Ilya Kaminsky:
Republik der Taubheit
WIR LEBTEN GLÜCKLICH WÄHREND DES KRIEGES
Und als sie die Häuser der anderen zerbombten
protestierten wir,
aber nicht genug, wir waren dagegen, aber nicht
genug. Ich lag
in meinem Bett, um mein Bett ging Amerika
zugrunde: unsichtbares Haus um unsichtbares Haus
um unsichtbares Haus —
Ich stellte einen Stuhl hinaus und betrachtete die Sonne.
Im sechsten Monat
dieser verhängnisvollen Herrschaft im Haus des Geldes
in der Straße des Geldes in der Stadt des Geldes im Land des Geldes,
unserem großartigen Land des Geldes, lebten wir (vergib uns)
glücklich während des Krieges.

Krieg – und Glück. Wie kann man zu Zeiten des Krieges glücklich sein? Weil er „die Häuser der anderen“ trifft? Weil die Häuser der anderen „unsichtbar“ sind? Weil man meint, sich davonstehlen zu können, wenn man die Sinne abwendet? Wenn man sich ins Bett verkriecht? Wenn man nicht zu den zerbombten Häusern schaut, sondern die Sonne „betrachtet“? Wenn man sich „taub“ stellt, sich alle taub stellen?
Taubheit ist keine Krankheit! Es ist eine Liebesstellung!
Man denkt 2022 unwillkürlich an die Ukraine, wird darin bestärkt, wenn man erfährt, dass Ilya Kaminsky 1977 in Odessa geboren wurde. Aber dann heißt es, dass „Amerika zugrunde“ ging. Amerika, das „Land des Geldes“. Geld – sechs Mal wiederholt! Und dazu – in Klammern: „vergib uns“. An wen ist die Bitte/der Appell gerichtet?
Das Gedicht weitet sich zur Erzählung, die Eindrücke bleiben lyrisch. Ilya Kaminsky teilt seinen Text in zwei Akte und stellt sein Personal als „Dramatis Personae“ vor. Was hält den Text, was hält die Menschen zusammen? – Es sind Liebe und Tod.
Im ersten Akt erzählt Alfonso Barabinski von sich und seiner Frau Sonya. Ihr Kind ist zunächst „in Sonya, seepferdchengroß“ und heißt als Mädchen Anuschka.
FRAGE
Was ist ein Kind?
Eine Stille zwischen zwei Bombardements.
Alonso uns Sonya werden getötet. Die Puppenspielerin Momma Galya Armolinskaya kümmert sich um Anuschka und übernimmt im zweiten Akt das Erzählen. Die Soldaten „werden nach Vasenka entsandt, um »unsere Freiheit zu verteidigen«, und sprechen eine Sprache, die niemand versteht“. Die Soldaten bringen den Krieg, wie Maschinen, bringen den Tod. Sie sind der Gegenpol zu Liebe und Mensch.
WAS WIR NICHT HÖREN KÖNNEN
Sie stoßen Sonya in den Armeejeep,
an einem Morgen, einem Morgen, einem Morgen im Mai — ein
münzheller Morgen —sie stoßen sie,
und sie fliegt hin und her und windet sich und kullert in einer Stilledie das Geräusch der Seele ist.

Was ist Stille? Etwas vom Himmel in uns.
Ilya Kaminsky findet eine schöne Form für seine Poesie. Kurze Erzählungen machen Halt in Gedichten, die den Blick auf die Episoden von Krieg und Glück richten, die den Leser mit frechen Bildern überraschen, ihn zum Mit- und Weiterdenken anregen, die das Thema variieren und subjektiv gefärbten Zusammenhalt erzeugen. Die Komposition macht den eigenen Reiz der „Republik der Taubheit“ aus, wobei Republik hier weniger politisch zu verstehen ist. Es ist der Chor der Menschen, der Puppenspieler, die für die Hoffnung einstehen. Und ab und zu schaut Gott vorbei.
In einer Nacht wie dieser hat Gott ein Auge auf sie,
doch sie ist kein Spatz.
In Zeiten des Kriegeszeigt sie uns, wie man die Tür
öffnet und
hindurchgeht,
der wahre Lehrplan aller Schulen.
—
Gespräch im Literaturclub des SRF (17 Minuten)
„Wir lebten glücklich während des Krieges“ – Beitrag in ttt (7 Minuten)
Ilya Kaminsky reads “We Lived Happily During the War“
Norbert Scheuer: Winterbienen
„Januar 1944: Egidius Arimond, ein frühzeitig aus dem Schuldienst entlassener Latein- und Geschichtslehrer, schwebt wegen seiner Frauengeschichten, seiner Epilepsie, aber vor allem wegen seiner waghalsigen Versuche, Juden in präparierten Bienenstöcken ins besetzte Belgien zu retten, in höchster Gefahr. Gleichzeitig kreisen über der Eifel britische und amerikanische Bomber. Arimonds Situation wird nahezu ausweglos, als er keine Medikamente mehr bekommt, er ein Verhältnis mit der Frau des Kreisleiters beginnt und schließlich bei der Gestapo denunziert wird.“
Der Klappentext fasst zusammen, was im Roman von Belang ist. Egidius Arimond hat alles in seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen festgehalten, Norbert Scheuer musste die Blätter nur noch finden und transkribieren. „Am Tisch holte er aus einer Aktentasche ein loses Bündel Hefte, auf denen sich Bleistiftzeichnungen befanden, die er, wie er mir versicherte, beim Aufräumen seiner Scheune in einem alten Bienenstock gefunden habe. Die Dokumente erzählten, so sagte er, von einem Mann, dem er viel zu verdanken habe.“ Ein kluges Konstrukt.
Die Tageseinträge ähneln sich. Wetter, Umgebung, die blühenden Blumen, die Bienen, die Befindlichkeiten, das Tagwerk. Die Schwerpunkte variieren, was sich verändert, ist die Situation des Krieges an der „Westfront“ im Winter 1944/45. Zunehmende Zerstörung durch alliierte Bombardemants führen zu zunehmender Verstörung der Personen und ihres sozialen Gefüges. Fanatisierte Nazi-Verblendete reden sich eine Wende, eine Wunderwaffe, den Sieg ihrer Ideologie ein, sie haben ihr ganzes Leben eingesetzt, sie können, sie dürfen nicht verlieren. Alles wäre verloren. (Dass die Nazis bald wieder aus ihren Verliesen kriechen, wissen sie nicht.) Im Dorf Kall wird noch einmal der 20. April begangen, der Geburtstag Jupps.
Es regnet wieder; ich sitze im Cafe Blasius und blicke zum Marktplatz, wo Aufmärsche zu Jupps fünfundfünfzigstem Geburtstag stattfinden. Die Regale in der Bäckerei sind leer, weil kein Mehl vorhanden war, um Brot zu backen; aber es riecht zumindest immer noch ein wenig nach Sauerteig, gemahlenem Weizen- und Roggenmehl. Die Verkäuferin reicht mir einen wässrigen Ersatzkaffee aus Zichorien, der nur nach Wasser und den Bitterstoffen der gemeinen Wegwarte schmeckt. Unter der Hand bekomme ich ein kleines Stück Kuchen aus Rübenmehl, er ist ja mit meinem Honig gesüßt. Es kommt sonst keine Kundschaft, da es heute nichts zu verkaufen gibt.
Die Häuser um den kleinen Marktplatz und in der Bahnhofsfraße sind beflaggt; natürlich hängt aus der Wohnung des Apothekers auch eine Parteifahne. Jedes Mal, wenn ich zu ihm in den Laden komme, behauptet er dreist, die Preise für die Medikamente seien wieder gestiegen, aber davon ganz abgesehen, dürfe er mir gar keine Medizin geben, was ja auch stimmt; für meinesgleichen gibt es kein Recht auf Hilfe, ich muss selbst schauen, wie ich hier überleben kann.
Die kleinen Bienen geben Arimond Überlebensmut. Er hat etwas, wofür es sich zu kümmern lohnt. Er ist fasziniert von der Staatsorgansisation* der Bienen, will zu diesem Thema mit dem berühmten Bienenforscher Karl von Frisch in Kontakt treten.
Er braucht das Geld, das er für den Honig erhält, um sich Medikamente kaufen zu können (Luminal, Phenobarbital). Später muss er einen großen Teil seines Honigs als Deputat abliefern. Gleichzeitig darf er seine Epilepsie nicht offenkundig werden lassen, niemandem davon erzählen, es droht die Euthanasie. Das Leben stößt an immer mehr Grenzen, der Krieg wendet sich endlich gegen die Deutschen. Im Dezember 1944 brechen Arimons Tagebucheinträge ab.
Arimond ist kein „Gutmensch“. „Das, was ich notiere, ist nur eine Projektion meines Lebens, es ist weniger und doch gleichzeitig mehr, als ich selbst bin, wie auch die gesprochene Sprache immer mehr ist als ihre schriftliche Wiedergabe, die aber auf der anderen Seite doch vielleicht eine tiefere Wirklichkeit aufzeigt, ebenso wie eine Landkarte niemals die tatsächliche Landschaft selbst darzustellen vermag.” Er war Lehrer, er hat “Frauengeschichten”, auch mit der Frau des Nazi-Kreisleiters. (Die Zeit ist günstig für Affären, die Männer sind im Krieg.) Er präpariert seine Bienenkörbe, um darin jüdische Flüchtlinge über die Grenze nach Belgien zu schmuggeln. Er steht dazu, er begibt sich in Gefahr, aber er nimmt dafür auch Geld, das er für seine Medikamente braucht. Norbert Scheuer zeigt seinen Protagonisten in dieser Ambiguität. Die Stärken des Romans sind die Vernetzungen von persönlichen Dilemmata, dörflichen Strukturen und zeitgeschichtlicher Fundierung. “Und wir können nur staunen über Norbert Scheuers Kunst: Was für ein reifes, reiches, unaufdringlich überwältigendes Buch.“ (Markus Clauer. ZEIT) Aus den zunächst betulichen Aufzeichnungen des ehemaligen Lehrers, der Hitler “Jupp” nennt und kein Nazianhänger ist, liest man seine Berührtheit, er ist aber doch letztlich unpolitisch. Aus der Kriegswelt flieht er zu seinen Bienen, trennen lassen sich die Sphären aber nicht.
Ich gehe nun täglich zur Bibliothek, um dort nach einer weiteren Nachricht zu sehen, muss wissen, wann genau die Flüchtlinge an der Übergabestelle am Malakow-Turm sein werden. Der stillgelegte Förderturm liegt inmitten des Bergschadensgebietes in der Nähe des Bleibergtrichters; es gibt nur einen befahrbaren Weg dorthin, der schließlich in einer Sackgasse am Trichter endet. Über Jahrzehnte haben Bergleute das riesige Loch mit einem Durchmesser von fünf Kilometern ausgehoben. Der Trichter führt in Terrassen bis zu einhundert Meter tief in die Erde hinein. Tausende von Arbeitern haben die bleierzhaltige Erde von einer Stufe zur nächsten im Rhythmus einer Trommel von Ebene zu Ebene nach oben geschaufelt. Im Trichter und auf den Bleisand- und Schlackenhalden gedeihen nun riesige Heidekrautfelder. Im Spätsommer ist es, als wäre das Blau des Himmels auf die Erde gefallen. Der Honig vom Heidekraut hat einen angenehmen, etwas herben Geschmack, und ich habe Kunden, die besonders diesen Honig mögen. Wenn die Bienen hier schwärmen und ins Bergschadensgebiet hinüberfliegen, um sich dort zu sammeln, muss ich sie meist verloren geben, weil die Gefahr selbst für mich viel zu groß ist, in einen der alten Stollen einzubrechen. Die Bienen suchen sich dann Nester in Baumlöchern oder Felsnischen und werden wieder zu Wildbienen.
In diesen abgeklärten Tagebuchseiten entsteht eine sich steigernde Brisanz und das macht den Roman lesenswert, auch wenn einen das Blühen der Natur und die Erstaunlichkeiten des Bienenvolkes weniger interessieren. Thea Dorn verweist (im Literarischen Quartett) auf die Problematik des “Bienenvölkischen”. * “In einigen Völkern musste ich die alte, unfruchtbare Königin töten, denn es schadet den Guten, wer die Schlechten schont.” Von Bienen, die “geschunden sind im Dienst für ihr Volk” müsse nicht erzählt werden “in einer Zeit, in der die völkische Ideologie in Deutschland für einen Massenmord gesorgt hat” (Dorn). Der Hinweis ist nicht wegzuschieben. Ich habe Arimonds Tagebuch aber nicht so gelesen. Die den Bienen einprogrammierten (Über-)Lebensaktionen können nicht auf biologistische Art auf Menschenpopulationen übertragen werden. Solchen Nazi-“Darwinismus” werfe ich Arimond und damit Scheuer nicht vor, auch wenn die Analogien, die der Autor einsetzt, bei aller Kunstfertigkeit aufmerksam gelesen sein sollen.
Eingestreut in die Tagbucheinträge sind Übertragungen aus Pergamenten aus dem 15. Jahrhundert, die von Ambrosius Arimond stammen, einem Vorfahren des Egidius. Die Methode ist kommentiert, auch Bienen kommen in den Fragmenten vor und das Herz des Nikolaus von Cues. Die Zeichnungen von Militäflugzeugen sollen von Scheuers Sohn Erasmus stammen. Das entschuldigt sie aber auch nicht.
2019 320 Seiten
Diskussion im Literarischen Quartett des ZDF
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Arno Geiger: Unter der Drachenwand
Obwohl nur 1176 m hoch, ist die sagenhafte, „schroff über dem Ort aufragende Drachenwand“ zackig-dräuende Kulisse und Symbol für die Gräuel des Krieges, der seine Spuren auch durch die scheinbare Abgeschiedenheit des Salzkammerguts zieht. Den jungen Veit Kolbe hat es nach seiner Verwundung 1944 an der Ostfront an den Mondsee verschlagen, wo er zur Wiederherstellung seiner Kriegstauglichkeit ein Jahr verbringt und seinen „Alltag“ akribisch beschreibt.
Im Zimmer ging ich jetzt den ganzen Tag ohne Schuhe, das konnte ich mir erlauben, weil ich ohnehin keinen Besuch bekam, was mir recht war. In der Früh mit dem Hellwerden sah ich nicht mehr meine Atemwolken über dem Bett, das war mir ebenfalls recht. Der Raum präsentierte sich weiterhin nicht als Entsprechung des Zimmers, das jeder Mensch in sich trägt. Aber es ließ sich aushalten. Und trotz aller Schwierigkeiten tat es mir gut, diesen Ort zu haben, den ich mit niemandem teilen musste außer mit den Mäusen. Jeden Morgen war irgendwo ein Brot angefressen. / Ich machte mir täglich Röstbrote, die Scheiben legte ich auf die Herdplatte, auf beiden Seiten geröstet, besser gesagt, angebrannt, mit Butter und Marmelade bestrichen, schmeckte es sehr gut. Wenn die Brote noch warm waren, konnte ich eine Unmenge vertilgen.
Viel hat er nicht zu tun, kann er nicht tun und deshalb hat er Zeit zu beobachten und sich Gedanken zu machen. Die Inhalte sind von der Zeit gelenkt, die Personen sind mit Über- und Weiterleben beschäftigt. Es fehlt an vielem: Wohnraum, Nahrung, Beschäftigung, alles Wirtschaften ist dem Krieg untergeordnet. Alle wissen, dass er verloren ist, keiner traut sich, das auszusprechen. Das Dorfleben in Mondsee ist labil. Der Dorfpolizist, Veits Onkel, ist müde, passt sich ein, so gut es geht. Die Zigaretten werden knapp. Veit Kolbe sieht sich um sein Leben gebracht, er sollte in seinem Alter studieren. Wenn es zu schlimm wird, schluckt er Pervitin, wie die Soldaten an der Front. Immer häufiger brummen die Bombenflieger über die Gegend. Allerlei Menschen aus vielen Gegenden versammeln sich im Ort. Mädchen aus Wien sind mit ihrer vorsichtigen Lehrerin zur Landverschickung nach “Schwarzindien” gekommen. Die 12-14-Jährigen sollen durch Rituale vom Überlegen abgehalten werden. Ein Liebe ist im Krieg nicht vorgesehen. Mädchen hält siesen Verlust der Gefühle nicht aus und klettert auf die Drachenwand.
Die Mädchen trugen Uniform und waren herausgeputzt und standen in kompakten Blöcken. Zuletzt kamen die Mädchen aus Plomberg. In Formation, mit Trommel und Fahne, führten sie die Fortschritte bei der Kinderdressur vor, bewegten sich in albtraumhaften Geometrie-Sequenzen, in wie irreal anmutender Leni Riefenstahl-Choreografie. Und das schlimmste war, an diesem Begräbnistag schien den Mädchen der Drill und das automatenhafte Gehabe besonders angenehm zu sein, als beschütze der Gleichschritt sie vor dem Tod. (…) Gut gefiel mir, dass der Pfarrer sagte: »Unser Lebenskarren ist im Schlamm festgefahren. Rückwärts hängt sich der Teufel an. Wenn Gott vorne nicht zieht, weil wir ihn nicht vorspannen, wie können wir da herausgelangen?« / Das waren zwar lauter Katholica, ich glaubte aber immerhin einen dezenten Unterton herauszuhören. (…) Und ich dachte an die Schönheit des Lebens und an die Sinnlosigkeit des Krieges. Denn was war der Krieg anderes als ein leerer Raum, in den schönes Leben hineinverschwand?
Ein “Brasilianer” betreut das Gewächshaus und kann sich nicht mit der klimatischen und politischen Kälte abfinden. Später ziehen Flüchtlinge aus Donauschwaben mit ihren Fuhrwerken und Langhornrindern ein. Aus der “Darmstädterin” wird irgendwann Margot, ihr Ehemann droht nach dem Krieg zurückzukommen, sie sucht eine bessere Familie für sich und ihr Kind. Veit und Margot nehmen sich einander an.
Eingelagert in die Erzählung sind Briefe von Angehörigen. Oft sind es Lebensbeschreibungen, verzweifelte Selbstversicherungen, flehende Bitten um Antwort. “Alles bröckelte, rollte brockenweise in verschiedene Richtungen, das galt auch für die Sprache. Wörter wie Versprechen und Treue waren hohl geworden und zerbrachen, wenn ich sie in den Mund nahm.” Die Leben sind auseinandergerissen, perspektivlos, die Familien zerstreut, man weiß nie, wer noch am Leben ist.
So renne ich die ganze Zeit herum, und wenn ich schreiben will, kommt etwas dazwischen, und die vielen Luftangriffe machen das Übrige. Ich bin in letzter Zeit schon ganz nervös geworden und sehe mit Angst jedem Abend entgegen. Letzten Samstag am Abend heulten die Sirenen, es war ein fürchterliches Getöse in der Luft, es ging auf Frankfurt, wo es große Schäden hat, auch Darmstadt bekam einige Sprengbomben ab, darunter eine schwere, fünfunddreißig Zentner, die ein fünfzehn Meter tiefes Loch in eine Wiese riss, auch Phosphorkanister und Brandbomben. Es brannte an verschiedenen Stellen, darunter eine Fabrik und daneben stehende Arbeiterbaracken. Von den Bränden war es draußen taghell, das Schreien der Ausländerinnen hörten wir bis zu uns.
Du kannst dir denken, dass wir wieder recht bange Stunden mitgemacht haben. Durch den Luftdruck haben auch bei uns die Wände Sprünge bekommen, in der Küche hat es ausgesehen, als wenn die Maler hier gewesen wären, so ist die Farbe von der Decke gekommen. Aber den Flugblättern nach, die sie abgeworfen haben, haben wir das Schlimmste noch vor uns, was andere schon hinter sich haben. Ja, liebe Margot, wenn du das schöne Frankfurt sehen würdest, ich war nach den letzten Angriffen dort, und ich will es kein zweites Mal sehen. (…) Und trotzdem geht das Leben zwischen Schutt und Trümmern seinen Gang. Die ganze Wirtschaft hat man schon im Keller, die Schränke stehen leer.
Arno Geiger setzt keine Statements gegen den Krieg. “Unter der Drachenwand ist dennoch ein Antikriegsroman.Alle Menschen sind verbogen, entwurzelt, fremd.
Am Nachmittag machte ich Wege, hierhin und dorthin, in einer Stadt, in der jeder in Eile war, sogar die auf Krücken angewiesenen Kriegsversehrten. Die halbe Welt schien kriegsversehrt. Von der Wehrmachtsstelle in der Hirschengasse ging ich zu Onkel Rudolf in der Siebenbrunnenfeldgasse. Auf dem Rückweg versuchte ich, mir einen Taschenkalender für 1945 zu besorgen, aber in den Geschäften war alles wie ausgekehrt. Mir wurde immer banger, je mehr Zeit ich unter Menschen verbrachte. (…) Zwei Tage später war der Schnee von den Schuhen und Fahrzeugen zu einer hellbraunen, bröseligen Masse zertreten, zerfahren. (…) Obwohl die Krücken nicht mehr zwingend nötig gewesen wären, hatte ich sie immer bei mir, damit ich nicht ständig den Arm in die Höhe reißen musste. / Sogar die Schaufensterpuppen hatten jetzt Soldatenhaltung und waren schlank geworden, offenbar kurbelte dieser Typus das Geschäft an. Soweit Ware noch vorhanden.
Veit Kolbe ist ein glaubwürdiger Augenzeuge. In der Nachbemerkung holt ihn Arno Geiger in die Realität. „Veit Kolbe kehrte Mitte Dezember 1944 zu seiner Einheit zurück, von der er sich im April 1945 in der Gegend von Schwerin absetzte. Das Kriegsende erlebte er in Mondsee. Er und Margot heirateten 1946 nach Margots Scheidung. Die beiden hatten neben Lilo zwei gemeinsame Kinder, Robert und Klärchen. 1953 beendete Veit Kolbe ein Studium der Elektrotechnik, unmittelbar darauf verbrachte er für Siemens zwei Jahre in Afghanistan beim Kraftwerksbau in Sarobi. (…) Veit Kolbe starb am 3. Juni 2004, Margot Kolbe ist zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, fünfundneunzig Jahre alt.” Aber auch das kann Fiktion sein.
Was man dem Roman vorwerfen kann: Er ist zu breit angelegt. Der heutige übersatte Leser muss sich in Geduld üben, das “Leben” “Unter der Drachenwand” in sich wirken zu lassen, hat dafür einen gut gearbeiteten, stilsicher geschriebenen Roman über ein Thema gelesen, das nicht oft aufgegriffen wird. Ich hatte was anderes erwartet. „Erst das Nebeneinander von Hoffnung und Horror, von erfolgreicher und erfolgloser Zuflucht, schafft die ebenso bedrückende wie beglückende Stimmung dieses Romans.“ (Andreas Platthaus, FAZ, der auch auf Parallelen zu Robert Seethaler und Arno Schmidt hinweist.) „Der eigentliche Kunstgriff aber besteht im intimen Ton des in der Vergangenheitsform erzählten Romans. Man kennt diesen Ton, an dessen Nachdenklichkeit noch die Nähe des Erlebens hängt, sonst nur aus Tagebüchern und Briefen.“ (Meike Fessmann, SZ)
2018 480 Seiten
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Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: Krieg, Krimi, Medien, Politik, USA
Michael Lüders: Never Say Anything
Sophie Schelling ist Reisereporterin einer angesehenen deutschen Wochenzeitung. Sie will in Marokko die „Himmelstreppe“ von Said Attar sehen und besucht dazu mit ihrem einheimischen Begleiter Hassan den Ort Gourrama im Süden des Landes nahe der algerischen Grenze. Wie es der Zufall will, erleben sie einen Drohnenangriff in unmittelbarer Nähe, bei dem ein Hirte zerfetzt wird. Auf einem Raketenteil entdecken sie ein Schild, das auf den US-Usprung hinweist. In der nächsten Nacht wird das Dorf von Helikoptern angegriffen, alle Bewohner werden getötet, auch hier liegt der Verdacht bei privaten US-Söldnern, die den Erschossenen die Kugeln aus den Körpern schneiden, um das Massaker zu anonymisieren. „Find, fix & finish“ – Finden, festnageln und fertigmachen lautet das Motto von JSOC, des Joint Special Operations Command.
Als Erstes sah Sophie den Arganbaum, dann, beim Aussteigen, das, was in ihm hing. Ihr Körper reagierte so unvermittelt, wie sie es noch nie erlebt hatte: Sie erbrach sich augenblicklich, ein Schüttelfrost überkam sie, am Ende spuckte sie gelbgrüne Gallenflüssigkeit. In ihrem Kopf hörte es nicht auf zu hämmern: Ein Bild wie von Dali, surreal, verzerrt, entrückt. Der Oberkörper des Hirten, etwa bis zur Höhe des Gürtels, hing wie hingeworfen rücklings über den Ästen. Seine Arme waren ausgebreitet in Form eines Vs, sein unversehrtes Gesicht wirkte so friedlich, als schliefe er. Die Augen waren geschlossen. Sein Unterkörper lag über mehrere Meter verteilt, unzählige Male zerrissen und zerfetzt. Allein sein rechter Unterschenkel einschließlich des Fußes war erhalten geblieben. Die Gedärme schlangen sich teils im den Baum.
Sophie Schelling ist, wieder ein Zufall, die einzige, die überlebt. Sie schlägt sich nach Berlin durch und hofft, ihre Erlebnisse und Erkenntnisse in ihrer Zeitung unterbringen zu können. Hier beginnt Michael Lüders’ Lehrstück. Sophie, die Frau, also ideologisch unverdächtig, wird zur Protagonistin und erfährt, stellvertretend für den lesenden Stubenhocker, wozu die „Weltpolitik“ des frühen 21. Jahhunderts fähig ist. Zum Aus-der-Haut-Fahren.
Die Zeitung ziert sich, die Fakten seien nicht überprüft, nicht überprüfbar, der transatlantische Chefredakteur empfiehlt Zurückhaltung. Sophie schreibt einen neutralen Artikel, erhält darauf Informationen von amerikanischen Investigativ-Journalisten und stellt diese auf ihrem Privat-Account ins Netz. Lüders beschreibt die Konsequenzen als Thriller.
Sophie Schellings Wohnung wird durchsucht, auf ihrem Konto geschehen rätselhafte Überweisunugen, worauf es gesperrt wird, ihr Facebook-Account wird gehackt, das Auto, das sie fährt wird Ziel einer Cyber-Attacke, man lässt sie überleben, weil man weitere Informationen bei ihr vermutet. Klischees, aber vorstellbar, die Wirklichkeit ist meist brutaler.
Michael Lüders „war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT“, er analysiert die globale Einbettung der Konflikte und Zustände in der arabischen Welt des Nahen Ostens, sein zentrales und mit Verve vertretenes Anliegen ist zu zeigen, was „westliche Politik im Orient anrichtet„:Wer den Wind sät“ von 2015)
Im Thriller schickt er Sophie Schelling in den Kampf mit den USA. Sie hat keine Chance, aber sie schlägt sich gut, gibt nicht auf, ihre Beharrlichkeit soll dem Leser die Augen öffnen über die Machenschaften von Militär und NSA („Never Say Anything“), über die Einbettung von Medien, über die totale Unterordnung von Menschlichkeit unter die Machtinteressen, über Drohnenkrieg und Enthüllungsplattformen.
Die Warnung ging Sophie nicht aus dem Kopf. Sie konnte schweigen oder sterben. Zu ihrem eigenen Erstaunen verspürte sie keine Panik, nicht einmal übersteigerte Angst. Weil sie mittlerweile gelernt hatte, mit Gefahren umzugehen? Die beinahe zu ihrem Alltag gehörten? Sie dachte in jede Richtung, erwog alle Optionen. Einfach alles hinzuwerfen, wäre gleichbedeutend mit Selbstaufgabe. Allein die Vorstellung bereitete ihr körperliches Unbehagen. Es gab nur einen Weg, sagte ihre innere Stimme: Dir selbst treu zu bleiben. Auch wenn Sophie sich keineswegs als Heldin sah.
Lüders müsste nüchterner Realist sein, der Roman darf aber – zumindest – hoffen lassen. Es gibt die kleinen Nischen, es gibt Länder, die sich ein Eckchen Souveränität bewahrt haben, es gibt den Leser, der Menschen wie Sophie Schelling braucht. Was der Leser nicht braucht, ist die Episode im “Berghain”-Club in Berlin, auch wenn auch hier “Schlachten” geschlagen werden.
Er suchte ihren Blick. «Eigentlich sollten Zeitungen Hintergründe liefern. Das tun sie aber nicht. Überall steht derselbe Quatsch, den ich längst im Internet gelesen habe. Durch deine Erfahrungen ist mir das zum ersten Mal so richtig bewusst geworden.»
«Weil Qualität Kosten verursacht, Günther. Ein Meinungsartikel ist schnell geschrieben. Recherche braucht Zeit und kostet Geld.»
«Du würdest mir also zustimmen, wenn ich sage: Da besteht eine Marktlücke?»
«Ja, natürlich. Das ist allgemein bekannt. Nur mag sie niemand füllen, weil völlig offen ist, ob sich das am Ende auch rechnet.»
«Sophie, da muss ich dir widersprechen. Dieser Niemand steht vor dir.»
Er führte aus, wie er sich das vorstellte: eine Enthüllungsplattform, die Nachrichten und Analysen veröffentlicht, die in den weich gespülten Medien untergehen. Geschichten wie die aus Gourrama. Geschichten wie die von Marc Lindsey. Geschichten wie jene, die Hassan Maliki in seiner Zeitschrift veröffentlichte. Wie hieße die noch gleich?
«Outland», warf Sophie ein.
Ja, was für ein schönes Wort. Es mache neugierig, wecke Lust auf Neues, verheiße einen Blick hinter die Kulissen.
Trotz der Vorhersehbarkeiten ist der Roman spannend, er ist auf der Höhe der Zeit, er leistet sich und den Helden ein bisschen Sentimentalität, die Idylle ist immer gebrochen. Der Stil hat sich dem Anliegen unterzuordnen, Lüders schreibt aber gut lesbar.
Der wolkenlose Sternenhimmel spiegelte sich im ruhig daliegenden See, als suche er sein Ebenbild. Sophie saß neben Helga auf der Bank eines Stegs, der wie ein Dolch in die Vollmondnacht hineinstach. Schlafende Enten trieben an ihnen vorbei, vom Wind bewegt, die Köpfe im Gefieder verborgen. Frösche quakten, in der Ferne bellte ein Hund. Spätabendliche Ruhe lag über dem idyllischen Ort, doch Sophie kämpfte gegen die jähe Einsamkeit, die sie befallen hatte. Mit großer Heftigkeit wurde sie von ihren Erinnerungen heimgesucht – wie sie mit Hassan Maliki unter dem Sternenzelt gesessen hatte, in seinem Heimatort, dessen Besuch sie beinahe mit dem Leben bezahlt hätte. Was würde sie geben, wäre er jetzt mit Helga an ihrer Seite. Er fehlte ihr, er fehlte ihr sehr. Fast sehnte sie Sturm und Regen herbei, um ihre Gedanken zu vertreiben. Warum starben immer die Guten viel zu früh, während die Verderber der Welt sich eines langen Lebens erfreuten?
«Woran denkst du?», fragte Helga.
«An die vielen guten Gelegenheiten, die ich nicht genutzt habe.»
Sophie sah das Lächeln auf Helgas Gesicht.
«Geht dir auch so, ja?»
2016 365 Seiten
Michael Lüders liest aus “Never Say Anything” (hier auch weitere Video-Links)
Kritik von Knut Cordsen in der kulturWelt von BR2
Ralf Rothmann: Im Frühling sterben
Stille rahmt ein, was einfach nicht erzählt werden will. Der Erzähler steht am Grab seiner Eltern und empfindet mit den Schneeflocken ein „stilles Verwehen“, es war „jetzt noch einmal stiller“. Der Vater hat sich zu Lebzeiten gweigert, ihm „sein Leben (zu) skizzieren“, hat ihm nicht „jene Wochen im Frühjahr ’45“ beschrieben. Der Vater will nicht vom Krieg erzählen, doch der Krieg lässt ihn nicht los. Er ist “überdunkelt von seiner Vergangenheit”.
Das Schweigen, das tiefe Verschweigen, besonders wenn es Tote meint, ist letztlich ein Vakuum, das das Leben irgendwann von selbst mit Wahrheit füllt. –
Einmal abgesehen von seiner Taubheit: Es war vollkommen still, weder durch das Fenster, das auf den blühenden Klinikpark hinausging, noch vom Flur drang ein Laut herein; die reguläre Besuchszeit war zu Ende, das Abendessen längst serviert, das Geschirr vor kurzem abgeräumt worden. Die Nachtschwester hatte bereits ihre Runde gemacht, und meine Mutter schüttelte kaum merklich den Kopf und murmelte: »Ah, jetzt ist er wieder im Krieg.«
Der Erzähler schreibt die Geschichte über jenes Frühjar ’45, die die Geschichte seines Vaters sein könnte. Es ist die Geschichte eines 17-Jährigen, der Melker gelernt hat, der die ersten Schritte in Leben und Arbeit und Liebe ausprobiert und dann in den letzten Wochen des Krieges zur SS eingezogen wird, kein Einzelschicksal, er wird nach Ungarn verlegt, zum “Glück” als Melder und nicht an die Front wie sein Freund Fiete. “Im Frühling sterben” ist ein Roman über den Wahnsinn des Krieges, über die gesteigerte Absurdität dieses Wahnsinns, die sichere und von allen erkannte Niederlage durch den Einsatz von Jugendlichen hinauszögern zu wollen, um sich den Wahn nicht eingestehen zu müssen. Die Jugend wird geopfert, auch die der Überlebenden.
Ralf Rothmann erzählt nüchtern von den ins Leere laufenden Anstrengungen, im Chaos eine “Ordnung” zu erhalten, die nur Leid und Tod vermehren kann. Akribisch beschreibt Rothmann das Erleben des Walter Urban, seine Aufträge und Ängste, die Stube und die Landschaft, die Fahrzeuge und die Geräte, die Waffen und die Befehle, die Briefe, die mit der Heimat ausgetauscht werden, mit denen, die man wiederzufinden nur hofft. Mit betont sachlichem Stil, kühl empathisch schildert er die vergeblichen Versuche Walters, Menschlichkeit zu bewahren, seinen Freund zu retten, als dieser wegen Desertion erschossen werden soll. Walter muss sich an der Exekution beteiligen. So ist der Krieg, nicht nur in seiner monströsen Endphase.
Kreisförmig wanderten die Finger über die Brust, rafften das Nachthemd zusammen und glätteten es, wobei er schluckte, und dann sank er aufs Kissen zurück, drehte den Kopf zur Wand und sagte bei geschlossenen Augen: »Die kommen doch immer näher, Mensch! Wenn ich bloß einen Ort für uns wüsste … «
Auch der Vater hat in „jene(n)Wochen im Frühjahr ‚45“ begonnen zu sterben. Ralf Rothmann hat deshalb einen Roman geschrieben, gegen den Krieg, aber doch einen Kriegsroman. Wie nahezu jeder Kriegsroman nimmt auch dieser den Krieg zu ernst, erliegt seinem Vokabular, seinen „Dienstgraden“ und „Waffenbezeichnungen“, lässt sich vom Schrecken gefangennehmen. Rothmann ist nicht bereit, seinem Realismus die Poesie zu entziehen, der Krieg wird konsumierbar.
In der graugrünen Strömung trieben Leichen in deutschen und russischen Uniformen, drehten sich in den Wirbeln, verschwanden unter den Planken und tauchten auf der anderen Seite wieder auf. Einige freilich, starr und aufgequollen, blieben auch hängen und verkeilten sich mit den Nachkommenden zwischen den Fässern und Booten, was die nötige Beweglichkeit der ganzen Konstruktion gefährdete: Sogleich kamen Kinder mit langen Stangen gerannt und stocherten die Schwimmkörper wieder frei. Regen fiel, doch hinter dem Wasserschleier schien die Sonne. Blut in den Gesichtern, lagen Tote auch an der Straße nach Abda, und als er um das Stallgebäude eines Hofes bog, marschierte plötzlich eine lange Reihe ausgemergelter Männer in grauem Drillich vor ihm her. Es waren jüdische Zwangsarbeiter aus den Minen von Bor, wie ihm ein Wachmann auf dem Fahrrad am Ende des Zuges sagte, ein Ungarndeutscher mit einem »Besenstiel« in der Hand, der alten Mauser. »Heim ins Reich bringen wir die. Wer schlappmacht, hat Pech. Verstehe nicht, warum man denen das noch antut.« Die Unterarme auf dem Lenker, spuckte er etwas Tabaksaft aus; zäh tropfte er von der Lampe. »Wieso man sie nicht gleich umlegt, meine ich. Was will man aus den Hungerhaken noch rausholen … Hast du Schnaps?«
An seinem Gürtel hing eine rostige Kneifzange, und Walter verneinte und fuhr langsam an dem Zug vorbei. Die Männer, mit Sackfetzen und Decken behängt, hielten die stoppeligen Köpfe gesenkt und nahmen ihn wohl kaum wahr. In Fußlappen oder auch barfuß um Gleichschritt bemüht, starrten sie apathisch vor sich hin und schraken höchstens zusammen – bei manchen war es nur ein Zucken der Lider -, wenn irgendwo in der endlosen Reihe das seltsam tonlose, fast klatschende Geräusch einer dicht aufgesetzten Pistole erklang. Dann strafften sich die Rücken und alle marschierten wieder etwas schneller.
Die Kritik ist sich einig, dass “Im Frühling sterben” ein gutes und wichtiges Buch ist, uneins ist man darüber, ob Rothmann den Figuren psychologisch nahe genug gekommen ist und ob es eher ein Buch für Jugendliche oder Erwachsene ist.
2015 235 Seiten
Leseprobe beim Suhrkamp Verlag
3SAT-kulturzeit – Gespräch mit Ina Hartwig | Ralf Rothmann liest
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