Nachrichten vom Höllenhund


Schulze
18. Juni 2021, 17:51
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Ingo Schulze:
Die rechtschaffenen Mörder

Norbert Paulini. Man muss ihn nicht kennen, aber man erfährt viel über ihn, wenn man Ingo Schulzes Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ liest, in welchem dieser Norbert Paulini penetrant in den Mittelpunkt gestellt ist. Norbert Paulini. Die ersten 200 Seiten wird er nur mit diesem Namen genannt. Vorname und Familienname, das schafft eine fast bürokratische Distanz, täuscht über subjektive Gestaltung und Wertung hinweg, auch wenn der erste Satz eher an ein Märchen als an eine Biografie denken lässt.

Im Dresdner Stadtteil Blasewitz lebte einst ein Antiquar, der wegen seiner Bücher, seiner Kenntnisse und seiner geringen Neigung, sich von den Erwartungen seiner Zeit beeindrucken zu lassen, einen unvergleichlichen Ruf genoss. Paulini übernimmt das Antiquariat von seiner Mutter, baut es aus, macht es zu einem Treffpunkt literarisch Gleichgesinnter, findet darin Lebenssinn und Heimat. Was er liest, ist sekundär, bei einem Antiquar darf man eher an Gestriges denken. Politik, Politisches ist nicht das Interesse Paulinis, nicht seine Heimat. Paulini ist Leser.

»Ich habe mich entschieden, Leser zu werden«, bekannte Norbert Paulini. (…) »Wer selbst schreibt, ist nicht mehr fähig, wirklich zu lesen. Nur der uneigennützige Leser, der sich einem Buch vorbehaltlos und ganz und gar zu öffnen vermag, kann es in seiner Differenziertheit und   Komplexität erfassen. Wer hingegen absichtsvoll liest, stutzt das Buch auf seine Bedürfnisse zusammen und unterwirft es den eigenen Kreativitätsgelüsten.«

Dann kommt 1989 und darauf ist Paulini nicht vorbereitet. „Im Herbst 1989 verhielt er sich einfach wie immer.“ Eigentlich ist 1989 ein Glücksfall für den Antiquar. Die Bücher sind nach dem Ende der DDR nichts mehr wert. Paulini muss nur zugreifen, wenig Geld zahlen, oft erhält er Bücher umsonst oder findet sie in aufgegebenen Lagerhallen, fährt sie mit seinem Radanhänger nach Hause. (Einen Führerschein hat Paulini nicht, was sonst.) Die Kehrseite: Es kauft auch niemand mehr Bücher und schon gar nicht solche vom Antiquariat. Der Systemwechsel wird zur Lebenskrise, Paulini fühlt sich getroffen und da er nicht politisch zu denken gelernt hat, gleitet er ins Ressentiment.

Den Herbst 1989 missdeutete Paulini vollkommen.  Er steckte wohl bereits zu tief in dem Land, um sich noch vorstellen zu können, dass sich etwas ändern könnte. In jenen Wochen   muss Paulini regelrecht manisch den Kafka-Satz vom Käfig, der einen Vogel suchen geht, wiederholt haben. (…) Kümmert Sie das nicht, dass ich hier oben hausen muss, während sich Tausende, Zehntausende frisch zugereister junger Männer aussuchen dürfen, in welcher Stadt sie sich auf unser aller Sozialhilfepolster niederzulassen die Güte haben, um fleißig weiter Kinder zu zeugen und zwischendurch ihre Stirn auf dem Moscheeteppich zu wetzen? Finden Sie das denn gerecht? Ich hab nichts gegen Ausländer, ich werde sogar einen einstellen. Es gibt nämlich solche und solche.

Ingo Schulze hat sich Norbert Paulini als Hauptperson für (s)eine Novelle ausgewählt. Aber er merkt, dass Paulini den Anforderungen nicht allein dadurch genügt, dass er „einen unvergleichlichen Ruf genoss“. Es fehlt das unerhörte Ereignis, der Exitus des Staates ist nicht falkenhaft genug, Paulini fehlt, trotz aller Elogen, die Fallhöhe. Schulze muss nachlegen.

Schon im langen „Teil I“ taucht sporadisch ein Ich auf, ohne dass dessen Name oder Beziehung thematisiert würde. Auf Seite 199 stellt sich im ersten Satz von „Teil II“ ein „Ich“ vor, das Paulini als 17-Jähriger erstmals begegnet sei. Dieses Ich übernimmt die Erzählung und auch Paulinis Freundin Lisa/Elisabeth. Das führt zu Verschlingungen und dazu, dass Paulini schließlich dekretiert:Sie veröffentlichen nichts über mich. Punkt.“ Man ahnt: Es geht um die Novelle, die der damals junge Schriftsteller geplant und fast fertig hat. Im kurzen „Teil III“ wird die Lektorin dieses Literaten zur Erzählerin und verkündet auch den Namen ihres Schützlings: Schultze. Die Novelle, die in ihrem Teil I abrupt abbricht, wird fortgesetzt und eingebettet. Das kann als kluge und verspielte Idee des Autors gelesen werden, mir erscheint das Verfahren eher als unbeholfen. Und nur auf diese Weise kann er den Titel des Romans einbringen, wie, erklärt sich mir nicht. „Der Autor greift ganz gehörig in die Metafiktions-Kiste. Verunsicherung, Zweifel streuen, Leseerwartungen durcheinanderwirbeln, das ist hier Programm. Uneindeutigkeit und Satire sind die Mittel.“ (Petra Reich, literaturreich.de) Mir fällt es nicht leicht, diese Mittel auf auf die Protagonisten, auf das Erzählte, auf das Thema zu beziehen.

Norbert Paulini mag in literarischen und speziell in Antiquariatskreisen eine schillernde Figur gewesen sein, er steht für eine Zeit des Stillstands, für die auch die DDR steht. Insofern passt er, der von sich aus Unpolitische, gut ins System, insofern ist es plausibel, dass er im fordernden und rasenden Kapitalismus weggeblasen wurde. Insofern ist es auch zu verstehen, dass er sich mit Ressentiments dagegen sträubte. Trotzdem taugt Norbert Paulini nicht als Prototyp des Vereinigungsverlierers. Paulini suhlt sich im kulturbürgerlichen Kokon, macht die Literatur zum Fetisch, verweigert sich aber dem weltbürgerlichen Anspruch als politisches Wesen. Sollte das Widerständigkeit offenbaren,  Exil in seiner antiquierten Klause?

Sobald die Rede auf Politisches kam, wirkte er gelangweilt. Er sah darin bestenfalls Zeitverschwendung, im schlimmsten Fall ein sinnloses Opfer. Es würde sich sowieso nichts ändern. Er werde dem Staat nicht den Gefallen tun, ins offene Messer zu laufen und sein Antiquariat zu gefährden. Zukunft gab es nur für sein eigenes Reich.

Ingo Schulze erzählt betont bedächtig, so wie man vielleicht 1977 ff. in der DDR erzählt hat. Der Stil passt aber schön zu Welt und Wesen des Antiquars.

Im Gehen blies er die flackernde Kerze aus und stellte den   Kuchen neben der alten Registrierkasse auf dem Tisch ab, der in der Diele vor den beiden Bücherzimmern wachte. Was sollte er mit den Frauen anfangen?
   »Nicht alphabetisch?«, unterbrach ihn das Mädchengesicht und schlug sich, als wäre sie vorlaut gewesen, eine Hand vor den Mund.
   Er tippte von oben nach unten auf die Bretter der Franzosen, wobei die Berührung seiner Fingernägel auf dem Holz zu hören war.  
»Das wird sich zeigen«, erwiderte er.  
»Und die Deutschen?«, ragte die mit dem Mädchengesicht.

2020 – 320 Seiten

3-

Gespräch mit Ingo Schulze in „Druckfrisch“ (8 Minuten)

Diskussion über Ingo Schulzes Roman im lesenswert Quartett (14 Minuten)

Lesung und Gespräch im Literaturforum im Brecht-Haus (1:20)



Schulze
27. Juli 2012, 13:45
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Ingo Schulze: Simple Storys

Renate und Ernst Meurer, Connie Schubert, Danny, Christian Beyer, Dr. Barbara Holitzscheck, Lydia, Pit Meurer und Edgar Körner, Enrico Friedrich, Hanni und Jenni und einige andere Bekannte und Verwandte erzählen Geschichten. Ganz einfache Geschichten aus dem Alltag. Die Geschichten und die Personen sind verflochten, ergänzen sich, zeigen, was geschieht, aus anderer Perspektive. Meist geschieht nicht viel, nichts Spektakuläres, für die Betroffenen ist schon wichtig und erzählenswert, was geschieht. Die Geschichten sind meist Dialoge, so aufgeschrieben, wie die Leute reden, jedes Kapitel hat einen Haupterzähler, der im Dialog das Wort führt. Der Erzähler bleibt im Hintergrund, er stellt die Szenen zusammen, er beobachtet genau, wie die Personen reden. Ihre Körperhaltungen, ihre alltäglichen Verrichtungen. Ingo Schulze überblickt sein Personal, er hat sich eine Übersicht über alle Beteiligten angefertigt, er kann da nachschauen. Der Leser kann das nicht und kommt so manchmal ins Grübeln, wer jetzt wieder wer ist und welche Beziehungen zwischen den Personen bestehen. Die Geschichten könnten aber auch isoliert stehen, sie bleiben letztlich belanglos – wie der Alltag.

Der Alltag in der Ostdeutschen Provinz Anfang 1990, für die Bewohner der ostthüringischen Kleinstadt Altenburg wahrscheinlich in vielem noch nicht alltäglich, für mich ist schwer zu erkennen, worin “sich in den vielen kleinen Alltags­begebenheiten das Zusammenstürzen einer ganzen Welt, jener dramatische Bruch, der sich nach 1990 durch so viele ostdeutsche Biographien zieht” offenbart. “Und so zeichnet er völlig unsentimental die Hoffnung und Hilflosigkeit, die Irrungen und Wirrungen und vielen tragikomischen Situationen, mit denen die Bewohner der ehemaligen DDR tagtäglich konfrontiert werden – befreit von einer Mauer, die sowohl Tragödien zeitigte als auch Sicher­heiten gewährte.” (Klappentext) Diese tragikomischen Situationen gibt es genauso oder ähnlich auch im Westen, auch im neuen großen Deutschland, denn es ist die Tragikomik der Menschen, nicht der Politik. Ohne vereinzelte Hinweise auf die DDR-Verankerung und ohne das Wort “Plaste” bleiben die Gespräche zeitlos, banal. Verloren sind wir alle. Ich erfahre nichts Neues, Spezifisches. Dafür ist das Lesen und das Entziffern der personalen Verhältnisse zu aufwendig. Insofern sind die “Simplen Storys” “ein Buch zum Staunen und zum Fürchten” (Wolfgang Höbe, SPIEGEL). Einen “Wenderoman” stelle ich mir anders vor.

Kapitel 7 – Sommerfrische

 Wie Renate und Ernst Meurer ein verlassenes Wochenend
haus herrichten. Die kaputte Scheibe. Meurer bleibt allein
zurück und unternimmt einen Spaziergang. In der Nacht
hört er Gesang.

»Behauptet ja keiner, daß wir nicht Glück hatten! Ist nur eben ne Menge Arbeit so ein Haus, eins wie das hier.« Meurer wischte sich mit dem Taschentuch über die Lippen, stellte seinen Teller auf das Holzbrettchen, setzte es aufs Tablett und folgte seiner Frau mit den leeren Flaschen Vita-Malz und den Gläsern. »Und das mit der Scheibe hat er dir auch nicht gesagt! « Sie fuhr herum. »Nöl doch nicht dauernd! Woher soll er das wissen? Woher denn?«
Meurer blieb stehen. Aus der Küche kam das Rumpeln, mit dem sich der Kühlschrank abschaltete. Die Flaschen darauf schepperten.
»Einem geschenkten Gaul und so weiter«, sagte sie in die Stille. »Von wegen …« Meurer schniefte, sprach aber nicht weiter. »Er hat es dir angeboten, nicht mir. Klar ist was zu machen. Denkst du, sonst hätte er … Du kennst doch Neugebauer!« Sie hielt das Tablett höher, als wollte sie es ihm geben. »Schließlich bist du ein Mann! « sagte sie und wandte sich ab.
In der Küche stellte Meurer Gläser und Flaschen auf den Spülenrand. Er schüttelte das Geschirrtuch auf, griff sich das Brotmesser und stach damit in die Luft. »Wenn die Rumänen kommen«, sagte er.
»Solche Dreckskerle!« sagte sie. Mit einer langen Holzbürste scheuerte sie die Gabelzinken von beiden Seiten. Meurer zog die Schublade auf und ließ das Messer neben den Besteckkasten gleiten. »Wenigstens haben sie ihnen sonst nichts getan«, sagte er und nahm ihr ein Glas ab. »Du hast Ideen! Dich möcht ich mal sehn, wenn sie dir – wie du das dann findest.« Sie zog den Stöpsel heraus und scheuer­te das Becken. Sie füllte die Pfanne zur Hälfte mit Wasser, stell­te sie auf den Herd und ging ins Schlafzimmer. »Die Zeitungen übertreiben immer«, rief Meurer. »Wir müs­sen.« Er hängte das Geschirrtuch über den Handtuchhalter und streifte die Hemdsärmel runter. Das Küchenfenster ließ er offen. Seit zwei Tagen nahmen sie den Durchzug in Kauf, doch es roch weiter nach Schimmel und unlackiertem Holz, von dem mit einem feuchten Lappen die Staubschicht gewischt worden war. Als sie mit der Reisetasche herauskam, sah er, daß sie ihre Bluse mit nassen Händen zugeknöpft hatte. »Wir müs­sen«, sagte sie.

1998         310 Seiten

4



Delius
7. Juli 2012, 19:07
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F. C. Delius: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus

In der Mitte seines Lebens, im Sommer 1981, beschließt der Kellner Paul Gompitz aus Rostock, nach Syrakus auf der Insel Sizilien zu reisen. Der Weg nach Italien ist ver­sperrt durch die höchste und ärgerlichste Grenze der Welt, und Gompitz ahnt noch keine List, sie zu durch­brechen. Er weiß nur, dass er Mauern und Drähte zwei­mal überwinden muss, denn er will, wenn das Abenteuer gelingen sollte, auf jeden Fall nach Rostock zurückkeh­ren.

Mit dem ersten Abschnitt ist eigentlich schon alles geschrieben. Natürlich “durchbricht” Gompitz die Grenze, natürlich erreicht er Syrakus. Das WIE aber erzählt Delius amüsant, spannend und mit einem Augenzwinkern, das einem angesichts der DDR zunächst unangemessen erscheint.

Paul Gompitz bereitet seine Republikflucht akribisch vor. Er muss die Möglichkeiten des Davonkommens auskundschaften, er muss ein Boot erwerben und das Geschick, es sicher zu steuern. Er muss überlegen, wie er sein angespartes Westgeld in den Westen zurückbringen kann. Er darf niemandem etwas verraten, nicht einmal seiner Frau, und er braucht doch Helfer. Und er muss sich einiges einfallen lassen, damit er wieder zurückkommen kann nach Rostock. Auch das ist nicht so einfach.

“Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus” ist kein Buch über die DDR, auch keine Reisebeschreibung. Das Leben in der DDR erscheint Paul Gompitz gar nicht so bedrückend. Wenn nur dieses Gefühl des Eingesperrtseins nicht wäre. Aber so einer wie Gompitz ist im Weltbild der DDR nicht vorgesehen, einen, der nur für ein paar Wochen nach Italien will und dann wieder zurück, kann man sich nicht vorstellen. Die Verordnungen haben dafür keine Kapitel. Das Jahr, in dem er seine Reise schließlich antreten kann, ist das Jahr 1988. Das fügt Gompitz’ Aufwand einen weiteren absurden Reiz hinzu, denn, wie wir wissen, war ein Jahr später diese “ärgerlichste Grenze der Welt” nicht mehr da.

Gompitz ist Kellner und trotzdem Bildungsbürger. Das scheint in der DDR nicht unvereinbar gewesen zu sein. Er kennt Johann Gottfried Seumes “Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802”, er weiß von der Italiensehnsucht der deutschen Klassiker und Romantiker und kann es überhaupt nicht verstehen, dass es einem Deutschen in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts nicht möglich sein sollte, die Städte und Stätten in Italien zu sehen.

Das Verlangen verschiebt sich. Das Weggehen wird immer mehr zum Lebensinhalt, die Reise, die ihm schließlich nach langen Wartejahren gelingt, befriedigt ihn nicht. Am meisten überrascht ihn, dass ihn die Italiener als Deutschen gelten lassen, nicht nur den DDR-Bürger in ihm sehen. Aber Italien ist nicht mehr so, wie es sich in der geschichtsliterarischen Sehnsucht darstellt. Die Städte sind noch da, das schon, aber sie sind voller Menschen und Autos und neben den historischen Stätten stinkt der Müll. Paul Gompitz will wieder nach Rostock und zu seiner Frau. Aber das Heimweh gehört wohl immer schon zur Sehnsucht. Und zu allerletzt erweisen sich die Bürokratler der DDR fast als Menschen. Gut, Delius’ Erzählung ist ja auch erst 1995 erschienen.

«Sie werden jetzt in die DDR entlassen», sagt ein Offizier, offenbar der Chef des Lagers, «Ihr Ermittlungsverfahren ist von unserer Seite aus abgeschlossen, ein Strafverfahren wird nicht eingeleitet, aber die Staatsanwaltschaft Ros­tock wird die endgültige Entscheidung treffen. Aber eins würde ich gern noch wissen, Herr Gompitz, wie haben Sie sich Ihr Leben nun vorgestellt, haben Sie denn so was wie­der mal vor?»
«Natürlich mach ich so was nicht mehr, so nicht, aber eigentlich möchte ich gern in meinem Leben nochmal nach Großbritannien. Das wollte ich jetzt schon machen, aber das ging leider nicht wegen meiner Frau.»
«Na, was dachten Sie denn, wann haben Sie das denn vor mit Britannien?»
«Ich dachte, wenn ich 50 bin, im Frühjahr 91. »
«Ach, dann erst», meint der Chef und winkt ab, «bis da­hin brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Bis dahin wird das schon gehen!»
Da muss es aber böse aussehen im Land, denkt Paul, wenn sie einem Grenzdurchbrecher schon so freundlich die nächste Reise anbieten!

Delius stellt jedem Kapitel einen Kurzdialog voran, worin der fiktive Leser den Autor zu seinem Protagonisten und zu seinem Erzählverfahren befragt. Das ist nicht nur der Verweis auf den Inhalt, sondern auch der ironische Kommentar, der die Fiktion auf die Realität zurückverweist – und umgekehrt. Delius ist “Westautor”. Ob man das der Erzählung anmerkt und ob das von Belang ist, weiß ich nicht. Vielleicht nimmt es der Geschichte den jammernden Ernst. Paul Gompitz ist kein Schelm. Er betreibt seine Sache, die ja auch eine Sache des Menschseins ist, recht gewitzt, weil gelassen.

1995      155 Seiten (Tabu)

Homepage von F. C. Delius

2



Klüssendorf
12. Februar 2012, 14:26
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Angelika Klüssendorf: Das Mädchen

Das Mädchen hat’s nicht leicht. Die Mutter säuft und schlägt, der Vater ist nicht mehr da, der „Stiefvater“ säuft. Der kleine Bruder versucht sich einzukapseln, der neugeborene Halbbruder weckt vorübergehend Mutterinstinke – beim Mädchen, das dadurch ein wenig Sinn in ihr Leben holen möchte. Das Mädchen ist zwölf, zweifelt an ihrer körperlichen Reifung, ist in der Schule abgelenkt, aber gar nicht so schlecht. Das Mädchen klaut, nicht nur um sich Konsumgüter anzueignen, sondern auch selbstlos, für andere, da können Freundschaften herausspringen.

Als alles außer Kontrolle gerät, greift der Staat ein und steckt das Mädchen ins Heim. Dort ist’s auch nicht schlimmer als „daheim“, es ergeben sich sogar neue Kontakte und manch lebenserfahrener Tipp fürs weitere Über-die-Runden-Kommen.

Das kennt man, zumindest aus Filmen und aus der Zeitung. Neu ist, dass das Mädchen in der DDR lebt. Man sagt aha, da gab’s also die gleichen sozialen Probleme. Neu ist, dass das Mädchen nicht aufgibt, dass sie immer wieder ein bisschen Hoffnung für sich sieht – und wenn’s bei der Arbeit als Rinderzüchterin sein muss. „Rinderzüchterin wird nur, wer nichts Besseres bekommen hat.“ Aber immerhin. Und ein bisschen Kraft und Lichtblicke findet sie auch in Büchern. Das Mädchen liest. Zuerst Grimms Märchen, später, mit siebzehn, den Grafen von Monte Christo. Hier kann das Fliegen geübt werden.

Angelika Klüssendorff versetzt sich in das Mädchen, erzählt ihre Geschichte in knappen, sachlichen, fast lakonischen Sätzen, in denen aber doch viel Sympathie steckt. Diese distanzierte und doch sehr genaue Sprache von „kühler Präzision“ (Volker Weidermann, FAZ)  ist das Besondere an Klüssendorfs „Mädchen“. Man ist ständig beim Mädchen, es wird nichts kommentiert oder erklärt, die verdichtete Situation spricht für sich selbst.

Sie sitzt auf der Bettkante und beobachtet, wie Mui und Carmen ihre Koffer packen, die Luft ist erfüllt vom Gesumm ihrer erwartungsvollen Stimmen. Sie wird nicht wie die anderen in den großen Ferien nach Hause fahren; die Mutter will sie nicht sehen.
Als der Bus am Horizont verschwindet, steht sie im­mer noch da und winkt.
Im Heim ist es ungewohnt still, sie geht in den Wasch­raum, zieht sich aus und dreht die Duschen auf. Keiner sieht sie und kann sich über sie lustig machen, sie springt umher, lässt die kleinen, harten Wassertropfen auf ihre Haut prasseln, bis es wehtut. Sie steht vor dem großen Wandspiegel und kann nicht einschätzen, was der ihr zeigt: nicht mehr Kind, aber auch nichts ande­res, ein Nichtkind, Nichtmädchen, ein spindeldürres Ding dazwischen; sie geht ganz nah an den Spiegel he­ran, quetscht ihre Nase gegen das Glas, macht einen Kussmund.
Sie findet eine Ferienarbeit. Frühmorgens fährt sie mit dem Fahrrad aufs Feld, um Rüben zu verziehen. Während die Sonne aufgeht, lockert sie mit der Hacke die Erde, dann kriecht sie auf allen vieren die Reihen entlang, zieht die schwachen Pflanzen und das Unkraut heraus, lässt nur die starken Rüben stehen. Schon bald schmerzt ihr Rücken, eine Rübenreihe scheint endlos lang, die Sonne brennt bald unbarmherzig, nach einer Woche ist ihre Haut dunkelbraun.
Doch dann stürzt sie auf einer frisch geteerten Straße vom Fahrrad, die kleinen scharfen Asphaltsteinchen schürfen ihr die Haut vom Oberschenkel, sodass unter dem Dreck das rohe Fleisch zu sehen ist.
Ein Arzt kommt ins Heim, untersucht sie und gibt ihr eine Tetanusspritze. Sie muss für ein paar Tage im Bett bleiben.
Sie liest noch einmal Der Graf von Monte Christo, begleitet Edmond Dantès auf seinen Etappen durchs Leben, kostet mit ihm am Ende den Moment der Rache aus. Sie wünscht sich, mit jemandem über das Buch zu sprechen, einen Menschen, der ihre Begeisterung teilt.

 2011      183 Seiten

2-3



Ruge
26. November 2011, 11:29
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Eugen Ruge:
In Zeiten des abnehmenden Lichts

rugelichtVor dem Lesen rät sich an, ins Inhaltsverzeichnis zu blicken. Da stehen zwar nur Jahreszahlen, aber die strukturieren die „Zeiten des abnehmenden Lichts“. Es sind drei Zeitebenen: 2001 – die Gegenwart, der 1. Oktober 1989 – Verknüpfungsort von Personen und Handlung und eine dritte Ebene, welche die anderen schneidet: der eigentliche Erzählstrang von 1952 bis 1995.

In diesen Ebenen agieren die Hauptpersonen und werden darin älter. Die Generation der Großeltern: Charlotte und Wilhelm, die Eltern: Kurt und Irina, und Alexander, als Junge Sascha, der Erzähler, der zurückblickt auf die Leben. Und diese Leben enden, wie Leben halt so enden: als groteskes Trauerspiel. Ein langer idealistischer Kampf fließt in Demenz aus. Ist etwas geblieben vom Licht? Der Aufklärung? Den Projekten, für die man seine Gedanken und seine Körper einsetzte? In der Sowjetunion? In Mexiko? In der DDR?

Ruge organisiert seinen Roman raffiniert. Alexander ist im Alter des Autors. Als Kind versteht er noch wenig, als Heranwachsender macht er sich seine eigenen Probleme, 2001 ist er krank, er hat sich davongemacht, ausgerechnet, aber nicht ganz zufällig nach Mexiko, dem Land, in dem die Großeltern ihr Exil gefunden hatten. Wilhelm und Charlotte lebten für ihre Ideale, den Kommunismus, bis sich diese Ideale in DDR-Orden auflösen. Die Farce: „Ich habe genug Blech im Karton.“ Alexander hat nie solche Ziele gefunden, er irrt durchs Leben und Lieben, er könnte frei sein. Die mittlere Generation, Kurt und Irina – Kurt hat sie aus der Sowjetunion mitgebracht – haben sich im DDR-Alltag eingefunden, sie kriegen noch mit, wie „das Licht“ abnimmt, sie sind mit der Organisation des Lebens beschäftigt.

1976: Wenn Irina den Ursprung jener Aprikosen hätte erklären sollen, die sie am Vormittag des Weihnachtstages in Würfel schnitt, um sie, zusammen mit anderen Früchten, zur Füllung ihrer […]gans zu verarbeiten. […] (Da) brachte der Postbote ein großes Paket in den Fuchsbau, schwer wie ein Ziegelstein, das nichts anderes enthielt als schwarzen russischen Kaviar. Den geringsten Teil dieses Kaviars verzehrten Kurt und Irina selbst, […] der größte Teil des Sobakin’schen Kaviars jedoch ging als Schmier- und Zah­lungsmittel in den undurchsichtigen Kreislauf der unter La­dentischen und in Hinterzimmern gehandelten Waren ein.
In der Galerie am Stern erstand Irina gegen Zuzahlung von Kaviar mehrere Stücke der begehrten Waldenburg-Ke­ramik, Ofenbrand mit bräunlichen Flugascheresten, die sie wiederum als Schmiermittel beim Erwerb von Dachfenstern verwendete; einen Teil der Dachfenster, die sie selbst nicht benötigte, brachte sie mit dem Pkw-Anhänger nach Finster­walde und tauschte sie dort gegen etwas breitere Dachfenster (100 cm) ein, welche alsbald Fischer Eberling aus Großzicker auf Rügen abholte und dafür eine Kiste Aal hinterließ, den er – natürlich illegal – in einer hinter der Garage versteckten Kammer geräuchert hatte.
Zwei dieser Aale verspeiste Nadjeshda Iwanowna, die erst kürzlich in der DDR eingetroffen war und ihre Anspruchs­losigkeit unter Beweis stellen wollte (Esst ihr mal das gute Brot, für mich sind die Schlangen gut genug); drei Aale hob Irina für Sascha auf, der sie allerdings, wie er sagte, «aus Re­spekt vor dem Lebenswillen dieser Tiere» nicht essen wollte (früher hatte er immer Aal gegessen!); drei Räucheraale be­kam der Fleischer, der Irina die berühmten «blinden Pakete» packte, deren Inhalt (aus Rumpsteaks, geräucherten Schwei­nefilets oder gekochtem Schinken bestehend) den anderen Kunden nicht offenbart werden durfte; drei bekam der Auto­schlosser; einen der Buchhändler; und zwei schließlich eine ehemalige Kollegin, aus deren väterlichem Kleingarten jene getrockneten Aprikosen stammten, außerdem Quitten und dickschalige Winterbirnen, die Irina schälte und würfelte und zusammen mit den schon eingeweichten Aprikosen sowie halbierten Feigen aus dem Russenmagazin, Rosinen (die sie anstelle von Weintrauben benutzte), Esskastanien (die sie eigenhändig auf den Caputher Hügeln gesammelt hatte) und etwas strunkigen, deshalb feingeschnittenen Ku­ba-Orangen (die sie schlicht und einfach im Laden gekauft hatte!) in eine Pfanne gab, in reichlich Butter andünstete, mit armenischem Kognak ablöschte und als Füllung in ihre Weihnachtsgans stopfte, die sie nach einem dreihundert Jahre alten Rezept zubereitete .

1991: Wenn Irina hätte erklären sollen, woher die Aprikosen kamen, die sie für die Füllung ihrer Klostergans benötigte, hätte ein Satz genügt: Die Aprikosen kamen aus dem Super­markt.
Auch die Weintrauben kamen aus dem Supermarkt. Die Feigen kamen aus dem Supermarkt. Die Birnen, die Quitten, alles kam aus dem Supermarkt. Unter diesen Umständen, dachte Irina, war es eigentlich keine Kunst, eine Klostergans zu bereiten. Sogar Esskastanien gab es im Supermarkt, fix und fertig gebacken und geschält, und nachdem sie sich letztes Jahr noch gesträubt hatte, Esskastanien fix und fertig im Supermarkt zu kaufen, hatte sie dieses Mal zugegriffen – wozu sich unnötig Arbeit machen?

D e r Tag des Romans ist der 1. Oktober 1989. Die Familie trifft sich – noch einmal -, um den 90. Geburtstag des Großvaters zu „feiern“. Er steht vor seinem Ende – wie die DDR, wie der „Sozialismus“. Die Zeremonie besteht aus Vergangenheit, die Riten sind ausgeblasen. Die Fröhlichkeit resultiert mehr und mehr aus der allseitigen Verblödung. Diesen 1. Oktober 1989 lässt Eugen Ruge abwechselnd von den Personen des Romans erleben. In diesen wechselnden Perspektiven der erlebten Rede findet der Leser Bekanntes wieder, dadurch wird’s doppelt heiter, weil die jeweils anderen Perspektiven entlarvt, ihrer vermeintlichen Objektivität beraubt werden. Der Ernst der Großeltern und ihrer Zeit verschwindet hinter den Problemen des (Ur)Enkels. Ruge zieht damit auch aus dem körperlichen und geistigen Verfall der jeweils alt gewordenen eine Menge Spaß, ohne die Alten, es sind ja seine Vorfahren, zu denunzieren. Die Gespräche sind sehr vital, Ruge kann das gut.

 Und schon klingelte es wieder. Die Urgroßmutter ver­schwand im Flur, das Palaver der Saurier, das nach der Ermahnung für einen Moment abgeschwollen war, nahm wieder an Lautstärke zu, man redete, trotz Verbots, über die politische Lage und über Ungarn und das ganze Zeug, und Markus registrierte erstaunt, dass die Saurier dieselbe Mei­nung vertraten wie Pfarrer Klaus in Großkrienitz:
– Mähr Demogradie, schrie der dicke Mann mit dem ro­ten Gesicht, selbstvorständlisch prauchen wir mähr Demo­gradie!
Aber schon ging die Urgroßmutter dazwischen und klatschte in die Hände:
– Genossen, rief die Urgroßmutter, Genossen, ich bitte um Ruhe!
Ein Mann im braunen Anzug war eingetreten. Er sah aus wie sein Schuldirektor Brietzke und hielt eine rote Mappe in der Hand, jemand ließ ein Glas klingen, eine Rede anschei­nend, jetzt kam der offizielle Teil, dachte Markus. Wo blieb eigentlich sein Vater?
– Liebe Genossen, lieber, verehrter Genosse Powileit, be­gann der Schuldirektor, und sein Tonfall war schon bei diesen ersten Worten so ermüdend, so typisch Rede, dass Markus überlegte, ob er, die letzte Unruhe nutzend, noch rasch ver­suchen sollte, in den Wintergarten zu entkommen, aber zu spät, ihm blieb nichts übrig, als abzuwarten. Er stand jetzt am Fenster, vor Wilhelms Schreibtisch – auch museumsreif, samt den altertümlichen Utensilien, die darauf lagen: Brief­öffner (gleich mehrere), Holzstifte (rot), eine große Lupe -, und erinnerte sich, während der Schuldirektor Wilhelms Lebenslauf ausbreitete, dass auch Wilhelm damals, als er in seiner Klasse gewesen war, vom «Kap-Putsch» erzählt hatte und dass er dabei verwundet worden war, und obwohl er gar nicht wusste, wie es dort aussah, hatte Markus seinen Ur­großvater schon damals am Kap Hoorn gesehen, mit Som­brero und gezücktem Trommelrevolver zum Angriff reitend und – peng! – vom Pferd fallend. So war es garantiert nicht gewesen, dachte Markus, vielleicht hieß einfach ihr Anführer «Kap»? Vielleicht war das der Mann im Beiwagen? Fuhren sie gerade zum Putsch? Oder war das Foto aus der Nazizeit, als Wilhelm, wie der Schuldirektor jetzt berichtete, illegal tätig gewesen war, und Wilhelm hatte sich als SA-Mann ver­kleidet? Später, sagte der Schuldirektor, musste Wilhelm aus Deutschland fliehen – nur wie er geflohen war, das verriet der Schuldirektor nicht, und Markus fragte sich abermals, ob es denn keine Grenze gegeben hatte in Deutschland? Wurde sie nicht bewacht? Und wo war eigentlich während der ganzen Zeit Urgroßmutter Charlotte?
– … dir, lieber Genosse Powileit, den Vaterländischen Ver­dienstorden in Gold zu verleihen, hörte Markus den Schuldi­rektor sagen. Das hörte sich bombastisch an, Vaterländischer Verdienstorden, ein bisschen nach Kaiser und Krieg, und auch noch in Gold, alle klatschten jetzt, der Schuldirektor ging auf Wilhelm zu, den Vaterländischen Verdienstorden in der Hand, aber Wilhelm stand nicht mal auf, sondern hob nur die Hand und sagte:
– Ich hab genug Blech im Karton.
Alle lachten, nur die Urgroßmutter schüttelte den Kopf, dann steckte der Schuldirektor Wilhelm den Orden an, und alle klatschten wieder und standen auf und wussten auf ein­mal nicht, wie sie aufhören sollten zu klatschen, und klatsch­ten immer noch, als die Urgroßmutter endlich mit schriller Stimme dazwischenrief:
Das Buffet ist eröffnet!

Die „Zeiten des abnehmenden Lichts“ sind keine Weltgeschichte, auch keine deutsche oder DDR-Geschichte. Die Geschichte spielt herein, aber die Küchendämpfe widersetzen sich. Im Mittelpunkt steht das Treffen – auch wenn immer wieder Gäste ausbleiben -, das Kochen, das Essen, das Feiern. Im Mittelpunkt stehen Küche und Wohnstube. Russland ist noch als Erinnerung und in Person der Schwiegermutter da, Mexiko liefert ein paar Souvenirs: Leguane und Reiseziele. Die Lichter gehen aus. Bleibt was?

2011       425 Seiten

 3SAT Kulturzeit-Gespräch mit Andreas Isenschmid

 Leseprobe beim Rowohlt Verlag

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Hein
26. Juni 2011, 12:42
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Christoph Hein: Landnahme

Das Land nehmen wollten die Flüchtlinge den Einheimischen nach dem Krieg, das Land genommen haben den Bauern die Kollektivierer in der DDR. Hein thematisiert beides in einem Blick auf ein Leben in der DDR von 1945 bis nach deren Untergang. Allerdings verläuft die Zeit nicht linear, langsamer, wenn beispielhafte Episoden wichtig scheinen, kursorischer, je später es wird.

In den Mittelpunkt stellt er Bernhard Haber. Vom ungeliebt bockigen Außenseiter in der Schule, wo er sich mit Schweigen und Eigensinn durchbeißt, bis zum Unternehmer und Mitglied der Nomenklatura in der sächsischen Kleinstadt Guldenberg begleitet ihn Hein, lässt ihn selbst aber nur in seinen zähen Gesprächen auftreten. In den Erzählungen von fünf Männern und Frauen, die Bernhard Haber in seinen Lebensabschnitten gekannt und begleitet haben, entsteht das Porträt eines Mannes, der es als schlesisches Flüchtlingskind schwer hat, Fuß zu fassen, der sich aber nicht unterkriegen lässt, sich nicht anpasst, aber auch nicht opponiert, ein Eigenbrötler in der DDR. Die privaten Belange sind Hein wichtiger als das politische Leben, das sich nicht ausblenden lässt, die Wirrnisse des Lebens aber eher unmittelbar bestimmt. Dei privaten Fluchten sind klein, die große Geschichte bleibt Randthema.

Hein schreibt nicht Geschichte der DDR. Bernhard Habers gab es auch in der BRD, auch hier hatten sie es nicht leicht, auch hier wurden Flüchtlinge und Vertriebene nicht geliebt, auch hier war es Devise, sich aus der „schlechten“ Politik herauszuhalten, um privat zu überleben oder mehr herauszuholen.

Der Stil passt sich den Erzählern an, die allesamt den unteren Schichten entstammen, Arbeiterkinder sind und Arbeiter werden. Die Personen erzählen nicht nur über Haber, sondern auch über sich, die Art des Berichtens ähnelt sich. So entsteht keine große Erzählkunst, so bleibt der Roman auch in seiner Geschichte beschränkt auf die Provinz.

2004       360 Seiten

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