen, man möchte am liebsten auf der Wiese Platz nehmen. Reihe 7 ist aber auch nicht schlecht.

Das Stück wird Patrick Marber zugeschrieben, einem englischen Multitalent. Er bearbeitete dazu die Vorlage „Ein Monat auf dem Lande“ des russischen Autors Iwan Sergejewitsch Turgenew von 1855 und „entstaubte sie sprachlich“. Turgenew war russischer Realist, lebte aber zumeist im Ausland. In der Ankündigung des Theaters Regensburg heißt es, Marber „schärft und überschreibt den großen Bilderbogen des russischen Autors Iwan Turgenjew aus dem 19. Jahrhundert, ohne dem Stoff die Leichtigkeit zu nehmen. Mit viel Humor und feiner Sprache führt er das Stück in unsere heutige Zeit und präsentiert dem Publikum die gesamte Palette der Liebe.“ Turgenews Landtage wurden von der damaligen Zensur verboten, Marbers Neue Leichtigkeit muss dieses Schicksal nicht fürchten. Das Sommerstück wirkt arg harmlos.

Andreas Quiring hat den Text Turgenjews gelesen, er findet, Barber „bleibt sehr nahe am Text Turgenjews“ und fragt: „Was ist also die originäre Leistung Marbers, und wo fand das „sprachlich gekonnte Ins-Heute-Bürsten“ statt?“ (Er bezieht sich auf Andreas Kriegenburgs Inszenierung in Frankfurt 2017.) Ich habe die Aufführung 2022 in Regensburg besucht und mir kamen weder Text noch Inhalt heutig vor. Fadisierter Landadel, die Figuren sind die üblichen, Gutsbesitzer (reich), seine Frau, zu jung, um sich mit ihrer Rolle zu begnügen, ein Freund der Familie, also zwischen Mann und Frau, der Landarzt, er bleibt auch heute im 19. Jahrhundert, von halbaußen treten auf: ein Nachbar, reich, aber nicht gewitzt, ein Hauslehrer, der neue agile Mann. Auf dem Gut auch die Bediensteten im zeitlos affigen Puppenkostüm. Und Vera, Mündel, der anziehende Stern des Stücks, laut Turgenjew 17. „Es entspinnen sich drei schwüle Tage voller heiterer Melancholie, abgründigem Schmerz, absurder Komik, knisternder Erotik und – natürlich – Liebe.“ (Ankündigung) All die Gefühle kommen natürlich auch heute vor, das zu behaupten, ist aber keine Aktualisierung. Interessant ist allenfalls, wie die Gelangweilten im ländlichen Russland mit den ersehnten, aber nicht eingeübten Aufwallungen umgingen. Sie bleiben an ihre sozio-ökonomischen Umwelten gebunden, die Träume enden im Privaten. Was sollte ein Herüberziehen ins Heute bedeuten?

Es gibt russische Erzählungen und Theaterstücke, die sich mit den Refugien der alten Sitten befassen. Bei Gorkis „Sommergästen“ von 1904 liegt Veränderung in der Luft, Tschechows „Kirschgarten“ aus dem gleichen Jahr kritisiert die Gesellschaft. Turgenjew lebt noch in der alten Gesellschaft, im Stück werden Kirschen aus der Tüte gegessen, verlustiert man sich im Blumengarten. „Turgenjews Stück ist kein Meisterwerk, Marbers auch nicht“, schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau zur Frankfurter Inszenierung. Auch in Regensburg wollen sie nicht mehr als eine „sommerliche Komödie“, die im Park oder im Arkadenhof besser aufgehoben wäre.

Ich sehe ein paar zarte Slapstickeinlagen rings um das Kirschkörbchen, spüre sehr gelegentliche Heiterkeit, durchgehend recht schleppendes Tempo. Wenn man genau aufpasst, kann man auch ein paar aktuelle Anspielungen bemerken: der lange „Putin-Tisch“ aus zusammengestelltem Mobiliar, der blaugelb gebastelte Drachen als Gedanke an die Ukraine. (Oder war das eher zufällig?)  Silke Heise ist als Frau Natalja ständig präsent, die „älteren“ Damen zieren mehr den Bühnenrand, Michael Haake wechselt gewohnt souverän seine Stimmungen, Kristóf Gellén weilt als neuer Hauslehrer meist im Blumengarten, Thomas Weber hat als reicher Gutsbesitzer Arkadij oft außerbühnlich zu tun. Arzt Spiegelskij ist eine gute Rolle für Michael Heuberger. Gerhard Hermann will/soll/will nicht/zaudert, der Ddoktor leistet Beistand beim Bemächtigen der jungen Haustochter. Hermann trägt nicht nur den passenden Hut für seinen reichen, aber unbedarften und zaghaften Nachbarn Bolschinzow, er hat auch einen schönen Moment, als er in den Blues der kleinen Combo einfällt. Die Live-Musik von David Markandeya Campling (verstärkte Gitarre) und Marlene Hoffmann (lautschöner Gesang & Maracas) beschwingt die Inszenierung. Mehr davon hätte dem Spiel und dem Publikum gutgetan.

Vielleicht sollte man es aber so sehen: Während Theater in anderen Städten mit Zeitstörungen und -strömungen kämpfen, einer schnappenden Suche nach individualistischen Kollektividentitäten etwa, einer Zerfledderung der Gattungen, vielerorts sieht man Marionetten auf den Bühnen, geht man in Regensburg mit sommerlichem Gemüt in die Ferien, in eine neue Saison mit der gesamten Palette der „Wahrheiten“.

„Ein Monat auf dem Lande“ will schon ertragen werden, drei Tage dauern womöglich auch noch zu lange. Ein entbehrliches Stück mit guten Schauspieler:innen. Julia Pitsch war eine ansehliche Vertretung für die verzückende Vera.

Fotos: Jochen Klenk

Theater Regensburg – Aufführung am 9. Juni 2022



Peer Gynt (she/her)
4. Oktober 2021, 18:46
Filed under: Theater

Maria Milisavljević:
Peer Gynt (she/her)
nach Henrik Ibsen
Regie: Julia Prechsl

Ist man nach der G3-Zeremonie am Eingang im Velodrom-Theatersaal, bezaubert einen die Bühnen-Deko: silberne Glitzerschnüre wie – früher – Lametta-Fäden am Weihnachtsbaum. In mehreren Vorhängen hintereinander glimmen sie und warten auf bewegtere Zeiten. Soll ich mir das kommende Spiel in sie hineindenken: Märchen, Zauber, Flitter, symbolfreier Show-Effekt?

Bald und dann immer wieder, ja, fast ohne Unterlass saust dann die junge Peer durch das Gehänge, auf der Flucht, auf der Jagd, jedenfalls in so schneller Bewegung, dass die Frage, wo man herkommt oder wo man hinwill, sich nicht stellt. Allenfalls, ob man mitten durchs Geschehen oder außenrum besser vorankommt. Marlene Hoffmann ist die hin- und herrasende junge Peer, schnell auch im Sprechen, lautstark präsent, flirrend wie die Silberfäden.

Peer Gynt (she/her)

Katharina Solzbacher spielt die Peer Gynt als eine Frau in reflektierter Ruhe, eine Frau, die zurückblickt auf ein zu schnell und zu ziellos gelebtes Leben und die – eigentlich bekannte – feministische Beschwörungen und Phrasen in den Raum der Zuschauer hineinposaunt. „Phrasen“ bezieht sich nicht auf feministisch, sondern auf bekannt, feministisch gründet sich auf Maria Milisavljević, die dem „Peer Gynt“ das Etikett „she/her“ verpasst hat. (Simon Stone hat das am Deutschen Schauspielhaus Hamburg 2016 schon mal gemacht: „Sie, das ist Peer Gynt.“ Auf weiblich Trimmen liegt aber weiter im Trend, beispielsweise „Die Räuberinnen“ von Leonie Böhm an den Münchner Kammerspielen.)

Für die Bühne (Valentin Baumeister) hat man sich eine weitere Überraschung einfallen lassen, die allerdings von Reihe 4 (Reihe 1 wurde eliminiert) erst nach Spielstart erkennbar war: Die – seichte – Flutung des Bühnenbodens. (Na gut, auch nicht originell, in Regensburg gab es etliche Beispiele: „Shakespeares Schädel“ – der Silberfadenvorhang spielte da auch schon mit -, „Medea“ u.a.) Ist das noch trendy? Aber die gewässerte Bühne ist noch funktionaler als das Lametta, denn man kann sich so befreiend hingleiten lassen ins pritschelnde Nass. Fast spritzt es bis zur ersten Reihe aus der Halle des Bergkönigs, Norwegen ist ja ein Wasserfall-Klischee, schön anzusehen, wenn sich die Trolle in Gruppen bespritzen, Choreographie, stage-diving, wellness. Die Akteur:innen tragen transparente Hänger zum Schutz vor Über-Flutung.

Das Wort „selbstsüchtig“ ist ja ambivalent. Man sucht nach sich selbst, nach seinem „inneren Kern“, nach seiner Identität. Und man stellt sich selbst in den Mittelpunkt, sieht in jedem Spiegel nur sich selbst. Peer Gynt hat wenig mitgekriegt fürs Leben, der Vater ein Säufer, die Mutter überfordert, Peer will mehr, sein „Lebensmotto „Sei Dir selbst genug“ nicht nur geleitet, sondern regelrecht in einer lebenshungrigen wie manischen Suche nach sich selbst durch die Welt getrieben, ständig oszillierend zwischen Sein und Schein. Wer sich selbst immertreu ist, muss andere zwangsläufig enttäuschen.“ (Programm)

Nun kann eine junge Frau genauso wie ein Kerl eine sich selbst unproduktiv einschätzende Loserin sein, kann ebenso Gaukelbildern aufsitzen, kann, wie der Mann, sich mit der Welt verwechseln. Wenn man Peer (alt) zuhört, ist diese Selbst-Täuschung aber nicht Absicht und Ziel feministischer Selbstermächtigung. Wollten und sollten Frauen nicht damit aufhören, die Hütte mit dem Palast zu verwechseln, nicht mehr die/ihre Idee zur einzigen, wenn auch abstrusen, zu deklarieren, nicht bloß das Testosteron als Steuerhormon zu ersetzen, nicht mehr bloß durch die Welt und vor ihr (und vor sich selbst) davonzuflitzen? Wollte man das Potenzial von Mädchen/Frauen betonen, dürfte es nicht ausreichen, Frauen zu zeigen, die ebenso gut Narzisst:innen sein können wie ♂. Der she/her-Switch greift zu kurz, führt auch in der Übernahme des Plots zu Unwahrscheinlichkeiten und Widersinnigkeiten. „Aus Peer Gynt eine Frau zu machen, daraus zieht die Inszenierung keinen diskursstarken Nutzen, aber: Peer Gynt, diesen Egomanen, der sich alles nimmt, als Frauenrolle gedeutet zu sehen, hat einen Effekt, führt die immer noch verkrustete Geschlechterzuschreibungen vor Augen.“ (Yvonne Poppek, SZ) Hätte man Frauen, die ihren „Kern“ in Äußerlichkeiten suchen, nicht eher in Influenzerinnen oder Gründerinnen finden können: „Just do it – „Nimm dir die Freiheit, du selbst zu sein: So entfalten Frauen ihr wahres Potenzial, Mit Test und 100 Fragen zum Ich“ (Buch von Eva Wlodarek, 2021) – Nimm dir das Königreich!

Peer Gynt (she/her)

Peer kehrt nach ihrer Grand Tour zurück zu ‚ihrer‘ Solveig (Zelal Kapçık), die – aus welch feministischen Gründen auch immer – auf sie gewartet hat. Aber die Rückkehr zu sich selbst ist auch keine Lösung, wenn man keine Wurzeln hat. „Warum tun eigentlich alle so, als hätte ich eine Wahl.“ „Doch was bleibt dann am Ende, nach einem scheinbar schillernden Leben als Außenseiterin? Wohin mit der Angst vor Mittelmäßigkeit, der Sucht nach Selbstinszenierung und der ständigen Suche nach Bestätigung und Liebe?“ (Programm) Die Aufführung lebt von der Bühne, von den Läufen durch die Vorhänge, von den Wasserspielen, von den Trollen, von Marlene Hoffmann und Katharina Solzbacher. Zum Diskurs um Geschlechterrollen trägt das „she/her“ nicht viel bei, die Texte kreisen ums Thema – wie die Peer um die Vorhänge. Nicht vergessen: Fiete Wachholtz trommelt peitschenden Sound zum Reigen.

Theater Regensburg – Aufführung am 28. September 2021

Sommers Weltliteratur to go:
Peer Gynt in 10,75 Minuten



Nathan
26. Oktober 2020, 17:49
Filed under: Theater

Konstantin Küspert: Nathan
nach Gotthold Ephraim Lessing
mit Texten von Antigone Akgün (*1993)

Vor 241 Jahren schrieb ein Mann aus Kamenz (bei Bautzen) ein „Dramatisches Gedicht“ unter den Motto: „Kommt herein, denn auch hier findet iht Götter.“ „Götter“ ist wichtig, denn es sind die Götter der drei monotheistischen Religionen, die hier verhandelt werden. (Aber die drei Götter Allah, JWHW und Gott* sind recht eigentlich ein- und derselbe – HErr.) „Nathan der Weise“ wurde 1783 uraufgeführt, aber er gefiel den Leuten nicht. Zu viel Text, zu wenig Action, wie üblich. Es ist aber auch ein schlechtes Stück, denn es soll „Ideendrama“ sein, wo Drama doch Handlung bedeutet.

Die Idee Lessings war, 1) dem Pastor Goeze eins auszuwischen. Das verkündet auch Michael Haake in seiner Video-Vorrede. Haake ist Lessing im Morgenmantel. Ein kleines Abbild dieses Goeze lehnt dann auch die ganze Aufführung hindurch auf der Bühne. 2) seinen (jüdischen) Freund Moses Mendelssohn mit einem Bühnenstück zu würdigen. (Das findet in Regensburg kaum statt.) 3 zu zeigen, oder besser: zu verkünden, dass ein Gott so gut (oder schlecht) ist, wie der andere. Dazu lässt Lessing ein Gleichnis erzählen: die Ringparabel. Diese Geschichte hat Lessing (u.a.) aus Giovanni Boccaccios Decamerone aus dem 14. Jahrhundert.

Für ein Drama reicht es nicht aus, diese Renaissance- und Aufklärungsgeschichte auf der Bühne erzählen und damit an die große Glocke hängen zu lassen. Lessing baut deshalb ein Geflecht, das alle dramatis personae zu einer Familienbande verstrickt. Ob Moslem, Jude, Christ, alle sind irgendwie miteinander verwandt und deshalb sind Brüderlichkeit und Toleranz geboten. Konstantin Küspert lässt sein Regensburger Personal zu einer Familienaufstellung antreten – alle erstaunt über so viel Zufall. Er erspart so auch dem modernen Zuschauer, an derartige Konstruktion glauben zu müssen – und auch Spielzeit.

Damit man den „Nathan“ dem heutigen, eh schon aufgeklärten Publikum zumuten kann, muss das Stück „überschrieben“ werden. Konstantin Küspert erklärt sich:Der „Weise“ wird gestrichen, der Autor tritt als Hausherr in Schlappen  auf und scharmützelt mit seinen Figuren auf offener Bühne. Die Frauen – voran Franziska Sörensen als Daja – verlangen Rollengleichstellung*, man spricht auch recht heutig. Slapstick-Einlagen evozieren billige Lacher, doch für die Erkenntnisse wäre das alles wohl nicht unbedingt nötig gewesen, so Eva-Elisabeth Fischer in der SZ.

Ein weiterer, lustiger, Effekt sind die zwei Damen (Silke Heise und Katharina Solzbacher) , die als Reclam-Heftchen verkleidet an die Rampe treten. (Regie-Idee verstanden! Die „Aufklärung“ ist als Unterrichtsstoff inzwischen in Klasse 10 abgestiegen, darf damit als unbekannt gelten.) Die beiden ergänzen auch den weiblichen „Chor“, dem Antigone Akgün „allegorische“ Worte geschrieben hat. Als „Marionetten“ befragt er die Akteure, die Zuschauer und sich selbst. Ich halte den Bezug auf das Stück für sehr mittelbar, ein Wiederkäuen aktueller „kultur“-theoretischer Diskussionen über Gender, Denglish, politische Korrektheit. Na gut, man erträgt’s.

Im ideologischen wie im dramatischen Zentrum bleibt die „Ringparabel“. Gerhard Hermann, „eher milder Papa denn (…) reicher, gleichwohl gütiger Patriarch“ (Eva-Elisabeth Fischer), zelebriert das Märchen aus dem Osten mit ausgestellter Unsicherheit: Ich kämpfe um jedes einzelne Wort, glaubt mir also! Gebanntes Publikum. Neugestaltung kann aber auch von Inhalt und Botschaft ablenken. Weshalb betreiben Saladin (Guido Wachter) und seine Schwester Sittah (Verena Maria Bauer) ein mundploppendes Tennisspiel? (Statt Schach im Original) Weshalb fangen sie dabei an, Bairisch zu sprechen (oder dies zu simulieren)? Konstantin Küspert oder Cilli Drexel – wenig Sinn.

Und da Konstantin Küspert davon ausgeht, dass die Message nicht von allen verstanden wurde, vielleicht auch ein wenig im Spiel unterging, hängt er eine Coda an. Aber so was von fetzig und jetzig:

„Aber es geht gar nicht um Religion. Bullshit. Es geht um Macht. Wenn es allen gut ginge, wenn es keinen Neid gäbe und keine fucking toxic masculinity, dann gäbe es keine religiösen Konflikte. (…) Wir haben ein Strafrecht verdammt noch mal. Das reicht. Eure Religion ist nicht wichtig. Für andere. Sie gehört zu euch. Lasst sie da. Um Himmels willen.“ Das sitzt!

Theater Regensburg – Aufführung am 16. Oktober 2020



The Who and the What
26. Februar 2020, 16:57
Filed under: Theater

Ayad Akhtar: The Who and the What
Inszenierung: Daniela Wahl

Der Islam spielt im Stück die Rolle des Beschleunigers. Der nahöstlichen Glaubenslehre wird gerne unterstellt, was im „westlichen“ Glaubenskreis Leitkultur war und ist und erst in den letzten Jahrzehnten ins Gerede kam: Männer sind die Herren, die Patriarchen, Paschas. Sie konnten sich immer verlassen auf ihre Dominanz, ihre Präpotenz, meist war keine Begründung dafür nötig. „Du musst sie brechen!“ Kaum ww1wird die männliche Herrschaft auch nur leise in Frage gestellt, findet MANN irrwitzige Begründungen: die religiöse Überlieferung aus fernvergangenen Jahrhunderten, zurechtgebogen von religions-stiftenden Männern, die Tradition (Damit kam auch der Bauer im Niederbayerischen lange durch – in CSU und Vatikan gilt das noch immer.), die Nachbarn, die im Dorf die totale Kontrolle ausüben, am Ende der wirtschaftliche Erfolg. (Tuba Sarica beschreibt die Mechanismen in „Ihr Scheinheiligen!“)

Afzal hat sich in Atlanta/USA/Südstaaten ein Taxiunternehmen und eine Suppenküche aufgebaut, doch seit seine Tochter Zarina die Gleichberechtigung geritten hat, kündigen die Fahrer, bleiben die Kunden aus. Die bockbeinige Frau gefährdet das Geschäft, eine ww3brutal einfache Formel. Das ist die Botschaft von Ayad Akhtars “The Who and the What”. Bei Afzal fängt der Hader schon damit an, dass er nur Töchter hat: Zarina und Mahwish. Er steckt zwar all seine Liebe und Fürsorge in sie, aber doch nur, um Männer für beide zu finden, welche sie nach Männerart beherrschen können, denen sie gehorchen, denen sie Söhne gebären. Die jüngere Tochter hat schon einen Mann, mit dem sie aber nicht zufrieden ist. Er fickt sie vor der Hochzeit in den Arsch, damit sie bis dahin als Jungfrau gelten kann. (Wenn ich das richtig verstanden habe?) Sie fühlt sich mehr zu ihrem Yoga-Lehrer hingezogen.

Die Problem-Tochter aber ist Zarina. Der Vater richtet eigens ein Fake-Profil für sie ein bei muslimlove.com. Aber Zarina ist schwer vermittelbar. Sie glaubt an die Selbstständigkeit von Frauen, pocht auf Gleichheit, sie betreibt „Gender-Studien“ und arbeitet an einem Buch über die Menschlichkeit – das meint: Fehlbarkeit – des Propheten. Ein Sakrileg. Sie beschreibt die sexuelle Gier Mohammeds nach seiner Schwiegertochter Zainab. “Du kennst das arabische Wort für Vorhang.« – »Hijab.« – »Und ww4wegen Mohammeds allzu menschlicher Ungeduld, mit seiner Frau zusammen zu sein, tragen Generationen muslimischer Frauen seinen Schlafzimmervorhang im Gesicht.“ Der Vater bekniet Zarina, hält ihr die Duldsamkeit ihrer Schwester Mahwish vor Augen. Nichts. Bis endlich Eli anklopft, ein Konvertit aus atheistischem Elternhaus. Wider Erwarten lässt sich Zarina mit ihm ein, weniger aus Leidenschaft denn aus intellektueller Nähe, sie werden ein Paar und erwarten ein Kind. Afzal giert nach der Erlösung: Wird’s ein Junge? – Die Antwort erlöst uns aufgeklärte Zuschauer.

Die Bühne ist schlicht. Nur einige Sitzblöcke, die man verschieben, unter die man kriechen kann. Nichts lenkt ab.* Die vierPersonen gruppieren und distanzieren sich. Sie sind als Familie aneinander gebunden, mögen sich auch, leben aber doch in verschiedenen Welten. Mann und Frau ringen, Mahwish will sich platzieren, wird aber nicht glücklich. Inga Behring spürt man das an, sie spricht ungewöhlnlich leise, wirkt noch beim Schlussapplaus bedrückt. Philipp Quest (Eli) will sich in die Familie einfügen ww2und dabei er selbst bleiben. Für den Vater verbiegt er sich unter die spüle, um sie zu reparieren, seine Frau ist ihm natürlich näher, er kämpft nicht gegen ihre Stärke an, ein weichgespülter Schlaffi, strickbemützt. Gerhard Hermann ist der ernste, suchende und leidende, tricksende Vater, bis zuletzt hoffend. Ein Widerling, den man trotzdem in seinen Nöten akzeptiert. Schon Verena Maria Bauers Erscheinungsbild gleicht nicht dem der bodenständigen Mutterfrau, man sieht ihr ihre Intellektualität an. Sie ist die Kluge, erklärt mal eben den Ödipus, ist aufgeklärt, modern. Sie hat das letzte Wort: Ein MÄDCHEN.

„The Who and the What „ ist eine Auseiandersetzung mit gewissen Ausprägungen des Islam. Der US-Autor Ayad Akhtar, Sohn pakistanischer Einwanderer, maßt sich keine Relgionskritik an, er verhandelt den Zusammenstoß von tradierter Islamauslegung und Denk- und Lebensformen der westlichen Gegenwart. Die Sicht, das Problem sei ein Defizit des Islam, die Exotisierung, lenkt ab vom eigentlichen Thema: der Einhegung der Frau, den krampfhaften Bemühungen der Männer um Wahrung ihrer atavistischen. Macht. (Das Stück stammt aus 2014.)

* Es gibt eine öffentlich verborgene Ablenkung: Auf dem Bildschirm im Bühnenhintergrund wird ein video abgespielt, auf dem sich die Familienmitglieder zum Gruppenbild einen. Es endet im Still – und fährt Bild für Bild zurück zum Auseinanderstehen. Mir ist das zuerst beim Blinzeln von Zarina aufgefallen.

Viel Applaus nicht nur für das Stück, sondern vor allem für die Darsteller, vorzüglich für die Sympathieträgerin, die vergnügte Frau Bauer.

Theater Regensburg – Aufführung am 18. Februar 2020

Fotos: Martin Kaufhold



The Vacuum Cleaner
18. Februar 2020, 16:55
Filed under: Theater

Toshiki Okada: The Vacuum Cleaner

Julia Windischbauer saust als Staubsauger durch die Räume des japanischen Hauses, hinauf – hinab, durch die leichtgängigen Schiebetüren, die sich optisch nicht von den Wänden unterscheiden. Sie produziert Sauggeräusche, ihre Gesten lassen mich an die Bewegungen von staubsuagenden Personen denken. Arme und Beine verselbständigen sich, laufen quer zu den Worten ins Leere, ungelenk, strange, fast ballettös. Aber ist Staubsaugen nicht an sich eine unhinterfragbare Aktion, auch wenn viele Sauger*innen beim Saugen singen sollen? Julia Windischbauer steigert sich dabei zum bellenden Diskant. Lustig.

Auch vieles andere, ja, eigentlich allles wird einem fremd, wenn man darüber reflektiert. Das Spiegelbild, das Sohn Richigi (Damian Rebgetz mit schönem Akzent) anfremdelt, in vc1dem er sich nicht wiedererkennt, weil er das Hemd in die Hose gesteckt hat. Und wozu sollen die Krawatten da sein? Sinn macht das nicht. Richigi berichtet von Straßenbäumen in São Paulo, die sich frei den umliegenden Häusern annähern. Der Vater erzählt von Ausflügen zum Kiosk, von Kaffeebohnen, die nach Erdbeere schmecken, von der früheren Möblierung der Wohnung, woran er sich zu erinnern glaubt. Manchmal glaubt er auch , mit seiner Frau zu reden, die vor Jahren gestorben ist. Allein, es ist niemand da, den seine Sätze interessieren. Keine Berührungen, nur Selbstverbiegungen.

Die Personen sprechen ins Nichts, die Reaktion ist der nächste Monolog. Annette Paulmann mit Mädchenfrisur als Tochter Homare läuft barfuß durch die Räume, verrenkt sich im in ihrem Zimmer, nach draußen kam sie schon so lange nicht mehr, dass sie sich nicht erinnern kann. Sie breitet ihre Mordgedanken aus, wie könne man am besten töten – oder selbst getötet werden, es kommt aufs selbe hinaus. Ersticken mit einem Kissen? Sie schwärmt vom Erstechen mit einem Messer, wenn das Blut wie das Bewusstsein wie das Leben aus ihr herausströmt. Man könnte Leben spüren. Die Gedanken bleiben in der Phantasie, das Schaffen von Realitäten ist keine Perspektive. Die Innenräume sind es, die bunt beleuchtet sind.

Es geht um “Hikikomori”, Als Hikikomori(jap. ひきこもり, 引き籠もり oder 引き篭り, „sich einschließen; gesellschaftlicher Rückzug“) werden in Japan Menschen bezeichnet, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum reduzieren. (wikipedia)

vc2Der Vater ist 80, sein Leben wird bald enden. Die Quintessenz seines Lebens: das Gleichgewicht halten. Walter Hess, auch 80, spielt überzeugend (wie immer!) wagemutig in ulkigen Kindersocken. Tochter Homare ist 50. Ein Leben ist, wenn es darin Höhen und Tiefen gibt. Sie muss nicht überlegen: Dann habe ich kein Leben. Einmal hat sie sich sich die Fingerknöchel blutig geschlagen für eine Delle in den Holzbalken. Man sieht sie nicht. Sohn Richigi verlässt das Haus hin und wieder. Thomas Hauser , sein „Freund“, der sich für ein paar Tage (oder vielleicht für immer) ins Haus einquartiert (auch er hat seinen Scheißjob nach wenigen Tagen aufgegeben), verrät dass Richigi Beschäftigung nur vorgibt, meist aber im Park auf einer Bank versitzt. Der Freund vergleicht das Leben mit Brandrodungswanderfeldbau. (Dass ich dies schöne Wort nochmal hören durfte.)

Ein deprimierendes Schauspiel, eine Vorführung, die sich hinzieht, es gibt ja keine Entwicklung. Ein Ende kann nur kommen, wenn man das Licht abdreht. Wenn die Klang-Tupfer verstummen. Ein in seiner existenziellen Tragik geniales Stück, das Toshiki Okada auf die Bühne der Kammerspiele bringt. Toshiki Okada führt gesellschaftliche “Trends” vor, er erklärt nicht. Kaum ein Blick auf die wirtschaftlichen (und auch demografischen) Wände, gegen die die Hikikomoris vergeblich andenken, bloße Resignation, das Warten auf ein Ende, keine soziologischen oder psychologischen Deutungen. Den Kapitalismus kann man sich dazudenken. Was Toshiki Okada auch vc3ausblendet, sind die medialen Lebens-Surrogate: Games, Cosplay, massenhafte Inszenierungen eines individualisierten Selbst auf Instagram & Co.

Es gibt keine eindeutigen Trends, dass Hikikomorisich auchin westlichen Gesellschaften verbreitet. Das „Hotel-Mama“ ist nicht so beliebt, oft sind es wirtschaftliche Gründe, etwa Wohnungsknappheit oder zu hohe Mieten, die dazu animieren, länger zuhause wohnen zu bleiben. Auch werden psychische Belastungen als Ursache der „Soziophobie“ genannt. Die eigenen Verbiegungen sind in der Exotisierung leichter erkennbar.

Julia Windischbauer, der Staubsauger, ist als Mitbewohner durchaus anerkannt. Es wird ja auch hierzulande immer üblicher, mit Hausgeräten zu sprechen. Alle Akteure haben sich voll eingespielt, dafür honorativer Beifall.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 14. Februar 2020



Oslo – Mission für den Frieden
24. Januar 2020, 18:25
Filed under: Theater

T. Rogers: Oslo –
Mission für den Frieden

Inszenierung Klaus Kusenberg

Er hat angefangen! Nein, er! – Der Streit verselbständigt sich rasch und die Streitenden findfen keinen Plan, wie sie aus dem Schlamassel wieder herauskommen. Es wird Wunden geben. Auch Staaten können sich im Streit festfahren. Jedes Land gibt dem anderen die Schuld, jedes findet eine frühere Attacke des anderen, auf die es reagieren musste usf. Der Konflikt wird zur Staatsräson, der Feind hält die Nation zusammen, bindet das Volk. Es kann Krieg geben.

Im Kindergarten hat man Streitschlichter, nicht immer erfolgreich, aber meist deeskalierend. Die Staaten haben sich dafür die Diplomatie ausgedacht. Aber was, wenn oslo2die Diplomaten nicht mehr mit den gegnerischen Abgesandten reden wollen oder können oder dürfen? Es braucht einen Anstoß von außen, Einladungen zu Konferenzen, Rituale, hinter denen man seine Blöße verstecken kann. Was man für seine berechtigten Interessen hält, darf nicht infrage gestellt werden.

Der Konflikt ist schnell ausgemacht: Israel und Palästinenser verhandeln offiziell in den USA, ein Weiterkommen ist nicht abzusehen.Stillstand. Der norwegische Souialwissenschaftler Terje Rød-Larsen hat ein inter-nationales Streitschlichter-Modell entwickelt. Er nennt es „Gradualismus“ und versuchte es 1993 zusammen mit seiner Frau Mona Juul, Mitarbeiterin im norwegischen Außenministerium, auszuprobieren. Das Problem: Man muss Teilnehmer finden und gleichzeitig darf niemand von den Treffen wissen. Sie laden zwei israelische Wirtschaftsprofessoren, Jair Hirschfeld und Ron Pundak, ein und zwei Vertreter der PLO nach Oslo ein, Ahmed Kurei und Hassan Asfour.

oslo1START des Spiels: Es beginnt eine Rallye des Aufeinander-Losgehens, der beleidigten Rückzüge, des Beschnupperns, der Finten und Täuschungen, der Ablenkungen und Drohungen des Scheiternlassens. Spielleiter Rød-Larsen (Gero Nievelstein) bittet, lobt, käpft unterstützt von mona Juul (Katharina Solzbacher), die souveräner als ihr Mann, sympathisch durch die gefühlt endlosen Zeiten der „Mission für den Frieden“ führt, Personen vorstellt, Zeitspannen kommentiert, Eifersüchteleien anstiftet und befriedet, moderiert.Die sachlich ausstaffierte Bühne dreht sich, öffnet und verschließt Räume und türen, schließt sie Schlichtungs-Kombattanten auch ein. Eine Choreografie der Arkan-Diplomatie, die trotz aller Friktionen rund läuft. Später dazukommende Akteure werden gezügelt, auch von denen, die eine Prinzipienerklärung erarbeitet haben und ihre Wichtigkeit nichts aufs Spiel gesetzt sehen wollen.

Das Stück will die fragilen und brutalen Mechanismen dieser – wenn’s gut geht – weltbewegenden – Suprematie-Tänze vorführen. Das gelingt Regisseur Kusenberg und oslo3seinen Akteur*innen auf recht überzeugende Weise. Ständig ist alles, sind alle in Bewegung, treffen und verfluchen sich, telefonieren oder tun so als ob, trinken Whiskey und essen Waffeln. Es gibt keinen dramaturgischen Leerlauf – und das bei 2½Stunden Spieldauer. Gut, ein paar Kalauer sind eingearbeitet. Weshalb haben die Norweger eingeladen, nicht die Italiener. Dort wäre es nicht so kalt.

Zum „Friedensprozess in Oslo“ gibt es Aufzeichnungen, hier schien für Außenstehende die Feindschaft überwindlich. Der reale Konflikt wird im Stück nicht ausgeblendet. Die groß projizierten Videos zeigen die wirklichen Bilder, die Verhandler werfen sich die „Schandtaten“ um die Ohren: die Vertreibung der Palästinenser bei der Staatsgründung Israels, die Intifada, den Disput um die Kontrolle über Jericho und den Gaza-Streifen, die Attentate und die Siedlungen.

Die Personen wollen differenziert gezeichnet sein. Die isaelischen Professoren (Michael Haake ( Kristóf Gellén) erscheinen anfangs recht locker, arbeiten sich aber ins Diplomatische hinein, die Palästinenser brausen selbstbewusst auf: Thomas Weber als oslo4linker Ideologe, Gerhard Hermann vorzüglich als nahöstlich dominanter Familienmensch. Überraschende Ähnlichkeit: Michael Haake als leicht absenter Schimon Peres. Einige der Männer schienen recht jung für ihre mehr oder minder diplomatische Rolle. Die Frauen: eher dienend.

Ahmed Kurei und Uri Savir (Guido Wachter) entdecken, dass sie beide eine Tochter mit Namen Maya, haben. Völkerverbindende Kradt der Offenbarung? Das ist das idealisierende Element dieser theatralen Episode des Israel-Palästina-Konflikts: Wichtig ist schon mal, dass man miteinander spricht und sich dabei besser kennenlernt und so näher kommt. Jeder, der neu in die Gespräche eintritt, wirkt als Fremdkörper und wirft die Gespräche zurück. Wie die Geschichte weiter geht, weiß man: Oslo I, Friedensnobelpreis 1994 für Shimon Peres, Jitzchak Rabin und Jassir Arafat. Fortsetzung: Eine Chronologie des Scheiterns. Jitzchak Rabin wird 1995 von einem rechtsextremen, religiös-fanatischen israelischen Studenten ermordet.

Ein geschickt konzipiertes Stück zu einem sperrigen Thema. Im Zentrum die geheimen Mühen der Diplomatie, die den politischen Interessenab- und ausgleich nicht ersetzen können. Nicht mehr wird auf der Bühne gezeigt. Das Theater hat den Vorzug, Geschehen lebendig werden zu lassen, persönlich, menschlich. Das Stück ersetzt keine Geschichtsstunde, kann aber Anregungen zu eigner weiterer Recherche geben. Die erste Aufführung im deutschsprachigen Raum ist in Regensburg nachhaltig gelungen. Viel berechtigter Beifall.

Theater Regensburg – Aufführung am 21. Januar 2020

Fotos: Jochen Quast

 Das 20. Jahrhundert: Friedensgespräche – Die Oslo-Tagebücher
Doku von Mor Loushy und Daniel Sivan (2018) – 1:35

 



Tartuffe
5. Januar 2020, 11:27
Filed under: Theater

Molière: Tartuffe
Inszenierung: Peter Wittenberg

Inga Behring ist das Glanzstück in diesem sonst recht schwunglosen Vers-Drama. Ihre Rolle der Zofe Dorine gibt ihr die Fäden in die Hand – und sie zieht energisch daran. Eine Freude, ihr dabei zuzusehen. Das restliche Personal ist phlegmatisch bis verschnarcht. Theater RegensburgMariane und Valère wollen heiraten, doch als ihr Vater Orgon ihr einen anderen als Bräutigam vor die Nase setzt, denkt sie: „Mia wad’s wurscht.“ und auch Valère erhebt keinen Einspruch und macht sich von dannen. Inga Behring will die beiden, Denia Nironen und Kristóf Gellén, zusammenziehen. Vergebens.

Philipp Quest als Sohn Damir und Michael Haake als Schwager Cléante tauchen immer wieder auf, doch lassen sie sich bald entmutigen und rutschen hilflos von der schräggestellten (Symbol!) Bühne. Madame Pernelle, die Mutter, wird gerne männlich besetzt. Das ist erheiternd und Michael Heuberger nutzt die geringen Möglichkeiten. Elmire, die Frau des Hauses, reizt die Aufgabe, die Posse zu beenden, aber es ist ja nur der Trottelmann Tartuffe, den sie bezirzen und damit der Übergriffigkeit überführen will. Silke Heise, mit hochgestecktem Haar, müht sich, ein wenig Slapstick kommt ihr zugute.

Gerhard Hermann gibt den Hausherrn Orgon, die Hauptrolle. Er ist auf den bigotten Hochstapler Tartuffe hereingefallen und lässt sich seine Scheuklappen bis (fast) zum Schluss nicht abreißen. Weshalb er zum bornierten Deppen wurde, wird nicht verhandelt. Eine entscheidende Schäche des Stücks, das so eine mögliche Aktualität tart4verliert und bloß noch simple Einfalt ausstellt.

Bleibt noch: Jonas Hackmann – Tartuffe. „Von weitem scho kon a jeder sehng, des is a Depp!“ Erst im dritten Akt betritt er die Bühne, mit langsträhniger Perücke und bloßen Füßen in Sandalen ausstaffiert, ein Wappler ist das, ein heruntergekommener Blender im herrschaftlichen Haus. Der Effekt ist plump, der intellektuelle Reiz wird unterspielt. Alle, ob Zuschauer oder Darsteller, merken das – nur nicht Orgon.

Was aus dem 17. Jahrhundert bleibt, weil sich da wenig geändert hat: „Tartuffe ist so schweinisch unverschämt, dass er und andere an ihn glauben. Heuchler, Lügner, Erfinder von alternativen Fakten und lustigen Verschwörungstheorien gibt es natürlich auch heute noch in jedem gesellschaftlichen Bereich.“ (Michael Sommers „Weltliteratur to go“ auf youtube – Überblick über Sommers Playmobilvorstellungen unter http://sommers-weltliteratur.de/)

Wenn man es auf so allgemeingültige menschliche Defizite herunterschraubt, ist natürlich jedes alte Stück hochaktuell. Damit ist aber nichts erklärt, keine Erkenntnis gewonnen, nur wissendes Nicken: Ja, so sans. Ich kenn auch einen, der ist genauso: Theater RegensburgTrump! – Da sind selbst Elfriede Jelineks verquaste Sprachkekse erhellender (Am Königsweg).

Wenn ich sehe, wie – ein Beispiel – Andreas Scheuer (sich und) andere glauben lässt, er sei eine Kapazität, erkenne ich das und erschrecke darüber, ohne einen Tartuffe gesehen zu haben. Und wenn ein solcher Nichtsnutz von seiner Kanzlerin gelobt wird („Andy Scheuer macht eine sehr gute Arbeit.“), spricht das für sich, da brauch ich kein jahrhundertealtes Drama. Der österreichische Tartuffe Strache ist sofort in die Falle der Elmire getappt. Zu deppat! Ein Tartuffe ohnegleichen ist auch der AfD-ler Meuthen. Aber auch ein solches Schleim-Ekel wird nicht von Molière entlarvt. „Wir können nicht darauf warten, dass ein König die uns vom Hals schafft. Das müssen wir schon selber machen.“ (Michael Sommer, in dessen Tartuffe-Fassung der „Betrüger“ verhaftet wird. In Regensburg hilft dem Heuchler die Staatsgewalt. Das ist realistischer.) Was bei Moliére noch politisch brisant gewesen sein mochte, bewegt heute allenfalls die Moral.

Ein etwas langatmiger Abend endet mit dem Song „So sad“, was vorher schon als Leuchtschrift über den schrägen Brettern hing. »So sad!«, ein oft benutzter Ausspruch Donald Trumps, belehrt mich Elias Schäfer (lautschrift.org). Ich wusste das gar nicht, dieser Trump kommt mir nicht in meine Medien. Ich weiß aber immer noch nicht, ob T. diesen Ausspruch oft benutzt oder ob das andere tun. Die zwei kleinen Wörter sind aber auch so beliebig, dass man sich alles oder nichts dabei denken kann. Verdienter Applaus.

Theater Regensburg – Aufführung am 19. Dezember 2019

Fotos: Martin Sigmund



Am Königsweg
25. Dezember 2019, 15:38
Filed under: Theater

Elfriede Jelinek: Am Königsweg
Inszenierung Stefan Otteni

„Die Worte zu hören, ist dabei das eine, sie zu verstehn, das andere.“ Egbert Tholl schreibt das über ein anderes Stück. (Peter Lichts „Molière Verwurstung“ von „Der eingebildete Kranke“ am Münchner Residenztheater, einer „Überschreibung) Die beklagten „Wortkaskaden“ markieren einen Trend – nicht nur am Theater! -, mit vielen schnellen Worten ein inhaltliches Wenig zu übertönen, um dem Zuschauer oder -hörer das Mitdenken auszutreiben. Die Methode beschreibt auch gut das Stücke-Schreiben der Elfriede Jelinek. 100 Seiten Text, der Regisseur darf sich bedienen, die Schauspieler haben was zu lernen und geben es in zwei Stunden wieder von sich. Als Zuschauer verliert man sich im Schwall, möchte sich eine gelungen scheinende Anspielung, ein Aperçu merken oder verarbeiten, wird aber schon von der nächsten Kaskade „zugetextet“. Wer scheidet Sinn von Geplänkel?

Der neue König ist da! Er ist so schlimm wie unsichtbar. Aber Big King is watching you. Man schaut auf zu ihm auf dem Screen wie 1984 zu Big Brother. Er meldet sich mit Zettelchen, von blauen Vögelchen im Schnabel getragen, ordnet an, dass alles mit Goldlack zu überziehen sei (Jelinek Sprachmaschine würde sofort die Gelackmeierten ausspeien!), grummelt aus dem Off sein Plazet: you are hired. „Der König hat keine Pflichten, er hat immer nur Recht.“ Er ist überall und so weing (an)greifbar wie Schrödingers Katze. Man zürnt ob seiner eigenen Machtlosigkeit, man ereifert sich darüber, dass der König gewählt wurde. Natürlich: Man hat ihn nicht gewählt, das waren die anderen. Ach, Demokratie!

königsweg1Beim Stichwort König/Macht wird Jelinek zuverlässig von den Mythen angesprungen. Ödipus, Kreon, Antigone, Teiresias, die üblichen Gewährsleute. Mythen sind Deutungen, keine Wahrheiten. Die Darsteller haben sich in schmucklose Gewänder gehüllt, klagen chorisch, ein feierlich roter Vorhang behängt die Bühne. Dann bricht das Jetzt herein. Migrantische Bühnenarbeiter holen den Vorhang ein, das antikisierende Grau weicht casual wear und Arbeitskittel, das Gewerk nimmt seinen Lauf, übertönt von Jelineks Sprachtsunami. Nur Franziska Sörensen kann ihre Seherin nicht ganz ablegen. Sie blickt weiterhin durch, bringt frauenpolitische Sujets ins Spiel, verzweifelt lauthals. Inga Behrig hat ihren Körper selbstoptimiert und lächelt das Elend weg, auch sie mit durchdringender Stimme. Verena Maria Bauer sucht sich selbst als Volks-Lead-Sängerin: „Caravan of Love: The place in which we were born So neglected and torn apart“,  „Kein schöner Land“, da war doch was in solchen Zeiten. Jonas Hackmann (Habe ich Volksstimme 4 überhaupt zugehört? ? Hab ich überhaupt zugehört?) wandelt sich vom Ödipus zum Bühnenwerker und Marschtrommler und königsweg3koordiniert das Tapezieren. (Eine der vielen Innuendos, die ich nicht verstand. Liege ich richtig wenn ich verbrämen denke? An den Verkleisterer Hitler in Brechts Gedicht?) Alle sind sie „Volksstimmen“ (Rollenzuschreibung), von 1 – 4. Deshalb weichen sie auch mal in den Zuschauerraum aus: Wir sind ja gemeint, wir sind eins.

Das Regensburger Publikum kann Jelinek und dem Regisseur nicht immer folgen, „so geschwindigkeitsberauschend schreien die Sprachkaskaden auf einen ein, verlangsamen sich dann zur rechten Zeit, fast immer bevor verwirrungsbedingte Ermattung eintreten kann beim Zuschauer“. (Angelika Schüdel, BR) Die schönste Ermattung trifft die Darsteller: Sie ziehen sich biedermeierliche Gewänder an und hinter die Kulissentür zurück und verkünden, dass es ihnen die Sprache verschlagen hat. (Endlich!, denke ich kurz.) Die Bühnenarbeiter, austauschbare migrantiche Produktionswerker (Die Ankündigung bietet ein Bündel von Namen zur Auswahl: Mohamad Al Shikh, Kashif Ijaz Mohammad Ijaz Kumar, Ajmal Nazari, Qandagha Sharifi, Desale Teklesenbet u.a.), die zu Beginn mit Schubkarren Berge von Büchern auf die Bühne gekippt haben, sammeln jetzt königsweg2die Bücher wieder ein und mauern damit die Volksstimmen hinter der Türe ein. Präzise, das darf dauern, von hinten leuchtet es durch die Zwischenräume, die immer weniger werden. Eine einleuchtende Metapher. Leise stimmt das Volk im Verborgenen die „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht an. Das sagt in wenigen Worten viel, auch wenn ich kaum erkenne, was das Gedicht mit Jelineks Thema zu tun hat, außer dem Flehen um ein gutes Leben.

Elfriede Jelinek sagt in vielenvielen Worten zu oft Banales, Sprüche: „Ich wisch mal drüber, damit es mir nicht entwischt.“ Mäandernde Geschwätzigkeit, Assoziationen statt Auseinandersetzung. „So, und der König erschlägt den Seher, damit er, The King, selber blind werden kann, damit er endlich der einzige Blinde sein kann. Sogar die Blindheit gönnt er keinem andern. Keine Stimme gönnt er einem anderen, er stimmt selbst sein Lied an und zwitschert es hinaus, mehr als hundertmal die Stunde, er hat ja auch was zu sagen. Dann, wenn der König es ausspricht, ist es total egal, was er sieht oder sagt. Es stimmt auf alle Fälle. Wenn der König blind ist, was wollen dann Sie sehen, wenn schon der König nichts sieht? Da gibts nichts mehr zu sehen. Er hat schon alles gesehen, er hat sich alles angeschaut und dann entschieden. Warum also überhaupt blind werden?“

Dennoch kann man aus der Vorstellung was mitnehmen – und wenn es nur die Vorstellung ist, dass Trump ein gefährlich unsympathischer Herrscher ist. „Das Publikum fühlt sich in seiner Anti-Trump-Haltung bestätigt.“ (Joachim Lange, Der Standard) Viel zustimmender Beifall zu dieser Meinung. (Elfriede Jelinek hat den Text 2017 geschrieben – seitdem ist viel passiert!)

Theater Regensburg – Aufführung am 19. Dezember 2019

Fotos: Jochen Quast

 

Leseprobe beim Rowohlt-Verlag (pdf)

Hörspiel des Bayerischen Rundfunks

Falk Richter über Jelinek, Am Königsweg, das Theater:

„Für mich waren von Anfang an zwei Aspekte wichtig: einmal eine Art ironische Heidegger-Überschreibung, was das denn für Kräfte sind, die jetzt auf einmal wirksam werden. Warum kommen bestimme Leute jetzt wieder an die Macht, wer ist der weiße junge Mann, der da plötzlich wieder die Bühne betritt, was wollen diese Leute? Das ist der eine Strang. Das andere ist sie selbst: Wie stark sie sich selbst ins Spiel bringt, wie sie ihr Älterwerden thematisiert und ihre Unfähigkeit, auf diese aktuelle Situation politisch zu reagieren, ihr Eingeständnis, mit ihrer komplexen Sprache niemals die Mehrheiten zu erreichen. Das waren die zentralen Themen.“



Sex oder Ex
11. Dezember 2019, 14:04
Filed under: Theater

Anthony Neilson: Sex oder Ex
Inszenierung: Klaus Kusenberg

Jess und Jimmy sind seit 9 Jahren zusammen, doch jetzt wird sie ihn verlassen, wenn es nicht zum Sex kommt, nach 14 Jahren und 4 Tagen. Hier, jetzt, vor dem Publikum. Ende Gelände. Jimmy ist definitiv knocked out. Das Setting, die Situation lässt keine Klimax zu, jeder Gedanke an gmeinsame Höhepunkte ist verkackt.

Gespielt wird die traurige Geschichte des mittelalten Mannes in Zeiten von #MeToo. Jeder Versuch zu kommen, ja, schon der Gedanke an Lockerungen ist kontaminiert von der Selbst-Zuschreibung: Ich auch. Der Mann in der Opferrolle, in der er sich durchaus gefallen kann. Es ist nicht so, dass man sich nicht bemüht. Das Nest ist bereitet, das sexex3Wasser in der pinken Herz-Wanne wohltemperiert. Bühnenbildner Michael Lindner hat allen Kitsch aus sich herausgepresst, um auch den besten Liebesvorsatz ins Lächerliche zu ziehen und damit jeden ernsten Ansatz des Stücks gleich mit. Immerhin: Der Pool gibt Gelegenheit, sich ein wenig auszuziehen, Badehose und Bikini, verschämt verhüllt, Blümchensex.

Es kommt zum Vorspiel. Schenkelbetastungen, Zungenküsse. ER und SIE stehen dabei drei Meter voneinander, sprechen von Erotik, stochern mit der Zunge aus dem Mund. Wieso lachen wir im Publikum? Das Versprechen des deutschen Titels bleibt Kopftheater. (Im Original heißt das Stück: The Prudes – die Prüden. Hätte man das gewusst, wäre man gar nicht hingegegangen?)

Was verhandelt wird und was sich wiederholt und dann endgültig zum Abbruch des Sexperiments führt, ist nicht uninteressant. Sollte – oder muss – man seiner Partnerin sexex1sagen, dass man Flipflops an ihr nicht attraktiv findet? Sollte oder darf man seinem Partner verschweigen, dass man in der Jugend von einem Cousin bedrängt wurde, dass man sich als Kind zum Vater ins Bettgelegt hat? Sich offenbaren oder manches für sich behalten? Heißt Schweigen, dem Partner nicht zu vertrauen oder ihn nicht verunsichern zu wollen? Solche Themen sind ja auch bei #MeToo nicht ausdiskutiert.

Das Publikum ist im Zweifel – und auch das führt oft zu einem Lachen, das Befreiung sucht. Man kann sich als Publikum aber schon auch verdammt progressiv vorkommen, weil man angesichts der durchaus expliziten Sprache nicht aus dem Theater flieht (was einem Jimmy zu Beginn anbietet). Das „Spiel“ mit den Zuschauern ist ein Merkmal des In-yer-face theatres: Man ist als Voyeur gekommen und geht als verständnisvoller Sympathisant.

Die Akteure machen ihre Sache gut. Guido Wachter und Katharina Solzbacher haben das richtige Alter, ziehen sich an und stoßen sich ab. Jess ist lakonischer, repliziert schnell, auch mal schnippisch, „”Jetzt mach es halt nicht so kompli­ziert“. Leicht gesagt. Jimmy hat den dramaturgisch besseren Part, er darf changieren, netter Kumpel, kleiner Junge, verletzter Mann. Mal bittend, mal aufbrausend, nervös. Ein Mann in der Krise, ein entmannter Mann. Einer wie wir. Plump wird’s, als Jimmy sich mit seinen Phantasien sexex2anregen will und Jess vorschlägt, sich zu kostümieren. Ein Nurse-Kostüm aus dem Erotik-Ramschladen schwebt von der Decke, Jess willigt schließlich ein, Wonderwoman zu werden. Wow. Das Publikum speichelt, der ultimative Sex-Ruin.

Nach der Vorstellung gegoogelt: Dogging, Goldlöckchen(Goldilock) – “One of the best parts of the play is when Jess talks about her seven-year-old niece’s need to keep hearing the story of Goldilocks and understands that all women have learned how to live with the bears marauding in the woods and play bear-tamer.” (Lyn Gardner, the Guardian)

Ein vergnügliches Kammer-Boulevard-Stück mit durchlässiger vierter Wand. “A well-meaning yet toothless two-hander. (…) The #MeToo movement is not just about what happens in the bedroom, but The Prudes never gets beyond it.” (Lyn Gardner)

Theater Regensburg – Aufführung am 4. Dezember 2019



Melancholia
12. November 2019, 17:05
Filed under: Theater

Lars von Trier: Melancholia
Inszenierung: Felix Rothenhäusler

Es gibt keine Bilder zum Schauspiel. Nun veröffentlichen die Kammmerspiele selten Bilder-Kunst, das gehört zum Image, o.K. Aber zu „Melancholia gibt’s auf der Homepage kaum ein Foto, das nicht auch als Ensemble-Foto ins Spielplanheft gedruckt sein könnte. Keine Kulisse, keine Interaktion, höchstens etwas gequälte Mimik. Das Stück bietet wenig zum Sehen.

Das Stück erzählt. Die Schauspieler sagen dem Publikum, was sie gerade tun, sie tun so, als ereignete sich etwas. Erzählt wird im Präsens. Die Darsteller erfinden die melancholiaaHandlung nicht, sie haben sich den Film von Lars von Trier angeschaut und berichten nun von dem, was sie gesehen haben. Nahezu einszueins. Auch die Laufzeit ist annähernd die gleiche. Es gibt wenig Positionswechsel, gern steht oder sitzt man an der Rampe, Adressat ist ja das Publikum. Man könnte die Augen schließen und den „Film“ an sich vorüberziehen lassen. (Es sei denn, man möchte die Übersetzung mitlesen, was vor allem beim Englisch sprechenden Majd Feddah öfter nötig erscheint.)

Worum geht’s? Der Planet Melancholia rast auf absonderlichen Bahnen auf die Erde zu. Im Film sieht man das in den ersten Minuten, bebildert auch mit Brueghels „Die Jäger im Schnee“. Zu hören sind Klänge aus Wagners „Tristan und Isolde“. Im Theater taucht das melancholiaekosmische Motiv erst in der zweiten Hälfte auf, Brueghel wird als Hintergrund erwähnt, Julia Riedler (Justine) sagt, dass sie Wagners Tristan höre. Das Publikum hört im Geiste mit, wenn es denn die Musik kennt. Ansonsten: Anschwellendes Gewummere. Das erzeugt Unmut, nicht die – vielleicht – intendierte Angst. Der Tristanakkord steht – als Leitmotiv – für die Melancholie.

Die Handlung, auf der Bühne erzählt: Justine hat geheiratet, ihre Schwester Claire (Eva Lobau) richtet die pompöse Feier auf dem Landsitz aus. Justine müht sich, sich in die oberflächliche Fröhlichkeit dieser „Barbie“-Hochzeit einzustimmen. Doch immer deutlicher zeigen Justines Reaktionen, dass sie dieser Zumutung nicht gewachsen ist. Sie versucht sich zu entziehen, stößt die Gäste vor den Kopf, verstößt den eben angetrauten Mann (Thomas Hauser, meist herumstehend). Diagnose des Zuschauers: Leiden, Depression, Melancholie. (Sohn Leo (Gro Swantje Kohlhof) findet sich selten ein Plätzchen, Christian Naujoks macht das Gebrumm.)

Julia Riedler fühlt ihre Beine wie in ein Geflecht von Wollfäden verstrickt, kann sich nicht mehr bewegen, wirbelt dann unmotiviert über die Bühne, lässt ihre Vision-Hose melancholiabherunter, zittert am ganzen Leib. Das lässt einen manchmal miterleben, manchmal hört man Julia Riedlers lakonische Intonation heraus und hält das Spiel für Gehabe. Riedler ist vom Typ her das Gegenteil von Barbie, da helfen auch die dämliche Langblondperücke und das doofe Top nicht. Vielleicht zeigt sie damit aber auch die Distanz zu sich selbst und macht ihre innere Zerrissenheit sicht- und erfahrbar, Im Film stolpert Kirsten Dunst als Blondchen nach und nach über den Golfplatz in die Depression. Charlotte Gainsbourg ist dort die pragmatische Claire, die alles im Griff hat und ständig versucht, Justines Seele aufzuhellen. Als die Kollision mit Melancholia unausweichlich wird, kippt ihre Zuversicht in Angst vor dem eigenen Ende, Justine indessen fügt sich in die Katastrophe, fast erleichtert. Diese labilen Gefühlslagen werden auf der Bühne nur angespielt, meist aber sprechend vor sich hergetragen. (Deshalb die Scheinwerfer ins Publikum? Und melancholiacwozu der erhöhte Glasboden?)

Beim Fernsehen kann man zum Film die Untertitelungen einblenden. Im Theater lässt Rothenhäusler die Untertitel sprechen. Macht das Sinn? Ist das zumindest interessant? „DasAuge lässt sich nun mal leicht verführen“, schreibt Martina Knober in ihrer Filmkritik in der SZ. Gut, dann könnte oder sollte man die Bilder zu den Untertiteln wegblenden. Aber weshalb dann kein Höspiel. Wäre das nicht konsequenter als unbeholfenes Bühnenbemühen? „Wie Justine löscht sich auch melancholiadder Film im Verlauf selbst aus (..), die Bedrohlichkeit des Weltuntergangs überträgt sich immer mehr allein akustisch“ (Hannah Pilarczyk, SPIEGEL). Sie meint damit allerdings Lars von Triers Unernst, die Geräusche stammen von den symbolisierten Pferden. Felix Rothenhäusler, der ein Faible für Kosmisches zu haben scheint, setzt seine Inszenierung zwischen alle Deutungsversuche und verschenkt damit wieder einen Abend. Der Weltraum ist eben ein Platz nur für Ausweichmanœvres. „Das Schreckliche bleibt blass und lässt einen erschreckend kalt zurück (…), weil hier alles so sehr nach einer verwaschenen Erinnerung klingt, die man sich gegenseitig toterzählt hat, so dass sie weder etwas mit den übrigen Schauspieler*innen noch mit dem Zuschauer macht. (Anna Landefeld, nachtkritik.de) Ein überflüssiges Stück nach einem verspielten Film. Obwohl das Licht im Zuschauerraum nicht ausging: recht müder Applaus.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 8. November 2019