Nachrichten vom Höllenhund


Kordić
21. März 2023, 18:20
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Martin Kordić:
Jahre mit Martha

»Jeder liebt Ćevapčići!«

Ćevapčići sind ein Gericht mit migrantischem Hintergrund. Sie sind National-Essen in Bosnien, sind mit den „Gastarbeitern“ nach Deutschland eingewandert, haben sich in ihren Zutaten und ihrem Geschmack etwas assimiliert, sind mittlerweile vom Döner und anderen weltläufigen Köstlichkeiten in eine wenig beachtete Yugo-Nische zerstreut (?) Martin Kordić nennt sie kennerisch Ćevape.

Auch Martin Kordić‘ Ćevape-Adept Željko Draženko Kovačević hat eine Integrationslaufbahn. Der Name verrät ihn schon durch die vielen Akzente, seine Eltern sind Kroaten aus Bosnien – schon das ist multikulti, Željko lässt sich Jimmy nennen. Das ist unverdächtig und cool. Jimmy ist 15, seine Mutter putzt bei Dr. Martha Gruber, einer Heidelberger-Universitäts-Professorin, Jimmy darf seine Mutter zur Arbeit begleiten, soll ihr helfen, den Garten als „Hausmeister und Tierpfleger“ zu betreuen. Zwergkaninchen, Goldfische und Familienkater Oliver werden sein Arbeitsschwerpunkt. Und Frau Gruber.

Željko/Jimmy begibt sich auf den Marsch in und durch die Integration. Er studiert in München Literaturwissenschaften, hat Affären mit Frauen und Männern, speziell eine prekäre mit seinem „Mentor“ Alex Donelli, dem „aufregendsten Literaturprofessor der Universität“, er jobbt zur finanziellen Absicherung im Balkan-Grill – und landet schließlich wieder bei: Ćevapčići. Landet wieder im Schoß der Familie, die sich allerdings inzwischen multikulturisiert hat. Das Integrationskarussell macht Pause.

Wir kultivierten das freie Land. (…) Als wir   zurückkommen, liegt das Fleisch schon auf dem Grill, meine Mutter ruft nach den Tomaten. (…) Auf dem Grill liegt dreimal das gleiche Essen, unterschiedlich geformt und gewürzt: deutsche Frikadelle, sudanesischer Hackfleischspieß, balkanesische Ćevape. (…) Wir sitzen auf Bierbänken. Der Tisch ist gedeckt. Vier Teller auf jeder Seite. Zwei Salatschüsseln stehen auf dem Tisch. Eine kleine Glasflasche mit Ketchup. Jeweils eine große Flasche echte Cola und echte Fanta. Und ich sitze da. (…) Mit meiner Mutter, die immer nur für andere da war, für ihre Geschwister in Jugoslawien, für ihre Chefs in Deutschland, für ihre Kinder. Die für andere putzte, für andere kochte, für andere backte. Die alleine drei Kinder erzog, von denen heute keines keine Steuern zahlt. Die jeden Tag betet und jetzt den Salat auf allen Tellern verteilt.
  Mit meinem Bruder Kruno, der vom »Industriemechaniker Kovačević zum »Prokurist Herr Dr. Fischer« geworden ist und der heute dieses Haus für uns alle bezahlt und jeden daran teilhaben lässt. Der jetzt über die Unterschiede des Grillfleischs spricht.
   Mit meiner Schwägerin   Simone, die erst unseren Namen annehmen wollte, weil sie nicht ahnte, welche Nachteile das haben könnte, und die dann ihren Namen für uns alle gab. Die jetzt die Hände auf ihrem schwangeren Bauch faltet.
  Mit meiner Schwester Ljuba, die noch immer in einer Folkloregruppe tanzt und ein so bodenständiges, so ausgeglichenes Leben führt. Die jetzt ein Foto mit ihrem Handy von uns allen macht.
  Mit   meinem Schwager Justin, der im vergangenen Sommer zum ersten Mal in seinem Leben in Omdurman im Sudan war und seine Großmutter kennenlernte, der bald eine Teilzeitstelle im Sozialdienst der JVA Ludwigshafen beginnt. Der jetzt vorsichtig Ketchup auf den Teller seiner Tochter fließen lässt. Mit meiner Nichte Aliya-Gordana, die nach den Ćevape greift und einfach alles schöner macht. Zusammen sitzen wir an dieser Bierzeltgarnitur und essen und reden und lachen. Ich fühle mich gut. Bin bereit für Neues.

Zur Rolle der „Jahre mit Martha“ im Deutsch- und Mannwerdungsprozess: Jimmy liest gern, er will sich bilden, in seiner Familie gibt es aber weder Zeitung noch Bücher. Beides findet er bei Martha Gruber. Seine Blicke wandern aber häufig über die Lektüre hinaus. „Ich fand es schön, Frau Gruber beim Denken, beim Schreiben, beim Klugsein zu beobachten. Über den gesamten Garten hinweg bewunderte ich sie für ihre Intelligenz.“ Das ist ehrlich, aber dabei bleibt es nicht. „. Dabei wirkte sie sehr höflich und freundlich, sie lächelte mich an. Es war alles überhaupt nicht anstrengend. Ganz anders als die Mädchen in meinem Alter strahlte Frau Gruber eine sinnvolle Übereinkunft zwischen Wesen und Körper aus. Sie war genau das, was sie war: ein schöner Mensch. (…) Manchmal hatte ich den Eindruck, sie würde zu mir schauen um festzustellen, ob ich zu ihr schaute.“ Was so beginnt, kann so nicht enden.

»Hoouh«, sagte Frau Gruber ganz leise und lächelte mich an.
  »Hoouh«, antwortete ich.
  So standen wir nun mitten in der Nacht und in Unterwäsche voreinander auf dem Steg eines Badesees irgendwo in Süddeutschland.
  Frau Gruber und ich.
  Zwischen unseren Körpern lagen Jahre.
  Zwischen unseren Augen lag nichts.

»Wir können so nicht weitermachen«, sagte sie mit ruhiger Stimme.
    »Warum nicht?«
  »Du bist ein Junge. Ich bin eine Frau.«
  »Aber es fängt doch gerade erst an.«

Es geht noch Jahre weiter, allerdings mit großen Pausen, in denen Jimmy ohne Martha weiterwächst. Die Liebesgeschichte pendelt zwischen pubertärer Not und Maffayeskem Kitsch. Frau Gruber ist für Željko Kovačević mehr als nur eine Frau. Sie ist seriöse Eingangstür in die deutsche Gesellschaft, in Bildung, sozialen Stand. „Ganz gleich, wie viele Arbeitsstellen meine Eltern noch annehmen würden – hier sah ich alles, was ich von ihnen nie würde bekommen können. (…) Die ältere Frau gibt den Ton an: Sie bezahlt, sie bestimmt, sie choreografiert seine Erregung.“ (Nina Apin, taz) Jimmy ist dankbar. Jetzt kann er auch Gärtner werden, was er zuvor als Zumutung eines Mitarbeiters des Arbeitsamtes empfinden musste. Der hatte ihm, dem Gastarbeiterkind mit dem seltsamen Namen, geraten, das Gymnasium zu verlassen und eine Ausbildung zum Gärtner zu machen. „Das ist mehr als Ignoranz, es ist blanker, rassistischer Hohn.“ (Christian Maier, SZ) „Ich bin kein Gärtner“, antwortet Jimmy entsetzt über die Abweisung. Die „Jahre mit Martha“ sind anderes und mehr als nur Liebesgetändel, sonst wäre das als Affäre zwischen den Generationen schwer zu ertragen, auch wenn Martin Kordić auch das Näherkommen betont delikat schildert und „verblüffend unpeinlich“ (Nina Apin). Martin Kordić sieht seine Geschichte als eine Art Tagebuch, als Protokoll des Alltags. Dennoch: Der Roman sei „poetisch stark aufgeladen und von unaufdringlicher Komplexität“, findet Martin Oehlen (FR). Ein sympathischer Roman.

2022 – 285 Seiten

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Geistesblüten“:Martin Kordić und »Jahre mit Martha«
(30 Minuten)